Brüssel. EU-Verkehrskommissarin Violeta Bulc und ihre für Beschäftigung zuständige Kollegin, Marianne Thyssen, hatten vergangenen Donnerstag die Lobbyisten der europäischen Verkehrswirtschaft eingeladen, um sich ihre Sorgen anzuhören. Sie diskutierten zum Thema „Eine soziale Agenda für den Transport“. Der Verkehr bleibe eine wichtige Voraussetzung für den wirtschaftlichen Austausch im Binnenmarkt und damit für Wachstum und Beschäftigung, sagte die Verkehrskommissarin zum Auftakt der Veranstaltung. Aber die Juncker-Kommission sei entschlossen sicher zu stellen, „dass Sozialdumping keinen Platz in der EU hat“.
Der grüne Vorsitzende des Verkehrsausschusses, Michael Cramer, machte deutlich, dass sie sich dabei auf das Parlament verlassen kann: „Quer durch alle Fraktionen wird die soziale Dimension des Verkehrs als eines der dringenden Themen betrachtet.“ Natürlich wolle man Grenzen überwinden. „Aber doch die Staatsgrenzen und nicht die des Rechtes und der Menschenwürde.“
Damit ist das Feld für die verkehrspolitische Auseinandersetzung der nächsten Jahre umrissen. Es geht darum, die nationalen Verkehrsmärkte, die in den letzten Jahren (für die Anbieter aus Osteuropa) schrittweise liberalisiert wurden, offen zu halten, ohne die sozialen Standards der Mitgliedsstaaten (im Westen) zu untergraben. „Wir müssen verhindern, dass der europäische Verkehrsmarkt wieder in seine nationalen Elemente zerfällt“, sagt der Generaldelegierte der IRU, Michael Nielsen.
Diese Gefahr wird dadurch heraufbeschworen, dass die bestehenden europäischen Vorschriften in den Mitgliedsstaaten völlig unterschiedlich, vielfach auch gar nicht angewendet werden. Weder die Sozialvorschriften, klagt Roberto Parillo von der europäischen Transportarbeiter-Gewerkschaft ETF, noch die Regeln für die Kabotage würden systematisch kontrolliert. In Belgien etwa würden die Kabotagevorschriften nur zehn Mal im Jahr überprüft, obwohl alleine der Hafen von Antwerpen täglich von 6000 ausländischen Lkw angefahren werde.
Das elektronische Register europäischer Transportfirmen, mit dem die Mitgliedsstaaten Daten über Verstöße gegen die Regeln austauschen könnten, werde praktisch nicht benutzt, sagt Parillo. Obwohl es schon 2011 eingerichtet wurde, seien erst 20 Mitgliedsstaaten an das Register angeschlossen. Das Kontrolldefizit werde von einer wachsenden Zahl von Briefkastenfirmen ausgenutzt, um in Westeuropa lukrative Transporte durchzuführen - mit schlecht bezahlten Fahrern, die unter erbärmlichen Bedingungen schuften müssten. „Das ist moderne Sklaverei“, empört sich der Gewerkschafter. Auf den Straßen würden die Beschäftigungsverhältnisse immer prekärer, pflichtet ihm Cramer bei. (tw)