"Eine kleine Revolution"

Alles wird schneller, vernetzter, disruptiver: Die "Digitalisierung" brennt vielen unter den Fingernägeln. Doch wirkliche handfeste Lösungen setzen bislang nur sehr wenige Player in der Transport- und Logistikbranche um. Umso interessanter ist, wie sich die Rhenus-Gruppe für die Digitalisierung rüstet. Anstatt nur auf die Innovationskraft von Start-ups oder auf externe Berater zu setzen, nutzt der Speditions- und Logistikdienstleister eines: das Innovations-Knowhow der eigenen Mitarbeiter. Und dass dieses Wissen jedes Unternehmen - egal ob groß oder klein - erfolgreich voranbringt, zeigt das Projekt namens "Rhevo". Im vergangenen Jahr wurde es von der Rhenus Freight Logistics in über 28 Ländern umgesetzt. "Die Digitalisierung haben wir bereits vor Jahren vorangetrieben. Entlang unserer Digitalisierungslandkarte bauen wir schrittweise die komplette Anwendungslandschaft um. Die digitale Vernetzung, die Verbesserung unserer Abläufe und Transparenz stehen dabei im Vordergrund", sagt Petra Finke, Global CIO der Rhenus Freight Logistics (siehe Kasten Seite 20). "Und mit Rhevo wollten wir jetzt einen Schritt weitergehen und innovative digitale oder gar disruptive Produkte und Geschäftsmodelle entwickeln. Wie der Name schon sagt: eine kleine Revolution anzünden." Rückendeckung für die Mitarbeiter Die Idee für das Rhevo-Projekt war damit geboren. Mit Henning Wagner wurde hausintern ein Koordinator gefunden und das Management schnell überzeugt. "Wir wollten unseren Mitarbeitern mit Rhevo die Freiheit bieten, Ideen und Lösungen einmal völlig neu zu denken und auf ihre Umsetzbarkeit zu prüfen - losgelöst von ihrem Tagesgeschäft", erzählt Wagner, der auf ein kleines, bewegliches Team mit einem festen Mitarbeiter, einem Trainee und vielen Helfern setzte. "Wichtig für unseren Erfolg war aber, dass das Top-Management hinter Rhevo stand - allen voran Rhenus-Vorstand Air & Ocean Tobias Bartz und CIO Petra Finke", betont er. Keiner der Rhevo-Initiatoren hätte allerdings mit so viel Zuspruch gerechnet, wie er auf die Macher des Projekts einstürmte: Letztlich reichten 260 Mitarbeiter in 28 Ländern über 170 innovative Ideen ein. 36 davon qualifizierten sich sogar für den finalen Pitch, wo die Mitarbeiter eine prominent besetzte Expertenjury aus dem Rhenus-Vorstand und dem Air & Ocean Management überzeugen mussten. Zunächst aber musste für Rhevo getrommelt werden: Mitarbeiter, Vorgesetzte - jeder im Unternehmen sollte die neue Initiative kennenlernen. "Wir mussten dafür alle Register ziehen", schmunzelt Wagner, der die Guerilla-Marketing-Kampagne nicht nur konzipiert, sondern auch unternehmensweit koordiniert hatte, unterstützt von jeweils einem Ansprechpartner an jedem Rhenus-Standort. Management hatte die Qual der Wahl Zum Auftakt des Projekts statteten die Ansprechpartner vor Ort jede Niederlassung mit Rhevo-Utensilien aus und dokumentierten dies mit Fotos, die sie dann auf Instagram, Twitter und über einen extra Internet-Videokanal unternehmensweit verbreiteten. "Wir wollten unsere Mitarbeiter in erster Instanz neugierig machen und haben uns bewusst nebulös gehalten", erzählt Wagner. Ziel sei es gewesen, die Mitarbeiter auf das Webportal von Rhevo zu locken, auf dem zunächst wenig zu sehen war: Nur ein Zähler lief dort, der die Tage bis zum Rhevo-Countdown zählte, und eine Kurz-Video-Botschaft von Tobias Bartz mit dem Satz: "Jede Revolution beginnt mit einer Idee." Erst als die Resonanz der Mitarbeiter da war, lud das Rhevo-Team das Bewerbungsformular im Webportal hoch, über das jeder Ideen einreichen konnte. "Diese Kampagne hat bei unseren Mitarbeitern für Unruhe, aber für sehr viel Aufmerksamkeit gesorgt - was ja beabsichtigt war", lacht Finke. "Denn jeder sollte wissen, wie wichtig das Thema Digitalisierung für uns ist." Außerdem habe das Rhevo-Projektteam mit der Informations-Kampagne den Mitarbeitern vor allem eines gezeigt: Wir unterstützen euch. Ihr habt Rückendeckung. "Die Mitarbeiter sollten ja ihre Ideen auch in einem bestimmten zeitlichen Rahmen neben der Arbeitszeit umsetzen können", erklärt sie. Am Ende hatte Rhenus jedenfalls so viele Bewerbungen, dass nicht alle Ideen berücksichtigt werden konnten: Ob als Film, Präsentation oder Text - alles war dabei. "Wir hatten die Qual der Wahl", berichtet Finke, die gemeinsam mit Bartz aus insgesamt 170 Bewerbungen auswählte. Ausschlaggebend für sie waren aber nicht nur die einzelnen Ideen, sondern auch die Qualität der Bewerbung, die Motivation der Kandidaten und natürlich auch die internationale Komponente. 60 Ideen schafften es in diese zweite Runde zum zweitägigen Kick-off-Meeting in Essen und in Bangkok/Thailand, auf dem die Kandidaten neben der Rhevo-Kickbox (siehe Kasten Seite 19) diverse Schulungen erhielten, die ihnen zeigten, wie sie ihre Ideen nachbessern konnten, welche nächsten Schritte für sie anstanden. Zusätzlich erhielten sie Zugang zum Internetportal, auf dem Inhalte rund um das Innovationsmanagement hinterlegt waren. "Über dieses Portal konnte sich jeder Mitarbeiter jederzeit Unterstützung holen", betont Finke. Zusätzlich stellte Rhenus den Bewerbern Mentoren zur Seite, die sie in der dreimonatigen Projektphase coachten. Teilweise waren dies externe Start-up-Gründer, teilweise erfahrene Rhenus-Mitarbeiter. Das Besondere: Jeder Kandidat erhielt auf dem Kick-off-Meeting eine Kreditkarte mit 500 Euro Startguthaben, über die er für sein Projekt frei verfügen konnte - völlig Hierarchie-unabhängig. "Wir haben bewusst nicht kontrolliert, was der einzelne Mitarbeiter mit seinem Geld gemacht hat. Ob er sich mit Kunden zum Kaffee verabredet hat, um mit diesen seine Idee zu entwickeln. Oder ob er sich für die 500 Euro eine Homepage gebaut hat - die Entscheidung lag allein beim Mitarbeiter. Wir haben bewusst die Mitarbeiter unternehmerisch handeln lassen", führt Wagner aus. Höhepunkt war das große Ideen-Finale Absoluter Höhepunkt für alle war aber ganz klar der "Shark Tank", der große Pitch, auf dem 43 ausgewählte Bewerber ihre insgesamt 20 Ideen in jeweils sieben Minuten präsentieren durften. Das Spektakel fand in der Unternehmenszentrale von Rhenus in Holzwickede statt. "Das kann man sich so vorstellen wie in der TV-Sendung ,Die Höhle der Löwen', sagt Finke und lacht. "Es war eine große Show. Unsere Teilnehmer waren ja zwei Tage lang dafür geschult worden, wie sie ihre Idee, ihr Geschäftsmodell vor der Jury präsentieren konnten." Das war für jeden ein Erlebnis, der live dabei war: für die Mitarbeiter, aber auch für Vorstand und Rhenus-Aufsichtsrat und natürlich für das Publikum - weltweit zugeschaltet über das Rhenus-Webportal, auf dem der Pitch übertragen wurde. Der Clou: Rhenus lobte auch einen Publikumspreis aus, über den alle Mitarbeiter des Unternehmens online live abstimmen durften. "Besonders gefallen hat uns eine spanischdeutsche Lösung aus dem Bereich 'Predictive Analytics', die helfen soll, die Bedürfnisse und das Verhalten der Kunden besser vorherzusagen", erzählt Jury-Mitglied Finke. "Und interessanterweise gefiel diese Lösung auch unseren Mitarbeitern am besten, obwohl sie sehr technisch war." Zwei Mitarbeiter hatten dafür Sendungsdaten und Kundendaten aus dem Rhenus-eigenen CRM- und TMS-System analysiert und auf dieser Basis ein intelligentes Prognosetool entwickelt, wie sich das Geschäft einzelner Kunden aus Rhenus-Sicht entwickelt. "Gefallen hat uns hier, dass sich die Mitarbeiter, die aus der Softwareentwicklung kommen, mit unseren Vertriebsmitarbeitern eng abgestimmt und individuelle Apps entwickelt haben, um die Prognosen in der täglichen Vertriebsarbeit zu nutzen", sagt Finke. "Das ist auf jeden Fall eine Idee, die wir weiterverfolgen werden", verrät sie. Kreativ zeigten sich die Mitarbeiter in puncto Plattformen. So kamen gleich drei Bewerberteams mit einer Plattformidee in die enge Auswahl. Das Rennen machte eine asiatische Plattformidee zur Vermarktung freier Truck-Kapazitäten, durch die Versender und Transportunternehmer enger miteinander verzahnt werden. Auch im Bereich Vermarktung und Angebot von Logistikleistungen habe es etliche Ideen gegeben. Unter anderem habe sich hier, erzählt Finke, ein russisches Team mit dem Prototyp einer "Instant Quotation"-Plattformlösung durchgesetzt, die Kunden quasi per Mausklick Angebot und Preise nennt. Flache Hierarchien, Hilfe von allen Doch was hat die Mitarbeiter überhaupt dazu motiviert, an dem Projekt teilzunehmen? "Ich hatte die Idee schon vor Rhevo. Aber vielleicht hätte ich sie sonst nicht umgesetzt", erzählt Ana Gutierrez aus dem Air & Ocean Network Team. "Ich fand es toll, dass es in unserem Unternehmen so etwas gibt." Dies habe sie ermutigt, ihre Idee weiter zu verfolgen. Was ihr besonders an Rhevo gefallen hat? "Wir wurden jederzeit bei Fragen unterstützt." Außerdem habe sie die flachen Hierarchien geschätzt und dass keiner über ihre Idee den Kopf geschüttelt habe. Als größte Herausforderung habe sie es empfunden, ihre Idee so zu konzipieren und zu entwickeln, dass sie nicht nur für die Landesorganisation Deutschland passte, sondern Rhenus-unternehmensweit ausgerollt werden konnte. "Das war teilweise knifflig", meint Gutierrez. "Wir haben viel Zeit und Unterstützung von Rhenus erhalten. Das hat uns sehr geholfen", meint auch Wings Luo. "So konnten wir ein Problem lösen, etwas völlig Neues entwickeln." Ohne Rhevo wäre das Ganze für sie riskanter gewesen, sie hätte dann auch wohl nicht die Zeit dafür gehabt. Luo war Einzelkämpferin: "Anfangs war das einfach, weil ich alles selbst schnell entscheiden konnte", erzählt sie. Ab einem gewissen Punkt, als das Projekte konkreter wurde, sei es für sie aber schwieriger geworden. "Ich musste mich um alles kümmern, um die prototypische Umsetzung der Idee bis zum Finanzierungs- und Marketingkonzept." Zeitkontingent während der Arbeitszeit Bleibt die Frage, wie die Mitarbeiter das Ganze überhaupt während ihrer Arbeitszeit umsetzen konnten? Jedem Rhevo-Projektteam wurde laut Wagner ein festes Zeitkontingent von acht Stunden in der Woche seitens des Arbeitgebers zur Verfügung gestellt, an dem es seine Idee vorantreiben durfte. "Dazu gab es explizit die Zusage der Vorgesetzten", betont er. Letztlich aber konnte jeder Mitarbeiter sehr flexibel seine Idee weiterverfolgen. Denn die meisten Informationen zu Rhevo seien online verfügbar gewesen und jeder habe selbst entscheiden können, wann er sie nutzen wollte. Lediglich die Teilnahme an wöchentlichen Video-Skype-Sessions sei verbindlich für alle Projekt-Mitarbeiter gewesen. Für Rhenus war Rhevo ein Treffer Und wo lagen aus Sicht von Wagner die größten Herausforderungen von Rhevo? "Die größte Herausforderung für uns alle, die Mitarbeiter und uns Organisatoren, war eindeutig der Zeitfaktor", sagt er. So vergingen vom Rhevo-Startschuss bis zum Kickoff gerade einmal vier Monate. Bis Anfang April lief die Bewerbungsphase. Und dann ging das Ganze rasant schnell: Ende April fanden die zwei Kick-off-Meetings statt und schon drei Monate später folgte der finale Pitch. "Das war ein sehr eng getakteter Zeitplan. Wer aber heute Ideen umsetzen will, muss so schnell sein", räumt der Rhevo-Projektleiter ein. Lessons Learnt für ihn: "So ein Projekt setzt bei allen Beteiligten sehr viel Energie frei. Jeder brennt dafür. Das frisst dann ganz schnell viel Arbeitszeit - bei allen Beteiligten." Trotzdem kann Wagner andere Unternehmen nur ermuntern: "Probieren Sie ein solches Projekt aus! Für Rhenus war Rhevo ein Treffer. Es war unheimlich spannend, den Aufbruch in unserem Unternehmen zu spüren." Und was raten die beiden Mitarbeiterinnen Ana Gutierrez und Wings Luo ihren Kollegen aufgrund ihrer eigenen Erfahrung? Wichtig sei es, das Ganze frühzeitig zu planen, rät Gutierrez. Außerdem sei es im Team einfacher, ein solches Projekt durchzuziehen, weil die Aufgaben besser aufgeteilt werden könnten. Luo hat in dem Projekt vor allem gelernt, wie Ideen zum Leben erweckt werden können: "Das ist eine sehr wichtige Erfahrung für mich gewesen", betont sie. Und wie geht es nach dem großen Pitch jetzt weiter? "Wir behandeln die Preisträger nun wie Start-ups. Wir sind die Investoren, die die Ziele und finanziellen Mittel der nächsten Monate dafür festlegen", beschreibt IT-Chefin Finke die nächsten Schritte. Nur bei der Frage, welche der vorgestellten Ideen und Lösungen sie nun konkret umsetzen werden, halten sich die beiden Rhevo-Initiatoren Finke und Wagner vorerst bedeckt. "Lassen Sie sich überraschen. Im Verlauf des Jahres werden wir da einiges vermelden." Mehr zum Thema im Dossier Trends & Innovationen www.verkehrsrundschau.de/dossiers Experten-Tipp Die Adobe Kickbox: Werkzeugkasten für Innovationen Die Rhevo-Kickbox basiert auf der Innovation Kickbox von Adobe. Die Adobe Kickbox wurde ursprünglich von Adobe für den unternehmenseigenen Bedarf entwickelt, um den Prozess von Innovationen effizienter zu gestalten. Mittlerweile steht dieses Tool über Open Source auch allen anderen Unternehmen kostenfrei zur Verfügung. Die Kickbox ist letztlich ein Zwölf-Wochen-Innovationsprogramm, das Mitarbeiter durchlaufen können.Bestandteile sind unter anderem E-Learning-Tools und diverse Trainings rund um das Thema Innovationsmanagement, ein Mentoren-Netzwerk sowie Best Practices. Vorteil ist: Die Mitarbeiter können mit diesen Tools arbeiten, wann immer sie Zeit dafür haben - ganz individuell auf sie zugeschnitten.Als Basisausstattung sei die Kickbox sehr hilfreich, sagt Henning Wagner, der für das Rhenus-Rhevo-Projekt mit der Adobe Kickbox gearbeitet hat. Zusätzlich empfiehlt er aber, die Box auf die eigenen Unternehmens-Bedürfnisse anzupassen."Wir selbst haben uns von Start-up-Firmen beraten lassen. Das hat uns sehr geholfen."eh

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