Hannover/Brüssel. Grotesk, unfassbar und ein fatales politisches Signal - so lauteten prompt die vorhersehbaren Reaktionen in Niedersachsen auf den neuen Vorstoß der EU-Kommission gegen das VW-Gesetz.
Deutschland habe seine Hausaufgaben gemacht und schon 2008 das Gesetz nach den Vorgaben des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) angepasst, argumentieren Politik und VW-Betriebsrat. Doch der EU-Kommission reicht das nicht. Sie hält die Sonderstellung des Landes Niedersachsen inklusive eines faktischen Vetorechts für überholt: "Volkswagen wurde 1960 privatisiert - nach so vielen Jahren braucht man keine Sonderrechte des Staates mehr", sagt ein EU-Diplomat. Als Angriff auf ein erfolgreiches Unternehmen, Europas größten Autobauer, sehen die deutschen Kritiker die erneute EU-Klage.
Schließlich sei Volkswagen auch wegen seiner stabilen Aktionärsstruktur recht unbeschadet durch die Wirtschaftskrise gekommen und konnte erst kürzlich bei Investoren viel Geld für eine Kapitalerhöhung einsammeln. Die Brüsseler EU-Behörde betont daher, es gehe ja keineswegs um die Abschaffung des gesamten Gesetzes, sondern nur um einen Passus.
Man bemüht sich, jeden Eindruck zu vermeiden, Brüssel wolle VW von der Erfolgsspur abbringen. "Was wir verlangen, wird keineswegs den Geschäftserfolg von VW in Frage stellen", betont die Sprecherin von EU-Binnenmarktkommissar Michel Barnier. "Ganz im Gegenteil." Die jetzige Sonderstellung des Landes mit Sperrminorität schrecke potenzielle Investoren ab und verhindere Innovationen, Wachstum und neue Jobs. "Das schadet Deutschland", schreibt die EU-Kommission in einem Hintergrundpapier.
Die Wolfsburger sehen das ganz anders: Das Engagement von Katar zeige, dass sich Investoren durch das VW-Gesetz keineswegs abhalten ließen, lautet ihr Argument. Das Land ist beim größten niedersächsischen Arbeitgeber mit gut 20 Prozent zweitgrößter Anteilseigner nach der Porsche Holding SE mit knapp 51 Prozent. Das Emirat Katar hält 17 Prozent. Damit ist Volkswagen bei den Aktionären ohnehin in festen Händen.
Was würde sich also künftig in Wolfsburg ändern?
Gar nicht so viel, meinen EU-Diplomaten. Der Konzern hat - sozusagen als doppelten Boden - zwei Bestimmungen aus dem VW-Gesetz in seine Satzung übernommen: Die 20-Prozent-Sperrminorität sowie die Regel, dass der Aufsichtsrat den Bau oder die Schließung von Werken nur mit Zwei-Drittel-Mehrheit beschließen kann - und damit nur mit Zustimmung der Arbeitnehmerseite. In Wolfsburg ist man überzeugt, dass diese Regelungen, die von der Hauptversammlung mit über 90 Prozent beschlossen wurden, in jedem Fall greifen, auch wenn dies unter Juristen umstritten ist. Die EU-Kommission betont, dass ihr Vorstoß sich nicht gegen die Arbeitnehmer-Mitbestimmung richtet.
Aus Wolfsburger Sicht ist das VW-Gesetz ein Erfolg: Immerhin verhinderte die 20-Prozent-Sperrminorität, dass Porsche VW übernehmen konnte. Die Stuttgarter hatten sich darauf verlassen, dass das Gesetz nach dem Angriff der EU auf die Sonderregelung fallen würde und sie durch einen Beherrschungsvertrag mit 75 Prozent Anteil an die VW-Kasse kommen könnten. Doch das Gesetz wurde nach dem EuGH-Urteil novelliert und nicht abgeschafft, die Sperrminorität blieb erhalten und der hoch verschuldete Sportwagenbauer wird nun von VW übernommen.
Nachdem sich seinerzeit auch Bundeskanzlerin Angela Merkel für die Sonderregelung stark gemacht hatte, gab die EU-Kommission vor der Bundestagswahl 2009 auf und legte das Projekt auf Eis. Bleibt die Frage, warum es ausgerechnet jetzt - mitten in der Euro-Schuldenkrise - wieder hervorgeholt wird. In Brüssel ist die Reaktion darauf gereizt: Drei Jahre lang habe man sich um eine gütliche Einigung bemüht - ohne Entgegenkommen zu sehen, verlautet aus der EU-Kommission.
"Wir können keine Ausnahme für Deutschland machen, wenn wir ähnliche Fälle von 'Goldenen Aktien' in anderen Ländern verfolgen", heißt es in einem EU-Hintergrundpapier. "Das wäre einfach nicht fair." In den vergangenen Jahren hat die EU-Kommission vor Gericht erreicht, dass Sonderrechte in ehemaligen Staatsunternehmen wie bei Telecom in Portugal oder dem Mineralölkonzern Aquitaine in Frankreich verschwanden. "Deutschland ist da keine Ausnahme", betont man in Brüssel. Innerhalb der EU-Kommission hatte der deutsche Energiekommissar Günther Oettinger für die deutsche Sicht geworben, doch letztlich musste er sich der Mehrheit beugen. (dpa)