Flexibel, autonom, vernetzt: Die Intralogistik der Zukunft

Vieles geht, aber nichts geht ohne Logistik. Ermöglicht hat das in den letzten Jahrzehnten die Logistikindustrie. Die Supply Chains tickten wie ein Uhrwerk. Dadurch war in der Produktion und im Handel der pünktliche Nachschub gesichert, die Bestände wurden sukzessive reduziert. Die Ware erreichte bedarfsorientiert und verlässlich den Empfänger, und in der Automobilbranche wurden die Produktionsteile "just in sequence" an die Bänder geliefert - sichergestellt durch planbare Lieferketten und verlässliche Auftragsprognosen. Neue SCM-Regeln Doch die Berechenbarkeit der logistischen Supply Chains hat sich durch die multiplen Krisen in den letzten drei Jahren und die aktuellen weltwirtschaftlichen und politischen Situationen signifikant verändert. Das hat auch auf die Intralogistik massive Auswirkungen. In der Vergangenheit wurden Prozesse und sich daraus ergebende interne Materialfluss-Ströme analysiert und fixiert. Diese Abläufe blieben dann über einen Zeitraum von Jahren, teilweise auch von Jahrzehnten, grundsätzlich unverändert. Eine einmal geplante und realisierte interne Logistiklösung musste man nach der Inbetriebnahme also meist nur geringfügig, wenn überhaupt, anpassen. Heute verändern sich die Umfeldbedingungen oft völlig überraschend - mit der Folge, dass die Veränderungszyklen kürzer werden. Diese gegenwärtige Dynamik stellt Logistiker vor die Herausforderung permanent modifizierter Prozesse. Entsprechend hoch ist ihre Erwartung an eine große Wandelbarkeit und Flexibilität des Materialflusses und der gesamten logistischen Abwicklung, um auf veränderte Situationen zeitnah reagieren zu können. Intralogistik im Wandel Die Intralogistik steht also vor der Herausforderung, sehr schnell und flexibel auf Anforderungen zu reagieren, die sich dynamisch stark verändern. Dieser Interessenkonflikt zwischen einem hohen Reaktionsvermögen in Bezug auf ein sich schnell veränderndes Umfeld in der logistischen Abwicklung einerseits und einem höheren Automatisierungsgrad andererseits verlangt nach neuen technischen Ansätzen: der Vermeidung starrer Automatisierungslösungen hin zu hochflexiblen Konzepten. Die Automatisierung der Logistikzentren wird dennoch einen hohen Stellenwert behalten. Denn der inflationsbedingte Kosten- und Wettbewerbsdruck in den Unternehmen ist hoch, und nur mit einem hohen Automatisierungsgrad lassen sich die Kosten weiter senken. Zudem fordert der sich im gewerblichen Bereich abzeichnende Arbeitskräftemangel eine zunehmende Automatisierung, Systeme zur Kollaboration zwischen Mensch und Maschine sowie einfach bedienbare Arbeitsplätze - auch für nicht deutschsprachige Menschen. Multitaskingfähige Shuttles Bei zahlreichen Neuerungen zeigen sich veränderte Ansätze, bei denen ein automatisierter Lagerbereich (zum Beispiel Shuttle-System) und der Kommissionierbereich nicht mehr separate Systeme sind, die mittels Fördertechnik verbunden sind. Vielmehr lagern AMR (Autonomous Mobile Robots) Behältnisse ins Automatiklager ein und bedarfsgerecht wieder aus. Die gleichen AMR transportieren diese Behältnisse dann zur nächsten Bearbeitungsstation, etwa zu einem Kommissionierplatz. Der "Skypod" von Exotec Robotics bietet zum Beispiel solche Lösungen. Kleine Lagerroboter mit einer Belastbarkeit von bis zu 30 Kilogramm lagern Wannen direkt aus den unterschiedlichen Ebenen des Regallagers aus. Dabei bewegen sich die Roboter vertikal zwischen den einzelnen Regalebenen bis zu einer Höhe von zwölf Metern. Die so aus dem Regal entnommenen Wannen werden dann horizontal mit dem gleichen Roboter zur nächsten Bearbeitungsstation, meist zu einem Kommissionier-Arbeitsplatz, gefahren und dann wieder auf einem Regalplatz zurückgelagert. Die Roboter-Geschwindigkeit liegt bei bis zu vier Metern pro Sekunde. Die Einlastung und Priorisierung der Fahraufträge und die Steuerung der Roboterflotte erfolgt über die separate Software "Deepsky". Automatisierung mit minimaler Standardisierung Ein grundsätzlicher Nachteil von Wannensystemen ist die Standardisierung auf das vorgegebene Maß der einzelnen Wannen im System. Damit werden die einzulagernden Artikel in den Abmessungen limitiert und schränken die Flexibilität in Bezug auf das Warenspektrum ein. Hier zeigt sich das ursprüngliche System von Kiva Systems aus Boston in Bezug auf die Heterogenität der zu handelnden Waren deutlich flexibler. Nachdem Amazon das Unternehmen Kiva im Jahr 2015 übernommen hatte, als Amazon Robotics für die eigenen Logistikzentren weiterentwickelte und für Drittkunden am Markt nicht mehr anbot, haben diverse andere Intralogistik-Anbieter ähnliche Systeme konstruiert. Gestartet hatte Grenzebach mit dem "G-Com", Swisslog mit "CarryPick", gefolgt von Eiratech, Geek+, Scallog und mittlerweile zahlreichen weiteren Anbietern. Bei diesen Lösungen werden komplette Regale mittels kleiner AGV zum Arbeitsplatz gefahren, die zu kommissionierenden Artikel entnommen und das Regal wieder in den Lagerbereich zurückgefahren. Der wesentliche Vorteil liegt in der Flexibilität der Regale: Nur die Grundfläche des Regals, das Chassis, ist standardisiert, die Regaleinteilung dagegen völlig flexibel. Von klassischen Lagernormkartons und Wannen können auch Einzelartikel unterschiedlicher Abmessungen eingelagert werden. Die Regalgestaltung ist durch problemlos veränderbare Fachbodenhöhen frei wählbar. Beim kompletten Entfernen der Fachböden lassen sich auch größere Warenstücke, etwa vertikal gelagerte Teppiche und Fernseher, einlagern. Die AGV navigieren meist über auf den Boden geklebte QR-Codes und benötigen nur eine geringe Hallenhöhe (in der Regel bis zu drei Meter). Damit lassen sich die klassischen alten Logistikimmobilien mit mehreren Geschossen automatisieren. Ein wesentlicher Vorteil ist, dass der Lagerbereich der einzelnen Regale (dieser beträgt in der Regel etwa 90 Prozent Gesamtfläche) nicht beleuchtet und beheizt werden muss. Lediglich die geringe Fläche der Arbeitsplätze, zu denen die Regale mit den AGV verbracht werden, benötigen entsprechende Vo-raussetzungen gemäß den Arbeitsstättenverordnungen. Ein wesentlicher Nachteil liegt jedoch darin, dass eine akzeptable Wirtschaftlichkeit nur gegeben ist, wenn bei einer Regalandienung nicht nur ein, sondern möglichst viele Artikel aus diesem Regal gepickt werden, um mit möglichst wenig angedienten Regalen die erforderlichen Picks vornehmen zu können und die Anzahl der AGV damit gering zu halten. Die Wirtschaftlichkeit dieser Systeme ist somit geprägt von einer intelligenten Auftragseinlastung und Warenverteilung auf die diversen Regale sowie einem dynamischen Flottenmanager zur jeweils optimalen Steuerung der AGV. Optimierung von Greenfield und Automatisierung im Brownfield Die Marktentwicklung fordert immer neue Logistikzentren (Greenfield-Projekte) oder aber die Optimierung bestehender Logistiklager (Brownfield). Erforderliche logistische Räumlichkeiten sind häufig verfügbar. Vor allem in Neubauten, insbesondere in den meist zehn bis zwölf Meter hohen Standard-Logistikimmobilien, werden diese jedoch oft nicht optimal ausgenutzt. Platz ist zwar noch genügend verfügbar. Allerdings nicht horizontal in der Ebene, sondern vertikal in die Höhe. Hier bieten Regaleinbauten noch einige Meter Platz bis zur Hallendecke, um beispielsweise eine Bühne zu tragen. Über manuellen Arbeitsbereichen erstrecken sich häufig noch viele Kubikmeter leeren ungenutzten Raums bis zur Hallendecke. Das ist toter Raum, der hohes Potenzial bietet, wenn er logistisch mit entsprechenden Einbauten oder automatisierten Lösungen adäquat genutzt wird. Bessere Lagerausnutzung durch Movu eScala Im Sinne der optimalen Raumausnutzung entwickelt sich der Trend zu Systemen mit deutlich kompakterer Lagerung. Eine wesentliche Entwicklung war hier vor einigen Jahren das automatische Kompaktlagersystem "Autostore". Eine weitere Entwicklung eines Wannenlagers mit hoher Dichte ist das "Movu eScala". Diese Lagerlösung über zahlreiche Ebenen kommt ohne Vertikallifte oder Förderer aus. Das einzige bewegliche Element ist ein Shuttle, das ähnlich einem Parkhaus auf Rampen in die unterschiedlichen Ebenen gelangt. Entgegen dem Autostore ermöglicht dieses System den Einzelzugriff auf jede Wanne, ohne ein Umstapeln vornehmen zu müssen. Das System überzeugt durch eine schnelle Realisierung mit nur 15 Komponenten sowie modularem, skalierbarem Ausbau im laufenden Betrieb. Das Laden der Shuttles erfolgt während des Betriebs, was die Anzahl der erforderlichen Fahrzeuge reduziert: Charging on-the-fly. KI-gesteuerte Verdichtung in manuellen Kommissionierlagern Auch in manuellen Kommissionier-Lagern ist den einzelnen Lagerfächern zwar eine Artikelnummer oder ein Artikel zugeordnet. Die einzelnen eingelagerten Lagernormkartons entleeren sich aber zunehmend. Damit ist ein solches Kommissionierlager tendenziell nur zu 50 Prozent gefüllt. Mit entsprechenden Systemen, Strategien und oft KI-basierten Lagersteuerungs-Systemen werden durch kontinuierliche Verdichtungsprozesse Flächen vakant. Diese stehen dann für weiteren Nachschub oder aber auch für Sortimentsausweitungen zur Verfügung. Mit einer solchen Herangehensweise einer kompakteren Lagerung ist also Mengenwachstum auf gleicher und bestehender Fläche möglich. Gleichzeitig verbessert sich die Energiebilanz sowohl für die Förder- als auch die Heizsysteme: ein weiterer Schritt in Richtung Kostensenkung und Dekarbonisierung. Temporäre automatische Lager Es ist vereinzelt notwendig, etwa bei signifikantem Wachstum oder auf Wunsch des Kunden, der ein standortnahes Lager wünscht, eine bestehende logistische Abwicklung an einen anderen Standort zu verlagern. Während automatisierte Lager (zum Beispiel Shuttle-Lager und Hochregallager) bei einem Umzug keine räumliche Verlagerung erlauben, ermöglichen andere Automatisierungslösungen, etwa CarryPick und Scallog, einen relativ problemlosen und kosteneffizienten Umzug in ein Gebäude an einem räumlich anderen Standort. In solchen Fällen ergeben sich für Logistikleiter die logistischen Anforderungen eines temporären, kleinteiligeren Kommissionierlagers. Mit der "Dynamic Fulfillment Engine" von Revolution Logistics gibt es eine innovative Lösung. Sie wird als mobile, vollständig automatisierte Fulfillment-Einheit temporär am gewünschten Standort errichtet. Bei Bedarf werden diese Einheiten völlig autonom ohne jegliche Verbindung zu einem Gebäude binnen einer Woche errichtet, ausgestattet mit einem standardisierten Plug-and-play-Interface an gängige IT-Lösungen, und sind skalierbar erweiterbar. Da solche Konzepte oft nur eine kurzfristige Alternative sind und als temporäres Lager dienen, sind diese auch auf Mietbasis gestaltbar. Unvorhersehbare Ereignisse Darüber hinaus stehen Logistikverantwortliche zunehmend vor existenzbedrohenden Situationen, zum Beispiel im Falle eines Brandes in der Intralogistik. Hier helfen klassische Sprinkleranlagen. Das Löschwasser kann allerdings nicht nur die brennende Ware, sondern auch Artikel im breiten Umfeld des Feuers vernichten, im Extremfall sogar den gesamten Warenbestand eines Unternehmens. Auch die weitreichende Rauchentwicklung birgt Risiken - für die eigenen Mitarbeiter, aber auch die Feuerwehr. Die neuartige Lösung mit dem "Smotherframe" begrenzt das Feuer auf den tatsächlich brennenden Umfang, verhindert eine Ausbreitung, reduziert signifikant die Rauchverbreitung und lässt sich modular installieren. Es werden also nur die Waren beschädigt, die tatsächlich brennen. Fazit: Die Unsicherheiten, bedingt durch multiple Krisen und nicht prognostizierbare Entwicklungen in kurzen Zeitintervallen, erfordern eine deutlich flexiblere logistische Abwicklung in den Unternehmen. Gleichzeitig steigt in den Logistikzentren der Automatisierungsdruck: zum einen durch den Kostendruck und den Arbeitskräftemangel, zum anderen durch die optimale Ausnutzung des verfügbaren Raums. Die Gebäude und Systeme müssen allerdings so ausgelegt werden, dass sie im Rahmen der Dekarbonisierung die Auflagen der Umweltgesetze erfüllen sowie eine hohe Energieeffizienz erreichen - unter Beachtung der Energiekosten. Die gute Nachricht ist: Allein durch die Optimierung der Prozesse in den Logistiklagern lassen sich die Flexibilität und Raumausnutzung steigern. Erste deutliche Kosteneinsparungen sind auch ohne große Investitionen möglich. Das haben verschiedene Projekte gezeigt. Sprich: Mit einem Relaunch der Abwicklungsprozesse lassen sich erste Lösungsansätze erzielen und der zeitliche Druck wird damit aus dem Projekt genommen. Die vorgesehene automatisierte Abwicklung kann dann detailliert erarbeitet, simuliert und mit allen Projektbeteiligten verabschiedet werden. Das Risiko etwaiger Unwägbarkeiten wird also deutlich minimiert. Autor Bernd Kratz Bernd Kratz, Inhaber der Unternehmensberatung EMA GmbH - Executive Management Advisors Bernd Kratz ist studierter Diplom-Wirtschaftsingenieur (Hochschule Bremerhaven) und hat den Master's Degree Logistics/Transport der Cardiff University. Seine berufliche Karriere startete er bei BMW. Danach war er Bereichsleiter Logistik bei Yves Rocher und im Versandhaus Wenz. Danach war Kratz unter anderem lange Jahre Vorstand von Conrad Electronics. 2012 gründete er das Institut des Interaktiven Handels (IDIH) sowie die Unternehmensberatung EMA GmbH - Executive Management Advisors in Fichtelberg. Heute ist er Gesellschafter des IDIH und Inhaber der EMA GmbH.

L.I.T. gründet die L.I.T. Compact Courier

Habeck will EU-Klimastrafen für Autobauer verhindern

Frachtflugzeug im DHL-Auftrag stürzt in Litauen ab

Betriebsbedingte Kündigungen: Worauf Arbeitgeber achten sollten

Spanischer Logistiker Marcotran stockt auf: 30 Intermodale Fahrzeuge von Schmitz Cargobull

Alle Schlagzeilen

Flexibel, autonom, vernetzt: Die Intralogistik der Zukunft

HASHTAG

#Lieferketten

Diese Schlüsselrollen übernimmt KI in der Logistik

Status quo Lieferkettengesetz: 206 Beschwerden eingegangen

Mars führt CO2-Transparenzplattform für seine Logistikprozesse ein

MEISTGELESEN

Änderung durch EU-Mobilitätspaket: Mitführungspflicht verdoppelt sich

A7 wird zeitweise gesperrt

BALM: Ergebnisse der bundesweiten Schwerpunktkontrollen

STELLENANGEBOTE

Head of Logistics (w/m/d) mit fundierter Erfahrung im internationalen Versand

Teamleiter Lager im Handelslager/ Brennschneidbetrieb (w/m/d)

Leiter Versandlogistik (m/w/d)

Leiter (w/m/d) Logistik Teilbereich Warenausgang

Bereichsleiter (m/w/d) Vertrieb

WEITERLESEN

NEWSLETTER