Im Westen immer wieder Neues

Alles begann im Westen Deutschlands, in Mülheim an der Ruhr. Vor über 200 Jahren gründete Mathias Stinnes eine Firma für Schifffahrt und Kohlenhandel. Von da an transportierte er auf einem Zweimaster Kohle die Ruhr hinauf und andere Waren die Ruhr hinab. Als Stinnes im Jahr 1845 starb, hatte er es zum größten Reeder zwischen Niederrhein und Amsterdam gebracht. Heute gehört die ehemalige Stinnes AG zum Bahnkonzern DB Mobility Logistics. 70 Milliarden Euro Umsatz mit Logistik Nicht nur Stinnes hat in gewisser Weise den Wandel vom Kohletransporteur hin zu einem weltweiten Logistiker geschafft. Das Ruhrgebiet ist von einem Kohle- und Stahlstandort zu einer Dienstleistungsregion geworden. Die Logistik hat daran einen erheblichen Anteil. 27.800 Unternehmen zählt das nordrhein-westfälische Wirtschaftsministerium im gesamten Bundesland zur Logistikbranche. Diese Firmen erwirtschaften einen Umsatz von 70 Milliarden Euro im Jahr. Im eigentlichen Ruhrgebiet gibt es je nach Zählweise zwischen 3000 und 5700 Logistikunternehmen. Sie versorgen im Auftrag von Industrie und Handel nicht nur die 5,2 Millionen Einwohner der Metropolregion Ruhr. Weitere 150 Millionen Verbraucher leben im Radius von 500 Kilometern. Das entspricht fast einem Drittel aller Verbraucher der Europäischen Union. Hier gibt es also in der Tat ein großes Potenzial. "Das Hauptpfund der Region ist die Lage", bestätigt dann auch Peter Abelmann, Leiter Logistik beim Beratungsunternehmen SCI/Verkehr und Geschäftsführer des Log-IT Clubs im Logistikcluster NRW. "Die Nähe zum Markt ist für viele Unternehmen ein ganz wichtiger Faktor", so Abelmann weiter. Mehr als zehn Millionen Sendungen werden täglich auf der letzten Meile im Ruhrgebiet zugestellt, schätzt das Last-Mile-Logistik-Netzwerk der Wirtschaftsförderungsgesellschaft Herne. Ein Schwerpunkt bildet dabei die Logistikregion um Gelsenkirchen, Herne und Herten im Zentrum des Ruhrgebiets. An den Autobahnen finden sich moderne Distributionszentren für Pharma- und Apothekenlogistik, Handelslogistik, die Frische- und Lebensmittellogistik sowie Kurier-, Paket- und Expressdienste. Der KEP-Dienstleister UPS ist mit 1100 Beschäftigten einer der größten Arbeitgeber der Region. Die zentrale Lage des Ruhrgebiets reicht längst über Europa hinaus. Eine große Rolle spielt dabei der Duisburger Hafen, der größte Binnenhafen Europas. Seit August rollen aus dem Hafen Züge mit Automobilen nach China. Bisher wurden auf der Strecke zumeist Einzelteile transportiert, die Züge waren vor allem in der anderen Richtung ausgelastet. Die über 10.000 Kilometer lange transkontinentale Zugverbindung ist doppelt so schnell wie der Seeweg und soll damit eine Alternative nach Asien sein. Für diesen Seeweg dient Duisburg aber auch als Verteilzentrum. Die großen und kleinen Nordseehäfen Zeebrugge, Antwerpen, Rotterdam und Amsterdam nutzen Duisburg vermehrt als Hinterlandstation. Das macht den Hafen für international exportierende Firmen zur idealen Ausgangsbasis. Im Frühjahr weihten der Immobilienkonzern Goodman und der Logistikdienstleister Syncreon im Duisburger Hafen einen 24.000 Quadratmeter großen Export-Hub für Volkswagen ein. Von dort aus wird Syncreon die außereuropäischen Werke des Automobilkonzerns versorgen. Der japanische Logistikdienstleister NYK/Yusen Logistics erweiterte ebenfalls seine Logistikanlagen, um die Just-in-time-Belieferung der Produktionswerke in ganz Europa und Übersee auszubauen. Laut Duisport haben sich in den vergangenen zehn Jahren mehr als 70 Unternehmen am Standort Duisburg angesiedelt, 30 davon aus dem Ausland. Dortmund als logistisches Zentrum Ein weiteres Zentrum der Logistik in NRW befindet sich im Großraum Dortmund, wo etwa 50 Logistikanlagen des Großhandels stehen. Das Möbelhaus Ikea beliefert von dem Standort seine europaweiten Filialen, Unternehmen wie Kaufland, Tedi, Thyssen-Krupp Schulte Stahlhandel oder ETL Fiege Tire Logistics haben kürzlich ihre Distributionszentren gebaut. Und auch Dienstleister wie Rhenus oder DHL Solutions betreiben in Dortmund für Kunden wie Douglas, Thalia und Johnson & Johnson Logistikzentren für die europaweite Distribution. In unmittelbarer Nähe in Hamm haben sich Lebensmittelunternehmen und Logistiker wie Plus, Metro und Edeka niedergelassen. Wenige Kilometer weiter im Kreis Unna unterhalten unter anderem DHL, IHG, Karstadt, Kik, Metro-Varena, Pharm-Log und Woolworth Distributionszentren. Die Region südlich von Mönchengladbach ist dabei, sich als Zentrum für E-Commerce-Logistik zu etablieren. In Güdderath hat der Bekleidungsversender Zalando im vergangenen Jahr auf 75.000 Quadratmetern ein Distributionszentrum und zwei Lagerhallen hingestellt. "Insbesondere unsere Kunden im Rhein-Ruhr-Gebiet sowie in West- und Südeuropa werden künftig von verbesserten Lieferzeiten profitieren", erklärte David Schröder, Geschäftsführer der My-Brands Zalando E-Logistics GmbH, zur Grundsteinlegung. Infrastruktur: ein Vorteil, der schwächelt Seit den Kohletransporten eines Mathias Stinnes ist klar: Auch wenn dem Ruhrgebiet ein Seehafen fehlt, spielt der Transport auf dem Wasser eine ganz große Rolle. An den 570 Kilometern schiffbaren Wasserstraßen und gut über 100 Häfen reihen sich zahlreiche Umschlagplätze und Güterverkehrszentren. Zentrum des Umschlags sind die Duisburger Häfen. Deren Gesamtgüterumschlag betrug im vergangenen Jahr 123 Millionen Tonnen. Immer wichtiger wird der Containerumschlag. Im vergangenen Jahr wurden in Duisburg mit drei Millionen Standardcontainern 16 Prozent mehr umgeladen als im Vorjahr. Das Geschäft will die Duisport-Gruppe weiter ausbauen. Die Kapazitäten auf den Containerterminals Logport I und Logport III werden derzeit von sechs auf zehn Containerbrücken ausgebaut. Auch die Bahninfrastruktur soll angepasst werden. "Schon im Januar 2015 werden wir Kapazitäten für einen Umschlag von fünf Millionen Standardcontainern aufweisen", blickt Erich Staake, Vorsitzender des Vorstands der Duisburger Hafen AG, in die Zukunft. Das dürfte langfristig weitere Unternehmen und Logistiker nach Duisburg locken, die die Region bisher eher mit dem Massengutumschlag in Verbindung gebracht haben. Aus der Historie heraus verfügt das Ruhrgebiet über ein extrem dichtes Schienennetz. Massengüter und die Stahlindustrie machten den Transport per Bahn zu einer Notwendigkeit. Laut dem Last-Mile-Logistik-Netzwerk der Wirtschaftsförderungsgesellschaft Herne werden auf 1600 Kilometern Gleisen mehr als 100 Millionen Tonnen Güter pro Jahr transportiert. Der Güterverkehr profitiert von zahlreichen Terminals für den Kombinierten Verkehr (KV) und von der direkten Verbindung zu den Seehäfen an der deutschen, niederländischen und belgischen Küste. Durch den Ausbau der Bahnstrecke Emmerich-Oberhausen wird das Ruhrgebiet in Zukunft noch besser an die niederländische Betuwe-Route und damit an den wichtigsten europäischen Güterverkehrskorridor zwischen Rotterdam und Genua angebunden sein. Zentraler Standortvorteil sind allerdings die Autobahnen. Das Netz umfasst alleine im Ruhrgebiet über 600 Kilometer Autobahnen. Zentrale Verkehrsadern wie die Ost-West-Verbindungen A2, A42 und A40 sowie Nord-Süd-Trassen wie die A1, A3, A43 schaffen europäische Anbindungen. Der große Vorteil ist zugleich das größte Problem des Ruhrgebiets. Die Straßen gelten als veraltet und reparaturanfällig. Viele Brücken sind so marode, dass sie für den Schwerlastverkehr gesperrt sind. Die notdürftigen Ausbesserungen sorgen immer wieder für lange Baustellenzeiten, Sperrungen und Staus. Großes Potenzial an Arbeitskräften Die Logistikunternehmen im Ruhrgebiet beschäftigen heute mehr als 170.000 Menschen. Dies entspricht einem Anteil von 8,3 Prozent an der gesamten sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung. Trotzdem sieht Fraunhofer noch Steigerungspotenzial. Denn die Arbeitslosenquote ist im Ruhrgebiet mit über zehn Prozent vergleichsweise hoch. Über ein Drittel aller landesweit registrierten Arbeitslosen entfallen auf die Metropolregion. Das wirkt sich für die Unternehmen positiv auf die Verfügbarkeit wie auf die Lohnkosten aus, da das Lohnniveau in vielen Bereichen unter dem Bundesdurchschnitt liegt. Gleichzeit gibt es genug gut ausgebildete Fachkräfte. Die Hochschulen haben sich dem Bedarf in der Region angepasst und bieten Logistiklehrstühle und Forschungseinrichtungen an. So etwa das Fraunhofer Institut für Materialfluss und Logistik (IML) in Dortmund, die RWTH Aachen, das Zentrum für Logistik und Verkehr (ZLV) der Universität Duisburg-Essen oder die Universität zu Köln. Abelmann verweist noch auf einen weiteren Vorteil der Region. Durch die historisch bedingte hohe Zahl an Arbeitnehmern aus ganz Europa und der Türkei spielen Sprachbarrieren für viele international operierende Unternehmen keine Rolle. "Die vielen Nationalitäten haben den Vorteil, dass sie im internationalen Logistikgeschäft immer jemanden finden, der die Sprache des Fahrers spricht", so Abelmann. Engpass bei Immobilien Kaum ein anderes Bundesland hat zumindest gefühlt so eine hohe Dichte an modernen Distributionszentren. Das führt dazu, dass es bei Bestandsflächen für Logistikdienste bereits einen Flächenmangel gibt, auch Gewerbeparks bieten wenige freie Hallen, stellt der Logistikimmobilienspezialist Realogis Immobilien Düsseldorf fest. Im gesamten Raum seien hochwertige Hallen ab 5000 Quadratmeter kaum noch zu finden. "Alle günstigeren Lagerhallen, die zwischen Köln und Aachen liegen und im letzten Jahr noch zur Verfügung standen, sind inzwischen komplett abvermietet", sagt Bülent Alemdag, Geschäftsführer der Realogis GmbH. Er rechnet damit, dass die Nachfrage weiterhin hoch bleiben wird. Insbesondere aufseiten der Kontraktlogistik, die in den ersten Monaten dieses Jahres fast zwei Drittel aller Mietabschlüsse getätigt hat. Gebaut wird hauptsächlich von Eigennutzern. Alemdag erwartet nicht, dass kurzbis mittelfristig spekulative Projektentwicklungen auf den Markt kommen. Und das trotz des knappen Angebotes an Logistikflächen ab 10.000 Quadratmetern. Dennoch bleiben die Mietpreise für moderne Logistikflächen stabil. Durchschnittlich 4,40 Euro werden je Quadratmeter verlangt. Die Preise für Standardhallen liegen laut Realogis zwischen 3,50 und 3,80 Euro/Quadratmeter. Die höchsten Preise werden laut dem Beratungsunternehmen JLL erwartungsgemäß in Duisburg verlangt. Die Top-Mieten liegen in und um den Hafen bei 4,65 Euro/Quadratmeter. In den meisten Fällen werden aber auch hier Mieten zwischen 3,50 und 4 Euro/Quadratmeter gezahlt. Potenzial für weitere Flächen wäre durchaus vorhanden. An alten Industriebrachen mangelt es nicht. So stehen alleine in Dortmund mittelfristig fast 200 Hektar Logistikfläche zur Verfügung. Doch Unternehmen wie Projekteentwickler sind vorsichtig. Wenn die Frage der Altlasten nicht geklärt ist, wird von einem Kauf eher abgesehen. Dennoch kommen immer wieder neue Flächen auf den Markt. Im kommenden Jahr soll der Logistikstandort Logport IV in Kamp-Lintfort bereit stehen. Der 30 Hektar große Standort soll Handels- und Produktionsunternehmen anziehen und damit auch Logistiker. Auch dieser Standort ist bimodal durch eine direkte Abfahrt vom Autobahnzubringer B528 und durch einen Bahnanschluss erschlossen. Dadurch besteht eine direkte Verbindung zum Duisburger Hafen. Ein Vorteil für die Logistikunternehmen in NRW: Der öffentliche Widerstand gegen Logistikansiedlungen ist im Vergleich zu anderen Bundesländern gering. "Wer an einen Hochofen in der Nachbarschaft gewohnt ist, den stört eine Logistikhalle nicht", vermutet Abelmann. Auch würden die Chancen auf neue Arbeitsplätze eher gesehen als die Belastungen. Fazit: Das Ruhrgebiet ist zweifellos eine der wichtigsten Logistikregionen in Europa - sowohl für die Nahversorgung als auch für den internationalen Handel. Einen echten Logistikschwerpunkt oder ein scharfes logistisches Profil, wie etwa im Kasseler Raum, gibt es nicht. Nachfrage besteht nach Produktionslogistik ebenso wie nach Handelslogistik im Nah- und Fernverkehr. Das ist für Logistikdienstleister Herausforderung und Chance zugleich. Generalisten sind hier ebenso gefragt wie Spezialisten. Künftig wird die Bedeutung der Region für Logistiker eher noch zunehmen. Als Testregion für immer kürzere Zustellzeiten bis hin zur Same-Day-Belieferung bietet der Ballungsraum ideale Voraussetzungen. Das immer wieder zu hörende Gegenargument, das mit dem demografischen Wandel ganze Städte im Ruhrgebiet aussterben, ändert daran nichts. Die Gesamtregion wird weiterhin zu den bevölkerungsreichsten in Europa zählen. Entscheidend für die weitere Entwicklung als Logistikstandort wird allerdings die Renovierung des Straßennetzes sein. Hier fehlt das Geld und letztlich der politische Wille, ausreichend zu investieren. Potenzial bietet sicherlich noch der Transport auf dem Wasser. Insbesondere für Container ist hier das Ende der Entwicklung noch lange nicht erreicht. Die Serie LogistikregionenIn diesen Regionen pulsiert das logistische Leben in Deutschland am intensivsten- VR 36: Rhein-Main . VR 37: Der Ballungsraum Rhein-Ruhr- VR 38: Großstädte Hamburg und Berlin Charakteristik Region Rhein-Ruhr Drehscheibe für europäische Transportwege Stärken- Drehscheibe mit Anbindung an nationale und europäische Logistik- und Verkehrsnetze- Gute Verfügbarkeit an gut ausgebildeten und günstigen Arbeitskräften- größte Agglomeration von Kaufkraft und Verbrauchern in Europa- starke Hafeninfrastruktur und Anbindung an die großen Seehäfen- politische und öffentliche Unterstützung für LogistikansiedlungenSchwächen- Hohe Auslastung und Stauneigung der Straßeninfrastruktur- Zu wenig Investitionen in marode Straßen und Brücken- Hohe Arbeitslosigkeit und Imageprobleme der Region durch den anhaltenden StrukturwandelPotenziale- Verbesserte Verkehrsanbindung durch Ausbau von Schienen- und Straßeninfrastruktur- anhaltend hohe Verfügbarkeit von günstigen Logistikflächen . Containertransport auf dem Wasser noch ausbaufähig- Ideale Testregion für künftige Logistikdienstleistungen ah

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