Generationen-Wechsel

Dieses Geheimnis hüteten alle Scania-Mitarbeiter wie ihren Augapfel. Über Jahre drang, abgesehen von Fotos der gut getarnten Prototypen, die sich durch Europa testeten, bis kurz vor der offiziellen Präsentation nichts von Scanias neuer Lkw-Generation durch. Fragen dazu parierten die Schweden stets mit einem Lächeln, garniert mit dem Zusatz, dass man Großes erwarten dürfe. Insofern war mancher Scania-Fan sicher enttäuscht, als die Schweden Mitte August endlich den Schleier von ihrem Neuen zogen (Siehe VR 34-35/2016). Zu ähnlich sieht er dem Vorgänger auf den ersten Blick. Tatsächlich ist der Neue allerdings eine komplette Neuentwicklung. Und die Ähnlichkeit ist vielmehr gewollt. Schließlich soll der Neue schon von Weitem als echter Scania erkennbar sein, heißt es vonseiten der Design-Abteilung. Und außerdem sei beim Alten eben vieles so gut gewesen, dass man es nicht mehr verbessern konnte. Trotzdem beeilen sich die Schweden, hinzuzufügen, dass die jetzt "R" und "S" benannten Modelle bei Wirtschaftlichkeit, Verbrauch und Service ebenso den neuen Branchen-Maßstab setzen sollen wie bei Fahrkomfort, Haptik und Verarbeitung. Um das zu überprüfen, unterzogen wir den neuen Greif einer ersten Inspektion. Der Türgriff ist schon mal wie beim Vorgänger, fasst sich aber wertiger an und benötigt weniger Kraftaufwand, um den Weg zu den vier Stufen der niedrigeren R-Kabine beziehungsweise den fünf der S-Kabine (Siehe Kasten Seite 68) freizugeben. Die Tür fällt mit einem dezenten "Flopp" ins Schloss, der dem eines Oberklassen-Pkw gleicht. Gleiches gilt für die Materialien in der Kabine. Vorbei die Zeiten von biederem Beige und düsteren Kunststoffen. Der neuen Generation spendierte man wertigere, teils hinterschäumte Kunststoffe und alle Schalter und Tasten rasten satt und verbindlich. Man nimmt den Entwicklern ab, dass sie sich in diesem Kapitel an der Konzerntochter Audi orientieren durften. Beim Cockpit stand der Vorgänger Pate Was darüber hinaus beim Armaturenträger sofort ins Auge sticht: Auch hier stand der Vorgänger Pate. Schließlich gehörte dessen Cockpit bis zum Schluss zu den besten auf dem Markt. Auch die Hebel für Handbremse, Opticruise und die Lenkradtasten wirken vertraut. Bei der Lenkradentriegelung, die weiterhin versteckt an der Lenksäule ihren Platz hat, bieten andere Hersteller aber schon länger elegantere Lösungen. Ein großes Fragezeichen setzen wir hinter den, zusammen mit vielen weiteren Knöpfen in die Türbrüstung gewanderten Lichtschalter. Auch wenn Scania vehement versichert, dass selbst Starkregen hier keinen Schaden verursachen soll. Ob's stimmt, wird erst die Zukunft zeigen. Bis dahin lassen wir unseren Blick nach rechts schweifen und registrieren, dass Scania bei der Entwicklung manchen Blick nach Stuttgart warf. Die große Ablage unterhalb der Mittelkonsole inklusive Schubladen kennt man schließlich in ähnlicher Form aus dem aktuellen Actros. Ebenfalls dem Mercedes nachempfunden wurde der große ausziehbare Kühlschrank (Option), dank dem nun endlich auch Scania-Fahrer 1,5-Liter große Flaschen aufrecht mit auf Tour nehmen können. Genug geforscht, jetzt wollen wir die Zylinder hören. In Fall unseres "S 580" acht an der Zahl, was eingefleischte Scania-Fans mit Genugtuung registrieren werden. Den prestigeträchtigen Achtzylinder mit dem Modellwechsel aus dem Programm zu streichen, wagten die Schweden nicht. Sondern beließen es - übrigens auch bei den allesamt Only-SCR-Sechszylindern - bei einer überarbeiteten Motorsoftware und neuen Injektoren, was bis zu drei Prozent Verbrauchsersparnis bringen soll. Von seiner Souveränität und dem unverwechselbaren Sound hat der V8 aber nichts eingebüßt. Ist er mit dem brachialen Beschleunigungsvorgang fertig, blubbert er im Eco-Modus gern mit 850 Touren vor sich hin. Auch dank der noch mal nachgelegten Dämmung, die gleichermaßen der Isolation zugute kommt, sind ab da fast nur noch Windgeräusche vernehmbar. Und die Klimaanlage, die Scania endlich ebenfalls überarbeitete und keine plötzlichen, eiskalten Windstöße mehr durch die Kabine pustet. Fahrwerk und Lenkung? Ohne Befund. Soll heißen: Der Scania lässt sich weiterhin Pkw-artig durch Kurven führen, die Steuerung gibt jederzeit gute Rückmeldung und die Federung findet - zumindest mit 40 Tonnen - den tadellosen Kompromiss aus Komfort und Sportlichkeit, den man von einem Scania erwartet. Unserer Meinung nach überflüssig ist die Option, luftgefederte Vorderachse, mit der wir die Gesamtabstimmung als zu weich empfanden. Fahrwerkstechnisch noch eine Spur verbindlicher geben sich die mit dem DC13-Sechszylinder bestückten Modelle. Schließlich lastet hier nicht der schwere V8 auf der Vorderachse. Mit 40 Tonnen die wirtschaftlichere und leichtere Alternative zum V8 ist vor allem die um zehn auf 500 PS erstarkte stärkste Einstellung. Die ist mit 2550 Newtonmeter Drehmoment ein starkes Stück Schwedenstahl und fühlt sich im Drehzahlkeller wohl, ohne Vibrationen zu entwickeln. Opticruise schaltet jetzt schneller Sowohl V8, als auch dem Sechszylinder zugute kommen die verkürzen Schaltzeiten des Opticruise-Getriebes. Dem spendierte Scania zusätzlich eine Vorgelegewellenbremse. Diese bremst die Welle beim Auskuppeln hydraulisch ab, wodurch die Zahnräder schneller einrücken können. Die Folge sollen laut Scania um 45 Prozent schnellere Gangwechsel sein. Das ist beim Fahren durchaus zu spüren, mit dem Volvo-DSG-Getriebe kann sich Opticruise aber weiter nicht messen. Vom schwedischen Konkurrenten stammt auch die Idee des drehbaren Beifahrersitzes, die Scania nun ebenfalls optional anbietet. Ob die Investition in das auf einen Meter Breite ausziehbare Bett lohnt, muss jeder selbst entscheiden. Dafür müssen, wie im Vorgänger, zunächst die Sitze nach vorne geschoben werden. Da wird es mancher beim in der Mitte 80 Zentimeter breiten Serienbett (hinter den Sitzen 67 cm) belassen. Auch wegen der eher weichen Matratze, die zudem ohne Lattenrost auskommen muss, setzt der Scania beim Thema Schlafen nach wie vor nicht den Benchmark - trotz der zum Vorgänger um zehn Zentimeter verlängerten Kabine. Ebenfalls gut zu Gesicht gestanden hätte dem Greif eine Single-Ausführung à la Mercedes-Solostar. So etwas haben die Schweden allerdings bisher nicht vorgesehen. Lediglich zusätzliche Stauräume an der Rückwand, anstatt des oberen Bettes, lassen sich hinzu konfigurieren. Vergrößert wurden die Außenstaufächer, die jetzt nicht mehr vor Getränkekisten kapitulieren. Die S-Kabine verfügt zudem darunter über ein zusätzliches Staufach - eine weitere Parallele zum Mercedes Actros. Von DAF inspirieren ließ man sich dagegen hinter der Kabinenrückwand. Der Dachspoiler lässt sich nun per Markisenkurbel einfach und schnell an die Aufliegerhöhe anpassen. Aber wenn die Schweden schon hinter die Kabine von CF und XF schauten, hätten sie auch gleich die elegante Lösung der Niederländer für das Aufräumen der Bremskabel übernehmen können. Die fummeligen Kabelhalter des neuen Scania werden den Fahrer stets aufs neue zum Fluchen bringen. Lange Wartungsintervalle möglich Ein großer Teil der Entwicklungskosten floss dagegen in den Service. Dank digitaler Vernetzung kann Scania beispielsweise die Wartungsintervalle genau auf die Einsatzbedingungen des jeweiligen Fahrzeugs abstimmen. Im besten Fall werden so Intervalle von bis zu 150.000 Kilometern möglich, ehe sich der Bordcomputer meldet. Aber auch der Fahrer profitiert von der Vernetzung und kann beispielsweise per Handy-App die Standheizung aktivieren. Auch hier bietet der Neue eben deutlich mehr als der Vorgänger, auch wenn er ihm optisch ähneln mag. Alle Tests und Fahrberichte für Abonnenten www.verkehrsrundschau.de/testdatenbank Motoren: DC 13:- 370: folgt zum späteren Zeitpunkt- 410: 302 kW (410 PS) bei 1900/min. 2150 Nm bei 1000-1300/min.- 450: 331 kW (450 PS) bei 1900/min. 2350 Nm bei 1000-1300/min.- 500: 368 kW (500 PS) bei 1900/min. 2550 Nm bei 1000-1300/min.DC 16:- 520: 382 kW (520 PS) bei 1900/min. 2700 Nm bei 1000-1300/min.- 580: 427 kW (580 PS) bei 1900/min. 2950 Nm bei 1000-1350/min.- 730: 537 kW (730 PS) bei 1900/min. 3500 Nm bei 1000-1400/min. Die Kabinenvarianten des neuen Scania Zwei Dachhöhen, mit oder ohne Motortunnel Scania bietet jetzt zwei Dachhöhen und zwei Kabinenböden an. Über einen ebenen Boden verfügen die "S"-Varianten. In Verbindung mit dem hohen Dach, statt wie bisher Topline nun Highline genannt, bringt es die S-Kabine auf 2,07 Meter Innenhöhe. Die bietet der "R"-Highline nur im Bereich vor den Sitzen. Ähnlich wie beim bisherigen Topline verbleibt hier ein 16 Zentimeter hoher Motortunnel. Die Stehhöhe auf diesem genügt mit 1,91 Meter aber immer noch für die meisten Staturen. Auch in Sachen Stauraum ließ Scania Verbesserungen einfließen. Knapp 200 Liter fassen jetzt allein die beleuchteten Staufächer oberhalb der Frontscheibe. Ungefähr die Platzverhältnisse des Vorgängers mit Highline-Kabine bietet die kleinste Kabine des neuen Scania. Der R mit niedrigem Dach bringt es vor den Sitzen auf eine Innenhöhe von 1,81 Metern und auf dem Motortunnel auf 1,65 Meter. Bleibt noch der S "niedrig", der durchgehend 1,81 Meter Innenhöhe bietet. bj

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