2015 ist ein spannendes Jahr für den Transport- und Kfz-Versicherer Kravag gewesen. Vorstandschef Norbert Rollinger zieht anlässlich der Delegiertenversammlung Bilanz.
VerkehrsRundschau: J+ngst haben wieder Sturmtiefs über Deutschland für Millionenschäden gesorgt. Für Versicherer sind sie ein unkalkulierbares Risiko. Inwiefern haben Starkregen, Hagel und Orkane die Kravag-Logistic im zurückliegenden Geschäftsjahr beeinflusst?
Norbert Rollinger: Ich bin sehr zufrieden mit 2015 und dem ersten Halbjahr 2016. Kravag-Logistic hat bei der Anzahl der Verträge zugelegt und die Beitragseinnahmen von 739 auf über 760 Millionen Euro gesteigert, wovon der Großteil auf die Kfz-Sparte entfällt. Damit haben wir unsere Stellung als einer der führenden Flottenversicherer in Deutschland gefestigt. Die Schaden-Kosten-Quote lag wieder unter 100 Prozent, was ebenfalls erfreulich ist.
Was heißt das, wenn die Schaden-Kosten-Quote unter 100 Prozent liegt?
Das bedeutet, dass wir weniger Geld für die Schadenregulierung und die Verwaltung aufwenden müssen, als wir durch Prämien verdienen. Im Vergleich zu unseren Wettbewerbern stehen wir gut da. 2015 lag die Schaden-Kosten-Quote in der Transportversicherung im Markt bei 96 Prozent und die Kfz-Flotten-Versicherung rangierte im Durchschnitt bei 107 Prozent. Insgesamt blicken wir auf ein normales Schadenjahr zurück. Neben einer Reihe von Elementarschäden gab es auch einige Großschäden, die viel gekostet haben. Dazu zählen zum Beispiel der Germanwings-Absturz in Südfrankreich, die Explosionskatastrophe in Tianjin in China und das Bahnunglück in Bad Aibling.
Wie wirkt sich dies aktuell auf die Entwicklung der Versicherungspolicen aus?
Für 2016 planen wir mindestens Ergebnisse auf Vorjahresniveau und weiterhin Steigerungen bei den Beitragseinnahmen durch mehr Neuverträge, um wieder Marktanteile gewinnen zu können. Die Zeit der starken Prämienanpassungen ist erst einmal vorbei. Mit höheren Preisen müssen Versicherungsnehmer mit einem normalen Schadenverlauf also in den nächsten Monaten nicht rechnen. Wenn uns besonders viele Schäden auffallen, dann reden wir mit dem Kunden und versuchen ihm dabei zu helfen, diese in den Griff zu bekommen.
Als Reaktion auf die Neuauflage der Allgemeinen Deutschen Spediteurbedingungen (ADSp 2016) hat Kravag im Frühjahr die Prämien der Logistic-Police erhöht. Warum ist das notwendig gewesen?
Wegen der höheren Haftungsdeckungssummen werden wir die Beiträge erhöhen. Nur so können wir gewährleisten, dass die neuen Risiken weiterhin voll abgedeckt sind. Der Spediteur haftet nach den ADSp 2016 für jeden Güterschaden mit 8,33 Sonderziehungsrechten pro Kilogramm. Seine Haftung verdoppelt sich damit und gilt nun nicht nur im Umschlag, sondern auch im Lager. Gleichzeitig sind die Höchsthaftungssummen je Schadensfall bei der verfügten Lagerung von 5000 auf 25.000 Euro gestiegen. Mittelfristig wird es deshalb weitere Preisanpassungen geben, wenn Schäden nach den ADSp 2016 anfallen. Wenn das Risiko für den Versicherer größer wird, dann fällt die Prämie in der Regel höher aus. Aber dafür sind die erhöhten Haftungsrisiken der Unternehmer auch umfassend abgesichert.
In diesem Zusammenhang bietet Kravag seit Kurzem auch einen erweiterten Versicherungsschutz an: ADSp-Lager Plus. Was hat es damit auf sich?
Gegen Zahlung eines Zuschlags kann der Auftraggeber jetzt gemäß den ADSp 2016 auch die Haftung des Speditions-, Transport- und Logistikunternehmers erhöhen, wenn er von der neuen Option der Wertdeklaration Gebrauch macht.
Das bedeutet, der Verlader kann einen zu ersetzenden Güterwert für Lagerschäden vereinbaren, der höher ist, als die grundsätzlich für solche Fälle festgeschriebene ADSp-Haftungsdeckungssumme. Man kann diesen Baustein zusätzlich zur Kravag-Logistic-Police einkaufen. Damit können zusätzlich Güterfolgeschäden und Vermögenschäden bis 100.000 Euro versichert werden.
Sind Sie überrascht gewesen, dass die Verbände der verladenden Industrie mit den Deutschen Transport- und Lagerbedingungen (DTLB) erstmals ein eigenes Klauselwerk für Geschäfte im Güterverkehr veröffentlicht haben?
Das Scheitern der ADSp-Verhandlungen und der Alleingang der Verlader kamen unerwartet. Die im vergangenen Herbst erstmals veröffentlichten DTLB sind für die Versicherungswirtschaft allerdings in ihrer aktuellen Form inakzeptabel.
Wir sind nicht bereit, die unbegrenzte Haftung in diesen AGB so zu tragen. Diese würden zu einer erheblichen Verteuerung des Versicherungsschutzes führen, was nicht im Sinne der Anwender sein kann. Wir sind nicht die einzigen, die diesem neuen Klauselwerk kritisch gegenüberstehen. Auch in der Speditions-, Transport- und Logistikbranche spiegelt sich dies wider. Die ADSp 2016 finden unverändert eine marktdurchdringende Anwendung. Wir glauben, dass die Spediteurbedingungen durch die gestiegenen Haftungsdeckungssummen einen fairen Ausgleich zwischen den Interessen der Marktteilnehmer schaffen und dabei zu angemessenen Preisen versicherbar geblieben sind.
Wie viele Kunden sind denn bisher auf Kravag-Logistic mit dem Wunsch zugekommen, die DTLB statt der ADSp 2016 in ihre Geschäfte einzubeziehen?
Wir hatten eine Handvoll Anfragen. Aber in keinem Fall hat der daraufhin angebotene Versicherungsschutz zum Vertragsabschluss oder zur Vertragsänderung geführt. Nach unserem Kenntnisstand sind die Verlader-AGB also noch nie vereinbart worden. Die Spediteurbedingungen sind weiterhin marktbestimmend. Aus unserer Sicht ist das gut so, weil dadurch eine unkomplizierte, schnelle und berechenbare Schadenabwicklung mit dem Auftraggeber möglich ist.
Wie bewerten Sie die derzeitigen Verhandlungen zwischen den Verbänden BGL und DSLV über ein gemeinsames Klauselwerk?
Wir haben ein hohes Interesse daran, dass möglichst viele Speditions-, Transport- und Logistikunternehmer und verladende Industrie- und Handelsunternehmen ein einziges Bedingungswerk verwenden. Das vereinfacht für uns und alle Beteiligten die Schadenabwicklung und schafft Transparenz. Wir begleiten die Verhandlungen und begrüßen die Initiative von BGL und DSLV. Entscheiden müssen aber die beiden Interessenvertretungen. Bisher gibt es noch kein Ergebnis.
Welche Trends sehen Sie in 2016?
Die Digitalisierung ist der aktuelle Megatrend. In diesem Zusammenhang wollen wir als R+V-Gruppe bis 2018 rund 100 Millionen Euro in die Digitalisierung investieren. Vor einiger Zeit haben wir bereits bei Kravag ein Onlineportal eingeführt, auf dem sich inzwischen über 1500 Kunden einen Account eingerichtet haben und so unter anderem Schäden abwickeln. Demnächst soll eine Funktion für die verschlüsselte Kommunikation folgen.
Beschäftigt man sich bei Kravag auch mit neuen Risiken im Güterverkehrssegment?
Uns beschäftigt das automatisierte Fahren. In diesen Wochen richten wir ein sogenanntes Innovation Lab ein, in dem wir versuchen, alle denkbaren Services rund um das vernetzte Fahrzeug – ob Lkw oder Pkw – zu definieren. Diese Forschung in puncto Kundennutzen soll selbstverständlich in Produkte münden. Darüber hinaus nimmt die Computer-Kriminalität immer mehr zu und betrifft auch bereits Speditions-, Transport- und Logistikunternehmen. Die Versicherungen schätzen das Schadenvolumen branchenübergreifend auf 64 Milliarden Euro im Jahr. Den betroffenen Betrieben entstehen im Durchschnitt dadurch Kosten von rund 370.000 Euro pro Zwischenfall. Das können Störungen oder das Lahmlegen von IT-Strukturen sein über den Verlust von Daten bis hin zum Angriff durch schädliche Software und die anschließende Erpressung eines Lösegeldes.
Dazu gibt es bald eine neue Versicherung?
Es ist sehr schwer, passende Angebote zu machen, weil das Spektrum der Risiken extrem groß ist. Deshalb entwickelt der Gesamtverband der Versicherungswirtschaft derzeit Standards für entsprechende Policen – zum Beispiel bezüglich der Anforderungen zur Absicherung der betrieblichen IT-Struktur. Der Kravag-Mutterkonzern R+V wird Anfang nächsten Jahres eine Lösung für Cyber-Crime-Probleme präsentieren, die sich an Mittelständler richtet.
Das Interview führte VerkehrsRundschau-Redakteur André Gieße.