InstaFreight - die Spedition der Zukunft?

Eigentlich hatte er sich dagegen entschieden, in eine Spedition zu gehen, sagt Gion-Otto Presser-Velder. Dabei kommt der 40-Jährige aus einer Speditionsfamilie: Sein Urgroßvater gehörte vor über 100 Jahren mit dem Unternehmen Bavaria zu den Pionieren der Binnenschifffahrt auf dem Main, später baute der Familienbetrieb das erste intermodale Umschlagzentrum eines Versandhändlers auf. Jetzt tritt Presser-Velder letztlich doch in die Fußstapfen seines Urgroßvaters: Denn er ist Mitgründer und Geschäftsführer von InstaFreight, einer Online-Spedition, die das Transportgeschäft ins Digitalzeitalter holen will: Auftraggeber können auf der Plattform einen Auftrag eingeben und erhalten sofort ein Angebot, das sie per Mausklick buchen können. Externe Dienstleister übernehmen die Transporte - zu einer Rate, die ein Algorithmus errechnet. Der Frachtführer bekommt den Auftrag per Smartphone-App, über die auch das Tracking & Tracing läuft. "Wir heben das Speditionskonzept auf eine völlig neue Ebene", ist Presser-Velder überzeugt. An dieser Revolution arbeiten in der Branche inzwischen einige: So verfolgen die Start-ups Überland aus Berlin und Cargonexx aus Hamburg ein ähnliches Konzept und auch Branchengrößen wie DB Schenker, DHL Freight und Kühne + Nagel arbeiten daran, ihr Geschäft stärker über das Internet abzuwickeln. Was die Plattform InstaFreight, die im Januar den vollen Betrieb aufnimmt, so bemerkenswert macht, ist ihr Hintergrund: Sie gehört zum Netzkonzern Rocket Internet der Brüder Marc, Oliver und Alexander Samwer, die unter anderem Zalando aus der Taufe gehoben haben. Und mit Insta-Freight will man jetzt die Logistik aufrollen. Und Rocket meint es mit diesem Vorhaben ernst: Es wurde deutlich mehr Zeit als bei anderen Gründungen in Aufbau und Testphase investiert, außerdem ist die Mannschaft mit 30 Mitarbeitern für ein reines Internet-Start-up sehr groß. Nicht wenige Marktkenner spekulieren deshalb, dass mit InstaFreight die Uberisierung der Logistik in Deutschland beginnen könnte. Uber-Vergleich greift zu kurz Presser-Velder mag den Vergleich mit dem Taxidienst nicht. "Das greift zu kurz", findet er. "Uber ist gut darin, das nächste Fahrzeug zum Kunden zu bringen, aber bei einer Online-Spedition geht es um viel mehr." Man müsse sich Gedanken über Zeitfenster machen, über Versicherungsfragen, Rückladungen - die Komplexität sei wesentlich höher. Aber er gibt zu, dass InstaFreight mit den Rezepten der Erfolgreichen arbeitet. "Wir haben intern viel von Frachtenbörsen übernommen." Mit Presser-Velder hat Rocket einen erfahrenen Mann für seine Logistik-Pioniertruppe ausgewählt: Der Lebenslauf des 40-Jährigen ist praller gefüllt als bei so manchem Profi am Ende der Karriere. Presser-Velder hat Rechtswissenschaft in Bayreuth und München studiert. Im Jahr 2000, nach dem ersten Staatsexamen, absolvierte er ein Praktikum bei einer Spedition in Mexico City. Dabei entdeckte er die Liebe zur Logistikbranche, in die er immer wieder zurückkehrte. So arbeitete Presser-Velder unter anderem bei dem britischen Lebensmittel-Onlinehändler Ocado, 2012 wird er Logistikchef von Rocket Internet. Ein Jahr darauf der nächste Karriereschritt: Der Jurist rückt in die Geschäftsführung von Allyouneed auf, dem Online-Supermarkt von Deutsche Post DHL. Nach zwei Jahren kehrt er aber zu Rocket zurück, wo er das Projekt InstaFreight (das zunächst InstaCargo hieß) anschiebt. Zweiter Geschäftsführer ist Unternehmensberater Philipp Ortwein. Keine Altlasten im Gepäck Was sind die Stärken der jungen Online-Spediteure? "Wir schleppen keine Alt-Systeme mit uns herum und bringen eine komplett digitale Kultur mit", sagt Presser-Velder. Aber könnten die Etablierten nicht einfach selbst eine solche Plattform programmieren? "Das gleiche Argument haben damals die großen Airlines gegen die Discountflieger ins Feld geführt", gibt Presser-Velder zu bedenken. Sprich: Manche Geschäfte lassen sich nicht aufbauen, wenn man das Gepäck von jahrzehntelanger Erfahrung mit sich herumschleppt. Manchmal braucht es einen Outsider, der die Sache unvoreingenommen und auch unkonventionell angeht, um das Neue in die Welt zu bringen. Doch das Gründer-Duo kennt das Transportgeschäft gut genug, um zu wissen, dass Internet-Know-how nicht genügt. Deshalb beschäftigt InstaFreight auch mehrere Transportmanager, die das Tagesgeschäft am Laufen halten und immer eingreifen, wenn der Algorithmus alleine nicht mehr ausreicht. Als Kunden will InstaFreight zunächst nur gewerbliche Versender ansprechen, vor allem kleine und mittelgroße Betriebe. "Aber es gibt auch zahlreiche Anfragen von größeren Unternehmen. Die werden wir in einem zweiten Schritt angehen", erklärt Presser-Velder. Daneben überlegen sich die Gründer, ihre Software auch anderen Firmen zur Verfügung zu stellen. Klassische Spediteure, die ihren Kunden einfache Internetbuchungen ermöglichen wollen, könnten sich die sogenannte White-Label-Lösung schlüsselfertig einkaufen. Derzeit arbeiten die Berliner intensiv am Aufbau ihres Partnernetzes. Das Team telefoniert deutschlandweit Speditionen ab, um sie zum Mitmachen zu bewegen. "Bei der überwiegenden Mehrheit laufen wir offene Türen ein", sagt Presser-Velder. 167 Frachtführer mit einer vierstelligen Zahl von Fahrzeugen habe man schon gewinnen können. Die überzeugenden Argumente seien, dass die Teilnahme kostenlos ist sowie die versprochene Bezahlung innerhalb von 72 Stunden. Um die Qualität sicherzustellen, werden alle neuen Partner einem "Hygiene-Check" unterzogen, wie es intern heißt. EU-/Güterkraftverkehrslizenz und Versicherungen müssen vorgelegt werden, zudem prüft InstaFreight die Kreditwürdigkeit. Teurer Patzer in der Erprobungsphase Plattformen wie InstaFreight nehmen ihren Partnern fast alles ab - von der Kundenakquise bis zur Abrechnung. Aber wie viel unternehmerischer Spielraum bleibt für die Dienstleister? Werden sie nicht zu reinen Chauffeuren degradiert? Presser-Velder kennt das Argument und kontert: "Wir glauben, dass wir die Frachtführer von Tätigkeiten entlasten, die nicht zu ihrem Kerngeschäft gehören." Man helfe den Dienstleistern, sich auf das Fahren zu konzentrieren und dort die Effizienz zu steigern. "Außerdem arbeiten die meisten nicht exklusiv für uns", ergänzt er. Im Berliner Firmenbüro herrscht Aufbaustimmung. Und das bedeutet auch, es läuft nicht immer alles rund. "Wir lernen konstant dazu", sagt Presser-Velder. So sollte unlängst ein Transport nach Paris organisiert werden, eine eilige Messelieferung. InstaFreight kalkulierte eine Rate, engagierte einen Frachtführer und stellte nach Abwicklung des Auftrags fest, dass man draufgezahlt hatte. "Wir haben die Frachtpreise unterschätzt", so Valder. Er versichert aber, dass solche Infos gleich in den Algorithmus eingespeist würden, um ähnliche Patzer in Zukunft zu vermeiden. Mehr finden Sie im Dossier Start-ups in der Logistik www.verkehrsrundschau.de/dossiers Die Serie Neue Logistik-Start-ups Die Serie stellt in loser Folge Unternehmensgründungen aus Transport und Logistik vor- VR 46/16: Die Mitfahrzentrale für Frachten Pamyra- VR 50/2016: Die Spedition der Zukunft InstaFreight- VR 4/2017: Der Landverkehrs-Marktplatz Cillox- VR 8/2017: Versand ins Ausland: Seven Senders VR-Tipp Neue Studie: Wie Start-ups die Logistik verändern Die Fraunhofer-Arbeitsgruppe für Supply Chain Services SCS in Nürnberg will die Rolle von Start-ups in der Logistik untersuchen. Partner der Untersuchung sind die Unternehmens-beratung KPMG und das Wochenmagazin VerkehrsRundschau.Für die Untersuchung werden unter anderem folgende Fragen eruiert:- Wie werden Start-ups die Logistik verändern?- In welchen Bereichen tragen die Unternehmen neue Ideen in die Logistik?- Wo können sich Start-ups in Zukunft zu wichtigen neuen Playern entwickeln?- Wo sorgen Start-ups für neues Geschäft?- In welchen Bereichen geraten dadurch etablierte Geschäftsmodelle unter Druck?- Wie können etablierte Player sinnvoll mit Start-ups zusammenarbeiten?Diese und weitere Fragen soll die Studie in einem mehrstufigen Vorgehen unter anderem mithilfe von Experteninterviews, Onlineerhebung und der Analyse von Logistik-Start-ups beantworten. Weitere Studien-Partner werden noch gesucht. Die Vorstellung erster Ergebnisse ist zur Transport Logistic Messe im Mai 2017 geplant. Weitere Informationen bei Studienleiter Martin Schwemmer, stellvertretender Leiter Logistics Market Intelligence Fraunhofer SCS.martin schwemmer@scs.fraunhofer.de. eh

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