Ernst gemeinter Angriff

Nach gut 1000 Jahren fallen die Wikinger wieder ein. Diesmal aber auf friedliche Art. Denn nach Scania bemüht sich auch Volvo verstärkt um das Geschäft im deutschsprachigen Bausegment, das bislang eine Domäne der heimischen Hersteller war. Tatsächlich sieht man mittlerweile auch in einstigen MAN- oder Mercedes-"Bau-Bastionen" immer mehr Volvo FMX laufen, die aufgrund ihrer martialischen schwarzen Frontmaske immer noch für Aufmerksamkeit sorgen. Hinter der kräftigen Baustellenoptik steckt ein entschlossener Wikinger: Die einst zittrige Lenkung wich einer straffen exakten Steuerung, die jetzt zu den besten am Markt gehört. Auch grobe Unebenheiten bringen sie jetzt nicht mehr aus der Ruhe, Rückstellmoment und Exaktheit sind sehr gut austariert. Die Option "Dynamic Steering" ist damit selbst beim 8x4 verzichtbar. Ebenso auf höchstem Niveau befindet sich die aktuelle I-Shift-Abstimmung. Die automatisierte Schaltung verlässt sich voll auf das Drehmoment des D13 und stuft unter Last notfalls sehr zügig zurück. Selbst die fiesen Testberge erklomm der 32-Tonner in Stufe neun, wo andere in der letzten Sekunde noch in acht oder gar sieben zurückspringen, sodass man gut daran tut, die aufkommende Hektik manuell zu unterbinden. I-Shift erleichtert den Kipper-Alltag Folglich konnte die Runde so schaltarm und eingriffslos wie selten zuvor gefahren werden. Was angesichts des umständlich zu bedienenden Mittelschaltknüppels auch von Vorteil ist. Vorsicht ist nur in Gefällen geboten: Wer dem FMX hier nicht mit Bremseingriff signalisiert, dass er verzögern möchte, kann eine Hochschaltung ernten und das Auto "rennt" davon, was vor allem im Gelände ärgerlich ist. Diese "Macke" behält Volvo so konsequent bei wie den Schaltknüppel. Beibehalten haben die Göteborger auch den fummeligen Taster für die Sperren samt Schubsicherung, ohne die man diese nicht aktivieren kann. Einen "Eingrabeversuch" auf zu weichem Boden parierte der Schwede gekonnt. Automatik auf Power stellen, alle Sperren einlegen und Gas geben, dank Rückrollmodus erleichtert der FMX das Herausschaukeln. Einziges Problem: Wer etwas weiter zurücksetzt, um mehr Schwung zu holen, muss wieder den unhandlichen Schaltprügel bemühen, um zwischen Vorund Rückwärtsgang zu wechseln. Das funktioniert zwar, doch geschmeidig ist etwas anders. Dafür kann man schon während der Voroder Rückwärtsfahrt die jeweils andere Fahrtrichtung vorwählen, sofern man nicht schneller als sieben km/h ist. Dann bremst der Schwede ab und wechselt im Getriebe die Fahrtrichtung. Die mehrstufige Motorbremse koppelt man per nach oben gestellten Lenkstockhebel mit dem Bremspedal. Dann holt der Volvo von sich aus erst die Auspuffklappe und danach die Kipphebelbremse VEB+ dazu. Darunter sitzt die Neutralstellung, wiederum darunter stellt man die Bremsstufen ein. Ein Druck auf den seitlichen Knopf steuert, ähnlich wie bei MAN, eine Herabschaltung samt voller Motorbremsleistung ein. Ähnlich angenehm lassen sich Tempound Bremsomat über die linken Lenkradtasten aktivieren, zumal die ganzen neu gestalteten Taster und Schalter sich auch gut greifen lassen. Das Lenkrad lässt sich per Pedal justieren. Rohbaubedingt bietet es nicht ganz den optimalen Verstellbereich eines Scania und die schräge Scheibe kostet gefühlt etwas Luft. Ein Vorteil der mittlerweile gut abgehangenen Kabine ist, dass sie auch bei den neuen FMX-Modellen immer noch vergleichsweise niedrig auf dem Rahmen sitzt. Doch großen Fahrern kann sie in der kurzen Ausführung schon etwas kneifen. Und wie bisher gibt es nur kleine Stauklappen und -fächer hinter den Türen. Sehr angenehm: Die Ölkontrolle und das Nachfüllen des Schmierstoffes können manuell unter der vorderen Wartungsklappe erledigt werden, die Kabine selbst lässt sich leicht kippen. Ein Klappern in der Fensterführung rührte von einer herkunftslosen Schraube her - ein kleines Malheur bei einem seit 21 Jahren gefertigten Rohbau, der ansonsten knisterfrei verarbeitet war und schicken wie soliden Baustandard bietet. Verbrauchsseitig zeigte sich das auf gut 32 Tonnen ausgeladene und eher mäßig eingerollte Vorserienauto auf Klassenniveau. Für den bequemeren Einstieg sollte man sich die optionalen Zusatzstufen gönnen, die der Vorführer nicht hatte. Dafür hat Volvo aufgeräumt im Unterbau: Ölwanne, Getriebe, Kühler und Bremszylinder - alles wurde so weit wie möglich nach oben gelegt und mit Blechen geschützt. Sollte der FMX einmal absacken und rückwärts aus der Grube gebracht werden müssen, kann sich der Kühler deshalb nirgends "aufhängen". 40 Tonnen per Finger dirigieren Nach dem 8x4 ging ein 6x4 mit Tandemachsanhänger auf die Testrunde. Er kam in den Genuss der Lenkkraftunterstützung Dynamic-Steering, die sich tatsächlich mit einem Finger drehen lässt. Vor allem beladen in schwerem Gelände schätzt man das völlig hydropulsfreie Agieren der Lenkkraftunterstützung. Auf dem Onroad-Teil der Testrunde tendiert die Lenkung allerdings etwas ins Synthetische. Hier wäre sie auch verzichtbar, zumal Volvo beim FMX alle Lenkungen schlag- und zitterfrei hinbekommen hat. Auch mit 40 Tonnen Gesamtgewicht meistert der FMX die Runde souverän, erfordert aber naturgemäß etwas mehr manuelle Eingriffe als mit 32 Tonnen. Auch hier blieb der Verbrauch aber im Rahmen dessen, was andere Züge benötigen. Am Ende muss man Volvo attestieren, dass der neue FMX gegenüber dem Vorgänger einen erfahrbar größeren Schritt machte, als man auf den ersten Blick meinen möchte. Die Sorgen vor dem Wikingerangriff sind deshalb nicht ganz unberechtigt. Alle Tests und Fahrberichte seit dem Jahr 2008 für Premium-Abonnenten unter www.verkehrsrundschau.de/testdatenbank Technische Daten 8X4 MotorD 13, 6-Zyl.-Reihenmotor, 4 Ventile/Zyl., Pumpe Düse, EEV, AGR, SCR + Partikelfilter, Hubraum: 12.800 cm3 , Leistung: 460 PS (338 kW) bei 1400 bis 1900/min., maximales Dreh moment: 2300 Nm bei 1000 bis 1400/min.KraftübertragungAutomatisiertes Zwölfgang-Schaltgetriebe I-Shift AT2612D, Übersetzung i= 3,61Fahrwerk & Bremsen1.+2. Achse: 8-t-Starrachsen in gerader Ausführung, 3-Blatt-Parabelfeder, Stabi an erster Achse, 3.+ 4. Achse: 10,5-Tonnen-AP-Achsen, Parabelfeder, Stabi an 2. AchseMaße & GewichteLxBxH: 8415x2550x3200 mm, Radstand: 4350 mm, zul. GG: 32.000 kg, Leergewicht (inkl. 80-kg-Fahrer, Meiller D 421 m. Bordmatic): 13.520 kg, Tanks: 330 l Diesel, 32 l Adblue