Höchste Anforderungen an die Spediteure

Was Apple in der Unterhaltungselektronik ist, das ist die Automobillogistik in der Logistikbranche: Vorreiter und Trendsetter. Wenn Apple mit dem I-Phone neue Maßstäbe setzt, denen andere folgen (müssen), gilt Ähnliches für die Logistikdienstleister in der Autoindustrie. Ob das Just-in-time-Prinzip oder die Anlieferung von Zulieferteilen bis an das Band und deren Montage: Das sind Logistikstrategien, die ihren Anfang in der Automobilindustrie genommen haben und danach die gesamte Logistik eroberten. Wegweiser für die gesamte Logistik Daher verfolgen die Logistikverantwortlichen aus anderen Branchen aufmerksam, was in der Autoindustrie passiert. Und auch wenn sich nicht immer jeder Trend eins zu eins übertragen lässt, werden häufig zumindest Teile solcher neuen Strategien von anderen Branchen kopiert. Trends in der Automobillogistik sind also nicht nur für die Autohersteller (die OEM), ihre Zulieferer und die Logistiker von Bedeutung, sondern können wegweisenden Charakter für die gesamte Logistik haben. Einen prägenden Einfluss auch auf die Logistik in der Branche haben Entwicklungen innerhalb der weltweiten Automobilindustrie. Wenn sich beispielsweise die Nachfrage verschiebt, bleibt das nicht ohne Folgen für die Standortfrage der Hersteller. Veränderungen in diesem Feld beeinflussen den Umfang und die Art der zu erbringenden Logistikleistungen. Die Experten sind sich einig: Der weltweite Automobilmarkt befindet sich im Umbruch. "China bestimmt in großem Maße die Absatzstrukturen. Es gab einen dramatischen Rückgang in Europa, während sich die USA schwankend entwickelt hat", lautete die Analyse von Professor Stefan Bratzel, vom Center of Automotive Management an der Fachhochschule Bergisch-Gladbach, für die letzten zehn Jahre. "Positiv aber ist: Die Produktion weltweit ist um fast 50 Prozent gewachsen seit 2000", sagte Bratzel auf der Konferenz "Perspektiven in der Automobillogistik", die die Verkehrs-Rundschau in Kooperation mit dem Verband der Automobilindustrie (VDA) in Sindelfingen veranstaltet hat. Positiv aus deutscher Sicht ist zudem, dass zwischen 2001 und 2013 die PKW-Produktion in Europa zwar um 11,2 Prozent gesunken ist, aber in Deutschland die Hersteller ein Plus von 13 Prozent verzeichneten. Künftig sinken die Exporte Wobei laut Bratzel ein "noch" hinzuzufügen ist. Denn in der weltweiten Autoindustrie gelte die Spielregel: "built where you sell." "Mit Exporten die Wachstumsmärkte zu versorgen, das funktioniert nur begrenzt", sagte der Automobilexperte. Local Sourcing und damit die Wertschöpfung in dem jeweiligen Absatzmarkt: Diese Trends gewinnen an Dominanz in der Autoindustrie. Das ist aber nur die eine Seite der Medaille, die andere heißt: Global Sourcing. Denn laut Bratzel würden die OEMs die Lieferanten in den Ländern auf- und ausbauen, die am kostengünstigsten für sie sind. Auch bei VW setzt man große Hoffnungen auf den Asien-Markt: "Ein großer Treiber ist China", sagte Matthias Braun, Leiter Inbound Logistik Material bei der Volkswagen AG in Wolfsburg. Er zitierte eine Prognose, nach der der PKW-Markt im Raum Asien/Pazifik um 51 Prozent wächst zwischen 2011 und 2018, in Westeuropa hingegen nur um 4 Prozent. Die Märkte sind also in Bewegung. Wobei mit dem Local Sourcing vor Ort einerseits und dem Global Sourcing andererseits zwei parallele Entwicklungen zu beobachten sind: "Die transportierten Mengen und auch die Tonnenkilometer werden zunehmen", lautet die Prognose von Peter Heim auf die Verschiebung der Wachstumsmärkte. Heim ist Leiter Konzernlogistik bei der ZF Friedrichshafen. Trotz des Mehraufwandes heißt das oberste Ziel beim Automobilzulieferer: "Die Logistikkosten dürfen nur unterproportional zum Umsatz ansteigen", so Heim. Über veränderte Logistikstrukturen will man bei ZF die Kostenführerschaft erreichen. Ein Mittel: Die eigenverantwortliche Logistik der jeweiligen Standorte solle abgelöst werden durch Konsolidierungszentren, in denen die Warenströme gebündelt werden, um so mehr Komplettladungsverkehre zu erzeugen. Und für die Zulieferer lautet die Devise, dass ZF künftig stärker mit globalen Partnern, die über lokale Netzwerke in den Regionen verfügen, zusammenarbeiten möchte. "Das gilt auch für die Transportdienstleister", sagte Heim. Weltweit tätig zu sein, bei immer mehr Modellen, die es zu produzieren gilt, und bei einer Nachfrage, die starken Schwankungen ausgesetzt ist: Vor diesen Herausforderungen steht auch VW. In diesem Jahr will das Unternehmen die 10-Millionen-Grenze bei Fahrzeugen knacken. Alleine in Europa hat der Konzern 28 Werke, 5600 Lieferanten und transportiert jährlich 15 Millionen Tonnen Material. "Diese Komplexität zu beherrschen, das ist eine große logistische Herausforderung", sagt Matthias Braun von VW. Je komplexer die Systeme werden, desto wichtiger ist den OEMs die Steuerung der Prozesse und die Flexibilität, damit es zu keinen Komplikationen kommt und sie zugleich die Kostentreiber im Blick haben. Braun sieht hier Nachholbedarf bei der Schnittstelle Lieferant und Spediteur, bei der er Effizienzverbesserungen vermutet. Ein Grund für VW, das Modell des Gebietsspediteurs auf den Prüfstand zu stellen. Braun nannte das Pilotprojekt in Bratislava, bei dem die Transportlogistik statt mit Gebietsspediteuren über ein Cross-Docking-Center abgewickelt wird. Vorlaufspeditionen übernehmen den Transport der pro Tag 70 eingehenden LKW verschiedenster Lieferanten. Aus dem Konsolidierungscenter, das die Spedition Duvenbeck für VW betreibt, gehen als Komplettladung dann 60 LKW pro Tag in die Werke des Konzerns. "Früher wussten wir bei der Abholung über ein Gebietsspediteursnetzwerk nie genau, was bei der Anlieferung im Werk tatsächlich im LKW drin war", kritisiert Braun. Auch die Kosten kannte er nicht en détail. Jetzt hat er genaue Informationen darüber, wo die Waren umgeschlagen werden und welcher Aufwand damit verbunden ist. Zudem seien Komplettladungen günstiger. Braun kündigte für sein Haus an: "Wir werden jetzt Region für Region prüfen, ob ein Cross-Docking-Center zum Zuge kommt." Es gäbe jedoch keinerlei Vorgaben und es könne in manchen Regionen durchaus sein, dass das Gebietsspediteursmodell das Bessere sei. "Aber wir wollen die Erfahrungen aus dem Cross-Docking-Center-Konzept in das Gebietsspediteursmodell mit einbringen. Mehr Transparenz tut uns allen gut", sagte Braun. So sollen künftig die Umschlagsprozesse auch im Gebietsspediteursmodell dokumentiert werden. Auch die Daimler AG zieht einen Teil der Beschaffungsverkehre über Konsolidierungscenter, wie Michael Hofmann, verantwortlich für weltweite Transporte von Material und Teilen bei Europe Inbound Logistics Networks EU bei der Daimler AG, auf der Veranstaltung sagte. "Dazu braucht es aber ein entsprechend hohes Aufkommen", so Hofmann. Die Gebietsspedition bezeichnete er als ein wesentliches Instrument, um Flexibilität zu garantieren und Volumenschwankungen aufzufangen. "Die Kunst besteht darin, die Informationstechnologie besser zu gestalten und aus dieser Black Box Gebietsspedition eine transparente Box zu machen", machte er keinen Hehl daraus, dass er sich ein transparenteres Gebietsspediteursmodell wünscht. Filetierung des Gebietsspediteurswesens Professor Stefan Iskan von der University of Applied Sciences in Ludwigshafen kritisierte das Vorhaben des Autoherstellers VW: "Hier wird eine Filetierung des Gebietsspediteurswesens vorgenommen." Spediteure, die bislang als Gebietsspediteur in ihrer Region sämtliche Aufgaben übernommen hätten, müssten sich jetzt nur noch mit bestimmten Tätigkeiten begnügen, die womöglich nicht kostendeckend betrieben werden können. Thomas Duvenbeck, geschäftsführender Gesellschafter der Duvenbeck Holding, gab Iskan zwar Recht, dass eine solche Entwicklung die Folge sein könnte. Aber er könne auch die Strategie der Automobilhersteller nachvollziehen, weil die in dem neuen Modell "sofort sehen können, wo die Probleme liegen." "Ein Dienstleister muss mit diesen Gegebenheiten leben und sehen, dass er sich immer wieder optimiert und neue Themenfelder findet, in denen er etwas verdienen kann", lautete seine Empfehlung. Braun kann die Sorge der Dienstleister nachvollziehen, weil die klassischen Gebietsspediteure jetzt befürchten, ihr Alleinstellungsmerkmal zu verlieren. Aber andererseits machte er auch unmissverständlich deutlich: "Wenn ein Dienstleister nicht klar kalkulieren kann, dann ist er irgendwann nicht mehr am Markt." Auch Daimler-Logistiker Hofmann versuchte, den Dienstleister die Angst vor den Neuerungen zu nehmen. "Wir wollen die Prozesspartner begleiten und schmeißen denen nicht einfach das Lastenheft herüber und sagen: Nun mach mal", formulierte er es salopp. Der entscheidende Punkt für Daimler sei, Kostentransparenz bei den Gestehungs- und Prozesskosten zu erzeugen. Michael Müller, CEO der Müller - die lila Logistik AG, sah für die Speditionen aus diesen Entwicklungen die Aufgabe heranwachsen, dass das Prozessverständnis und die IT-Kompetenz bei den Speditionen zunehmen müssen. Beides Kompetenzen, an denen bei Duvenbeck schon lange gearbeitet wird. "Wir haben bei uns die Prozesse gestrafft, standardisiert und Transparenz geschaffen", sagte Duvenbeck. Sein Unternehmen habe beispielsweise eine Datenbank installiert, bei der es für jeden Prozess eine Ampel gebe, die signalisiert, welche Abläufe gut laufen oder wo Handlungsbedarf besteht. "Weil wir an unseren Prozessen gearbeitet haben, konnten wir unsere Umsatzrendite in den letzten drei Jahren verdoppeln," sagte Duvenbeck, "aber wir haben keinen Cent von unseren Kunden mehr bekommen". Duvenbeck investiert aber auch entsprechend: "Wir beschäftigen 17 Programmierer, die sich nur um solche Themen kümmern, damit wir noch produktiver werden", sagte der Spediteur. Ein wichtiges Thema sind in der Automobillogistik auch die zunehmenden Ausschreibungen. Um diese Flut zu bewältigen, braucht es laut Duvenbeck "Kalkulationskompetenz". Zusammen mit der Fachhochschule Braunschweig haben seine EDV-Experten eine Simulationssoftware geschrieben. "Vereinfacht ausgedrückt kommen oben die Mengen rein und unten dann die entsprechenden Tarife heraus", sagte Duvenbeck. Ständig werde das Ergebnis mit den Istdaten abgeglichen. "Die Präzision nimmt zu und wir sind so in der Lage, schneller Ausschreibungen zu beantworten", so der Spediteur. BMW vergrößert Ausschreibungsgebiete Transparenz gewinnt aber auch aus einem anderen Grund in der Automobillogistik an Bedeutung: aus ökologischen Gründen. "Das Thema Nachhaltigkeit ist in der Vergangenheit belächelt worden," sagte BMW-Logistiker Norbert Dierks, "aber es gewinnt zunehmend an Priorität." Er nannte als Ursachen gesetzliche Vorgaben, Ratings und Rankings, aber auch Ressourcenknappheit und Kosteneinsparungen. Die Logistik gerät dabei immer stärker in den Fokus, weil sich in der Produktion die Emissionen verringerten, während in der Logistik aufgrund der immer weiteren Transportstrecken der CO2-Ausstoß zunehme. BMW hat daraus Konsequenzen gezogen: "Wir haben in der letzten Europa-Ausschreibung kleinere Gebiete zu größeren Gebieten zugeschnitten, um so Mengen konsolidieren zu können", sagte Dierks. Die Dienstleister haben diesen Sinneswandel in der Automobillogistik bereits aufgegriffen. Ein Beispiel ist DB Schenker: "Wir haben Tools entwickelt, mit denen wir in der Lage sind, den Kunden über die gesamte Lieferkette die Entwicklung der Emissionen aufzuzeigen", sagte Thomas Böger, Vorstand Kontraktlogistik bei Schenker Deutschland AG. Womöglich war die Autoindustrie mit diesem Trend nicht der Vorreiter. Doch hat es den Anschein, als würde die Umsetzung mit einer Konsequenz vorangetrieben, die in anderen Branchen noch nicht so ausgeprägt ist. Papiere für den Transport und Rechnungen VDA schlägt neue Standards vor Einer der prägenden Trends in der Automobillogistik heißt derzeit: mehr Transparenz in den Lieferketten bei gleichzeitiger Zunahme der Komplexität. Eine der geeigneten Antworten darauf heißt Standardisierung. Deshalb arbeitet der Verband der Automobilindustrie (VDA) mit einer Arbeitsgruppe auch daran, neue einheitliche Frachtpapiere und Rechnungsformulare zu entwickeln, die die Transportabwicklung beschleunigen und die Kosten senken sollen. Jenny Hertzfeldt von der Unternehmensberatung Gefeg und Mitglied der VDA-Arbeitsgruppe stellte diverse Papiere vor, die im Herbst dieses Jahres fertig werden sollen. Dazu gehört das Transportavis VDA 4933, eine standardisierte Nachrichtenart zwischen Lieferant, Spediteur und Empfänger, die den Kommunikationsaufwand verringern soll. Hertzfeldt wies darauf hin, dass diese Papiere in Ausschreibungen für Spediteure zukünftig gefordert werden könnten und VW und Audi bereits mit dem Roll-out solcher globalen Nachrichten begonnen hätten. cd Haftung in der Automobillogistik Ein Minenfeld für Spediteure Wer in der Automobillogistik als Spediteur tätig ist, für den zählt längst nicht mehr nur der Transport von A nach B. Der Dienstleister wird immer stärker in die Wertschöpfungskette eingebunden.Was einerseits erfreulich ist (denn damit lässt sich besser Geld verdienen und der ist Spediteur nicht so leicht austauschbar), treibt manchem Hausjuristen (sofern es den überhaupt gibt) Schweißperlen auf die Stirn: Denn was ist, wenn bei der Montage ein Fehler unterläuft und deshalb eine Rückrufaktion notwendig ist? Oder wenn es zu Verzögerungen kommt und deshalb die Bänder stillstehen? Haftet dann der Spediteur?Die Übernahme solcher Leistungen für die Automobilindustrie will zumindest gut abgesichert sein. Die Haftung für logistische Zusatzleistungen bezeichnete Stephan Rieß, Prokurist im Geschäftsbereich Verkehr/Logistik bei dem Versicherungsmakler Schunck Group, als "Minenfeld für den Logistikdienstleister". Denn logistische Zusatzleistungen sind in der Regel werk- und dienstvertraglicher Natur. Haftungsbegrenzungen des Fracht- und Speditionsrechts kommen nicht zum Tragen. Es gelte die Produkthaftung, die nicht Gegenstand der üblichen Verkehrshaftungsversicherungen sei. "Vermeiden Sie unbegrenzte Haftungsregelungen. Nur wirtschaftlich angemessene Haftungsbegrenzungen machen Risiken versicherbar", sagte Rieß. cd

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