"Ich bereue nichts"

Fast 40 Jahre BGL: Was hat sich seitdem besonders verändert? Als ich 1977 angefangen habe, waren die Bedingungen ganz andere. Damals stand eine kontrollierte Wettbewerbsordnung mit Tarifen und Kontingenten im Güterkraftverkehr im Fokus. Heute gebe ich meinen Abschied in einem deregulierten Dumpingumfeld. War die damalige Situation einfacher als die heutige? Auch damals gab es viele Probleme. Heiß umkämpft waren die Tariferhöhungen, die der BGL damals mit seiner Tarifkommission Fernverkehr im Auftrag des Verkehrsministeriums erarbeitete und dann im Einvernehmen mit dem Bundeswirtschaftsminister zu verabschieden waren. Was würden Sie im Rückblick als Ihren größten Erfolg bezeichnen? Der Erfolg hat immer viele Väter, weshalb ich lieber von den größten Herausforderungen sprechen würde, vor denen wir standen. Dazu zählte die neue Marktordnung, die zu einer Fusion der Nah- und Fernverkehrsverbände geführt hat. Die zweite große Herausforderung war der Fall der Mauer und die EU-Osterweiterung. Und unter finanziellen Gesichtspunkten betrachtet war die Harmonisierungskarte die wichtigste Karte, die der BGL jemals gespielt hat. Ich kann mich an den Widerstand der anderen Verbände - vom Bundesverband der Deutschen Industrie BDI, dem Deutschen Industrie- und Handelskammertag DIHK, dem Deutschen Speditions- und Logistikverband DSLV etc. - erinnern, die gesagt haben: Wie kann der BGL nur die Lkw-Maut akzeptieren? Dieser Einwand war ja nicht ganz von der Hand zu weisen, aber damals war schon absehbar, dass durch die Deregulierung immer größere Marktanteile an die ausländischen Transporteure gehen werden. Mit der Harmonisierung ist es uns gelungen, dass wir nicht allein für die Infrastruktur zahlen müssen und einen Harmonisierungsvorbehalt im Mautgesetz haben. Wo viel Licht ist, ist auch Schatten: Bei welchen Themen hat sich der BGL in Ihrer Amtszeit verkalkuliert? Ich war in meiner Amtszeit sicher nicht fehlerfrei. Aber wir hatten im BGL immer eine feste Richtung, der wir treu geblieben sind. Das heißt nicht, dass wir unsere Position nicht auch mal korrigiert haben. Wir haben jedoch nie einen Irrweg beschritten in dem Sinne, dass ich sagen würde: Diesen Schritt hätten wir nicht tun dürfen. In diesem Sinne halte ich es mit Edith Piaf: "Ich bereue nichts". Der ehemalige Bundesverkehrsminister Peter Ramsauer hat Sie mal als Typ mit Ecken und Kanten beschrieben. Sind Sie manchmal zu häufig angeeckt? Er hat das weiter erläutert, dass die Menschen, die zu windschlüpfrig sind, auf Dauer nichts erreichen. Wenn Sie keine Ecken zeigen, haben Sie zwar eine Wohlfühlpolitik, aber zum Schluss keine Wähler oder Mitglieder mehr. Deshalb kann ich auch dem Wunsch nach einem gemeinsamen Auftritt aller Logistikverbände nicht viel abgewinnen, weil dann die Gefahr groß ist, dass man nur weichgespülte Lösungen bekommt. Wir müssen auch einmal polarisieren dürfen und keinen Einheitsbrei kochen. Dafür habe ich mich 40 Jahre beim BGL eingesetzt. Dann hören Sie ja zum falschen Zeitpunkt auf, wo gerade jetzt die Versendung klarerer Botschaften in Mode kommt. Es ist ein guter Zeitpunkt, den Generationenwechsel zu vollziehen. Im nächsten Jahr wird politisch nicht viel passieren. Da ist Wahljahr. Bedingt durch den jetzt stattfindenden Wechsel im BGL können wir die Übergabe ohne Druck gut organisieren. Übrigens: Mein Nachfolger Dirk Engelhardt liebt ebenso eine deutliche Sprache. Wenn man sich im Gewerbe zu Karlheinz Schmidt umhört, ist immer wieder zu hören: Die Diplomatie war nicht seine große Stärke. Waren Sie zu wenig diplomatisch? Nein. Man muss auch deutlich werden, um etwas in der Politik zu erreichen. Und es ist auch ein Unterschied, wenn ich auf Verbandstagungen Forderungen klar und deutlich artikuliere, aber in den Verhandlungen mit der Politik diese Botschaft so vortrage, dass wir Zuhörer und Mitstreiter gewinnen. Manche Leute kennen nur die eine Seite und schließen daraus, dass es keine andere Seite von mir gibt. Das ist aber ein Trugschluss. Die Staatssekretärin beim Bundesverkehrsminister, Dorothee Bär, hat in der Verkehrs-Rundschau Kritik geübt an den Verbänden im Transport- und Logistikgewerbe. Die würden - anders als der VDA für die Automobilindustrie - nicht mit einer Stimme sprechen. Ist diese Kritik gerechtfertigt? Gegenfrage: Warum spricht die Politik nicht mit der Stimme einer Einheitspartei? Und weshalb gibt es gegensätzliche Stimmen innerhalb der Parteien? Es gibt nun mal unterschiedliche Interessen, in der Politik, aber auch in unserem Logistiksektor. Und Frau Bär hat von der Logistik als Ganzes gesprochen: Das sind Akteure aus Handel und Industrie, Spediteure, Frachtführer, verschiedene Verkehrsträger, die Hersteller von Transportmitteln etc. Eine sehr vielfältige Gemeinschaft. Hier eine einheitliche Vertretung zu verlangen, würde die Wirklichkeit ausblenden. Wir als BGL vertreten die Unternehmen, die im Straßengüterverkehr zu kostendeckenden Preisen die Ware transportieren wollen. Das heißt auch, dass Fahrer vernünftig bezahlt werden müssen. Dass wir dann zum Beispiel im Bereich Sozialdumping eine andere Meinung vertreten als Verbände, deren Unternehmen keinen Fuhrpark mehr haben oder diesen nach Osteuropa verlegt haben, ist fast zwangsläufig. Das ist auch nachvollziehbar und den anderen Verbänden auch nicht zu verübeln. Aber mit einer Stimme sprechen zu wollen, schließt das aus. Warum klappt ein gemeinsames Vorgehen auf Landesebene - siehe die Gesamtverbände in Niedersachsen und Westfalen - nicht aber auf Bundesebene? Es klappt doch auch nicht auf Landesebene. Auch dort gibt es unterschiedliche Auffassungen zwischen Spedition und Frachtführer zum Beispiel über die Bekämpfung von Sozialdumping. Außerdem stehen auf Landesebene andere Themen im Fokus, eher regionale Fragen, bei denen Auftragnehmer und Auftraggeber viel eher zusammenkommen als bei grundsätzlichen Themen zum Beispiel zur Marktliberalisierung und den Rahmenbedingungen der Marktordnung. Die Landesverbände des BGL leiden unter Mitgliederschwund. Wie kann man diesem Trend entgegensteuern? Wir verlieren deshalb Mitglieder, weil die Unternehmen aufgeben oder fusionieren. Das ist aber nicht ein Zeichen für die Schwäche der Mitglieder. Die Frage ist, welchen Beitrag kann man den Unternehmen noch zumuten. Der BGL-Mitgliedsbeitrag liegt bei durchschnittlich etwa 500 Euro im Jahr. Ich kann mir nicht vorstellen, dass die Unternehmen nicht in der Lage sind, statt 500 Euro vielleicht 600 Euro im Jahr aufzubringen, damit wir die Leistung des Bundesverbandes nicht schwächen. Meines Erachtens wird die Leistung, die der BGL erbringt, auch oft unter Wert abgegeben und kommt leider auch Trittbrettfahrern zugute. Wie wollen Sie neue Unternehmen von einer Mitgliedschaft überzeugen? Den Unternehmern ist noch zu wenig bekannt, was wir machen und wofür wir stehen. Viele Unternehmer denken zudem: Der BGL macht seine Arbeit, auch ohne dass ich Mitglied bin. Das ist ein fataler Denkfehler. Denn wir können nur so lange aktiv werden, solange wir Mitglieder haben, die uns finanziell unterstützen. Wir müssen mehr Unternehmen von den Leistungen des BGL überzeugen. Wir müssen im aktiven "Verkauf" rausgehen und jeden Einzelnen mitnehmen, von den Vorteilen der Verbandsarbeit überzeugen. Da müsste es uns doch gelingen, jedes Jahr hundert, zweihundert Mitglieder mehr zu bekommen. Ich bin jedenfalls sehr zuversichtlich, dass wir das schaffen. Da sind vor allem also die Landesverbände gefragt. Ja, aber auch der BGL wird sich überlegen müssen, wie er auf den weißen Flecken der Landkarte, wo es keinen Landesverband mehr gibt, auftritt. Aber auch in dieser Frage bin ich mir sicher, dass der BGL eine gute Lösung finden wird. Verringert sich die Zahl der Mitgliedsunternehmen im BGL auch deshalb, weil die Leistung des Verbandes für die Branche nicht gut genug vermarktet wird? In der Tat ist es nicht einfach, die Erfolge einer Verbandsarbeit für die Branche darzustellen und auch unsere Leistungen an die Unternehmen zu adressieren. Aber, dafür brauchen wir auch neue Dienstleistungen. Der Trusted Carrier ist ein Beispiel dafür. Das ist ja keine Erfindung von uns, sondern die verladende Wirtschaft, hier vor allem der Lebensmittelbereich, ist auf uns mit der Frage zugekommen, wie man die Sicherheit in Subunternehmerketten verbessern kann, ohne einen enormen Zusatzaufwand zu betreiben. Der Trusted Carrier setzt dafür ein Regelwerk mit Garantieleistungen und gibt schwarzen Schafen keine Chance. Zwei namhafte Frachtenbörsen zeigen Interesse dafür, dass der Trusted Carrier gebraucht wird. Wir wollen damit ein gewisses Maß an Qualität und Zuverlässigkeit aufbauen, um so gut geführte Unternehmen von der grauen Masse im Markt abzuheben. Davon kann jeder profitieren - sowohl Anbieter als auch Nachfrager von Transportdienstleistungen. Damit der Trusted Carrier Erfolg hat, muss er auch international zur Anwendung kommen. Zeichnen sich da Fortschritte ab? Wir waren im letzten Monat im Transportrat der International Road Transport Union IRU, um dort das Konzept vorzustellen. Die Resonanz der Verbände war äußerst positiv. Wir werden einige Kernländer dabei haben, nicht nur Verbände aus den EU-Beitrittsländern, sondern Frankreich, Spanien, Holland und die Dänen haben Interesse bekundet. Wann geht der Trusted Carrier an den Start und mit wie vielen Ländern? Die IRU muss jetzt auf internationaler Ebene erst das installieren, was wir bereits auf nationaler Ebene haben: den Aufbau eines Qualitätsausschusses und eine Datenbank. Das wird mehrere Monate beanspruchen. Über das weitere Vorgehen auf nationaler Ebene werden wir mit allen Beteiligten im Dezember beraten. Dann werden wir entscheiden, ob wir das System national "scharf schalten" oder ob wir noch warten, bis die IRU soweit ist. International rechne ich damit, dass der Trusted Carrier Mitte nächsten Jahres an den Start gehen kann. Was ist die größte Herausforderung, vor der die BGL-Mitgliedsunternehmen in den nächsten Jahren stehen? Zum einen der Umgang mit den Marktveränderungen. Bekommen wir eine Lösung hin, die für mehr fairen Wettbewerb sorgt und zuallererst dem Sozialdumping Einhalt gebietet? Wichtig wird auch werden, welche Belastungen mit dem Klimaschutz auf das Gewerbe zukommen. Sie plädieren für den Oberleitungs-Lkw, wenn es um einen spürbaren Beitrag des Straßengüterverkehrs zum Klimawandel geht. Warum? Wenn wir den CO2-Ausstoß im Straßengüterverkehr spürbar absenken wollen, halte ich den Oberleitungs-Lkw für die Erfolg versprechendste und schnell umsetzbare Alternative. Neben technischen Vorteilen sind damit null Prozent CO2-Emissionen für den Straßengüterverkehr verbunden, da laut dem Kyoto-Protokoll die CO2-Emissionen des Stroms zu 100 Prozent dem Energiesektor angelastet werden und der Anteil regenerativ gewonnenen Stroms schnell anwächst. Wie soll ein solches System finanziert werden? Das Geld für die Elektrifizierung der Autobahn könnte man aus dem Teil der Lkw-Maut zahlen, der für die externen Kosten der Luftverschmutzung erhoben wird. Das sind 2,1 Cent pro Kilometer, also pro Jahr 600 Millionen Euro, Tendenz steigend. Mit 600 Millionen Euro ließe sich locker ein zweistelliger Milliardenbetrag innerhalb von 30 Jahren finanzieren. Wir hätten nichts gegen einen elektrisch betriebenen Lkw: Der Prototyp funktioniert, er steht in Brandenburg. Aber der Bevölkerung wird man nur schwer begreiflich machen können, neben dem Oberleitungsnetz der Bahn noch ein zweites für den Lkw zu bauen. Da sind wir doch wieder beim Thema: Die Nutzer zahlen die Maut. Der Bevölkerung ist außerdem nicht bewusst, warum der Lkw fährt. Da muss man immer noch erklären, dass das etwas mit dem eigenen Arbeitsplatz und der Versorgung der Wirtschaft bis hin zum eigenen Konsum zu tun hat. Man muss weiterhin erklären, dass trotzdem alles getan wird, um die Schiene auszubauen und sie aufnahmefähiger zu machen. Aber, das zeigt eine Studie des Umweltministeriums, die Verkehrsleistung des Lkw wird trotz allem 2050 noch doppelt so hoch sein wie der Güterverkehr der Schiene. Wer für Klimaschutz ist, sich für die Zukunft der kommenden Generationen einsetzt, der müsste eigentlich zustimmen, dass der verbleibende Straßengüterverkehr so emissionsarm wie nur möglich abgewickelt wird. Und da ist der Oberleitungs-Lkw die vielversprechendste Alternative. Vita Karlheinz Schmidt "Denn auch daraus können Defizite entstehen, wenn man zwar diplomatisch, aber nicht mehr deutlich ist." Das ist ein Zitat aus dem ersten Interview der VerkehrsRundschau mit Karlheinz Schmidt anlässlich seiner Ernennung zum Hauptgeschäftsführer des damaligen Bundesverbandes des Deutschen Güterfernverkehrs BDF 1995. "Lieber direkt", lautete damals die Überschrift über dem Interview.So ist der am 6. Januar 1952 in Königstein/ Taunus geborene Schmidt vielen in Erinnerung. Seine Karriere begann er 1977 als Referent in der Grundsatzabteilung des BDF. Seit 2000 ist er Honorarprofessor der Hochschule Heilbronn. Dieser Ernennung hat er auch seinen Spitznamen in der Branche zu verdanken: PDS für"Professor Doktor Schmidt". cd Daten & Fakten BGL Der Bundesverband Güterkraftverkehr, Logistik und Entsorgung BGL vertritt vor allem die Frachtführer im Straßengüterverkehr. 1999 entstand der BGL, nachdem die Vorgängerorganisation des BGL, der Bundesverband des Deutschen Güterfernverkehrs BDF, mit dem Bundesverband Wirtschaftsverkehr und Entsorgung BWE fusionierte.Die Unternehmen sind Mitglied in den 16 Landesverbänden des BGL. Insgesamt vertritt der BGL 7000 Betriebe. In Schleswig-Holstein und Thüringen gibt es keine BGL-Landesverbände mehr. Der Landesverband Sachsen hatte seinen Austritt aus dem BGL zum 1. Januar 2017 verkündet. Jetzt wurde aber auf der jüngsten Mitgliederversammlung des BGL ein Kompromiss vereinbart, sodass die Rücknahme der Kündigung als wahrscheinlich gilt. cd

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