Im Vorstandsblau auf dem Bau

Damals in den 1980er-Jahren galten in der automobilen Welt noch klare Regeln - eines dieser ungeschriebenen Gesetze lautete: Dunkelblau ist für Vorstandslimousinen. Seinerzeit in aller Regel eine S-Klasse von Mercedes (W126). Das strahlte zurückhaltende Seriosität aus und war dennoch edles Statussymbol. Und anno 2017 dann das: Bei uns tritt ein Kipper zum Test an, trägt auch einen Stern auf dem Kühlergrill und just jenes Vorstandsblau - nur eben auf dem Bau und nicht in der Chefetage. Auch ist der Test-Arocs deutlich größer und stärker als eine S-Klasse, die damals auf maximal 300 PS kam (560er). Warum nur eine so schmutzempfindliche Farbe für einen Kipper, fährt es dem Tester durch den Kopf. Ganz einfach: Weil es verdammt gut aussieht. Mit dieser Auffassung sind wir nicht allein, denn während unserer Testrunde kommt uns quasi ein Klon des Testwagens entgegen. Kleines Haus hilft rangieren Weniger limousinenartig gelingt der Aufstieg zum hohen Arbeitsplatz im 2300 Millimeter breiten Fahrerhaus der Größe M. Zwar sind die Tritte angenehm als Treppe angelegt, doch beim ersten Schritt helfen lange Beine. Rustikal, aber wirklich praktisch ist der etwas angedübelt wirkende gusseiserne Übertritt Richtung Heck zum Kipperaufbau. Das im Vergleich zu den L-Kabinen 200 Millimeter schmalere Fahrerhaus verbessert die Rundumsicht und erleichtert so das Rangieren des Vierachsers auf engen Baustellen. Ein großzügiges Raumgefühl lässt auch das Flachdachfahrerhaus (Low Roof) des Testwagens nicht aufkommen. Die niedrige Bauweise soll weder durch geringeres Gewicht noch durch ausgefeilte Aerodynamik den Verbrauch senken. Der Grund für diese Konstruktion ist, die Durchfahrt unter Siloanlagen zu ermöglichen. Das niedrige Dach ist gegenüber der ClassicSpace-Variante um 100 Millimeter abgesenkt. Mehr an die Langversion der S-Klasse (SEL) erinnern der angenehm straffe Sitz und die Verstellmöglichkeiten von Gestühl und Lenkrad, die auch groß gewachsenen Chauffeuren genügend Platz bieten. Zieht ab 800 Touren ordentlich durch Das komplett in Dunkel gehaltene Armaturenbrett gibt bei der Bedienung keine Rätsel auf. Alle Schalter und Knöpfe sind da, wo sie hingehören, und sind vom Fahrerarbeitsplatz aus gut zu erreichen. Ob für Papierkram oder Brotzeit, nützlich ist der große Klapptisch vor dem Beifahrersitz. Die Liege hinter den Sitzen erinnert eher an die Rückbank des Coupés (SEC). Sehr groß gewachsene Fahrer liegen etwas beengt. Für die 45-minütige Lenkzeitunterbrechung oder das Warten in der Schlange vor dem Be- oder Entladen geht das aber noch in Ordnung. Also lieber rauf auf den Fahrersitz, Motor an und los. Vom Kieswerk Ebenhöh geht es auf Testfahrt in den Münchener Osten. Eine Runde mit und eine ohne Kies in der Meiller-Kippbrücke. Auf der Straße präsentiert sich unser Arocs 3245 LK 8x4/4 fast mit Limousinenqualitäten - zumindest für ein Baufahrzeug. Das beginnt beim Griff ins Lenkrad. Unser Vierachser ist mit der optionalen, elektrohydraulischen Lenkung Servotwin ausgestattet. Diese verfügt über eine geschwindigkeitsabhängige Lenkkraftunterstützung und einen aktiven Lenkungsrücklauf. So unterstützt arbeitet die Lenkung weich, aber bleibt in allen Lebenslagen direkt und dirigiert das Auto genau dahin, wo der Fahrer es haben will. Unter der Kabine mit Mittelklasseauto-Format arbeitet die 449-PS-Version des Reihen-Sechszylindertriebwerks OM 471 LA mit 12,8 Litern Hubraum. Mit dem Motor ist der 32-Tonner leise und ausreichend kräftig motorisiert unterwegs. Bei 85 Kilometern pro Stunde macht das Aggregat auf der Autobahn etwa 1400 Umdrehungen, auf der Landstraße bei 65 sind es knapp 1100. Aus dem Drehzahlkeller ab 800 Touren zieht das Aggregat ordentlich durch. Schneller schalten Die Kraftübertragung im Tester erfolgt mit dem serienmäßigen Mercedes-PowerShift-3-Getriebe mit zwölf Gängen. Die aktuelle Version der Schaltautomatik wechselt die Gänge zügig, mit sinnvoller Schaltstrategie und ohne übermäßigen Zugkraftverlust. Ob sich die Schaltzeiten, wie von Mercedes beworben, im Vergleich zur Vorgängerversion um 20 Prozent verringert haben, lässt sich nicht prüfen. Die zum Vorstandsblau passende Sanftmütigkeit lässt die Schaltbox aber dann doch ein wenig vermissen. Das Problem mit der Traktion Dafür ist der Vorderwagen des Arocs komfortabel weich, allerdings ohne die schaukelnden Bewegungen amerikanischer Limousinen aus den 1980er-Jahren. Beladen liegt er satt auf der Straße, während er ohne Last etwas zum Trampeln neigt. Für den Einsatz im Gelände gibt es das kraftbetonte Fahrprogramm Offroad. Beladen hatte der mit seinen Straßenreifen eher auf Limousine getrimmte Testwagen in der Kiesgrube keine Probleme. Ist aber der Malocher vom Bau gefordert, wird es vor allem mit leerer Kippmulde im Test eng. Etwas trockener, loser Untergrund und eine leichte Steigung genügen dann, um dem Grip den Garaus zu machen. Differenzialsperre und Offroad-Modus blieben wirkungslos. Allerdings unterbindet ein Laderfahrer unsere Befreiungsversuche recht früh. Der durch die durchdrehenden Reifen aufgewirbelte Staub verschmutzt den sauberen Kies. Also mussten wir ans Abschleppseil ... Mit den dabei erreichten Drehzahlen hätte die Motorbremse (High-Performance-Engine-Brake) ihre Freude gehabt. Die dreistufige, verschleißfreie Bremse packt bei Bedarf und den nötigen Touren ordentlich zu, 410 Kilowatt (558 PS) bei 2300 Umdrehungen, und hat auch mit dem beladenen Arocs keine Probleme. Allerdings liegt das Geräuschniveau dann deutlich über dem einer Vorstandslimousine. Alle Tests und Fahrberichte für Abonnenten www.verkehrsrundschau-plus.de Fazit Edles Arbeitstier Auf der Straße hält das edle Äußere, was es verspricht. Der Arocs lässt sich für ein Baufahrzeug komfortabel und entspannt bewegen. Die 450-PS-Maschine hat in den meisten Lebenslagen genug Dampf. Im Gelände scheiterte unser Arocs nicht zuletzt an den Reifen, die zusammen mit fehlendem Druck auf der Hinterachse wenig Grip aufbauen. Das Flachdach bietet wenig Luft und nur kleine, offene Ablagefächer.serge.voigt@springernature.comSerge Voigt, Redakteur Test+Technik

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