Ein Wachstum mit vielen Risiken

"Die Sorgenfalten bei den deutschen Unternehmenslenkern werden immer tiefer." "Im verarbeitenden Gewerbe kennt das Geschäftsklima nur eine Richtung: abwärts." "Die rasante Talfahrt der deutschen Industrie konnte auch im September nicht gestoppt werden." Auch 2019 wächst die Wirtschaft Drei Sätze, alle drei entnommen aus Beschreibungen zu im Spätsommer/ Herbst erfassten, renommierten deutschen Wirtschaftsindizes. Angesichts dieser Aussagen könnte man meinen: Deutschlands Wirtschaft steckt in einer tiefen Krise, und die wird auch die Transportwirtschaft mit in den Abgrund reißen. Doch ist dem tatsächlich so? Bestätigt werden die Pessimisten durch den angekündigten Stellenabbau bei großen Unternehmen wie Thyssenkrupp, Continental und der Commerzbank. Zudem ist von immer mehr deutschen Firmen aus der Industrie zu hören, die Kurzarbeit anordnen. Fakten, die die Schlagzeilen in der Öffentlichkeit beherrschen. Weniger Beachtung finden hingegen beispielsweise Prognosen wie die der fünf führenden deutschen Wirtschaftsinstitute. Die sagten Anfang Oktober für Deutschland ein Wirtschaftswachstum in Höhe von 0,5 Prozent für 2019 und von 1,1 Prozent für 2020 voraus: Eine Krise sieht anders aus (siehe Interview Seite 16). Wobei man nicht ausblenden sollte, dass die Prognosen im Frühjahr noch deutlich besser geklungen haben mit 0,8 Prozent Zuwachs für 2019 und 1,8 Prozent für 2020. Gute Kunde für das Transportgewerbe liefert die neue Kurzfristprognose Sommer 2019, die vergangene Woche erschienen ist. Demnach kann sich der Güterverkehr in Deutschland in diesem Jahr auf einen Zuwachs bei der Verkehrsleistung in Höhe von 1,2 Prozent freuen. Für das kommende Jahr sagen die Autoren der Studie von Intraplan Consult und dem BAG (Bundesamt für Güterverkehr) sogar eine kräftige Beschleunigung voraus: Das Wachstum soll mit 2,5 Prozent doppelt so hoch ausfallen wie 2019. Auch 2021 steht noch eine Zwei vor dem Komma (siehe Grafik unten). Eine Prognose, die so mancher als sehr optimistisch bezeichnen würde. "Wir befinden uns aber nach wie vor nicht in einer Rezession", nennt Ralf Ratzenberger, bei Intraplan für die Prognose verantwortlich, einen ganz wesentlichen Grund, warum die Wachstumsraten doch so hoch ausfallen. Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) wachse zwar nicht mehr so stark, aber ein Wachstum werde nach wie vor erwartet. Dennoch, ein wenig Vorsicht sollte man bei diesen Zahlen walten lassen. Das zeigt auch der Blick sechs Monate zurück. Im Frühjahr hatten Ratzenberger und sein Team für 2019 noch ein Wachstum der Güterverkehrsleistung in Höhe von 2,8 Prozent prognostiziert - eine Zunahme, an der auch die VerkehrsRundschau Zweifel geäußert hatte. Jetzt wird zumindest für 2020 wieder ein sehr hoher und optimistischer Wert angesetzt. Doch hier lautet die Vorgabe für die Autoren der Prognose, das Wachstum des BIP aus der Mittelfristprojektion zugrunde zu legen. Und die geht für 2020 noch von einer Zunahme in Höhe von 1,5 Prozent beim BIP aus. Ob damit die Grundlage für die Kurzfristprognose zu optimistisch ist, dieser Aussage will Ratzenberger nicht zustimmen. Allerdings räumt er ein: "Die Abwärtsrisiken sind sicherlich größer als die Aufwärtsrisiken." Zu diesen Risiken zählt er vor allem Ereignisse wie einen ungeordneten Brexit oder die Verschärfung der Handelskonflikte, die zu einer Eintrübung der Handelsaktivitäten und damit zu einem geringeren Wachstum führen könnten. Wenn jetzt in Summe also die Akteure im Transport- und Logistiksektor 2019 bis 2021 mit einem Wachstum rechnen können, so heißt das nicht, dass alle gleichermaßen profitieren. Ganz im Gegenteil, je nach Verkehrsträger fallen die Vorhersagen unterschiedlich aus. Straße: deutsche Lkw mit einem Minus Im Straßengüterverkehr ist für 2019 mit einer Zunahme der Güterverkehrsleistung von 1,5 Prozent zu rechnen: leicht über dem Wachstum des gesamten Güterverkehrs. Aber der hohe Wert aus dem Vorjahr (+ 3,3 Prozent) wird deutlich verfehlt: Die Akteure müssen sich also mit einem doch deutlich geringeren Plus zufriedengeben. Das gilt im besonderen Maße für die deutschen Transportunternehmen. Denn bei denen ist zwar keine Untergangsstimmung angesagt, aber sie müssen sich 2019 darauf einstellen, dass sie weniger zu tun bekommen als 2018. Um 0,5 Prozent soll die Güterverkehrsleistung 2019 sinken. Dieses Minus beruht ausschließlich auf Transporten im Fernverkehr (-1,2 Prozent), wo die Konkurrenz durch ausländische Anbieter hoch ist. Die werden das Jahr 2019 deutlich besser beenden: Laut der Prognose steigt deren Güterverkehrsleistung um satte 4,2 Prozent. Immerhin, im kommenden Jahr können auch die deutschen Unternehmen von der wieder anziehenden Konjunktur profitieren. Aber nach wie vor gilt: Ausländische Anbieter wachsen spürbar stärker und gewinnen weiter Marktanteile hinzu. Dazu tragen auch Kabotagetransporte bei, die weiterhin zweistellig pro Jahr zunehmen, wenn auch mit abnehmender Tendenz (siehe Grafik Seite 17). Die Dominanz der ausländischen Anbieter, die aufgrund niedrigerer Kosten zu niedrigeren Preisen ihre Leistung anbieten können, führt dazu, dass der Fernverkehr mit deutschen Lkw 2020 und 2021 nur minimal wächst (0,7 beziehungsweise 0,5 Prozent). Im Regionalverkehr (2020 um +1,4 und 2021 um +0,9 Prozent) sowie vor allem im Nahverkehr (+1,9 und +1,5 Prozent) können deutsche Transportunternehmen hingegen stärker zulegen. Bahn: 2019 sinkt die Verkehrsleistung Für den Schienengüterverkehr wird 2019 kein gutes Jahr. Laut der Kurzfristprognose sinkt die Güterverkehrsleistung um 1,1 Prozent. Verantwortlich dafür sind vor allem eine geringere Nachfrage nach Transporten von Metallerzeugnissen sowie Kokerei- und Mineralölerzeugnisse. Zudem gibt es einen Rückverlagerungseffekt: Das aufgrund des Niedrigwassers bei der Binnenschifffahrt 2018 hinzugewonnene Volumen verliert die Bahn 2019 zum Teil wieder. Lichtblick ist der Kombinierte Verkehr (KV) mit einem Plus von 3,1 Prozent bei der Verkehrsleistung. Von der wirtschaftlichen Belebung 2020 profitieren dann auch die Bahnen. Sie können bei der Verkehrsleistung um 2,5 Prozent zulegen. Wachstumstreiber bleibt der KV (+4,6 Prozent). Aber auch die Schwäche bei den Stahltransporten ist im nächsten Jahr überwunden, sodass auch aus diesem Sektor positive Impulse zu vermelden sind. Binnenschifffahrt: Aufholjagd 2018 war für die Binnenschifffahrt ein ganz schlechtestes Jahr. Wegen anhaltenden Niedrigwassers verlor dieser Verkehrsträger bei der Güterverkehrsleistung 15,5 Prozent. Deshalb war klar: 2019 wird wieder deutlich mehr auf den Wasserstraßen befördert. Aber: Laut der Prognose konnten die Verluste nicht wieder gutgemacht werden. Die Regel, dass es schwierig ist, einmal verlorene Ware wieder zurückzuholen, die gilt auch für die Binnenschifffahrt. 7,7 Prozent soll die Verkehrsleistung in diesem Jahr steigen. Trotz dieser kräftigen Zunahme würden die Binnenschiffer damit um fünf Milliarden Tonnenkilometer unter dem Wert aus dem Jahr 2017 mit 55,5 Milliarden Tonnenkilometer liegen. Dieser Verlust scheint auch nicht wieder aufzuholen zu sein. 2020 gibt es laut Prognose einen Zuwachs bei der Güterverkehrsleistung von 0,6 Prozent, ein Jahr später muss sich die Branche sogar auf einen Verlust in Höhe von 0,1 Prozent einrichten. Damit verliert die Binnenschifffahrt weiter an Bedeutung. Betrug der Anteil im Modal Split 2017 noch acht Prozent, sind es laut Prognose 2021 nur noch 6,8 Prozent. Ein wesentlicher Grund dafür ist der geringe Bedarf am Transport von Massengütern, der rückläufig ist und bei dem die Binnenschifffahrt einen Großteil übernimmt. Angesichts der Entwicklung im Jahr 2018/2019 ist es womöglich verwunderlich, dass der Lkw weiterhin im Modal Split leicht gewinnt, während die Bahn konstant bleibt und das Binnenschiff verliert. Dabei sind verschiedene Maßnahmen getroffen worden, die gerade die Wettbewerbsfähigkeit der Schiene verbessern sollten: die Erhöhung der Lkw-Maut und deren Ausweitung auf allen Bundesstraßen sowie die Halbierung der Trassenpreise im Schienengüterverkehr. Doch die Maßnahmen konnten keine sichtbare Änderung im Modal Split herbeiführen. "Doch das heißt nicht, dass diese Maßnahmen keine Wirkung zeigen", sagt Ratzenberger. Bei den Trassenpreisen geht er davon aus, dass diese zumindest nicht vollständig an die Kunden weitergegeben wurden. Bei der Lkw-Maut habe es andere, branchenspezifische Entwicklungen gegeben, die den Mauteffekt überlagert hätten. Ohne eine Mauterhöhung wäre der Modal Split des Lkw ansonsten noch etwas stärker gestiegen. cd Mehr zum Thema im Dossier "Markt für Transporte" www.verkehrsrundschau.de/dossiers In Kürze Zweimal im Jahr gibt das Bundesverkehrsministerium eine Güterverkehrsprognose in Auftrag. Die aktuelle Vorhersage fällt mit einem Plus von 1,2 Prozent bei der Güterverkehrsleistung deutlich geringer als die im Frühjahr mit 2,8 Prozent. Aber: Allen Unkenrufen zum Trotz befindet sich das Transportgewerbe weiterhin auf Wachstumskurs. -1,1% soll das Minus der Güterverkehrsleistung im Schienengüterverkehr für das Jahr 2019 betragen.

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