Ein Land zwischen Amboss und Hammer

Aus deutscher Sicht könnte man denken, Bulgarien sei nicht gerade eines der wichtigsten Länder in den Bereichen Transport und Logistik. Bulgarische Lkw bilden auf deutschen Autobahnen nur die neuntgrößte Gruppe - sogar noch hinter Litauen und der Slowakei. In Bulgarien selbst wird die Branche freilich als sehr wichtig angesehen. Gesprächspartner schwärmen gern von ihrer großen Tradition: Vor 40 Jahren war der bulgarische Staatsbetrieb Somat - später im Rahmen der Privatisierung von Willi Betz übernommen - einer der größten Spediteure Europas und Marktführer bei Transporten von Europa in den Nahen Osten. "Darum gibt es immer noch sehr viele Transportexperten wie internationale Fahrer, Spediteure und Transportmanager in Bulgarien", sagt Kalin Petrov, stellvertretender Geschäftsführer von Discordia, einem in Südosteuropa starken Logistiker. Der Discordia-Gründer begann vor 26 Jahren mit einem einzigen Lkw, den er per Bankkredit finanzierte. Jetzt fahren 480 Trucks für die Firma, die auch in Rumänien und der Ukraine mit Niederlassungen vertreten ist. Petrov erzählt stolz, dass Discordia gut aufgestellt sei. Er räumt aber auch ein, dass die Wettbewerber aus der Türkei und anderen EU-Ländern den bulgarischen Spediteuren das Leben schwermachen: "Viele ausländische Unternehmen konkurrieren mit uns und stellen bulgarische Fahrer ein." Diese fehlen dann den einheimischen Firmen - was umso schmerzlicher ist, als der Fahrermangel der Branche sowieso schon kräftige Sorgen bereitet. Gopet Trans auf Platz 1 Petrovs Namensvetter Peter Petrov, Geschäftsführer der größten bulgarischen Spedition Gopet Trans, verweist noch auf eine weitere Besonderheit: "Wegen der Krise in Griechenland sind viele griechische Spediteure nach Bulgarien hinübergezogen, um dort Unternehmen zu eröffnen. So haben sie die Begrenzungen im Straßentransport ihres Heimatlandes umgangen." Mit einem Umsatz von umgerechnet fast 145 Millionen Euro im vergangenen Jahr hängte Gopet Trans die Konkurrenz dennoch meilenweit ab (an zweiter Stelle rangierte Schenker vor Unimasters und DHL). Besonderen Wert legt man in jüngster Zeit auf den Intermodaltransport. Konzernlenker Petrov sieht aber die gegenwärtige Situation nicht nur optimistisch: "Meiner Ansicht nach waren die Bedingungen für Investoren früher besser. In den letzten Jahren ist der Markt sehr dynamisch und unvorhersehbar geworden. Investitionen sollten daher sehr vorsichtig getätigt werden - speziell in den Bereichen Logistikeinrichtungen und Transportflotte." Auch sei die politische Lage derzeit alles andere als hilfreich. Krisengeplagte Türkei ist Partner Da ist zum einen die schwierige Situation in der Türkei, dem wichtigsten Handelspartner vieler bulgarischer Spediteure. Auch gebe es zahlreiche türkische Investitionen im Lande. Und zum anderen natürlich die EU mit ihrem Mobilitätspakt. Petrov beobachtet wegen Mindestlohn- (MiLoG) und Macron-Gesetz eine klare Bewegung in Richtung Polen sowie Skandinavien: "Exportpreise aus Bulgarien nach Deutschland und Frankreich beginnen zu steigen und nach Skandinavien zu fallen." Gerade kleine und mittlere Unternehmen können sich laut dem CEO zusätzliche Kosten wie etwa für den Mindestlohn in Westeuropa einfach nicht mehr leisten. EU-Regulierungen binden Kapazitäten Kalin Petrov von Discordia pflichtet seinem Kollegen bei: Die von der EU geplanten Regulierungen verlangten "eine Menge administrativer und technischer Kapazitäten", die es aber nur in großen Unternehmen gebe: "Einerseits würde uns das als großer Player natürlich stärker machen, aber andererseits wäre es schlecht für die Transportbranche. Ich glaube daran, dass Unternehmen sich am besten entwickeln, wenn es einen starken und fairen Wettbewerb gibt", versichert Petrov. Die neuen Regulierungen zu Ruhezeiten würden das Leben der Fahrer nicht verbessern, ergänzt er. Es gebe international kaum Einrichtungen, in denen Fahrer außerhalb ihrer Lkw übernachten könnten - wie Autobahnhotels mit gesicherten Parkplätzen. Die Zahl der Güterdiebstähle steigt Sogar jetzt, wenn die Fahrer über Nacht in ihren Kabinen blieben, steige die Zahl der Diebstähle von Gütern. "Wenn die Fahrer nicht mehr in ihren Lkw übernachten - wer schützt dann die Trucks und die Waren?", fragt der Manager. Auch die von der EU vorgesehene Verpflichtung, öfter von Auslandstouren nach Hause zurückkehren zu müssen, nimmt Petrov ins Visier. Diese Regelung würde gegen die Wünsche der Fahrer gehen: "Die allermeisten bevorzugen seltenere, aber längere Ferien." Dr. Hristo Kusev, Chef der Arbeitsgruppe "Transport, Logistik und Infrastruktur" bei der deutsch-bulgarischen Industrie- und Handelskammer in Sofia, bringt die Sorgen der bulgarischen Spediteure auf den Punkt. Sollten die von Frankreich und Deutschland propagierten Änderungen durchkommen, "werden unsere Unternehmen ihre Wettbewerbsvorteile verlieren und mögliche Konkurse sind zu erwarten." Und tatsächlich, die Großen dominieren das Feld nicht so sehr wie in anderen Ländern, etwa Ungarn: Nach einer jüngst veröffentlichten Marktstudie der Unternehmensberatung ICAP Bulgaria machen die 20 größten Unternehmen 40 Prozent der Branche aus - darunter eine Handvoll deutscher Tochterfirmen. Das bedeutet, dass 60 Prozent Klein- und Mittelständler sind. Weitere Erkenntnisse der Studie: Durch steigende Verschuldung ist das finanzielle Risiko vieler Unternehmen erhöht. Die Umsätze ziehen weiter zweistellig pro Jahr an, aber auch die Betriebskosten. Dies führt zu weniger ausgeprägten Gewinnsteigerungen. Bulgarien also zwischen Amboss und Hammer? Türkei, Griechenland, EU - von allen Seiten Probleme? Und dann sind da noch die hausgemachten, die strukturellen Defizite, wie der Gopet-Trans-Chef sie zusammenfasst: "Keine klare Politik für den Transportsektor. Keine kompetente Verwaltung. Zu langsame Investitionen in die Infrastruktur - ganz besonders die Schiene. Dies hindert Unternehmen, in Entwicklung zu investieren." Der deutsch-bulgarische Handel wächst Auch im Logistics Performance Index (LPI) der Weltbank leidet Bulgarien im Bereich Infrastruktur, während das Land in den Kategorien Internationale Transporte und Pünktlichkeit deutlich besser dasteht. Kusev zählt weitere gute Nachrichten auf: "Der Warenverkehr zwischen Deutschland und Bulgarien nimmt dauerhaft zu. Die Anzahl der deutschen Unternehmen in Bulgarien erhöht sich. Und immer mehr bulgarische Hersteller zertifizieren ihre Produktion und verkaufen ihre Waren erfolgreich auf dem deutschen Markt." All das stimme zuversichtlich, dass der deutsch-bulgarische Handel weiter wachsen werde. Kusev glaubt allerdings, dass es am effektivsten ist, wenn deutsche Spediteure mit bulgarischen Partnern zusammenarbeiten, anstatt Standorte oder Niederlassungen zu eröffnen. "Die Erfahrung zeigt, dass die Gründung und Führung einer Niederlassung mit vielen Kosten verbunden sind", sagt er. Es gebe in Bulgarien ausreichend Spediteure, die alle europäischen Standards erfüllen und Qualität zu niedrigen Kosten anbieten können. Gute Ergebnisse bringe es, die Mehrheit des Aktienpakets solcher Firmen zu erwerben. Auch Gopet-Trans-Chef Petrov versichert trotz aller politischen Kritik: "Deutschland ist unser Hauptmarkt. Etwa 20 Prozent unseres Umsatzes erwirtschaften wir durch unsere Geschäftsbeziehungen mit Deutschland." Mit deutschen Partnern arbeite sein Unternehmen hauptsächlich in den Bereichen Sammelgut- und Teilladungsverkehr zusammen. Discordia dagegen ist nicht auf dem deutschen Markt aktiv, sondern nutzt Deutschland nur als Transit-, Start- oder Zielland für Lieferungen. Vieles hängt in Bulgarien jetzt von den weiteren Entwicklungen in Brüssel und Ankara ab, doch die Experten sind sich einig: Die wirtschaftliche Aufholjagd des Landes ist noch lange nicht vorbei. Das gilt auch und gerade für die traditionsreiche Transportbranche. Mehr zum Thema finden Sie im Dossier Bulgarien www.verkehrsrundschau.de/dossiers Die Serie Osteuropa Was kann das Transportgewerbe unserer osteuropäischen Nachbarn, wo gibt es Chancen und Risiken? Unsere Serie im Überblick- Teil 1: Polen (VR 31-32)- Teil 2: Tschechien (VR 33-34)- Teil 3: Ungarn (VR 35)- Teil 4: Bulgarien (VR 36)- Teil 5: Rumänien (VR 37)- Teil 6: Baltikum (VR 38) Chancen und Risiken in Bulgarien Lage zwischen EU und Türkei ist Trumpf und Risiko zugleichChancen:- Konjunktur zieht von Jahr zu Jahr an. Kaufkraft pro Kopf niedrig, wächst aber weit schneller als im EU-Durchschnitt- Transport und Logistik traditionell eine sehr wichtige Branche - es gibt viele gut ausgebildete Spezialisten- Straßentransport weiterhin mit leichtem Aufwärtstrend- Sehr gute, über die Jahre gewachsene Kontakte in die TürkeiRisiken:- Fahrermangel betrifft auch Bulgarien - verschärft noch durch die Abwerbungen aus anderen Ländern. Bulgarische Spediteure fahren meist auch mit bulgarischen Fahrern- Sondersituation Bulgariens zwischen der EU und der Türkei ist Trumpf, aber auch ein zusätzliches Risiko - das Land ist stärker abhängig von der politisch und wirtschaftlich unsicheren Türkei- Mindestlohngesetze in Westeuropa sowie von der EU geplante Regelungen für Lkw-Fahrer gefährden aus bulgarischer Sicht besonders kleine und mittelständische Unternehmen- Durch steigende Verschuldung ist das finanzielle Risiko vieler Unternehmen erhöhtmk

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