London/Ulm. Experten rechnen nach dem Brexit mittelfristig mit deutlich weniger Exporten aus Großbritannien in die EU. „Der Brexit führt zu neuen Handelshürden zwischen Großbritannien und der EU, was zu einem geringeren Handelsvolumen und damit zu Einkommensverlusten durch höhere Preise und weniger effizienter Produktion führen wird“, schreibt Thomas Sampson von der London School of Economics in dem „Beyond Brexit“-Bericht, den die Denkfabrik „UK in a Changing Europe“ am Dienstag in London veröffentlichte. „Der Brexit wird das Vereinigte Königreich voraussichtlich langfristig ärmer machen, als wenn es EU-Mitglied geblieben wäre“, so Sampson.
Zehn Jahre nach dem Brexit wird es einer Prognose der Denkfabrik zufolge trotz des mit der EU geschlossenen Handelspakts voraussichtlich mehr als ein Drittel weniger britische Exporte in EU-Länder geben. Immerhin dürften die erwarteten Exporte zu diesem Zeitpunkt aber mehr als zehn Prozent über dem Volumen liegen, das für einen Brexit ohne Handelspakt mit der EU – einen sogenannte No-Deal-Brexit – errechnet worden war.
Insgesamt erwarten die Experten zehn Jahre nach dem Brexit rund 13 Prozent weniger Handelsvolumen zwischen Großbritannien und der EU als zuvor – allerdings vier Prozent mehr als im No-Deal-Szenario.
Solche Prognosen seien allerdings mit Vorbehalt zu betrachten, da vieles noch unklar sei. Die Zeit müsse etwa zeigen, welche Branchen besonders hart vom Brexit getroffen sein werden, wie sich der EU-Austritt auf die Produktivität im Land auswirken werde und wie die Erholung und der Wiederaufbau der Wirtschaft nach der Corona-Pandemie verlaufe.
Im Jahr 2019, also kurz vor dem Brexit, gingen 43 Prozent der britischen Exporte in die EU, während 51 Prozent der Importe nach Großbritannien ebenfalls aus der EU stammten. Der in letzter Minute geschlossene Handelspakt zwischen London und Brüssel ermöglicht beiden Seiten zwar den zollfreien Zugang zu den gegenseitigen Märkten, bringt aber dennoch Handelshürden mit sich – etwa aufwendige Kontrollen an den Grenzen und andere Formalitäten.
Aktuelle Entwicklungen: Rückgang bei Transportkapazitäten
Insbesondere der Korridor zwischen Frankreich und Großbritannien verzeichnet derzeit als Folge des Brexit einen großen Verlust an Transportkapazitäten bei gleichzeitig steigenden Preisen. Das zeigen aktuelle Zahlen, die die Frachtvermittlungsplattform Transporeon in Zusammenarbeit mit Tim Consult im Transport Market Monitor (TMM) bündelt. Der TMM beobachtet Entwicklungen der Preise und Kapazitäten bei europäischen Straßentransporten.
Die Straßentransportkapazität fiel demnach im Dezember 2020 auf ein Zweijahrestief von 58,5 Indexpunkten. Das entspricht Transporeon und Tim Consult zufolge einem deutlichen Rückgang von 39,4 Prozent gegenüber dem Vormonat. Die Spotmarktpreise zwischen Frankreich und Großbritannien zogen im selben Zeitraum stark (plus 34,8 Prozent) auf ein Zweijahreshoch von 154,3 Indexpunkten an. Im Jahresvergleich zum Dezember 2019 lag die Transportkapazität um 22,1 Prozent niedriger, während sich die Preise mehr als verdoppelten (plus 51 Prozent).
Eine ähnliche Entwicklung lasse sich bei den Transportpreisen und -kapazitäten zwischen Deutschland und Großbritannien beobachten. Dort nahm die Straßentransportkapazität im Monatsvergleich von November auf Dezember 2020 um 29,7 Prozent ab. Sie liegt nun bei einem Zweijahrestief von 85,3 Indexpunkten. Gleichzeitig stiegen die Transportpreise stark (plus 41,2 Prozent) und erreichen ein Zweijahreshoch von 153,9 Punkten.
(dpa/ja)