Gegen falsche Pillen

Jedes hundertste Arzneimittel, das in Deutschland verkauft wird, ist gefälscht, schätzt die Weltgesundheitsorganisation (WHO). Das klingt nicht nach viel, doch wenn es sich dabei zum Beispiel um ein Krebsmedikament handelt, können die Folgen fatal sein. Die EU-Fälschungsschutz-Richtlinie (Falsified Medicines Directive, FMD) soll helfen, dieses Problem zu lösen. Sie gilt seit dem 9. Februar dieses Jahres. Ihr Kern: Alle verschreibungspflichtigen Medikamente müssen beim Abpacken eine eindeutige Nummer auf der Packung erhalten, die wie ein QR-Code aussieht und vom Apotheker gescannt wird. Wurde der Code schon einmal woanders ausgebucht oder in der Produktion nicht verwendet, erhält der Kunde eine andere Packung und der Fälschungsverdacht wird den Behörden gemeldet. Diese sogenannte Serialisierung stellt Pharmahersteller vor Herausforderungen, denn sie macht den Produktionsprozess komplexer. Nicht wenige lagern die Tätigkeit deshalb an ihre Logistikdienstleister aus - wodurch für diese ein Neugeschäft entsteht. Mittelfristig könnten aber auch reine Frachtführer die Auswirkungen der FMD zu spüren bekommen. Grundsätzlich steht das Thema sichere Lieferkette seit sechs Jahren auf der Agenda, und zwar seit die Good Distribution Practice (GDP) in der EU gilt. "Viele haben bei der GDP nur das Thema Temperaturführung vor Augen, dabei hat die Richtlinie auch einen starken Sicherheitsaspekt", sagt Ulrich Franke, Gründer und Leiter des Institute for Supply Chain Security, Bochum. Ein Ziel der GDP sei, zu verhindern, dass Plagiate in die Lieferketten eingeschleust werden. Wobei die Richtlinie keine konkreten Forderungen enthält, sondern die Firmen auffordert, eine Risikoanalyse durchzuführen und "adäquate" Gegenmaßnahmen zu ergreifen. GDP-zertifizierte Abläufe sind quasi die Basis. "Danach kommt die Serialisierung als weiterer Baustein des Sicherheitskonzepts", erklärt Franke. Das größte Risiko ist der Mensch Das Wissen, was "adäquate" Maßnahmen für mehr Sicherheit sind, musste sich auch das Unternehmen Meljo erst erarbeiten. Die Hamburger Firma ist deutschlandweit in der Pharmalogistik tätig und arbeitet mit Dienstleistern unterschiedlicher Größe zusammen. "Wir nahmen erst eine Risikobetrachtung vor und haben dann unter anderem mit dem Bundesverband der Kurier-Express-Postdienste Kriterien erarbeitet, die unsere Standorte einhalten müssen", erzählt Geschäftsführer Marc Muschkeit. Die Liste ist lang: Sie beginnt mit der physischen Sicherheit (Zäune, Zugangskontrollen, Kameraüberwachung) und geht über Mitarbeiter (Führungszeugnisse) bis hin zu den Prozessen (Abschaffung von Übergabepunkten in Garagen). Fast zwei Jahre lang brauchte Meljo, die selbst gesteckten Sicherheitsziele zu erreichen. Mitunter waren tiefe Einschnitte nötig. "Einige Standorte betreiben wir wieder selbst, weil die Subunternehmer das nicht schafften. Gerade das Schulungsmanagement ist mit eigenen Mitarbeitern einfacher", sagt Muschkeit. Die Partner konnten die geforderten Maßnahmen organisatorisch oder finanziell nicht stemmen und wandten sich anderen Märkten zu. Und was macht die meiste Arbeit bei der Sicherung der Lieferkette? Bei dieser Frage muss Muschkeit nicht lange überlegen. "Nicht die Hardware, sondern der menschliche Faktor." Den Mitarbeitern müsse immer wieder erklärt werden, welchen Sinn gewisse Maßnahmen machen, warum es etwa auch bei Hitze nötig ist, alle Fenster eines Fahrzeugs zu schließen, wenn es kurz abgestellt wird. "Es sind viele Audits und nicht avisierte Kontrollen vor Ort nötig", sagt Muschkeit. Dabei überprüft Meljo zum Beispiel das Schlüsselmanagement oder den Zustand beladener Fahrzeuge. Dieser Prozess ist zudem eine Daueraufgabe, die regelmäßig wiederholt werden muss, damit sich unsichere Praktiken nicht im Laufe der Zeit einschleichen. Mit der Serialisierung will die EU den Schutz gegen Fälschungen jetzt zusätzlich verstärken. Anhand der individuellen Seriennummer sollen die Hersteller jederzeit nachverfolgen können, wo sich ein Produkt befindet. Auf Dienstleister, die ausschließlich größere Gebinde oder Paletten befördern, hat die neue Richtlinie zunächst keine Auswirkung. Daten fälschungssicher hinterlegen Sobald aber mit einzelnen Packungen hantiert wird, zum Beispiel wenn Arzneimittel neu verpackt und kommissioniert oder Retouren verarbeitet werden, muss der Dienstleister an die zentrale Datenbank mit den Seriennummern (EU-Hub) angeschlossen sein. Bei jedem Packvorgang gilt es zu prüfen, ob der "Unique Identifier" überhaupt existiert und noch nicht ausgebucht wurde (etwa durch den Verkauf in einer Apotheke). Scanner für zweidimensionale Matrix-Codes, Software und eine zertifizierte Schnittstelle sind dafür nötig. Pharmalogistiker wie Dienstleister Unitax, die eine Herstellerlizenz haben, können die Serialisierung im Auftrag der Pharmafirmen durchführen (siehe Kasten rechts). Das heißt, sie bringen den Data-Matrix-Code mit der Seriennummer sowie den in der FMD geforderten Erstöffnungsschutz (Versiegelung) an. Dafür sind Investitionen im sechsstelligen Bereich nötig: Druckmaschinen und Software müssen angeschafft, IT-Schnittstellen qualifiziert werden. Insgesamt müssen sich Pharmalogistiker darauf einstellen, dass die Fälschungsschutz-Richtlinie nicht das letzte Wort aus Brüssel war. "In Sachen Sicherheit kommt mehr", meint Experte Franke. Er verweist auf die USA und den dort geplanten Drug Supply Security Act, der den Verladern, Großhändlern und Logistikern in der Pharmadistribution zusätzlich Auskunftspflichten aufbürdet. Tritt das Gesetz in Kraft, müssen Hersteller jederzeit sagen können, wo sich eine Medikamentenpackung befindet. Alle an der Lieferkette Beteiligten müssen die Daten fälschungssicher hinterlegen, wofür Blockchain-Technologie genutzt werden soll. Bislang handelt es sich um eine rein US-amerikanische Regelung, doch Franke hält es für absehbar, dass Ähnliches in der EU kommt. Mehr zum Thema im Dossier Pharmalogistik www.verkehrsrundschau.de/dossiers In Kürze Seit dem 9. Februar 2019 müssen Hersteller und Händler verschreibungspflichtiger pharmazeutischer Produkte die Vorgaben zur fälschungssicheren Verpackung und Rückverfolgbarkeit umsetzen Stichwort "Serialisierung". Für Pharma-Logistikdienstleister eröffnet das neue Chancen, aber auch Herausforderungen. Praxislösung: So klappt bei Unitax die Serialisierung Der Berliner Pharmalogistiker Unitax übernimmt für Pharmahersteller die Verpackung verschreibungspflichtiger Arzneimittel. Seit Kurzem versieht der Dienstleister diese Produkte mit der geforderten individuellen Seriennummer ("Unique Identifier"). 500.000 Euro hat das Unitax in Druckmaschinen und Software investiert, hinzu kamen 250.000 Euro, um Lieferanten zu qualifizieren. Der Ablauf: Die Hersteller übermitteln über eine Cloudsoftware die entsprechenden Codes, Unitax ruft sie ab und druckt sie vor Ort auf die Verpackung. Anschließend wird jede Packung mit Tamper-Evident-Etiketten versiegelt, die Manipulationen unmöglich machen. Wer als Logistiker die Serialisierung anbieten will, muss einige Hürden nehmen. Um die Nummern erstellen zu können, muss man sich bei Behörden anmelden und beim EU-Hub registrieren; in dieser zentralen Datenbank werden die ausgegebenen Nummern verwaltet. Der Zugriff darf nur über eine speziell zertifizierte IT-Anbindung erfolgen.Unitax ist zufrieden mit dem Pilotprojekt."15 Kunden sind schon an Bord", freut sich Geschäftsführer André Reich. Kleinere Anlaufprobleme, etwa wenn die Drucktinte nicht auf einer Dose hält, seien nun gelöst."Die größte Herausforderung ist es, die komplexen Systeme zu verstehen." Zudem müsse man verschiedenen Kunden unterschiedliche Schnittstellen anbieten, sagt Reich. Mit den meisten Herstellern läuft der Austausch über eine Cloudsoftware des Anbieters Tracelink - aber eben nicht mit allen. cg

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