"Ein Affront gegen die Wirtschaft"

Herr Quick, als wir das Interview vereinbart haben, waren Sie über die Zeit 7.45 Uhr nicht sehr glücklich. Bekommen wir Sie mit dem Stichwort Mindestlohn restlos wach? Jochen Quick: Vom Grundsatz her ist nichts gegen den Mindestlohn und seine Höhe zu sagen. Ärgerlich ist, dass es ein halbgares Gesetzeswerk ist. Hier werden Dinge auf die Wirtschaft verlagert, die sie nicht leisten kann: die Kontrolle des Mindestlohns und die verschuldensunabhängige Auftraggeberhaftung beispielsweise. Ist das Kind völlig in den Brunnen gefallen? Christian Labrot: Die Koalitionsrunde ist erst einmal gescheitert, da man sich nicht auf eine Minimallösung einigen wollte. Insofern habe ich ein wenig Hoffnung, dass die eine oder andere Unebenheit noch ausgebügelt wird. Es sind die bürokratischen Belastungen der Unternehmen und die vielen Unklarheiten im Gesetz, die in der Praxis ein Problem darstellen. Wir wissen zum Beispiel nicht, welche Lohnbestandteile auf den Mindestlohn angerechnet werden dürfen. Wie sind Bereitschaftszeiten zu werten, die nach Paragraf 21 a Arbeitszeitgesetz keine Arbeitszeit darstellen und eigentlich nicht nach dem Mindestlohngesetz bezahlt werden müssten? Fragen Sie die Bundesregierung, bekommen Sie keine Antwort. Vor gut zwei Wochen haben wir und die anderen Logistik-Verbände mit Staatssekretär Albrecht aus dem Arbeitsministerium gesprochen. Er konnte oder wollte keine der Fragen konkret beantworten. Das geht nicht. Hier muss Rechtsklarheit für die Wirtschaft geschaffen werden. Die Wirtschaft muss in die Lage versetzt werden, die Vorschriften auch anwenden zu können. Auf der einen Seite hafte ich sogar für den Sub-Sub-Unternehmer des Spediteurs, auf der anderen Seite gibt es keine Möglichkeit, diesen zu kontrollieren. Das geht zu weit. Quick: Es ist ein Affront gegen die Wirtschaft. Aufgrund eines Generalverdachts werden alle Auftraggeber in Haftung genommen. Dagegen müssen wir uns verwahren. Wir sind nicht per se Straftäter. Wir wollen alle nach Recht und Gesetz arbeiten. Vom Staat und den staatstragenden Parteien erwarten wir, dass sie die Wirtschaft auch wirtschaften lassen. Wenn ein Parteiwunsch in dieser Form in eine Gesetzesvorlage gegossen und nicht richtig ausgearbeitet wird, erhält das dann eben diese Ausprägungen. Das führt bei den Unternehmen gerade zu kettenbriefartigen Schreiben mit Mindestlohnbestätigungen in alle Richtungen. Labrot: Mittlerweile sollen die Unternehmen sogar von ihren Fahrern selbst bestätigen lassen, dass diese den Mindestlohn erhalten. Das ist doch wirklich auf die Spitze getrieben. Die gleiche Entwicklung bekommen wir beim Fahrpersonalgesetz. Hier wird die Verladerhaftung noch weiter verstärkt. Die Politik sagt zwar, es sei nichts Neues. Aber das stimmt ja nicht. Ist das die Quittung für die verladende Wirtschaft, dass sie zu lange weggesehen und alles den Speditionen überlassen hat? Labrot: Nein, das ist doch das Angebot der Speditionen - 'wir machen alles für euch'. Der BWVL kommt von der Eigentransportseite. Es gibt gute Gründe dafür, heute noch eigene Fahrzeugflotten zu betreiben - natürlich auch immer in Kooperation mit dem Dienstleister. Wenn ich den beauftrage, erwarte ich aber auch komplette Pakete. Aber manchmal sind die Pakete so ausgestattet, dass sie vom Leistungsumfang oder der Arbeitszeit her gar nicht realisierbar sind. Labrot: Wir würden uns noch damit abfinden, wenn wir für die nächste Stufe in der Lieferkette haftbar gemacht würden. Hier kann ich sorgfältig auswählen, dafür sorgen, dass es ein auskömmliches Entgelt gibt, von dem auch der Mindestlohn gezahlt werden kann. Aber es kann nicht sein, dass ich als Verlader gutes Geld zahle, der Sub-Sub nur noch einen unzureichenden Bruchteil erhält und ich dann noch dafür haften soll. Quick: Hier wird das Pferd von hinten aufgezäumt. Denken Sie das mal zu Ende. Die großen Logistiker, die die komplette Supply Chain anbieten, können im Einzelfall nicht immer Zugriff auf den einzelnen Ausführenden haben. Da wird dieses Geschäftsmodell künftig zumindest infrage gestellt. Auskömmliches Entgelt: Verlader postulieren, bei den Logistikkosten gebe es noch Luft. Quick: Das lässt sich nicht pauschal sagen. Vor allem nicht für unsere Mitgliedsunternehmen. Es hat niemand Interesse an einem Logistiker-Hopping. Wir wollen langfristige Bindungen und wir brauchen die Partner, die dauerhaft und zuverlässig die Transporte durchführen. Es bedeutet auch immer viel Arbeit, die Preise aktuell über Ausschreibungen am Markt einzuholen. Vor allem kann das auch nach hinten losgehen. Der Wechsel eines Dienstleisters bedeutet ja nicht immer nur Spaß und Einsparungen. Eingefahrene Gleise sind auch ein Wert an sich. Labrot: Organisatorisch ist in der Logistik natürlich noch Optimierungspotenzial. Gerade, wenn ich an die Digitalisierung und die Kommunikation in der ganzen Supply Chain denke. Das geht generell nur noch in enger Kooperation zwischen Verlader, Dienstleister und Empfänger. Allein die Transportkosten zu drücken, das ist es sicher nicht. Es gibt verschiedene Ansätze, grenzüberschreitende und Transitverkehre beim Mindestlohn zu behandeln. Was sagt der BWVL? Labrot: Transit kann unserer Meinung nach nicht unter das Mindestlohngesetz fallen. Wir haben Dienstleistungsfreiheit in Europa. Schwieriger ist schon die Beurteilung der bilateralen Verkehre. Auch hier vertreten wir die Verladerinteressen. Wir plädieren dafür, wenn es geregelte Märkte mit Mindestlohn gibt, der für das dortige Niveau auskömmlich ist, dann muss das auch für den bilateralen Verkehr gelten. Ansonsten wird der Bürokratieaufwand unermesslich. Dabei handelt es sich auch nicht um Sozialdumping. Was empfehlen Sie Ihren Mitgliedsunternehmen in puncto Auftraggeberhaftung? Kettenbriefe oder noch mehr? Labrot: Man muss zwei Dinge unterscheiden. Wir haben eine ordnungswidrigkeitenrechtliche Verantwortung und eine Verantwortung auf Zahlung des Mindestlohns selbst. Eigentlich gibt es jetzt wieder das Tarifausgleichsverfahren von früher. Wenn Sie den Frachttarif unterschritten hatten, kam das BAG und sagte, Sie müssen die Differenz zahlen - und noch ein Bußgeld obendrauf. Bei den Kettenbriefen, wie wir sie genannt haben, kann ich nur die ordnungswidrigkeitenrechtliche Schiene absichern: Ich wähle mein Transportunternehmen sorgfältig aus und habe mich überzeugt, dass der Mindestlohn gezahlt wird. Dann muss ich das noch stichprobenartig kontrollieren. Die Lohndifferenz ist eine andere Sache. Da geht es nicht um Verschulden. Für diesen Fall hat der BWVL zusammen mit anderen Verbänden und der Kravag eine Versicherungslösung entwickelt. Diese beiden Dinge kann ich tun: sorgfältig auswählen und die Lohndifferenz versicherungstechnisch absichern. Man hört schon Überlegungen, verstärkt deutsche Frachtführer einzusetzen. Quick: Als Vertreter des deutschen Mittelstandes kann ich da auch nichts Schlimmes daran finden. Im Gegenteil. Wenn es dazu führt, dass manche Exzesse eingedämmt werden und man nicht noch überlegt, philippinische Fahrer in einem lettischen Unternehmen für die Kabotage in Deutschland einzusetzen, ist es uns nur recht. Ich kann andererseits nur nicht am Sonntag sagen, ich will eine EU mit Binnenmarkt, mit Dienstleistungsfreiheit, mit globalisierter Welt und mich als Export- und Logistikweltmeister feiern lassen. Und am Montag rede ich dem Protektionismus das Wort und möchte, dass alles in unserem deutschen Garten mit deutschen Unternehmen und Arbeitern stattfindet. Das wird der Rest der Welt nicht mitmachen. Labrot: Wir sind auch gespannt, was die EU-Kommission sagt. Ein erstes Prüf-Ergebnis soll vor der Sommerpause verkündet werden. Für die gesamte Bewertung ist ja nicht unerheblich, wie die Kommission sich zum Anwendungsgebiet äußert. Aber Sie erwarten keine Renaissance des Werkverkehrs? Labrot: Nein. Werkverkehr ist immer eine individuelle Abwägung. Das eine Unternehmen macht 10 Prozent mit dem eigenen Fuhrpark und 90 Prozent mit dem Dienstleister. In dem anderen Fall ist es umgekehrt. Ich kenne kein Unternehmen, das alles selber fährt. Insofern könnte sich keines ganz aus der Verantwortung ziehen. Aber es gibt Unternehmen, die eigentlich die eigene Flotte reduzieren wollten, dies jetzt aufgrund der steigenden Auftraggeberhaftung nicht realisieren. Ein Problem sehe ich auch darin, dass gerade die mindestlohnanfälligen grenzüberschreitenden Verkehre in der Regel an den Dienstleister gehen. Weiterhin stellen wir fest, dass eigene Fuhrparks in Transportgesellschaften ausgegliedert werden. Rechtlich ist das dann zwar gewerblicher Verkehr, aber in der Sache bleibt es Werkverkehr. Demnächst steht bei der Lkw-Maut ein Termin an, der nächste kommt im Herbst. Sehen Sie Probleme? Quick: Es ist lange bekannt und alle wissen, worauf sie sich einzustellen haben. Für Unternehmen, die mit Fahrzeugen über 7,5 Tonnen neu in die Maut kommen, hat das natürlich größere Auswirkungen. Aber auch sie hatten Zeit und werden das meistern. Kann man, wenn man Fahrzeuge ab 7,5 Tonnen hat, künftig Mautharmonisierungsmittel beantragen? Labrot: Wir gehen momentan davon aus, dass nach Mautausweitung mittelfristig auch die berechtigten Fahrzeugklassen entsprechend angepasst werden müssen. Rechtlich wäre es auch schwierig, hier zu differenzieren. Politisch sind die Harmonisierungsmittel ja als Mautausgleich gedacht. Dann bleibt pro Fahrzeug weniger übrig? Labrot: Rein theoretisch ja. Aber es bleiben ja sowieso immer noch Haushaltsmittel übrig. Viele Unternehmen haben den De-Minimis-Grenzwert von 33.000 Euro aber auch ohnehin schon ausgeschöpft. Aber es kommen auch Unternehmen neu zum Berechtigtenkreis hinzu. Labrot: Man rechnet mit circa 80.000 zusätzlichen Fahrzeugen. Ich wage aber zu behaupten, dass der Kreis der neuen Unternehmen nicht sehr groß sein wird. Denken Sie, dass es zu einer Mauterhöhung kommen wird? Externe Kosten, CO2 ... Quick: Lärm wird auf absehbare Zeit nicht einbezogen werden, weil es sehr schwierig ist, diese Kosten überhaupt zu definieren. Eine mögliche Mauterhöhung als Instrument scheint für die Regierung momentan keine größere Rolle zu spielen. Da ist eher die geplante Mauterweiterung auf alle Bundesstraßen zu sehen, die in der finanziellen Auswirkung auch erhebliches Potenzial haben wird. Eine Bemautung nach CO2-Ausstoß und weg von den Euro-Schadstoffklassen lässt sich zur Zeit noch nicht erkennen. Labrot: Die Maut kann man nicht einfach erhöhen. Dazu braucht es belastbare Faktoren für die Mauthöhenberechnung. In dieser Legislaturperiode muss das neue Wegekostengutachten in Auftrag gegeben werden. Die Zinsen werden sich nicht drastisch verändern, die Baukosten auch nicht. Ein neues Wegekostengutachten wird - wenn es nicht auf einer neuen Richtlinie beruht - kein wesentlich anderes Ergebnis erzielen. Bis Brüssel die Wegekostenrichtlinie ändert, dauert das mindestens noch mal eine Legislaturperiode. Allerdings kommt auf uns eine automatische Erhöhung zu. Euro 6 wird in einem Jahr um einen Cent teurer, wenn die Luftverschmutzung mit einberechnet wird. Es fiel vorhin das Stichwort Zusammenarbeit der Verbände. Was verstehen Sie darunter? Quick: Die Logistik-Verbände erörtern regelmäßig ihre Positionen. Wir stimmen natürlich nicht in allen Punkten überein. Aber es sind alle Verbandsvertreter aufgerufen, gemeinsame Standpunkte zu überprüfen und zu vertreten. Wir glauben als BWVL, dass wir nur gemeinsam - gerade in so gravierenden Dingen wie dem Mindestlohn - entsprechend Gehör bei der Politik finden. Labrot: Es gibt gemeinsame Anliegen wie Ausbildung, Image, Förderprogramme, Infrastruktur oder Nutzerfinanzierung. Deshalb ist es wichtig, dass sich die Verbände auf Führungsebene abstimmen und Gemeinsamkeiten ausloten. Auf Arbeitsebene passiert das ohnehin komplikationslos. 500 Tage schwarz-rote Verkehrspolitik. Wie ist die Bilanz des BWVL? Quick: Fangen wir mit dem Positiven an: Die Verlässlichkeit in der Zusammenarbeit mit dem Verkehrsministerium ist weiterhin gegeben und gut. Solange wir einbezogen werden und unsere Bedenken nicht nur vortragen können, sondern auch gehört werden - Stichwort doppelte Maut auf Bundesstraßen - sind wir zufrieden. Positiv ist außerdem, dass von der Politik erkannt wurde, dass es ein großes Defizit im Haushalt zur Infrastrukturfinanzierung gibt. Hier ist einiges passiert. Das muss man anerkennen. Das ist nicht nur eine Verstetigung der bisherigen Politik. Hier kam noch etwas oben drauf. Labrot: Mit dem Thema Infrastruktur sind wir auf einem guten Weg. Auch die positiven Vorhaben, die unter Ramsauer begonnen wurden, sind fortgeführt worden, Beispiel Logistikbeauftragte, Aktionsplan. Und die negativen Punkte? Labrot: Die Entscheidungsprozesse müssten beschleunigt werden. Angefangen von den Planungskapazitäten, die wir in der Straßenverwaltung haben. Quick: Was viele erleben, zum Vorgänger gab es kurze Wege, wenn etwas zu diskutieren war, und schnelle Informationen. Das ist jetzt nicht mehr so der Fall. Das mag System sein, aber man würde sich ab und an mal den kurzen Weg wünschen. Sie veranstalten im Oktober in Berlin wieder das BWVL-Dialogforum. Wird Minister Dobrindt kommen? Labrot: Wir würden uns freuen, den Minister bei uns begrüßen zu können. Aber wir bauen beim Programm nicht nur auf den Minister, sondern auch auf Sachfragen der Praxis. Quick: Außerdem haben wir 60 Jahre BWVL zu feiern. Labrot: Wir werden bei unserem Konzept bleiben, allgemeine Logistiktrends zu vermitteln und in den Workshops ganz klar den Nutzen für die tägliche Praxis herausstellen. 60 Jahre BWVL - was steht als große Aufgabe für die nächsten Jahre an? Quick: Den BWVL in eine gute Zukunft zu führen. Das heißt, attraktiv zu bleiben für die Mitgliedsunternehmen und die Stimme zu erheben, wo es notwendig ist. Außerdem wird es eine große Aufgabe sein, jüngere Menschen für den Verbandsgedanken zu gewinnen und zu vermitteln: Gemeinsam sind wir stärker. Die sind ja sehr stark auf Individualität getrimmt. Vita Jochen Quick 1978 gründete Hans-Gerd Quick in Buchholz/Westerwald ein Baustoffhandels- und Speditionsunternehmen, das sein Sohn Jochen heute mit 40 Mitarbeitern und 20 eigenen Fahrzeugen führt. Es ist überregional mit Baustoffhandel, Entsorgung und Natursteinverkauf befasst und erbringt auch Transport- und Logistikleistungen für Dritte. Der 46-Jährige hat eine Ausbildung zum Speditionskaufmann absolviert, bevor er in Bremen Verkehrswirtschaft studierte. Er und seine Frau Sandra, die ebenfalls im Unternehmen arbeitet, sind Eltern eines Sohnes und einer Tochter. 2012 wurde er zum Präsidenten des BWVL gewählt. bb Vita Christian Labrot Bereits während seines Volkswirtschaftsstudiums an der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität in Bonn hat sich Christian Labrot intensiv mit der Verkehrswirtschaft auseinandergesetzt. Seit 1. Oktober 1979 ist der 62-Jährige in verschiedenen Funktionen im Bundesverband Werkverkehr und Verlader tätig. Davor hat er diverse Unternehmenspraktika absolviert. Seit 1990 ist er Geschäftsführer des Verbands, seit 1995 Hauptgeschäftsführer des Bundesverbandes Wirtschaft, Verkehr und Logistik. Labrot ist Mitglied in verschiedenen Fachbeiräten und Ehrenämtern in Verkehrswirtschaft und Verkehrswissenschaft, unter anderem Mitglied des Präsidiums der Internationalen Straßentransport Union IRU. bb

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