Straßburg. Der politische Prozess für verbesserte Arbeitsbedingungen in Europa zieht sich weiter hin. Nachdem die Abstimmung des ersten EU-Mobilitätspakets im Europaparlament (EP) am Mittwoch auf die Plenarsitzung am 3. und 4. April verschoben worden ist, liegen auch bei den EU-Politikern die Nerven blank. Die Fronten zwischen Westeuropäern und Osteuropäern scheinen verhärtet. Und die Parteien weisen sich gegenseitig die Schuld zu: „Das neue Gesetzespaket will dem unseligen Nomadendasein der Lkw -Fahrer ein Ende setzen. Alle Unternehmen, die entgegen der gesetzlichen Grauzonen in diesem Sektor seriöse Arbeit leisten, warten auf diese Gesetzgebung. Wir können sie nicht länger hinhalten“, betonte Ismail Ertug, verkehrspolitischer Sprecher der Sozialdemokraten im Europaparlament.
Er sprach am Mittwoch von allerlei prozeduralen Kniffen von osteuropäischen Abgeordneten, um eine Abstimmung in dieser Legislaturperiode zu verhindern und das erste EU-Mobilitätspaket zu unterminieren. Zu allen drei im EU-Mobilitätspaket enthaltenen Themendossiers lagen in der kurz vor der Abstimmung rund 1200 Änderungsanträge vor. „Ich bedauere, dass Parlamentspräsident Antonio Tajani diesen billigen Tricks nachgegeben hat.“ Ertug will die wahltaktischen Spielchen nicht mitmachen. „Wir werden bis zum Schluss dafür kämpfen, die chaotischen und unsozialen Zustände auf Europas Straßen zu beenden.“ Der S&D-Abgeordnete meint, dass nach langen und schwierigen Verhandlungen ein guter Kompromiss gefunden sei, den die Mehrheit der Staaten mittragen würde.
Grüne kritisieren die Lex specialis zur Entsendung
Die Grünen/EFA-Fraktion im Europaparlament ist mit den ausgehandelten Vorschlägen allerdings noch nicht zufrieden. Aus ihrer Sicht sind die geplanten Änderungen bei der Kabotage sowie den Lenk- und Ruhezeiten zwar akzeptabel, bei der Entsendungen im Straßentransportsektor aber nicht. „Statt faire Bedingungen für alle entsandten Arbeitnehmer zu schaffen, soll mit der sogenannten Lex specialis eine Ausnahme des Straßentransportsektors von der Revision der EU-Entsenderichtlinie beschlossen werden“, sagte die grüne Europaabgeordnete Terry Reintke. Lkw-Fahrer wären damit im Vergleich zu anderen entsandten Arbeitskräften deutlich schlechter gestellt.
Die Verhandlungsführerin der Grünen/EFA-Fraktion für die Entsenderichtlinie im Ausschuss für Beschäftigung und soziale Angelegenheiten, sagte am Mittwoch: „Der Präsident des Europäischen Parlaments hat mal wieder mangelhafte Führungskompetenz gezeigt. Erst nach massivem Druck der Grünen/EFA-Fraktion hat er eine absehbar chaotische Abstimmung verschoben.“ Sie sprach von einer schlechten Planung der Abstimmung im Europaparlament. Die Grünen/EFA-Fraktion trägt den im Verkehrsausschuss erzielten Kompromiss, wonach der Mindestlohn des Landes, in dem sich Fahrer aufhalten, nur unter bestimmten Umständen und bei gewissen Transporten gelten soll, nicht mit. „Der Grundsatz gleiches Recht und gleicher Lohn für gleiche Arbeit muss für alle gelten“, forderte Reintke.
Osteuropäer fürchten um ihre Stimmen bei Europawahl
Umstritten ist auch, wie die Kabotage-Vorschriften überarbeitet werden. Die Verkehrsminister der EU-Mitgliedstaaten hatten sich im Dezember nach zähen Verhandlungen auf eine gemeinsame Linie geeinigt. Demnach sollen die Fahrer ihre regelmäßige Wochenruhezeit von 45 Stunden nicht im Lkw verbringen dürfen. Mindestens alle vier Wochen sollen sie nach Hause fahren – dafür müsste der Arbeitgeber sorgen. „Eine Regelung zur Heimkehrpflicht wollen Abgeordnete aus Ungarn, Polen, Bulgarien, Rumänien und den baltischen Ländern verhindern, weil sie um die Wettbewerbsfähigkeit ihrer Logistikunternehmen und um die Stimmen bei der Europawahl im Mai fürchten“, erklärte Ertug.
Damit neue Regeln in Kraft treten können, müsste das EU-Parlament sich noch vor dem Ende dieser Legislaturperiode auf eine Linie einigen und dann einen Kompromiss mit den EU-Verkehrsministern finden. Weil die Zeit knapp wird, sprach Ertug jetzt von einer verlorenen Woche. Bis zum neuen Abstimmungstermin im Plenum werde der Verkehrsausschuss des Europaparlaments inhaltlich nichts mehr ändern, sondern lediglich über die Zulässigkeit der bereits eingereichten Änderungsanträge abstimmen. Hierfür ist jeweils die Zustimmung von einem Drittel der Ausschussmitglieder nötig. Falls sich zu den drei Dossiers aus dem ersten EU-Mobilitätspaket nächste Woche im Plenum keine Mehrheit findet, wäre die Reform wohl vorerst vom Tisch und bliebe als Baustelle für die nächste EU-Kommission, die nach den Europawahlen eingesetzt wird. Ertug ist dennoch optimistisch, dass es rechtzeitig klappt. (dpa/ag)