Die jungen Wilden kommen

Rückblick, Sommer 2014: Die Idee zu seinem Unternehmen kam Felix Wiegand bei einem Gespräch mit seinem Schwiegervater, der als Niederlassungsleiter in einer großen Spedition tätig ist. Was ihm dieser aus seinem Alltag erzählte, klang in den Ohren des Schwiegersohns ziemlich seltsam: Es wird reichlich telefoniert, gefaxt, Angebote geschrieben. Vieles geht langsam, ist ineffizient. Lkw zum Beispiel fahren häufig halbleer vom Hof los. So etwas kennt Wiegand aus seinem Alltag nicht: Der Informatiker bewegt sich in der hyperschnellen Welt des E-Commerce. Er arbeitet bei einer Agentur, die Websites und Online-Shops baut, die Kundschaft reicht vom Oberlandesgericht bis zum Kreuzfahrtanbieter. Als der junge Mann hört, wie in der Logistik gearbeitet wird, kommt ihm die Idee: Warum holt eigentlich niemand das Transportgewerbe ins Internetzeitalter? Das war vor gut zwei Jahren. Seitdem hat sich einiges getan. Wiegand hat sich mit Steven Qual zusammengetan, einem Arbeitskollegen mit Marketingtalent, und die Internetplattform Pamyra gegründet. Sie bietet zweierlei: Erstens können Versender hier mit ein paar Klicks ein Speditionsunternehmen finden, das zu ihrem Auftrag passt. Zweitens können Transportbetriebe auf Pamyra freien Laderaum melden, um diesen so mit zusätzlichen Aufträgen zu füllen. Und eben mit dieser Mischung aus Vermittlungsagentur und Mitfahrzentrale für Frachten wird Pamyra im Januar 2017 offiziell an den Start gehen; derzeit befindet sich die Plattform noch in der Testphase, ist aber schon online. Gründer Wiegand fasst das Angebot so zusammen: "Wir bieten Speditionen einen automatisierten Vertriebskanal an - und die Kunden können einen Transportauftrag in drei Minuten komplett durchbuchen." Logistik-Start-ups wie Pamyra schießen derzeit reihenweise aus dem Boden. Sie heißen zum Beispiel Instafreight, FreightHub oder Überland, sind häufig in Berlin zu Hause und wollen die Speditions- und Logistikbranche aufmischen. Woher kommt die plötzliche Gründungswelle? "Die Logistik war lange Zeit technologisch abgekoppelt, es wurde viel mit Telefon, Fax und Excel gearbeitet", erklärt Steffen Wagner, weltweiter Leiter des Sektors Transport & Leisure der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft KPMG. "Jetzt werden die Abläufe digital standardisiert und industrialisiert". Stückgut: So einfach wie ein Billigflug Logistikexperte Wagner vergleicht das mit dem Versandhandel: Wer heute etwas im Internet bestellt, sieht sofort, was alles kostet, wann die Ware eintrifft - und wird per Smartphone ständig über den Status der Bestellung informiert. "Dergleichen wird zunehmend auch im B2B-Geschäft erwartet", so der KPMG-Mann. Beim Spediteur anrufen und womöglich tagelang auf ein Angebot warten, passt nicht mehr in die Zeit. Künftig muss ein Stückguttransport so bequem und einfach zu buchen sein wie ein Billigflug. "Und genau darauf sind die Systeme der bestehenden Speditionen oft nicht eingestellt", beobachtet der Unternehmensberater. In diese Bresche wollen die jungen Wilden springen. Sie haben sich vorgenommen, digitale Entwicklungshilfe zu leisten und gleichzeitig eine völlig neue Transparenz in den Markt zu bringen. "Die Start-ups verfügen oft nicht über eigene Assets wie Fahrzeuge, die sie auslasten müssen. So können sie völlig neutral auf dem Markt auftreten", erklärt Professor Wolfgang Stölzle, Leiter des Lehrstuhls für Logistikmanagement an der Universität St. Gallen. Sein Resümee: "Die Plattformen können Angebot und Nachfrage oftmals besser matchen." Aber braucht die Welt einen Service wie Pamyra? Schließlich ist es nicht allzu schwer, eine regionale Spedition zu finden - sei es über Google oder die Gelben Seiten. Gründer Wiegand sieht zwei Vorteile: "Zum einen sind wir eine für alle Anbieter offene Plattform, zum anderen sieht der Interessent die Angebote bei uns in einem normierten Format." Sprich: Bei Pamyra erscheinen die Ergebnisse in einer einfachen Tabelle. So kann der Interessent auf einen Blick Preise vergleichen und zum Beispiel erkennen, welcher Transportunternehmer stundengenaue Lieferung anbietet. Gebucht werden kann ebenfalls per Mausklick, wobei der Kunde mit der Spedition einen Vertrag abschließt, nicht mit Pamyra. Die Vermittlung durch die Plattform ist kostenlos, Geld will das Start-up über eine Provision verdienen, die im einstelligen Prozentbereich liegt und der beauftragte Transportdienstleister zahlt. Der Unterschied zu Frachtenbörsen Speditionen, die bei Pamyra präsent sein wollen, müssen nur einmalig die bedienten Relationen und Tonnenkilometerpreise eingeben. "Die nötigen Tabellen liegen ohnehin überall in der Schublade", meint Wiegand. Wenn freier Laderaum über Pamyra gefüllt werden soll, muss der Spediteur die Informationen über die jeweilige Tour ebenfalls per Hand eingeben. Er kann sich von der Plattform sogar ausrechnen lassen, welcher Umweg sich wirtschaftlich noch lohnt. Aber können die Speditionen nicht schon über klassische Frachtenbörsen zusätzliche Ladungen akquirieren? Wiegand bestreitet das nicht, betont jedoch: "Die meisten Börsen funktionieren nach dem Ausschreibungsprinzip. Das heißt, der Kunde muss sein Transportgesuch inserieren und warten, bis jemand darauf bietet. Das bedeutet viel Zeitversatz." Bei Pamyra gehe alles schneller. Mehr Tempo und mehr Bequemlichkeit für die Kunden - das versprechen alle Start-ups. Dabei fällt auf, dass viele Unternehmensgründer, wie auch das Pamyra-Duo Wiegand/Qual, nicht aus der Branche kommen. Meist sind es IT-Profis, die die Logistikwelt für sich entdeckt haben und unvoreingenommen eine Online-Spedition hochziehen. Um die Sache einfach zu machen, lassen die Newcomer Kontraktlogistik und komplexe Geschäfte links liegen. Interessant ist für sie nur, was sich über eine Internet-Eingabemaske abbilden lässt. "Die Plattformen konzentrieren sich auf kleine und mittelgroße Verlader", ergänzt Berater Wagner. Diese Strategie verfolgt auch Pamyra. "Wir zielen eigentlich auf gewerbliche Verlader mit unregelmäßigem Transportaufkommen, vielleicht drei bis zehn Aufträge pro Woche", sagt Wiegand. Und warum "eigentlich"? "Wir dachten, wir kämen nicht an die großen Konzerne ran", lacht der 30-Jährige. Doch mit dieser Einschätzung könnten die Erfurter Jungunternehmer daneben liegen. Unlängst besuchten sie einen namhaften Automobilzulieferer in Süddeutschland und selbst da sei das Interesse an einer Internetplattform, die das Einholen von Angeboten erleichtert, groß, so Wiegand. "Die warten nur auf solche Lösungen!" Bisher reagiert die Logistikbranche unterschiedlich auf Pamyra. Spediteure ohne eigenen Vertriebskanal im Internet stehen der Idee positiv gegenüber, Anbieter mit festem Kundenstamm zeigen sich dagegen reserviert. Dabei findet die reine Vermittlungsfunktion den größten Anklang, der Aspekt "Mitfahrgelegenheit für Fracht" reizt eher weniger. Das liegt daran, dass solche Service-Leistungen chronisch unter einem Henne-Ei-Problem leiden: Findet der Auftraggeber nicht sofort einen Platz für seine Sendung in einem halbleeren Lkw, wird er frustriert aufgeben und andere Lösungen suchen. Die Speditionen ihrerseits scheuen den Aufwand, freie Kapazitäten zu melden, wenn zu wenig potenzielle Kunden da sind, um sie zu füllen. Deshalb wird sich Pamyra in der Startphase darauf konzentrieren, als reiner Transportvermittler tätig zu sein. Was die Gründer aus Erfurt überrascht hat, ist die digitale Zurückhaltung in der Branche. "Da guckt kaum einer über den Tellerrand", behauptet Wiegand. Ihre Beobachtung: Nur wenige Mittelständler basteln an einem eigenen E-Commerce-Angebot, dabei könnte theoretisch jede Spedition das tun, was die Gründer tun. Die beiden Informatiker sehen sich jedoch im Vorteil: "Wir sind unbefangen und kennen Lösungen aus anderen Branchen", sagt Wiegand. Die Experten sind skeptisch Ganz ohne Branchenwissen kommt das Start-up freilich nicht aus. Acht Leute arbeiten mittlerweile an dem Projekt, davon zwei sind ausgewiesene Logistikprofis mit jahrelanger Erfahrung. Das nötige Kapital stammt aus einem öffentlichen Start-up-Fonds. Interessant ist übrigens das Standortkonzept: Gründer Wiegand arbeitet in Erfurt, sein Kompagnon Qual dagegen in Leipzig. Nicht zuletzt an solchen Details zeigt sich, was die jungen Wilden anders machen. Im klassischen Logistikgeschäft wäre es kaum denkbar, dass zwei Menschen, die zusammenarbeiten, nicht am gleichen Ort sitzen. "Bei Start-ups ist das normal", meint Wiegand. Werden die Gründer mit ihrem frischen Denken die Branche umkrempeln, so wie der Fahrdienst Uber die Taxibranche? Experten sind skeptisch. "Momentan stellen die Plattformen noch keine Gefahr für die Großen dar", meint KPMG-Mann Wagner. Professor Wolfgang Stölzle stuft die Start-ups zum jetzigen Zeitpunkt ebenfalls als "nicht existenzbedrohend" ein. Es sei wahrscheinlich, dass sich eine Reihe von Plattformen jeweils in einem Teilmarkt etabliert - ähnlich wie die klassischen elektronischen Frachtenbörsen. Berater Wagner erwartet jedoch, dass sich der Markt in den kommenden Jahren zunehmend aufspaltet: Kleinkunden werden ihre Transportleistungen über Internetplattformen selbst buchen, Großkunden weiterhin den direkten Kontakt zu ihren Dienstleistern pflegen. Die mögliche Gefahr für Transporteure "Gefährlich wird es für etablierte Anbieter erst, wenn die Plattformen die Dispositionshoheit über Assets wie Fahrzeuge oder Lagerraum übernehmen", so Stölzle. Das zeichnet sich allerdings schon ab. Das Start-up InstaFreight zum Beispiel arbeitet wie eine klassische Spedition (mehr dazu im dritten Teil der VerkehrsRundschau-Serie "Logistik-Start-ups"). Kunden schließen mit der Netzfirma per Klick einen Vertrag, den Transport lässt das Start-up von einem externen Frachtführer erledigen, der über eine Smartphone-App gesteuert wird. Gerade für kleinere Transportdienstleister könnte diese Entwicklung unangenehm werden, schließlich besteht die Gefahr, dass sie zu reinen Laderaumanbietern ohne direkten Kundenkontakt zusammenschrumpfen. Wahrscheinlich ist auch, dass sich die großen Logistikanbieter zunehmend aus dem Rezeptbuch der Start-ups bedienen. "Man wird dazu übergehen, einzelne Standardprodukte nach und nach nur noch online anzubieten", erwartet Wagner. Dass sich so manches Konzernunternehmen einfach ein Logistik-Start-up einkaufen wird, hält er ebenfalls für wahrscheinlich. Doch das wäre nicht unbedingt der Königsweg. Erfahrungen aus anderen Branchen zeigen, dass die jungen Pflänzchen im Klima eines Konzerns häufig schnell eingehen und die mit Millionenbeträgen entlohnten Start-up-Gründer die Motivation verlieren. Auf der Suche nach Speditionen An Motivation mangelt es bei Pamyra in Erfurt jedenfalls nicht. Bei den Gründern sind die Arbeitstage derzeit lang. Die letzten Wochen vor dem offiziellen Start sind angebrochen und es gilt, bis dahin in ganz Deutschland genug Spediteure zu finden, die bei dem Konzept mitmachen. Also lautet die Devise: Ran ans Telefon, Kaltakquise. "Das hält mich schon nachts wach - ich bin nicht der geborene Verkäufer", lacht Gründer Wiegand und fügt nach einer kurzen Pause selbstbewusst hinzu. "Aber wir schaffen das!" Mehr zum Thema finden Sie im Dossier Apps & Internet www.verkehrsrundschau.de/dossiers Die Serie Neue Logistik-Start-ups Die Serie stellt in loser Folge Unternehmensgründungen aus Transport und Logistik vor- VR 46/16: Die Mitfahrzentrale für Frachten Pamyra- VR 50/2016: Der Landverkehrs-Marktplatz Cillox- VR 4/2017: Die Spedition der Zukunft InstaFreight- VR 8/2017: Versand ins Ausland: Seven Senders

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