Eine Plattform für alle Beteiligten

Ein Politiker weiß, wie er sich in der Öffentlichkeit präsentieren muss, um Wirkung zu erzielen. Und er weiß auch, dass Bilder meist mehr sagen als tausend Worte. So blieben von Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) auf dem 35. Deutschen Logistik-Kongress der Bundesvereinigung Logistik (BVL) in Berlin nicht die ersten Worte seiner Eröffnungsrede in Erinnerung, in der er sagte, dass "Streit in einer Regierungskoalition nicht zur Gewohnheit werden darf". Haften blieb, wie der Minister auf die Bühne ging, als erstes sein Jacket auszog, es auf dem Rednertisch ablegte und dann während seiner Rede die Knöpfe seiner Ärmel öffnete und diese hochkrempelte. "Packen wir's an, packen Sie es an", sollte dieses Bild vermitteln. Altmaier sagte den Zuhörern aber auch, wo er Handlungsbedarf sieht. Ihm sei aufgefallen, dass es nur noch zwei Bereiche gäbe, die noch nicht durch eine weltweite Plattform beherrscht werden: Gesundheit und der Verkehr. "Es wird am Ende eine einzige Plattform geben für alle Formen der Mobilität", prognostizierte er und schloss damit den Personen- und Güterverkehr ein. "Wenn wir uns nicht beeilen, ist auch diese Plattform in China und USA - und damit auch die Wertschöpfung", lautete der Appell des Bundeswirtschaftsministers an die Logistiker, aktiv zu werden und an der Entstehung einer solchen Plattform zu arbeiten. Er selbst wolle sich dazu zwei, drei kluge Leute in sein Haus holen, die dafür ein Konzept entwickeln sollen. Bundesstrategie künstliche Intelligenz Deutschland sieht er zwar auf einem guten Weg in die Digitalisierung. "Aber der ist noch nicht gut genug, dass wir sicher sein können, am Endes des Weges vorne mit dabei zu sein." In der künstlichen Intelligenz (KI) sieht der Bundesminister einen wegweisenden Trend. Und die KI werde alle Bereiche der wirtschaftlichen Tätigkeit durchdringen. "Es kann uns daher nicht gleichgültig sein, wie dieses Rennen ausgeht. Das ist eine industriepolitische Herausforderung, von der ich möchte, dass wir sie gewinnen." Deshalb wolle die Bundesregierung im November eine "Strategie künstliche Intelligenz" verabschieden und stelle Gelder bereit, um KI-Projekte umzusetzen. "Diese KI-Initiative kommt genau zum richtigen Zeitpunkt," meinte Professor Frank Straube, Leiter Fachgebiet Logistik der Technischen Universität Berlin, der das Thema KI aktuell untersucht hat. Erste Erkenntnisse aus seiner Studie "Digitale Transformation der Logistik" stellte er nun auf dem Kongress vor (siehe Interview rechts). Kernausssage ist: "Mit den Plattformen und KI streben neue Spieler in die Speditions- und Logistikbranche, mit denen sich die traditionellen Dienstleister Wertschöpfung teilen müssen." Die Gefahr sei, warnte er, dass die Dienstleister durch solche Lösungen in der Netzwerk-Steuerung und in der Kunden-Schnittstelle bedroht und in Teilen sogar ersetzt werden. Den eigenen Datenschatz nutzen Positiv an diesen Neuerungen ist aber : Der Logistikbedarf weltweit wächst enorm. Außerdem entstehen durch die neuen intelligenten Möglichkeiten neue Kundenservices, die sich mit KI viel günstiger produzieren lassen, weil sie sich besser vorhersagen lassen, macht Straube den Unternehmen Mut. Auch Störungen ließen ich mit KI leichter ermitteln oder auch Verspätungen besser vorhersagen. Und: "Das sind alles neue Geschäftsfelder, für die Auftraggeber Geld bezahlen, weil sie ihnen echten Mehrwert bieten", sagt der Logistikexperte. Um diese Möglichkeiten zu erschließen, sollten Unternehmen in Deutschland und Europa aber nicht die Geschäftsmodelle der "Digital Natives" wie Amazon und Uber blindlings kopieren. "Einen eigenen Weg zu gehen, ist immer besser, als einen Weg zu kopieren, weil die Kopie nie so gut sein kann wie das Original", betonte Professor Boris Otto, geschäftsführender Institutsleiter des Fraunhofer-Instituts für Software- und Systemtechnik in Dortmund. Sie sollten vielmehr zu den Stärken ihres Unternehmens stehen und diese mit den neuen Möglichkeiten der Digitalisierung verbinden. "Denn wer physische Produkte produziert, wer eigene Assets hat und den gesamten Prozess vom Anfang bis hin zum Endkunden kennt, verfügt über einen Datenschatz, über den die digital Natives eben nicht verfügen." Gleichzeitig forderte Otto ein Umdenken - einen Paradigmenwechsel: Die Denke, das ist mein Datentopf und das ist deiner, hilft künftig nicht mehr. Denn keiner verfügt über alle Daten", führte er aus. "Um bestimmte Dinge etwa in der Logistik, in der Supply-Chain anders und besser organisieren zu können, müssen sich die Firmen zusammentun." EDI, der elektronische Austausch von Daten, wird zwar laut .. Otto weiter bestehen. "Es reicht aber nicht mehr, dass wir Daten über EDI austauschen. Wir müssen die Daten nun auch gemeinsam nutzen - in einem gemeinsamen Interesse." Neue Geschäftschancen durch Daten Gleichzeitig müsse sichergestellt werden, dass der jeweilige Daten-Eigentümer, also derjenige, der Daten erzeugt, die Kontrolle darüber behalten kann, was mit seinen Daten geschieht, die er den anderen bereitstellt - Stichwort "Datensouveränität". Sprich: Den Daten muss eine Art Vertrag mitgegeben werden, der regelt, wer welche Daten, wie lange, gegen welches Entgelt nutzen darf, wer sie möglicherweise weitergeben oder gar löschen darf. Und wenn das gelingt, sagt Otto, "sind Daten künftig kein Kostenfaktor mehr, sondern ein Wettbewerbsfaktor". Der Deutsche Logistik-Kongress zeigte: Die Digitalisierung ist in der Logistikwirtschaft angekommen. Oder um es mit den Worten von Thorsten Winkelmann, Geschäftsführer Healthcare bei Arvato SCM Solutions, zu formulieren: "Die Digitalisierung hat zunehmend Einfluss auf die physischen Netze und beginnt zu wirken - sei es bei der Netzwerkplanung oder beim Set-up von Netzwerken, ja auch in der Art und Weise, wie wir untereinander, aber auch mit unseren Kunden zusammenarbeiten", stellt der Arvato-Manager fest. Vor allem die Automatisierung bekommt dadurch aktuell einen deutlichen Schub, weil die Automatisierung dank der Datenübertragungssysteme im Lager (WLAN) heute sehr viel flexibler geworden ist, stellt Winkelmann fest. Konkrete Beispiele, an denen er diese neue Flexibilität festmacht, sind etwa die fahrerlosen Transportsysteme, Shuttlesysteme, das Ware-Mann-Prinzip oder auch die Steuerung über Datenbrillen in Lagern. Ganz klare Vorteile bringt Unternehmen auch die Nutzung vorhandener Logistik- und Absatzdaten (predictive Analytics) etwa im Bereich Schichten- und Personalplanung in den Lagern. "Das geht deshalb jetzt massiv los - sowohl in großen Logistikunternehmen, aber wohl auch im Mittelstand", beobachtet der Arvato-Manager. Massives Verbesserungspotenzial sowohl für den inner- als auch zwischenbetrieblichen Fluss der Logistikdaten könnte aber auch laut Winkelmann die intelligente Palette bergen, die soeben auf dem deutschen Logistik-Kongress vom Fraunhofer IML, Telekom und EPAL vorgestellt wurde. Selbst den Fahrermangel könnte die Digitalisierung möglicherweise eindämmen helfen. Gelinge zum Beispiel eine bessere Kooperation von Verladern und Dienstleistern, könnte diese Engpässe reduzieren. Dabei kann die Digitalisierung ein wichtiger Stellhebel sein. Darin waren sich Unternehmensvertreter der Verlader- und Dienstleister-Seite auf einer Podiumsdiskussion in Berlin einig: Allerdings müssten dafür zunächst einmal die Prozesse und deren Einflussfaktoren genau angesehen und optimiert werden, getreu dem Ausspruch: Ein schlechter Prozess wird durch die Digitalisierung nur zu einem schlechten, digitalisierten Prozess. Hubertus Kobernuss, geschäftsführender Gesellschafter der Spedition Kobernuss, plädiert dafür, alle Möglichkeiten zu nutzen, die den Fahrermangel mildern können, einschließlich der Digitalisierung. Hier gebe es noch gravierende Mängel in der Transportbranche, vor allem bei den kleineren Betrieben. "Es gibt noch Unternehmen, für die ist der PC die Digitalisierung schlechthin", räumte Kobernuss ein. Schöne neue Arbeitswelt Gleichwohl warnte Matthias Braun davor, die momentane Euphorie um die Digitalisierung zu überschätzen. Es gebe dazu derzeit fast jeden Tag neue Vorschläge, so der Leiter Digitalisierung und Konzeptentwicklung in der VW Konzernlogistik. "Digitalisierung ist kein Selbstzweck, sondern muss einen Mehrwert bieten", lautete sein Plädoyer. Bei VW arbeitet man mit einer Plattform zwischen Lieferant und Transportdienstleister, um so die Avisierungsprozesse zu digitalisieren. Das sei dann die Ausgangsbasis, um mit Track & Tracing fortzufahren, effizienter zu arbeiten und so auch Fahrerkapazitäten besser zu nutzen. "Wir müssen zunächst also mal die grundlegenden Prozesse digitalisieren, um dann später andere Technologien wie KI oder Blockchain einzusetzen", empfahl Braun ein schrittweises Abarbeiten. Vor allem müssen die Mitarbeiter für den digitalen Wandel gerüstet werden - nicht nur über Weiterbildung, sondern auch über neue Inhalte in den Ausbildungsberufen. Darauf verwies Simon Grupe, Referatsleiter kaufmännische und Dienstleistungsberufe beim deutscher Industrie- und Handelskammertag (DIHK) in der Sequenz "Schöne neue Arbeitswelt". Denn von Mitarbeitern seien künftig andere Fähigkeiten gefordert. Dazu gehören laut Grupe etwa individuelles Erzeugen, Teilen und Anwenden von Wissen sowie Kooperations- und Problemlösungsfähigkeit. Aber auch die Fähigkeit zur Selbstreflexion und Softskills seien stärker gefragt als bislang. Bei Hardwarethemen gehe es um den Umgang mit IT und Geräten. Neben einem breiten IT-Verständnis sei Verständnis für betriebliche Abläufe, Zusammenhänge und Wertschöpfungsketten entscheidend. Alles das zeigt: "Die Digitalisierung ist in der Logistik angekommen. Auch in der Umsetzung", so das Resümee von Robert Blackburn, Vorstandsvorsitzender der BVL. "Aber wir glauben alle, dass wir hier noch ganz am Anfang stehen." Vielleicht auch deshalb war für ihn der Auftritt von Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier sein "ganz persönliches Highlight", verriet er. Symbolisiert dieser doch ganz klar: Packen wir die Digitalisierung an. Mehr zum Thema im Dossier Trends & Innovationen www.verkehrsrundschau.de/dossiers Deutscher Logistik-Preis 2018 Preisträger Komsa: mehr Flexibilität und niedrigere KostenFür sein Projekt "Reload" erhielt der Telekommunikations-Distributor Komsa, die Kommunikation Sachsen AG, den "Deutschen Logistik-Preis 2018" der Bundesvereinigung Logistik (BVL). Mit dem Partner LogistikPlan aus Dresden realisierte das Unternehmen am Hauptsitz im sächsischen Hartmannsdorf ein dreigeschossiges "Haus der Dienstleistungen". In den Erweiterungsbau flossen 30 Millionen Euro. In dem Komplex werden seit 2017 alle Lagerungs- und Versandprozesse gebündelt, die zuvor auf fünf Orte in Hartmannsdorf verteilt waren. Bis zu 800 Mitarbeiter arbeiten hier. Das 21 Meter hohe Regallager bietet Platz für rund 14.500 Paletten. Eine integrierte Digitallogistik verknüpft Warenwirtschaft, Lagerlogistik sowie Transport- und Auftragssteuerung. In weniger als drei Minuten sind bestellte Artikel versandfertig. Reparaturaufträge werden taggleich bearbeitet, mehr als die Hälfte der Aufträge in weniger als einer Stunde. Expressaufträge werden bis in die späten Abendstunden abgewickelt. Binnen kurzer Zeit lässt sich die Versandleistung sogar mehr als verdoppeln. Pro Auftrag sparte Komsa bei Kommissionierung und Lagerhaltung Kosten im zweistelligen Prozentbereich. Gleichzeitig senkte man die Durchlaufzeit für mehr als 50 Prozent der Aufträge von 3,5 auf weniger als eine Stunde. In Summe steigerte der Großhändler seine Versandleistung von durchschnittlich 10.000 auf rund 25.000 Paketsendungen am Tag. "Durch dieses Logistikprojekt haben wir unseren Automatisierungsgrad der Lagerprozesse in etwa verdreifacht, von 20 auf 60 Prozent", erklärte Komsa-Unternehmenssprecherin Andrea Fiedler."Wir sehen Digitalisierung und die damit verbundene Automatisierung von Prozessen aber nicht als Trend oder Selbstzweck, sondern als Werkzeug, um Arbeiten, Abläufe und Prozesse effizienter zu machen." akw Urbane Logistik "Die Lösungen sind nicht eins zu eins adaptierbar"Wie sich Lieferverkehre in der Stadt künftig effizienter abwickeln lassen, diskutierten Fachleute in der Sequenz "Urbane Logistik" auf dem 35. deutschen Logistik-Kongress. Laut der dort vorgestellten Studie "Urbane Logistik 2030" der Unternehmensberatung Roland Berger werden im Jahr 2030 schon 79 Prozent der Deutschen in Städten leben. Und bereits heute erwarten 50 bis 60 Prozent der "Millenials", so wird die Generation der derzeit 20- bis 40-Jährigen genannt, eine Same-Day-Zustellung ihrer Bestellungen aus dem Netz, erklärte Tobias Schönberg, Senior Partner der Unternehmensberatung.Um die Verkehrsinfrastruktur in den Städten an diesen Wandel anzupassen, seien Kooperationen zwischen Kommunen und KEP-Dienstleistern, wie zum Beispiel im Projekt "SMILE- Smart Last Mile Logistics" der Logistik-Initiative Hamburg, nötig. Eine Blaupause dafür gebe es aber nicht, betonte Christian Jacobi, geschäftsführender Gesellschafter der Unternehmensberatung Agiplan. "Die Städte können voneinander lernen, aber die Lösungen sind nicht eins zu eins adaptierbar", mahnte der BVL-Vorstand.Eine Verlagerung von Lieferverkehren in die Tagesrandzeiten beziehungsweise in die Nacht stellte Professor Uwe Clausen, Institutsleiter am Fraunhofer-Institut für Materialfluss und Logistik (IML) zur Diskussion. Und von sehr guten Erfahrungen mit Lastenfahrrädern berichtete Frank Sportolari, Präsident von UPS Deutschland. Diese kämen in einem Projekt in München sowohl bei Absendern als auch bei Empfängern sowie den Mitarbeitern gut an. Eine Kooperation zwischen mehreren Dienstleistern lehnte Sportolari aber weitgehend ab: Zu unterschiedlich seien Produkte, Systeme und Datenströme der Wettbewerber.Als weitere Option für die städtische Logistik brachte Kuno Neumeier, Geschäftsführer des Logistikimmobilienmaklers Logivest, die Nutzung von Parkhäusern auf den Tisch. So gebe es in München aktuell zwei Projekte, bei denen das Untergeschoss jeweils als Umschlagzone diene. akw

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