Halb voll oder halb leer?

Ist der Kombinierte Verkehr (KV) nun der Heilsbringer, der viele der zukünftigen Probleme im Güterverkehr lösen kann? Oder ist er doch nur ein Verkehrsträger, der seine zahlreichen Chancen nicht nutzt? Ein ewig schwelender Streit. KV-Akteure auf Expansionskurs Auf dem ersten internationalen Intermodalkongress letzte Woche in Nürnberg konnte man erleben, wie Beteiligte und Experten sich immer wieder die Bälle zwischen diesen beiden extremen Polen zuspielten. Manchmal scheint es auch vom Standpunkt des Betrachters abzuhängen, ob das Glas eher halb voll oder halb leer ist. Doch in einem waren sie sich einig: Der KV wird weiter wachsen. Ein attraktiver Verkehrsträger also, was auch an der Teilnehmerzahl des Kongresses abzulesen war: 150 KV-Interessierte waren zu der vom Bundesverband Materialwirtschaft, Einkauf und Logistik (BME) und dem Verband Deutscher Verkehrsunternehmen (VDV) ausgerichteten Veranstaltung gekommen. Für eine Premiere eine sehr gute Resonanz. Dass die Stimmung im KV-Markt gut ist, belegen die Ergebnisse einer Umfrage der VerkehrsRundschau (siehe VR 41, Seite 24) sowie einer weiteren Umfrage des BME, die in Nürnberg präsentiert wurden. So gaben laut der BME-Befragung 59 Prozent der Verlader und sogar 85 Prozent der Dienstleister an, dass sie ihre Aktivitäten im KV weiter ausbauen wollen. Doch was macht die KV-Akteure so optimistisch? Da gibt es zahlreiche Antworten. Eine kommt aus Brüssel. "Die EU will die Infrastruktur deutlich verbessern und mehr Geld investieren, davon werden auch die Bahnen profitieren", sagte Ralf-Charley Schultze, Generaldirektor der UIRR in Belgien, ein Verband, in dem die größten KV-Operateure Europas organisiert sind. Neun Schienengüterverkehrskorridore stehen dabei im Mittelpunkt. Die Investitionen in neue Schienenwege können ein Türöffner sein für mehr Transporte im KV. Ein Beispiel dafür ist der Gotthard-Basistunnel, der zum Fahrplanwechsel im Dezember 2016 in Betrieb gehen soll. Dann können mehr Züge schneller und mit weniger Lokomotiven als bislang die Alpen durchqueren. "Wir machen die Schweiz zu Holland", kommentierte Michail Stahlhut, CEO der SBB Cargo International, den Bau des längsten Eisenbahntunnels der Welt. Stahlhut erwartet sich davon einen Produktivitätsvorteil von 30 Prozent. Wobei: Investitionen in das Schienennetz sind nicht nur ein Segen, womit wir wieder bei dem anderen Pol wären. Investitionen sind dann problematisch, wenn es um Reparaturen geht. "Wir müssen bauen. Aber diese Baustellen gehen zulasten unserer Leistung", klagte derselbe Stahlhut, der vorher noch den neuen Gotthardtunnel in den Himmel gelobt hat. Er nannte Deutschland als Beispiel, wo sich die Zahl der Baustellen 2014 gegenüber dem Vorjahr mehr als verdoppelt hätten. Die Folgen seien Verspätungen. Allein auf dem Korridor A zwischen Rotterdam und Genua hat SBB Cargo International zusätzlich 15 Lokomotiven und 40 Lokführer eingesetzt, um Verspätungen zumindest abzufedern. Die damit verbundenen jährlichen Mehrkosten beziffert Stahlhut auf 10 Millionen Euro. Werden diese Produktivitätsvorteile weitergegeben, würde dies sicher auch Andreas Georg freuen. Georg ist Commercial Director bei Mars und zuständig für die Transportlogistik beim Konsumgüterhersteller Mars mit Produktmarken wie Mars, Snickers oder Orbit. Sein Unternehmen will stärker die Bahn einsetzen. Nicht zuletzt deshalb, weil sich der Konzern zum Ziel gesetzt hat, bis 2040 seine Produkte CO2-frei in den Markt zu bringen. Andererseits gewinnt das Thema E-Commerce an Bedeutung. In Großbritannien, USA und China wächst dieser Markt laut Georg um jährlich 20 Prozent. Das bedeutet für die Logistik, flexibel und jederzeit lieferfähig zu sein. Ansprüche, bei denen der KV sich im Vergleich zum LKW schwer tut. Was jedoch nicht heißen muss, dass er chancenlos ist. Georg sieht in einer stärker produktübergreifenden Auslieferung und in Kooperationen mit Wettbewerbern Möglichkeiten, mehr Güter auf die Schiene zu bringen. Erste Ansätze hat Mars bereits umgesetzt, indem beispielsweise im Bereich der Lagerhaltung eine Kooperation mit Ferrero besteht. KV profitiert vom Fahrermangel Aufwind erfährt der KV auch dadurch, dass neue Märkte erschlossen werden. Neben China (siehe Kasten Seite 24) gehört die Türkei dazu. Einer der großen Player in diesem Markt ist Ekol. 2008 ist die türkische Spedition mit vier Ganzzügen die Woche gestartet. Mittlerweile sind es 20. Die Sendungen werden zwischen der Türkei und Triest/Sète per Fähre transportiert. Auf dem anderen Teil der Strecke kommt der KV zum Zuge. "Damit sind wir schneller und vor allem zuverlässiger," nannte Frank Körber, Director International bei Ekol in Deutschland, zwei wichtige Vorteile. Stahlhut wie auch Körber gehen zudem davon aus, dass weder die türkischen noch die osteuropäischen Fahrer auf Dauer wochenlang quer durch Europa unterwegs sein wollen. Gerade im Fernverkehr werde sich daher der Fahrermangel am ehesten bemerkbar machen und dafür sorgen, dass vermehrt über Verlagerung von Transporten nachgedacht wird. Ein ungeschriebenes Gesetz im KV besagt: Transporte lohnen sich erst ab einer gewissen Entfernung. Mars-Manager Georg nannte als Maßstab eine Distanz von über 300 bis 500 Kilometer, sofern es sich nicht um Ballungszentren handelt. KV-Zug über 69 Kilometer Entfernung Coop, die größte Einzelhandelskette der Schweiz, lässt sich von diesen Thesen nicht abschrecken und befördert dort ihre Waren mit zahlreichen Zügen über kürzeste Distanzen. Das Extrembeispiel: Pro Tag fahren drei KV-Züge vom Terminal Aclens nach Genf. Entfernung: 69 Kilometer. "Dass sich KV nur ab einer Entfernung von 500 Kilometern lohnt, ist ein Dogma aus den 70er-Jahren", kritisierte Pieter van den Bold. Er ist Geschäftsführer der Innovatrain AG, die Coop bei der Umsetzung des KV-Konzeptes beraten hat. Schnelle Züge (unter anderem der bis zu 120 Kilometer pro Stunde schnelle Cargo Sprinter, eine Lok, die früher mal die DB im Betrieb hatte) und eine horizontale Umschlagtechnik (statt 30 Euro kostet der Umschlag nur noch 15 Euro) haben es möglich gemacht. Wobei van den Bold noch nicht sagen konnte, ob das Zugsystem von Coop tatsächlich schwarze Zahlen schreibt. "Aber es kann sich für Coop rechnen, wenn die pünktliche Belieferung der Filialen dadurch garantiert wird oder Standorte der Verteilzentren dadurch optimiert wurden", sagte van den Bold. Dass sich der KV rechnen muss, ist eigentlich eine Selbstverständlichkeit. Doch der Konkurrenz- und damit auch Preisdruck, verursacht durch den Wettbewerb untereinander, aber vor allem auch durch den LKW, ist enorm. "Wir müssen die Züge voll bekommen", sagte Karl Mohnsen, Vorstandsvorsitzender der Bahn TX Logistik. Ansonsten drohten rote Zahlen und eine Ausdehnung des Angebots sei schnell ad acta gelegt. Und die Messlatte, um schwarze Zahlen zu schreiben, liegt hoch: "Wenn wir unter 95, 90 Prozent Auslastung kommen, haben wir ein Problem", sagte Mohnsen. Geringe Renditen im KV Laut Mohnsen befindet sich TX Logistik im KV so gerade in den schwarzen Zahlen, wie auch DB Schenker Rail. Andreas Schulz, Leiter Marktbereich Intermodal, deutete per Daumen und darüber liegendem Zeigefinger an, dass der Ertrag nahe der Nulllinie liegt. Bei einem Umsatz von 920 Millionen Euro, den die Intermodalsparte erwirtschaftet, ein bescheidenes Ergebnis. DB Schenker sieht ein Wachstum vor allem in den südosteuropäischen Märkten. Dabei denkt Schulz an die Türkei, aber auch darüber hinaus. Trotz der derzeitigen Unruhen in Syrien oder im Irak: Dort lebe eine große und gebildete Bevölkerung mit einem wachsenden Bedarf an Gütern aus Europa. Mehr zu tun bekommen könnten die KV-Operateure auch aufgrund einer neuen Regelung, die zum 1. Januar 2015 in Kraft tritt: Dann dürfen die Reedereien in Nordund Ostsee nur noch schwefelarmen Kraftstoff verwenden. "Der Einsatz des schwefelarmen Diesels verteuert einen Container in die Ostsee um etwa 300 Euro", zitierte Frank Schuhholz, Managing Director bei ERS Railways, Aussagen aus dem Markt. Die Folge: Der KV-Operateur hat vermehrt Anfragen erhalten von Unternehmen, die Transporte von Short-Sea-Shipping auf den KV umstellen wollen. Mars-Manager Georg bestätigte Schuhholz: "Wir haben derzeit einen Anteil im Short-Sea-Shipping von 15 Prozent in Europa. Ich gehe davon aus, dass die Verteuerung des Schiffsdiesels zu einer Verlagerung der Verkehre von Short-Sea auf LKW und Bahn führen wird", so seine Prognose. Doch auch vom Gesetzgeber kommen neben positiven Impulsen Ankündigungen, die den KV einbremsen. "Die Verdoppelung der EEG-Umlage macht uns das Leben schwer", kritisierte Mohnsen und zeigte kein Verständnis angesichts des Ziels der Politik, Güter auf die Bahn zu verlagern. KV-Züge von und nach China Ohne Subventionen geht es nicht Neben der Türkei sorgt China im Markt für den Kombinierten Verkehr für Aufsehen. "Für Betriebe, denen die Seefracht zu lang ist und die Luftfracht zu teuer, ist der Transport per Bahn eine ideale Zwischenlösung", sagt Max Siep, Director Rail Solutions bei Hellmann Worldwide Logistics. Das Unternehmen schickt für seine Kunden Sendungen auf diese Route. Bislang sind die Erfahrungen positiv: Die vorgesehene Transitzeit wird in der Regel eingehalten.Aber im Vergleich zur Seefracht ist das Volumen überschaubar. Ein weiterer Nachteil: Die Züge sind nur in einer Richtung gefüllt. Rückladung nach China ist laut Siep nur schwer zu finden. Und ohne Subventionen würden die Züge wohl nicht fahren. Auf der Veranstaltung war zu hören, dass pro Container Kosten in Höhe von etwa 10.000 Euro anfallen. Lokale chinesische Behörden würden den Betrieb finanziell unterstützen, sodass die Preise auf 7000 bis 8000 Euro gedrückt werden könnten. cd

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