Ist die Luft schon raus?

Mit diesem Erfolg hätte selbst Rolf-Dieter Lafrenz nicht gerechnet. "Allein im vergangenen Jahr haben wir uns binnen zwölf Monaten verdreifacht: unser Umsatz, unseren Nutzerzahlen und das über uns abgewickelte Transportvolumen - alles ist um den Faktor drei gestiegen", freut sich der geschäftsführende Gesellschafter von Cargonexx. Und in diesem Jahr rechne er mit einem ähnlich hohen Wachstum. Umsatz- oder gar Ergebniszahlen nennt er aber nicht. Milliardenmarkt oder Nische? Vor drei Jahren hat Lafrenz seine digitale Spedition gegründet. Anders als die üblichen, auch im Internet betriebenen Frachtenbörsen organisiert Cargonexx den Transport selbst. Das Start-up übernimmt die Haftung und verpflichtet sich zum Transport. Der Clou ist: Cargonexx nutzt künstliche Intelligenz. Eingestellte Fracht werde also, erklärt der Geschäftsführer, in Sekundenschnelle zu aktuellen Bedingungen und sich ständig verändernden Preisen vermittelt. Die Nutzung sei für Verlader kostenlos. Cargonexx verdient nur die Marge zwischen Einkauf und Verkauf der Tour, die sich nach Angebot und Nachfrage der Strecke richtet. Nun träumt Lafrenz von der nächsten Dimension: "Der Transportmarkt steht in den kommenden zehn Jahren vor fundamentalen Veränderungen. Und das wird riesig werden." Die Rechnung des Cargonexx-Erfinders geht so: Jährlich werden derzeit alles in allem rund 150 Milliarden Euro Umsatz im europäischen Transportmarkt erzielt. Spätestens in zehn Jahren dürften in diesem Markt die sechs maßgeblichen digitalen Plattformen beziehungsweise Netzwerke einen Marktanteil von rund 20 bis 30 Prozent erwirtschaften. Auf den einzelnen dieser Anbieter heruntergerechnet, wären dies mehrere Milliarden Euro Umsatz - allein in Europa. "Der Siegeszug der digitalen Speditionen in Deutschland und Europa hat erst begonnen", ist Lafrenz überzeugt. Das zeige allein das Beispiel der digitalen Seefracht-Spedition Flexport, die soeben vom Softbank Vision Fund eine Milliarde US-Dollar, umgerechnet rund 881 Millionen Euro, Kapital erhalten hat. Geld genug, um die milliardenschweren Speditionsmärkte weiter zu disrumpieren. Vielleicht auch deshalb soll dem Vernehmen nach die digitale Seeund Luftfrachtspedition Freighthub unlängst erklärt haben, dass sie in fünf Jahren wohl mehr Umsatz erwirtschaften werde als der Schweizer Logistikkonzern Kühne + Nagel. Hauen und Stechen der Plattformen Soweit also zu den Aussagen der digitalen Start-ups. Klappern gehört aber bekanntlich zum Handwerk, gerade in der Gründerszene, die sich gegen Traditionsbetriebe durchsetzen will und muss. "Es ist ein Hauen und Stechen bei den Plattformen", formuliert es Martin Schwemmer, stellvertretender Leiter Market Intelligence des Fraunhofer SCS, der den Markt wissenschaftlich untersucht (siehe Kasten Seite 22). Wirklich "ausgestochen" sei zwar bislang noch keine Lösung worden. "Doch diese Konsolidierung muss eintreten", betont er. "Denn noch können viele der neuen Anbieter nicht für sich alleine stehen. Sie brauchen immer noch Geldgeber." Noch aber sei das Geld offensichtlich dafür im Markt da. Aber irgendwann müssten sich die Start-ups selbst tragen und aus eigener Kraft wachsen. Allein in den letzten Jahren haben sich mehr als 400 digitale Logistik-Start-ups auf dem deutschen Transport- und Logistikmarkt gegründet, weiß Schwemmer. Grob kategorisieren lassen sich diese in die Cluster "digitale Plattformen/digitale Speditionen" wie Freighthub und Cargonexx, die Verlader und Dienstleister dank selbstlernender Algorithmen zusammenbringen. Dieser Markt sei relativ ausgereift. Weitere Kategorien, aber noch am Werden, sind für Schwemmer "Intralogistik-Anbieter" wie Robotik-Entwickler Magazino und Datenbrillen-Spezialist Picavi und Lagerprozess-Analysierer MotionMiners. Beliebte Spielwiese für viele Start-ups seien aber vor allem Lösungen für die Letzte Meile wie bei Pakadoo und effizientes Retourenmanagement wie etwa bei Malindo. Einige dieser Neugründungen seien dabei als sogenannte Start-ins aus etablierten Unternehmen heraus entstanden. Zum Beispiel die Online-Teilladungs-Frachtenbörse Loadfox, etliche Lösungen wie etwa Robotik-Hersteller Magazino und die Logistik-Preisvergleichsplattform Pamyra, auch aus Universitäten. Viele Anbieter hätten schlichtweg eine Geschäftsidee gehabt, die sie großmachen wollen. Nur punktuell wirklicher Mehrwert In der Logistikbranche durchgesetzt haben sich Schwemmer zufolge vor allem die Start-ups, die sich die Agilität und Dynamik trotz Wachstum bewahren. Nur dann lassen sich ihre Geschäftsmodelle nach oben skalieren, meint er. "Gelingt das nicht, zum Beispiel weil ein Konzern im Rücken zu viel Einfluss auf das Start-up nimmt, verdorrt eine neue Geschäftsidee schneller als sie wächst." Dies sei möglicherweise einer der Gründe, warum Saloodo, das vor einigen Jahren von dem Logistikriesen Deutsche Post DHL entwickelt worden war, sich nicht so durchsetzen konnte. Das Start-up hätte das ureigenste Geschäft von DHL Freight disrumpiert. Andererseits habe DHL sicherlich durch das Projekt einiges gelernt, sodass auch unabhängig von der Einschätzung zur aktuellen Marktbedeutung von Saloodo das Projekt für DHL ein Erfolg sein kann. "Der große Hype um die digitalen Startups in Deutschland im Bereich Logistik ist nicht mehr so intensiv wie noch in den Jahren zuvor", beobachtet auch Gunnar Gburek, Head of Business Affairs bei dem Frachtenbörsenanbieter Timocom. So würden aktuell deutlich weniger neue Anbieter gegründet werden als in den Jahren 2017 und Anfang 2018. Und die Geschäftsmodelle der neuen Anbieter haben sich Gburek zufolge nur bedingt im Transport- und Logistikmarkt durchgesetzt. Lediglich bei den Online-Speditionen sieht er eine konstante Entwicklung. "Das ist aber keine Revolution und keine Disruption, sondern eine Evolution", urteilt er. Denn letztlich würden sie das traditionelle Geschäft der Speditionen eben über ein anderes Medium abbilden, und zwar im Internet, so der Marktkenner. Diejenigen, die aber wirklich etwas Neues angeboten hätten, seien im Markt nicht mehr wirklich gut sichtbar, sagt Gburek. Woran das liegt, weiß er nicht mit Gewissheit. Von Transport- und Speditionsunternehmen höre er aber, dass viele die neuen Lösungen getestet hätten. Wirklich geholfen beziehungsweise betriebswirtschaftliche Vorteile hätten die Lösungen aber nur selten gebracht. "Die neuen Lösungen bringen offenbar den Betrieben nur punktuell einen wirklichen Mehrwert", formuliert er es. Und die wirkliche Revolution habe er bislang nicht gesehen. Bisher kein Game-Changer in Sicht "Häufig beißen sich die Corporate- und die Start-up-Welt", nennt Schwemmer vom Frauhnhofer SCS mögliche Gründe für die abflauende Entwicklung. Außerdem kommen viele Neugründer aus der Technologie-Ecke und haben das Logistiknetz noch zu wenig im Blick: "Diese Neugründer verstehen nicht, wie die Logistik tickt", urteilt der Logistikexperte. "Wenn sie aber die Logistik breit erreichen wollen, müssen sie sich auf diese Welt einlassen. Denn die Logistikbranche wartet nicht auf sie. Da überschätzen einige Start-ups sich selbst", sagt Schwemmer. Abgesehen davon habe er noch keinen wirklichen Game-Changer in der Logistik entdecken können, sagt er. Dafür sei der Markt auch zu fragmentiert. Kurz und gut: "Die Angst vieler traditioneller Anbieter vor der digitalen Wucht mancher Startups war deshalb ein gutes Stück unberechtigt", fasst Schwemmer zusammen. Mehr zum Thema im Dossier Logistik-Start-ups www.verkehrsrundschau.de/dossiers Die Serie Die neuen Logistik- Start-upsWohin geht die Reise der digitalen Anbieter?- Revolution, Disruption oder Evolution? (VR 10)- Innovativ mit eigenen Startups: Flash Europe (VR 11)- Logistik-Start-ups kaufen und verkaufen (VR 12)

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