Paris.Nach der fünften Woche im Streik gegen die vorgesehene Rentenreform zeichnen sich bei der Staatsbahn SNCF und ihrer Bahnfrachttochter Fret SNCF immer fatalere Folgen ab. Diese könnten Fret SNCF, die ohnehin stark angeschlagen ist, selbst den Todesstoß versetzen. Sie tritt seit Beginn dieses Jahres offiziell als „anonyme Tochtergesellschaft“ mit einem Finanzfonds von 170 Millionen Euro auf.
Der neue Rechtsstatus zwingt die Tochtergesellschaft dazu, ihre Konten schnellstmöglich zu verbessern, denn wenn diese Mittel durch den anhaltenden Streik auf null heruntergebracht werden sollten, müsste das Bahnfrachtunternehmen schließen. Einer neuerlichen Rekapitalisierung durch die Mutter SNCF stünde ein Veto aus Brüssel entgegen.
Starker Schuldenanstieg seit 2009
Trotz wiederholten Personalabbaus konnte Fret SNCF das Ziel, die Konten zu sanieren, bislang nicht annähernd erreichen. Stattdessen ist die Verschuldung seit 2009 um drei Milliarden Euro gestiegen. Sollte der aktuelle Streik noch weitergehen, dürfte die Bahn den Frachtverkehr „opfern“, um ein Maximum an Potenzial für den Personenverkehr zu schaffen. Dies hatte sie schon im Frühjahr 2018 als Reaktion auf den damaligen Streik gegen die Bahnreform gemacht. Damals hatten zahlreiche Verladerkunden der Schiene den Rücken gekehrt und waren auf die Straße und Schiffe umgeschwenkt. Die Folge: Fret SNCF musste zum Jahresschluss 2018 operative Verluste in Höhe von 173 Millionen Euro hinnehmen.
Auch das letzte Jahr dürfte keine Besserung gebracht haben und der aktuelle Langzeitstreik zu weiteren Kundeneinbußen führen. Für die Bahnfrachtsparte könnten die Startbedingungen kaum schlechter sein und der nächste Streik ist schon für das Frühjahr angekündigt: Die Unternehmensleitung hat die Gewerkschaften darüber informiert, sie wolle mit ihnen über die Organisation der zukünftigen Arbeitszeit verhandeln, um die Produktivität zu erhöhen. Für die Arbeitnehmervertreter ist das Thema ein rotes Tuch.
Erhebliche Folgen für französische Landwirtschaft
Abgesehen von der Bahn selbst hat der momentan laufende Streik auch erhebliche Konsequenzen für ihre traditionellen professionellen Nutzer, allem voran die in Frankreich besonders starken Agrargenossenschaften. Von den zehn Prozent Anteil der Schiene am Gütertransport des Landes entfallen nach Angaben deren Vertretung allein 13 Prozent auf den Schienenverkehr mit Landwirtschaftsprodukten.
Jeder annullierte Güterzug stelle die ausgehandelte Übereinkunft für die Beibehaltung von Bahnlinien landesweit in Frage und schade der Wirtschaft des Landes. Auf 60 bis 70 Prozent belaufe sich je nach Region der Anteil der durch den Streik gestrichenen Züge. Dies habe erhebliche Negativfolgen. Die Unternehmen würden nicht ausreichend beliefert, bestehende oder geplante Verträge mit Frachtkunden würden annulliert oder auf später verschoben. Darüber hinaus würden die Kunden im Ausland ihr Vertrauen verlieren und es müssten zusätzliche Kosten für die Verlagerung des Transports auf die Straße und Binnenschiffe aufgebracht werden. Außerdem seien die Lagerkapazitäten für die Ernte im Juli nicht groß genug und das Getreide müsse dann auf den Markt gebracht werden, wenn die Preise dafür traditionell besonders niedrig seien.
Über 700 Millionen Euro Verlust durch Streik
Der Agrarverband Coop de France fordert von der Staatsbahn die Einrichtung einer garantierten, von Streiks nicht belangbaren Mini-Betriebskapazität zur Sicherung der im Bahnfrachtsektor erreichten Rentabilität, und um ihren Weiterbestand nicht zu gefährden.
Derzeit steht fast alle Schienengüterbetriebe in Frankreich still, berichten die Medien. Die Bahn selbst hat schon vor der fünften Streikwoche laut ihrem neuen Vorstand Jean-Pierre Farandou 700 Millionen Euro Verluste zu beklagen, für den Personen- sowie dem Frachttransport entgehen ihr jeden Tag weitere 20 Millionen. (jb)