Luxemburg. Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat in einem Grundsatzurteil die Rechte der Bürger im Kampf gegen dreckige Luft in den Städten gestärkt. Schadstoff-Messstationen müssten so aufgestellt werden, dass ihnen keine Grenzwert-Überschreitungen entgingen, urteilten die obersten Richter am Mittwoch in Luxemburg (Rechtssache C-723/17). Jede Messstation zähle zudem, schon einzelne Grenzwertüberschreitungen verstießen gegen EU-Recht. In Zweifelsfällen könnten auch einzelne Bürger vor Gericht ziehen.
Für Diesel-Fahrer sind das schlechte Nachrichten, bei den Debatten in Deutschland dürfte das Urteil aber für Klarheit sorgen. In dem konkreten Fall hatten Einwohner der belgischen Hauptstadt Brüssel und eine Umweltorganisation belgische Behörden verklagt. Sie pochten unter anderem auf die Einrichtung der nötigen Messstationen. Das belgische Gericht bat den EuGH um Auslegung der geltenden EU-Regelungen.
Schadstoff-Messstationen müssen besser aufgestellt werden
Die Platzierung von Messstellen und die Spielräume bei der Einhaltung von Grenzwerten waren in der Debatte über Diesel-Fahrverbote auch in Deutschland immer wieder strittig. Vor allem aus den Reihen von CSU und FDP gab es Zweifel an der Platzierung der Apparate und der Aussagekraft der Messwerte. Verkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) kritisierte etwa, die Stationen an Busbahnhöfen oder verkehrsreichen Kreuzungen aufzustellen.
Die Luxemburger Richter bestätigten nun allerdings die bisherige Praxis in Deutschland, die Bundesumweltministerin Svenja Schulze (SPD) zuletzt immer wieder verteidigt hatte. Im Fokus stehen in Deutschland die Städte, bei denen die höchsten Stickoxid-Werte gemessen werden – auch wenn es nur eine Station an einer besonders verkehrsreichen Ecke ist. Das Umweltministerium hat den TÜV alle Stickstoffdioxid-Messstellen überprüfen lassen, die Ergebnisse sollen demnächst vorgestellt werden. 2018 wurde dem Umweltbundesamt zufolge in 57 Städten gegen den EU-Grenzwert für Stickstoffdioxid verstoßen. Betroffen waren etwa Stuttgart, Darmstadt und München.
Die Luxemburger Richter befanden nun weiter, dass schon überhöhte Werte von Feinstaub, Stickstoffdioxid oder anderen in der EU-Richtlinie über Luftqualität und saubere Luft für Europa genannte Schadstoffe an einzelnen Messstationen als Verstoß gälten. Denn dort drohten Gesundheitsschäden. Durchschnittswerte für ein größeres Gebiet oder einen Ballungsraum hätten wenig Aussagekraft.
Die EU-Regeln sähen zudem vor, dass Messstationen so einzurichten seien, dass sie Informationen über die am stärksten belasteten Orte lieferten, erklärten die Richter weiter. Die Standorte müssten so gewählt werden, dass die Gefahr unbemerkter Überschreitungen von Grenzwerten minimiert werde. Die Auslegung der geltenden Regeln durch den EuGH gilt nun für alle EU-Staaten.
Unterschiedliche Meinungen zu dem Urteil
Bundesverkehrsminister Scheuer sagte, an den Diesel-Fahrverboten in Deutschland ändere sich damit nichts. In Deutschland werde nach seiner „gesicherten Erkenntnis sehr streng gemessen“. Man müsse das Urteil genau auswerten, aber er sehe „keinen direkten Handlungsbedarf“.
Die EU-Kommission, die mit Deutschland wegen der Einhaltung von Luftschadstoffgrenzen über Kreuz liegt, begrüßte die Auslegung der betreffenden EU-Vorgaben durch den EuGH. „Wir denken, dass die Interpretation hilfreich sein wird, um die Luftqualität in den Mitgliedstaaten weiter zu verbessern“, sagte ein Sprecher.
Ähnlich äußerte sich Bundesumweltministerin Schulze zu dem Urteil. „Es unterstützt alle, die sich für bessere Luft in den Städten und für den Gesundheitsschutz einsetzen“, teilte sie über den Kurznachrichtendienst Twitter mit. Das Ministerium erläuterte, die bisherige Umsetzung der EU-Vorgaben in Deutschland werde damit bestätigt. Dazu gehöre auch, dass Messstationen in den Bereichen aufzustellen seien, in denen die höchste Schadstoffkonzentration zu erwarten sei.
Der Geschäftsführer der Deutschen Umwelthilfe, Jürgen Resch, sagte, die Hoffnung der Bundesregierung und einiger Länder, Standorte von Messstationen in Frage zu stellen, sei endgültig gescheitert. Städte und Länder müssten nun für die Einhaltung der Grenzwerte handeln und könnten nicht länger durch „absurde Mittelwertbildungen“ die Belastung der städtischen Atemluft schönrechnen. (dpa/ja)