"In meinem Ressort gibt es kein Pillepalle"

Herr Scheuer, worüber ärgern Sie sich gerade am meisten: über die EuGH-Richter, die Ihnen überraschenderweise das Pkw-Maut-Stoppschild gezeigt haben, oder über den Tiroler Landeshauptmann, der unbeirrt immer mehr deutsche Transitverkehre einschränkt? Die Überraschung bei der Pkw-Maut hat die Arbeit als Bundesverkehrsminister nicht unbedingt erleichtert. Wir haben alle politischen Gremien und Institutionen durchlaufen - in einem langen Prozess, der 2014 begonnen hatte und an dessen Ende die Haushaltsmittel für die Infrastruktur der nächsten Jahre bereits eingeplant gewesen sind. Das Urteil des Europäischen Gerichtshofs kostet Deutschland viel an neuen Investitionsmöglichkeiten und bedeutet, dass Bundesfinanzminister Olaf Scholz und ich schnell eine Lösung für die Kompensation der entgangenen Einnahmen erarbeiten müssen. Anfang August leitet er den Kabinettsbeschluss für den Haushalt 2020 dem Bundestag zu. Der Einnahmeausfall von rund einer Milliarde Euro in der Finanzplanung bis 2023 tut weh - vor allem mit Blick auf die geplanten Ausgaben für wichtige Verkehrsprojekte. Was werden Sie dem Bundesfinanzminister vorschlagen? Es wird darum gehen, die Finanzlinie des Bundesministeriums für die nächsten Jahre so positiv umzugestalten, dass wir den Investitionshochlauf weiterhin im Verkehrsetat haben. Mit der Nutzerfinanzierung der Infrastrukturabgabe wollten wir zu einem gerechteren System kommen - mit dem Finanzierungskreislauf: Straße finanziert Straße. Wenn ich auf meiner Heimatautobahn A 3 fahre - eine transeuropäischen Magistrale -, zähle ich da viele ausländische Kennzeichen und viele Euros, die ungenutzt für die deutsche Infrastruktur an mir vorbeifahren. Ärgerlich ist, dass in rund 20 EU-Mitgliedstaaten eine Nutzerfinanzierung der Infrastruktur existiert und der EuGH sich in einem an einigen Stellen widersprüchlichen Urteil genau dagegen ausspricht. Inwiefern ist es widersprüchlich? Widersprüchlich ist das Urteil, weil er ausdrücklich sagt, dass sich der Warenverkehr im europäischen Binnenmarkt nicht durch nationale Maßnahmen verteuern darf. Nichts anderes passiert allerdings gerade durch die Lkw-Blockabfertigung an der deutsch-österreichischen Grenze, die der Tiroler Landeshauptmann Günther Platter in 2019 noch häufiger durchführen lässt als im Vorjahr. Die EU-Kommission spricht von "unverhältnismäßig". Welche finanziellen Folgen hat Ihre unverhoffte Zwangslage für Lkw-Maut-Zahler? Bei der Lkw-Maut ändert sich dadurch nichts. Erst im vergangenen Jahr gab es die Ausweitung auf alle Bundesstraßen - und zu Jahresbeginn eine Erhöhung. Das Güterverkehrsgewerbe hat beides mitgetragen. Danke dafür. Der Haushalt 2020 sieht - bisher noch - Rekordinvestitionen für den Verkehrssektor in Höhe von 15,3 Milliarden Euro vor. Wofür wollen Sie dieses Geld ausgeben? Mein Haushalt wächst. Dafür bin ich dankbar. Denn das ist in Zeiten, in denen wir sparen müssen, nicht selbstverständlich. Als Bundesverkehrsminister werde ich dafür kämpfen, dass diese vorgesehene Ausstattung mit Investitionsmittel gehalten und der Einnahmeausfall ausgeglichen wird. Ein Beispiel: Allein der acht-streifige Ausbau der A 7 nördlich und südlich des Hamburger Elbtunnels in den Abschnitten Altona und Elbmarsch kostet rund 900 Millionen Euro. An diesen wichtigen Bauprojekten zur besseren Verbindung des Hafens mit dem Hinterland kann man die finanziellen Dimensionen sehen, um die es geht. Und in ganz Deutschland haben wir gerade für 17 solcher großen Projekte die Freigabe erteilt. Baustellen gäbe es genug: Marode Autobahnbrücken, fehlende Anschlussgleise bei der Bahn und veraltete Schleusen in der Binnenschifffahrt. Was hat Priorität? Wir müssen weiterhin vor allem Engpässe an den Schnittstellen zwischen den Verkehrsträgern beseitigen. Ich will einen Schwerpunkt beim Schienengüterverkehr setzen. Durch die neue Leistungs- und Finanzierungsvereinbarung mit der Deutschen Bahn wollen wir diesen Verkehrsträger stärken und mehr Güter dorthin verlagern. Für 2020 bis 2029 sind hierfür insgesamt 51,4 Milliarden Euro reserviert. Auch für die Digitalisierung der Schiene sind zusätzliche Mittel vorgesehen, um sie wettbewerbsfähiger zu machen. Und: Wir wollen in den Ausbau des Kombinierten Verkehrs investieren. Die bestehenden Terminals platzen teilweise aus den Nähten. Außerdem habe ich kürzlich den Masterplan Binnenschifffahrt vorgestellt. Gemeinsam mit der Wirtschaft sind 90 Maßnahmen erarbeitet worden, die wir jetzt zügig umsetzen werden. Wir investieren Millionen in Förderprogramme, um die Schiffsmotoren umweltfreundlicher zu machen, und auch in die Klimaanpassung, um die Schifffahrt unabhängiger von Niedrigwasser zu machen. Das vergangene Jahr hat gezeigt, was passiert, wenn die Chemie- und Stahlindustrie ihre Güter nicht mehr mit dem Binnenschiff transportieren kann. Deshalb müssen wir die Binnenschifffahrt durch flussbauliche Maßnahmen und die Ertüchtigung der Schleusen und Kanäle auf Vordermann bringen, um die Versorgungssicherheit der Industriestandorte zu sichern. Vor wenigen Tagen habe ich den Aktionsplan "Niedrigwasser Rhein" mit acht Maßnahmen vorlegt. Wir haben ihn gemeinsam mit Unternehmen entwickelt, um zuverlässig kalkulierbare Transportbedingungen am Rhein zu schaffen. Denn klar ist: Wir müssen jetzt handeln, um die Transportbedingungen auch mit Blick auf klimatische Veränderungen konstant hochzuhalten. Bleibt da Geld übrig, um die Umweltvorgaben der Bundesregierung zu finanzieren? Dafür habe ich 53 Vorschläge gemacht. Wir wollen die Treibhausgasemissionen im Verkehrssektor bis zum Jahr 2030 um bis zu 55 Millionen Tonnen zusätzlich reduzieren. Dabei wollen wir erlauben, erleichtern und ermöglichen und nicht verbieten, verteufeln und verteuern. Die Maßnahmen reichen von einer Mittelaufstockung für mehr Angebote im Öffentlichen Personennahverkehr über die Elektrifizierung der Güterbahnen, die bis 2038 komplett mit Ökostrom fahren sollen, und Kaufprämien für Elektroautos bis zur Förderung von LNG-Trucks. Im September will die Regierung über die Maßnahmen entscheiden, die notwendig sind, um die selbstgesteckten Klimaziele bis 2030 zu erreichen: 42 Prozent der Emissionen müssen Straßen-, Schienen-, Luftund Schifffahrtsverkehr im Vergleich zu 1990 einsparen. Meinen Sie, das genügt? In vielen Bereichen sind wir in puncto Klimaschutz schon auf einem guten Weg. Zum Beispiel beim Einsatz alternativer Antriebe und Kraftstoffe. Wir müssen den Hochlauf beschleunigen, wofür wir zum Beispiel mehr Wirtschaftlichkeit beim Wasserstoff brauchen. Ich will die Unternehmer und Bürger nicht zusätzlich belasten, sondern ihnen positive Anreize geben, damit sie selbst aktiv werden. Gleichzeitig muss der Verkehrssektor innovativer werden. Nehmen Sie zum Beispiel die Citylogistik, wo Paketdienste derzeit vielerorts mit Mikro-Hubs, StreetS-cootern und Cargo-Bikes erfolgreich neue Formen der Zustellung testen. Aus demselben Grund haben wir Elektro-Lkw von der Maut befreit. Zwar sind bundesweit erst rund 11.800 Elektro-Trucks auf den Straßen unterwegs. Aber ich bin mir sicher: Durch unsere staatlichen Zuschüsse für den Ausbau der Ladeinfrastruktur wird die Zahl weiter steigen. Keine zusätzliche Belastung heißt, dass es mit Ihnen keine CO2-Bepreisung gibt? Eine Bepreisung des CO2-Ausstoßes im Verkehr ist nicht meine Herangehensweise. Auch das neue Verkehrskonzept unserer Schwesterpartei CDU sieht das nicht vor. Dort steht, dass jede Form von Verteuerung der Mobilität zur Erreichung einer Lenkungswirkung mit der Verbesserung des Mobilitätsangebots einhergehen muss. Apropos, Förderung: Von den 1276 Fahrzeugen, die Ihr Haus mit dem Programm "Energieeffiziente und/oder CO2-arme schwere Nutzfahrzeuge" seit Mitte vergangenen Jahres gefördert hat, haben nur 57 einen Elektroantrieb. Der Großteil fährt mit Erdgas. Woran liegt das aus Ihrer Sicht? Das liegt einerseits an den vergleichsweise geringen Reichweiten und andererseits daran, dass es zu wenige marktreife Elektro-Lkw gibt. Ich sehe viele Hochglanzanzeigen mit Konzepten und Studien. Die Hersteller bieten allerdings wenige Elektro-Fahrzeuge, die man wirklich kaufen kann. Durch die strengeren CO2-Grenzwerte der EU wird der Druck auf die Fahrzeugindustrie wachsen. Außerdem wollen wir mit besseren Rahmenbedingungen dazu beitragen, dass die Hemmschwelle bei den Kunden sinkt. Genauso bei den anderen Antriebstechnologien - auch werden wir weiterhin die Benzin- und Diesel-Motoren brauchen, die in den vergangenen Jahren deutlich effizienter geworden sind. Die Logistikverbände haben Vorschläge für eine staatliche Förderstrategie gemacht, damit deren Mitglieder beim Umstieg auf alternative Antriebe langfristig Planungssicherheit haben. Wie stehen Sie dazu? Selbstverständlich lasse ich da mit mir reden. Wir überlegen schon länger, die Förderprogramme zu verstetigen und zum Beispiel Elektro-, LNG- und CNG-Fahrzeuge über 2020 hinaus von der Lkw-Maut zu befreien. Mir ist bewusst, dass der Logistikunternehmer nicht nur mit Blick auf die nächsten zwei bis drei Jahre über Flottenanschaffungen entscheidet. Mit dem Parlament und dem Finanzministerium sprechen wir deshalb intensiv darüber, diese Maßnahmen zum Beispiel bis 2030 auszuweiten. Bundesumweltministerin Svenja Schulze, die derzeit an einem deutschen Klimaschutzgesetz arbeitet, haben Sie im März einmal Öko-Planwirtschaft vorgeworfen. Sind Sie nach den jüngsten Wahlen auf nationaler und EU-Ebene, wo die Union - wie die SPD - viele Stimmen an die Grünen verloren hat, immer noch dieser Ansicht oder haben Sie das Umweltthema unterschätzt? Statt für einen technologieoffenen Ansatz stehen die Grünen für "Entweder-oder". Sie wollen die Bürger und Unternehmer zum Beispiel durch Steuern in Mobilitätsund Logistik-Konzepte zwängen. Wir müssen aufpassen, dass die Zukunft des Verkehrs nicht unsere Gesellschaft spaltet. Ich denke dabei nicht nur an Wohlstand, sondern vor allem auch an Teilhabe. Wir müssen bei unseren Entscheidungen berücksichtigen, dass es große Unterschiede zwischen Stadt und Land gibt - und auch zwischen Ost und West. Kanzlerin Angela Merkel sagte kürzlich, die Klimaziele hätten "absoluten Vorrang für die Arbeit der Bundesregierung" und nach der Sommerpause müsse Schluss sein mit Pillepalle. Fühlen Sie sich angesprochen? In meinem Ressort gibt es kein "Pillepalle". Wir machen jeden Tag aktiven Klimaschutz. In den vergangenen neun Jahren haben wir 5,2 Milliarden Euro für die Forschung und Entwicklung von alternativen Antriebstechnologien gegeben - mit Sonderprogrammen, mit Sofortprogrammen. Vor der Sommerpause habe ich mehr als 50 Maßnahmen im Klimakabinett vorgelegt. Ich bin bereit für die zügige Umsetzung. Das Bundesverkehrsministerium ist generell schon viel weiter. Wir haben im vergangenen Jahr die Nationale Plattform Zukunft der Mobilität gestartet. Hier arbeiten Experten intensiv an innovativen, umfassenden Lösungen - von Forschung, Entwicklung und Qualifizierung bis zu Harmonisierung und Digitalisierung. Seit Merkels Ankündigung kursiert bei Twitter der Hashtag "NoMorePillepalle". Sie sind auf dem Nachrichtendienst sehr aktiv. Wenn Sie dort einen Gegentrend setzen könnten, wie würde dieser Hashtag lauten? Das wären drei Hashtags: #erlauben, #erleichtern, #ermöglichen. Das ist mein Weg. Und das sind meine Gegenargumente für Twitter, weil ich den Eindruck habe, dass ein Teil der Öffentlichkeit lautstark nach zusätzlichen Vorschriften, Verboten und Steuern ruft. Hier melden sich allerdings oft Leute zu Wort, die sich so etwas leisten können. Bei der Klimadebatte müssen wir aber alle Menschen mitnehmen. Deshalb dürfen wir auch keine Maßnahmen ergreifen, die Teile der Gesellschaft abhängen. Wir wollen, dass alle gut vorankommen - in der Stadt und auf dem Land. Mehr zum Thema im Dossier "Andreas Scheuer" www.verkehrsrundschau.de/dossiers In Kürze Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer steht wegen des Pkw-Maut-Debakels und der deutschen Klimavorgaben gehörig unter Druck. Im Interview gibt er sich zuversichtlich, die Einnahmeausfälle im Verkehrsetat kompensieren zu können und mit 53 kürzlich vorgelegten Maßnahmen zur Reduzierung der Treibhausgasemissionen beizutragen. Vita Andreas ScheuerAndreas Scheuer, geboren am 26. September 1974 in Passau, ist seit 1994 Mitglied der Christlich-Sozialen Union (CSU). Nach seinem Magisterabschluss der Politologie ging er 2002 in den Deutschen Bundestag. Der verheiratete Vater einer Tochter machte als Verkehrsstaatssekretär unter dem Minister Peter Ramsauer von 2009 bis 2013 seine ersten Regierungserfahrungen. Der Niederbayer war danach als CSU-Generalsekretär tätig. Er organisierte die Wahlkämpfe zur Europawahl 2014 und zur vergangenen Bundestagswahl 2017 und galt als "Mann fürs Grobe" an der Seite von Bayerns Ministerpräsident Horst Seehofer.Im März 2018 trat er das Amt als Bundesminister für Verkehr und digitale Infrastruktur an. ag

Schwerpunktkontrollen: Viele Verstöße von Lkw und Bussen

BGA: Situation im Großhandel ist schlecht

Luftfracht: DHL Express und Shell kooperieren

Konjunktur: KfW Research senkt Wachstumsprognose

Export: USA bleiben wichtigster Handelspartner

Alle Schlagzeilen

"In meinem Ressort gibt es kein Pillepalle"

HASHTAG

#Verkehrsminister

Finanzielle Risiken nach Aus für Pkw-Maut weiter ungewiss

Scheuer sucht wegen Fahrverboten den Dialog mit Österreich

Ministerium verteidigt Entscheidung für privaten Pkw-Maut-Betrieb

MEISTGELESEN

Emons Spedition siedelt sich am c-Port an

Bund und Länder fördern Brennstoffzellen-Lkw von Daimler Truck

Fiege baut Logistikzentrum bei Leipzig

STELLENANGEBOTE

Area HR Business Partner

Schichtleiter (w/m/d) Logistik - Warenausgang

Head of Logistics (w/m/d) mit fundierter Erfahrung im internationalen Versand

Koordinator (m/w/d) Intralogistik mit Teamleitungsfunktion

Leiter (w/m/d) Logistik Teilbereich Warenausgang

WEITERLESEN

NEWSLETTER