Herausforderer trifft Vorbild

Wer den meistverkauften 3,5-Tonner baut, dessen Konzept kann so falsch nicht sein. So ähnlich müssen die Hyundai-Verantwortlichen bei der Entwicklung ihres H350 gedacht haben. Was spätestens auffällt, wenn der neue Hyundai-Van neben dem Mercedes Sprinter parkt, dessen Name ja exemplarisch für die ganze Fahrzeugklasse steht. Ab der A-Säule gleicht der in der Türkei gefertigte Koreaner auffallend dem Mercedes. Selbst bei Details wie Türgriffen oder der 90-Grad-Justierung der Hecktüren nahm Hyundai beim Sprinter Maß. Doch ordnet sich der H350 dadurch auf Augenhöhe zum Sternen-Transporter ein? Oder übertrifft die Neuentwicklung vielleicht sogar den Daimler, dessen Grundkonstruktion immerhin schon seit neun Jahren besteht? Zur Klärung dieser Frage fordert der Neue sein Vorbild im VR-Test zum Vergleich heraus. Die erste Überraschung schon nach dem Einstieg: In Sachen Verarbeitung und Materialauswahl steht der Hyundai dem Daimler - bis dato Benchmark in diesem Kapitel - in nichts nach. Das verwendete Hartplastik wirkt im Hyundai sogar eine Spur höherwertiger und die Drehregler für Heizung und Lüftung sind im H350 besser bedienbar als die fummeligen Pendants im Mercedes. Ähnlichkeiten zum Sprinter auch innen Ansonsten erkennt man aber auch innen, wer Vorbild bei der Entwicklung war. Viele Schalter und Knöpfe befinden sich genau dort, wo sie auch Mercedes verbaut und die großen eingelassenen Ablagen auf dem Armaturenbrett findet man ebenfalls im Sprinter wieder. Den mercedes-typischen, überfrachteten linken Lenkstockhalter übernahmen die Hyundai-Designer dagegen lobenswerter Weise nicht. Wichtiger als das: Die Sitzposition hinter dem in Höhe und Weite verstellbaren Drei-Speichen-Lenkrad fällt für alle Fahrer-Staturen ähnlich komfortabel aus wie im Mercedes und auf den straff gepolsterten Sitzen kapituliert man auch auf Langstrecken nicht. Allerdings müssen Hyundai-Lenker mit einer etwas lauteren Geräuschkulisse leben, bei Tempo 120 beispielsweise durchziehen vier Dezibel mehr das Fahrerhaus als im Sprinter. Auch bei der Fahrwerksabstimmung orientierte man sich in Asien am Klassenprimus. Beide Lenkungen vermitteln ähnlich guten Kontakt zur Straße, wirken lediglich um die Mittellage etwas schwammig. Knapp geschlagen geben muss sich der Hyundai beim Komfort, weil er eben nicht ganz so erhaben über Fahrbahnunebenheiten hinweg gleitet wie der Sprinter. Der gibt sich im Gegenzug in schnellen Kurven schaukeliger und neigt bei Lastwechseln etwas mehr zum Schwanzwedeln als der straffer abgestimmte Hyundai. Höheres Drehmoment im Hyundai Sportliche Fahrleistungen lassen auch die Papierwerte des 2,5-Liter-CRDI-Diesels erwarten. Erst recht wenn man den Vierzylinder aus dem kleineren Hyundai-Transporter H1 kennt. Dort sorgt er zwar für souveränen Antrieb, ist aber nicht unbedingt für Verbrauchsrekorde bekannt. Im H350 verpassten ihm die Ingenieure deshalb eine (klassenüblich) lange Übersetzung, die den Common-Railer bei Tempo 120 mit knapp 2200 Touren werkeln lässt (Sprinter: 2380/min). Das hat auf der anderen Seite aber zur Folge, dass der eigentlich sehr elastische Motor niedrige Drehzahlen unwillig absolviert. Weshalb man früh zur Sechsgangbox greift, die übrigens ähnlich knochig ausfällt wie beim Sprinter. Dessen bekannter 2,1-l-CDI-Vierzylinder schafft Ortsdurchfahrten locker im höchsten Gang, inklusive anschließendem Beschleunigen - auch bei beladenem Frachtabteil. Ansonsten kann der Hyundai-Antrieb bei den Fahrleistungen aber punkten. Wobei es weniger die sieben Mehr-PS gegenüber den 163 Pferdestärken des Sprinters sind, die den Hyundai beispielsweise den Zwischenspurt von 80 auf 100 km/h knapp zwei Sekunden schneller absolvieren lassen. Vielmehr sorgt das gewaltige Drehmoment von 422 Newtonmetern (Sprinter 360 Nm) dafür, dass sich der Koreaner subjektiv leichter anfühlt als der Mercedes. Was allerdings nicht stimmt. Die unbestechliche Waage ermittelte beim Testwagen über 2,5 Tonnen Leergewicht. Womit der H350 den Sprinter - erfahrungsgemäß beim Thema Gewicht ebenfalls kein Musterknabe - um 135 Kilo überbot. Allerdings überragt der 12,9-Kubik-Hyundai den Mercedes außen um 29 Zentimeter Länge, die sich innen in einem um 2,4 Kubikmeter größeren Frachtabteil niederschlägt. Zumindest auf dem Papier: Denn wer wie wir nachmisst, stellt fest, dass die Hyundai-Angaben "optimistisch" ausfallen und der Laderaum am Boden in der Realität satte 23 Zentimeter kürzer und knapp 15 Zentimeter schmaler ausfällt, als in den technischen Daten angegeben. Mercedes übertreibt dagegen "nur" bei der Ladelänge um knapp elf Zentimeter. Womit das Plus an Laderaum des H350 in der Realität niedriger ausfallen dürfte. Sprinter mit niedrigerem Verbrauch Deutlich stärker blies beiden Hochdach-Transportern vor allem auf den Autobahnetappen der Wind am stürmischen Testtag entgegen. Was sich an der Zapfsäule nach 228 Testkilometern rächte: 10,6 l/100 km zog sich der Hyundai aus seinem 75-l-Tank und musste sich dem Mercedes damit klar geschlagen geben, der die gleiche Strecke mit 0,9 l/100 km weniger bewältigte. Hinzu kamen beim bereits euro-6-sauberen Sprinter noch 0,43 l/100 km Adlue. Der Hyundai reinigt seine Abgase dagegen bis auf Weiteres lediglich auf Euro 5. Ebenfalls für den H350 nicht zu haben, ist der beim Sprinter serienmäßige und übers ESP gesteuerte Seitenwindassistent, den wir am stürmischen Testtag schätzen lernten. Und die Liste an lieferbaren Assistenzsystemen geht beim Stern weiter: Gegen Aufpreis lässt sich der Mercedes mit Kollisionswarner, Totwinkel-, Fernlicht- und Spurhalteassistent ausstatten. Was neben zusätzlicher Sicherheit aber auch ein häufiges Gepiepse in der Sprinter-Kabine zur Folge hat, wenn sich einer der Assistenten mit dem Fahrstil mal wieder nicht zufrieden zeigt. Vor allem auf engen Landstraßen werden daher nicht wenige vom Abschaltknopf Gebrauch machen. Was gleichermaßen für den Spurwächter im Hyundai gilt, der für 390 Euro in den Optionslisten steht. Wer die genauer studiert, stellt fest: Auch bei der Variabilität und den Individualisierungsmöglichkeiten muss sich der Hyundai (noch) geschlagen geben. Den Kastenwagen gibt es lediglich in zwei Längen und einer Höhe. Und gern genommene Optionen wie beispielsweise eine Schiebetür auf der Fahrerseite fehlen bisher gänzlich. Die Sprinter-Preisliste umfasst dagegen vier verschiedene Längen, drei Höhen und 30 Seiten mit möglichen Optionen, durch die sich der Mercedes genau für den jeweiligen Einsatz zuschneiden lässt. Hyundai rund 4000 Euro günstiger Preislich lohnt sich der Griff zum Hyundai dafür allemal. Obwohl der H350 mit der stärksten 170-PS-Motorisierung nur in Verbindung mit der höheren "Profi"-Ausstattung kombinierbar ist, verlangt Hyundai für den kürzeren 10,5-Kubik-Kastenwagen knapp 4000 Euro weniger als für einen vergleichbaren Sprinter. Mit einkalkulieren muss der Hyundai-Eigner allerdings das dünne Werkstattnetz. Lediglich auf 100 Hyundai-Partner wollen die Koreaner ihr Nutzfahrzeugservicenetz bis 2017 ausdehnen. Dem gegenüber stehen 955 Mercedes-Partner, die sich um den Sprinter kümmern. Ein weiterer Punkt, bei dem das Vorbild klar die Nase vorn hat. Alle Tests und Fahrberichte für Premium-Abonnenten www.verkehrsrundschau.de/testdatenbank Kommentar Nicht überall auf Augenhöhe Es verdient Respekt, wie souverän Hyundai seinen ersten "Schuss" in der 3,5-Tonnenklasse verwandelte. Der H350 fährt komfortabel, sicher, präsentiert sich perfekt verarbeitet und wertig. Bei den wichtigen Nutzfahrzeug-Attributen Nutzlast und Verbrauch besteht dagegen noch Verbesserungspotenzial. Und das könnte schon im nächsten Jahr ausgeschöpft werden, wenn auch bei Hyundai das Euro-6-Zeitalter beginnt. Dafür werden die Koreaner ihren durstigen 2,5-l-CRDI nämlich wieder aus dem Motorraum verbannen. Allerdings: Auch bei Mercedes geht die Entwicklung weiter. Und der aktuelle Sprinter steht nach fast zehn Jahren eher am Ende seiner Laufbahn.Kontakt: jan.burgdorf@springer.com Jan Burgdorf VR-Redakteur

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