Erst das Gesetz, dann die Bewertung

Auch nach dem jüngsten Besuch der EU-Verkehrskommissarin Violeta Bulc in Berlin ist nicht ganz klar, ob die Kommission die deutschen Mautpläne stoppen will oder am Ende passieren lässt. Eine endgültige Bewertung sei erst möglich, wenn das deutsche Mautgesetz im Bundesgesetzblatt stehe, sagte die Kommissarin in der vergangenen Woche vor dem Verkehrsausschuss des Bundestages. Tatsächlich spielt Violeta Bulc auf Zeit. Sie hofft, dass Bundestag und Bundesrat dem Gesetzentwurf der Regierung die aus Sicht der EU faulen Zähne ziehen: die Verrechnung der Maut mit der deutschen Kraftfahrzeugsteuer und die im Vergleich zur Jahresvignette unverhältnismäßig teure Vignette für Gelegenheitsfahrer, die überwiegend von Ausländern genutzt würde. In Brüssel sucht man jetzt nach Wegen, um den Konflikt nicht weiter eskalieren zu lassen, ohne die kritisierten Punkte zu akzeptieren. Zuständigkeit der EU-Kommission unklar Eine Lösung könnte darin liegen, einen europäischen Rahmen zu entwickeln, in dem die Deutschen ihre Maut verwirklichen können. In einem Zeitungsinterview hat die Verkehrskommissarin angedeutet, wie diese Lösung aussehen könnte: Es sei sinnvoll, "die Erhebung von Straßenbenutzungsgebühren für alle EU-Länder einheitlich zu regeln." Da trifft es sich gut, dass eine Überarbeitung der EU-Richtlinie zur Erhebung von Straßenbenutzungsgebühren für Lkw ohnehin geplant ist. Bei dieser Gelegenheit könnte man auch für Pkw europäische Standards setzen. Das größte Problem dabei ist die Zuständigkeit der EU. Für die Lkw-Maut kann sich die Kommission auf die Regeln des Binnenmarktes berufen. Niemand bezweifelt, dass Brüssel für gleiche Wettbewerbsbedingungen der Transportunternehmen sorgen muss. Pkw werden dagegen überwiegend von Privaten benutzt, wo der Wettbewerb keine Rolle spielt. In der Kommission wird nun unter anderem darüber nachgedacht, eine Pkw-Maut im Zuge der Einführung des digitalen Binnenmarktes zu regeln, der in die Zuständigkeit des deutschen Kommissars Günter Oettinger fällt. Dem deutschen Europa-Abgeordneten Markus Pieper schwebt eine einheitliche Technik für die Pkw-Maut vor: "Eine europaweite Pkw-Maut wäre gerade für Autobahnen denkbar. Dazu könnte es zunächst gestaffelte EU-Vignetten für Autobahnen geben. Mittelfristig müsste in Anlehnung an das Lkw-System eine europäische Technik eingeführt werden", sagt der CDU-Mann. Die Frage der Technik Auch der Kommission schwebt eine technische Plattform vor, die die Mitgliedstaaten für eigene Mautsysteme nutzen könnten. Sie müsste bestimmten Anforderungen genügen. Neue Mautstellen dürften im Namen der EU jedenfalls nicht errichtet werden, sagt ein Mitarbeiter der Verkehrskommissarin. Und die Höhe der Maut müsse nach dem Verursacherprinzip festgelegt werden. Wer mehr fährt, müsse auch mehr bezahlen, und für teure Streckenabschnitte wie Tunnel oder Brücken in den Alpen könnten die Mitgliedstaaten höhere Gebühren erheben als für die gleiche Strecke in Mecklenburg-Vorpommern. Damit könnten die Deutschen an der jetzt angedachten Vignettenlösung zumindest auf die Dauer nicht festhalten. Kommentar Überzeugungsarbeit gefragt Mit der Pkw-Maut hat sich die Bundesregierung in eine Sackgasse manövriert. Das ist kein Wunder, denn mit dem Anspruch, die deutschen Autofahrer zu schonen und die Ausländer nicht zu benachteiligen, versucht Alexander Dobrindt (CSU) die Quadratur des Kreises. Sie ist bekanntlich unmöglich. Er kann der EU-Kommission dankbar sein, dass sie ihm einen Ausweg aus der verfahrenen Lage weist: Die deutschen Mautpläne könnten in einer europäischen Regelung aufgehen. Dafür müssten die Bayern allerdings etwas Geduld aufbringen, denn die EU-Kommission muss davon auch die Mehrheit der anderen EU-Staaten überzeugen. twTom Weingärtner VR-Korrespondent

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