Große Gefahren für kleines Plastik

Am 23. September, einem Freitagnachmittag gegen 17 Uhr, rollt ein weißer Mercedes-Benz Actros an die Zapfsäulen auf dem Autohof Dasing vor den Toren Münchens nahe der Autobahn A 8. Den Fahrer trennen nur noch wenige Kilometer vom Speditionshof und damit vom Wochenende. Nur noch schnell den Tank auffüllen, damit die Tour am Montag ohne Verzögerung pünktlich starten kann. Ein paar Minuten und 400 Liter später ist der Tank des Trucks wieder voll. Offensichtlich der richtige Zeitpunkt, um noch ein paar Liter in den eigens mitgebrachten Kanister abzufüllen, damit der heimische Golf TDI für die Wochenendspritztour betankt werden kann. Gratis, denn gezahlt wird die Gesamtsumme mit der Tankkarte - mit der vom Chef. "Solche Fälle sind ein typisches Beispiel für Tankkartenbetrug", sagt Klaus Rohmann, Abteilungsleiter Supplier Services beim Tankkartenanbieter UTA. Zu dem Ergebnis, dass Tankkartenbetrug ein ernst zu nehmendes Problem ist, kommt auch die "Flottenumfrage Kraftstoffbetrug" des Mineralölkonzerns Euro-Shell (siehe Grafik rechts). Demnach glaubt fast die Hälfte der befragten Fuhrparkmanager, dass sich die Kraftstoffausgaben durch verbesserte Schutzmaßnahmen um mindestens fünf Prozent reduzieren ließen. Knapp 20 Prozent glauben gar an ein Sparpotenzial von zehn Prozent und mehr. Einige Fahrer finden Betrug akzeptabel Dass sich die Unternehmer das nicht ausdenken, räumen die befragten Fahrer ein. Ein Viertel aller befragten Fahrer hat nach eigenen Angaben schon die eine oder andere betrügerische Handlung anderer Fahrer am Arbeitsplatz beobachtet. Und dabei sei Tanken auf Firmenkosten die häufigste und kostenintensivste Aktivität. Übrigens, jeder zehnte Fahrer glaubt laut der EuroShell-Umfrage, dass das Abzapfen von Kraftstoff eine "akzeptable Verhaltensweise" sei. Ungemach droht Unternehmern, die ihren Fahrern Tankkarten mit auf Tour geben, gleich von zwei Seiten. Zum einen, wenn es der eigene Mitarbeiter nicht so genau nimmt und zum anderen, wenn sich Gangster der Tankkarte bemächtigen (siehe Kasten Seite 39 oben). Ist der Chauffeur der Schurke, lässt sich eine Handvoll Maschen unterscheiden. "Der Fahrer nutzt die ihm überlassene Tankkarte samt der ihm bekannten PIN und bezahlt damit die Rechnung, wenn er seinen Privatwagen vollgetankt hat", erklärt UTA-Sicherheitsexperte Rohmann gängige Vorgehensweisen. Tausche Karte gegen Bargeld Oder aber die Fahrzeuge von Freunden oder Verwandten werden aus Gefälligkeit beziehungsweise gegen eine entsprechende Barvergütung mitgetankt. Entweder durch den Fahrer selbst oder er bleibt daheim und überlässt die Karte den anderen zur Selbstbedienung. Nicht unüblich ist es, beim regulären Betanken des Firmenfahrzeuges noch etwas Diesel in mitgebrachte Kanister abzufüllen, die später privat geleert werden. Bei der vierten Masche wird die Servicekarte gegen einen entsprechenden Obolus an Dritte weitergegeben. Diese fertigen eine oder mehrere Kopien der Karte an und geben die Originalkarte an den Fahrer zurück. Wenn das zu aufwendig ist, überlässt er die Karte Dritten einfach ganz und meldet sie mit einer gewissen Zeitverzögerung als verloren oder gestohlen. Nicht weniger ärgerlich ist es, wenn der Fahrer nicht Täter, sondern selbst Opfer von Ganoven ist, die ihre Taschen oder Tanks mittels der fremden Tankkarte füllen. Der Klassiker dazu ist der Diebstahl der Servicekarte nach einem Einbruch in den Lkw. Das passiert nicht nur auf Parkplätzen oder an Raststätten, sondern auch auf dem eigenen Firmengelände. Selbst in Speditionsgebäude sei dazu schon eingebrochen worden. "Vor einigen Jahren häuften sich die Probleme mit Lkw-Einbrüchen in Spanien. Da haben wir vor Ort sogar einen Privatdetektiv eingesetzt. Unser Ermittler hat sich an den Schwerpunkten umgesehen und die Abläufe beobachtet", erinnert sich Rohmann. Ein Problem, bei dem der Unternehmer selbst nicht ganz unschuldig ist: Beim Ausscheiden von Fahrern oder der Beendigung von Vertragsbeziehungen zu Subunternehmen wird vergessen die Karte einzuziehen beziehungsweise zu sperren. Oder bei der vereinbarten Rückgabe meldet der Fahrer respektive Subunternehmer die Karte als verloren. Oft passiert die Tat auch direkt beim Bezahlen. Die Karte und die dazugehörige PIN werden dabei mittels manipulierter Lesegeräte ausgelesen und zur Erstellung einer entsprechenden Kopie genutzt. Unbemerkter Kartenaustausch "Besonders tückisch ist es, wenn die Karte beim Einbruch in den Lkw nicht nur geklaut, sondern durch einen Dummy ersetzt wird", erklärt Dirk Simon, Sicherheitsexperte beim Tankkartenanbieter DKV Euro Service. Wird die Karte selten genutzt, falle der Verlust vergleichsweise spät auf. Dadurch droht ein entsprechend größerer Schaden. "Missbrauchsfälle sind nicht regional eingrenzbar", sagt Gerhard Künne, Sprecher der Geschäftsführung der Volkswagen Leasing. Das Unternehmen verantwortet unter anderem die MAN Service Card. Festzustellen sei, dass es an unbemannten Akzeptanzstellen zu Häufungen von Betrugsfällen kommt. Auffällig seien in diesem Zusammenhang Autobahnmautterminals in Frankreich. Kartendaten würden ausgespäht und Kopien erstellt. "Deshalb beenden Tankkartenherausgeber zunehmend die Zusammenarbeit mit Akzeptenzstellen, die ohne PIN arbeiten", so Kühne weiter. Organisierte Banden jagen Karten "Anders als früher ist Tankkartenbetrug heute nicht mehr ein lokales, sondern ein gesamt-europäisches Phänomen", bestätigt, Rohmann von UTA. Dennoch, die Klassiker von früher, Frankreich und Italien, zählten aber auch heute noch zu den eher gefährlichen Ecken. "Kartendiebstähle unterliegen einem wellenförmigen Zyklus. Immer wenn eine Bande aktiv ist, nehmen die Fallzahlen zu", berichtet DKV-Mann Simon. Die Mehrheit der Delikte werde von kriminellen Verbindungen begangen, die entsprechend organisiert und europaweit tätig sind. Einzeltäter und Gelegenheitsdiebstähle seien die Ausnahme. Als erstes telefonieren Ist die Karte weg, ist schnelles Handeln gefragt. Erst die Sperrmeldung bei der Servicehotline des Kartenanbieters absetzen, dann den Vorfall bei der Polizei anzeigen. Auch im Ausland. Ab dem Zeitpunkt der Sperrmeldung ist der Unternehmer aus der Haftung. Jeder weitere Missbrauch geht zulasten des Tankkartenanbieters. Diese können die Karten heute aber binnen weniger Minuten europaweit sperren. Auf den Schäden vor der Sperrung bleibt der Unternehmer in der Regel sitzen. Außer, der Täter wird gefasst und kann zur Rechenschaft gezogen werden. Das Risiko, dass der Fahrer und in dessen Sog der Unternehmer in die Opferrolle geraten, lässt sich mit einfachen Maßnahmen stark verringern (siehe Kasten unten). "Es ist zu empfehlen, dass die Nutzer von Tankkarten mit deren Umgang geschult werden. Insbesondere der Schutz der PIN und die sichere Verwahrung der Tankkarten stehen hier im Vordergrund", sagt Volkswagen-Experte Künne. Mitarbeiter sollten die Allgemeinen Geschäftsbedingungen der Tankkarten kennen, insbesondere das Verhalten bei Diebstahl oder Verlust. Die Tankkartennutzung mit den allgemeinen und kundenindividuellen Bedingungen sollte in der "Car Policy" des Unternehmens enthalten sein. "Es ist ratsam, dass die Mitarbeiter die Kenntnis und Akzeptanz der Bedingungen mit ihrer Unterschrift bestätigen. Das unterstützt bei eventuellen Regressforderungen", sagt Künne. Ferner sollten Mitarbeiter verpflichtet werden, immer den korrekten Kilometerstand bei der Bezahlung an der Tankstelle einzugeben. So lassen sich Auffälligkeiten in Abrechnungen leichter erkennen. Offensichtlich gibt es in Sachen Betrug Wissenslücken bei beiden Parteien, den Arbeitgebern und den Arbeitnehmern. Nur 72 Prozent der in der EuroShell- Studie befragten Unternehmer und gerade mal 44 Prozent der interviewten Fahrer glauben, über die aktuellsten Entwicklungen in Sachen Tankkartenbetrug informiert zu sein. Untersucht haben die Marktforscher auch, warum die Unternehmer nicht mehr für die Betrugserkennung tun. Die Top fünf der Gründe: Mangel an Bewusstsein, fehlende Zeit, fehlendes Geld, Probleme bei der Beteiligung der Fahrer oder das Thema wird nicht ernst genommen. Unternehmer, die das Thema ernst nehmen, können über die Analysefunktionen ihrer Tankkartenanbieter beobachten, ob getankte Menge, Fahrzeugtyp und gefahrene Tour zueinander passen oder ob sich Durchschnittverbräuche spürbar verändern. Beides eindeutige Alarmzeichen, aber auch Zeichen dafür, dass es schon zu spät ist. Wer vorher etwas tun will, sollte für seine Tankkarten zu Tour und Fahrzeug passende Limits festlegen. Das schränkt die Betrugsmöglichkeiten ein, egal ob durch den eigenen Fahrer oder andere Kriminelle. Psychologischen Druck aufbauen "Eine gute Schutzvorkehrung ist es auch, dass die Fahrer ihre Tankbelege in der Firma zur Prüfung abgeben müssen. Das erhöht den psychologischen Druck und baut eine Hemmschwelle auf", so Rohmann von der UTA. In einer Broschüre für Fahrer mahnt das Landeskriminalamt Nordrhein-Westfalen: "Sorgfältiger Umgang mit Tankkarten und Ihre Vorsicht können verhindern, dass die 'Konkurrenz' mit fremden Karten 'billiger' fährt und dadurch Ihren Arbeitsplatz gefährdet." Ein guter Hinweis auch für den Fahrer eines weißen Actros. Mehr zum Thema finden Sie im Dossier Tankkarten www.verkehrsrundschau.de/dossiers Marktübersicht* Interaktiv Tankkarten suchen Die interaktive Online-Version der Marktübersicht Tankkarten bietet zusätzliche Detailinformationen zu den einzelnen Anbietern sowie den von ihnen angebotenen Dienstleistungen. Über einfache Filter können Unternehmer gezielt nach Anbietern suchen, die den gewünschten Service und die benötigten Akzeptanzsstellen bieten. svDirekt zur Online-Version im Web:verkehrsrundschau.de/marktuebersichtenAgip Multicard www.agip.deAral CardTruck www.aralcard.deAS24 Tankservice Card www.as24.comAvia-Card www.avia.deDKV Card www.dkv-euroservice.comEsso Card Europe www.essocard.comEuroShell Card www.euroshell.deFleetmoney www.fleetmoney.com/deFuelguard Festpreiskarte www.fuelguard.deIDS www.ids.q8.comLog Pay Card www.logpay.deMAN Card www.man-mn.comMercedesServiceCard www.mercedesservicecard.deMycard HEM www.hem-tankstelle.deOMV Card www.omv.de SVG/DKVService-Karte www.svg.deSVG/Esso-Card Deutschland www.svg.deSVG/Esso-Card Europa www.svg.deSVG/EuroShell Smart-CRT-Card www.svg.deSVG/EuroShell Smart-Fleet-Card www.svg.deSVG/Total-Card www.svg.deTankpool24 www.tankpool24.euTotal Card www.totalcards.deUTA Full Service Card www.uta.comWestfalen Service Card www.westfalen-ag.de*Auswahl Typische Tricks der Gauner Zwei gefährliche Gruppen Bei den Ganoven lassen sich zwei Gruppen unterscheiden. Das sind zum einen die eigenen Mitarbeiter, die den Unternehmer betuppen und zum anderen meist gut organisierte Kriminelle.Zu Vorgehensweisen fremder Gangster zählen:- Raub oder Diebstahl der Karte- Betrug- Kopieren der Kartendaten- Ausspähen der Persönlichen Identifikations-Nummer PIN- Austausch der Tankkarten beim Bezahlen- Schwachstelle Mensch wird ausgenutztSo tricksen die eigenen Mitarbeiter ihr Unternehmen aus:- Gelegentliche Zusatzbetankung des eigenen Fahrzeugs- Andere Fahrzeuge werden mitgetankt- Diesel landet in einem Kanister- Weitergabe von Servicekarten an Dritte sv

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