Dumping

Es gärt zunehmend in Deutschlands Speditionen. Je mehr von illegalen Praktiken die Rede ist, desto lauter wird die Kritik: "Das Thema Sozialdumping mit allen seinen Schattenseiten - moderne Sklaverei und Arbeitsplatzverlust - wird totgeschwiegen. Das passt einfach nicht zum modernen Europa mit der vollkommenen Freizügigkeit", formuliert es ein Spediteur. Dieses Totschweigen der Missstände sei aber gefährlich, sagt er. Immerhin sei der Erfolg Deutschlands in der Vergangenheit gerade dank der sozialverträglichen Marktwirtschaft möglich gewesen. "Heute dagegen zählt in Industrie und Handel nur noch eines: Das sind Transport- und Logistikkosten auf immer gleichem Niveau." Von Tricksen und Täuschen Um da preislich mitzuhalten, wird seiner Ansicht nach getrickst und getäuscht. Typisches Beispiel seien Rundläufe mit osteuropäischen Fahrern, die von osteuropäischen Speditionszentralen aus disponiert werden, erzählt der Mittelständler. "Die Fahrer haben Zwei- bis Drei-Monats-Einsätze in Deutschland und kehren dann in ihre Heimat zurück: Sie wohnen im Lkw oder im Container-Dorf. Und das BAG macht da schlichtweg die Augen zu", sagt er und bezieht diese Aussage auch auf die Bezahlung. "Was aber nützen die Regeln und Gesetze, wenn nur der in Deutschland ansässige Unternehmer überprüfbar und greifbar bleibt, während der EU-Wettbewerber fein außen vor ist?", kritisiert er. Ein anderer Spediteur, der ebenfalls nicht namentlich genannt werden will, berichtet von osteuropäischen Fahrern mit zwei digitalen Tachografen. Selbst TÜV-Plaketten würden gefälscht, um sich so lange Anfahrtskilometer zu den Unternehmenssitzen zu sparen, erzählt er. Auch Raymond Lausberg gehört zu denjenigen, die Kritik an den Kontrollen üben. Lausberg ist kein Unternehmer, dessen Betrieb unter den Dumpingpraktiken leidet. Lausberg ist Polizist in Belgien. Er hat sich auf die Kontrolle von Lkw spezialisiert und kann beim Aufspüren von Dumpingsündern eine beeindruckende Erfolgsquote aufweisen. Sein Revier ist die Autobahn E 40 zwischen Aachen und Lüttich. Die Zahlen, die Lausberg vorlegen kann, lassen vermuten: Immer häufiger versuchen sich Unternehmen/Trucker mit unlauteren Maßnahmen Vorteile gegenüber der legal arbeitenden Konkurrenz zu verschaffen. 2015 haben er und seine Kollegen etwas unter 2000 Lkw beanstandet. 2014 waren es knapp unter 1000 Lkw - also eine Verdoppelung der Vergehen. Die Missstände reichen von technischen Mängeln an den Fahrzeugen, Lenkzeitüberschreitungen, Verdacht, dass die Fahrzeuge bei einer Briefkastenfirma angemeldet sind (über 70 Strafanzeigen in dieser Sache) bis hin zur illegalen Kabotage. Großkontrollen wenig hilfreich Als Grund für seine hohe Erfolgsquote nennt Lausberg das Know-how, das er und seine Kollegen sich durch die jahrelange Spezialisierung angeeignet haben. Einzelheiten will er nicht verraten, um nicht die schwarzen Schafe auf dumme Gedanken zu bringen. "Wir halten auch nichts von Großkontrollen, wie sie in Deutschland häufig gemacht werden", so Lausberg. Sein Team macht Kontrollen sehr gezielt und wechselt permanent den Standort. Seine Antwort auf die Frage nach den größten Verwerfungen ist eindeutig: "Die Unternehmen, deren Fahrer monatelang in Westeuropa unterwegs sind." Mittlerweile sind für solche Vergehen bis zu 1980 Euro fällig für die Betriebe, bei denen diese Fahrer angestellt sind. "Das sind häufig Speditionen in Westeuropa, die in Osteuropa nur eine Briefkastenfirma haben. Dort rekrutieren sie ihre Fahrer, die zu geringeren Löhnen fahren und für die niedrige Sozialabgaben fällig sind." Er ist davon überzeugt, wenn auch in anderen Staaten solche Regeln mit entsprechenden Bußgeldern verknüpft würden, hätte dies eine abschreckende Wirkung. Warum die Staaten diesen Schritt nicht machen, da hat er eine Vermutung: "Vielleicht, weil Speditionskonzerne bei der Politik ein Veto einlegen, um weiterhin ihre Vorteile nutzen zu können?" In Deutschland ist das Bundesamt für Güterverkehr (BAG) die wichtigste Kontrollinstanz im Straßengüterverkehr. Die Kölner Behörde will den Vorwurf, zu wenig zu kontrollieren, zwar so nicht gelten lassen. Die aktuellsten Zahlen zeigen allerdings das Gegenteil: Insgesamt prüfte der Straßenkontrolldienst der Behörde im vorletzten Jahr rund 506.000 Fahrzeuge - das sind gut 16,5 Prozent weniger als noch 2012 (siehe Grafik Seite 25). 240 BAG-Kontrolleure sind derzeit auf deutschen Autobahnen im Einsatz - genauso viele wie in den Jahren zuvor. Obwohl von einem Personalrückgang keine Rede sein kann, nimmt das BAG also inzwischen deutlich weniger Lkw unter die Lupe als früher. Dies sei der zunehmenden Komplexität der Kontrollen geschuldet, erklärte ein BAG-Sprecher. Den immer gewiefteren Tricksern auf die Schliche zu kommen, erfordere mehr Zeit. Die Betrüger gehen aber nicht nur immer cleverer vor, sondern versuchen teilweise auch immer häufiger, sich abseits der einschlägigen Vorschriften einen Wettbewerbsvorteil zu verschaffen. Dies belegt die BAG-Statistik über Zuwiderhandlungen gegen das Güterkraftverkehrsgesetz. Allein die Zahl der Verstöße gegen die Kabotage-Vorschriften verdoppelte sich zwischen 2013 und 2014 beinahe - sie stieg von 763 auf 1472 registrierte Fälle. Meistens handelte es um Überschreitungen der 3-in-7-Regel oder es fehlte die notwendige grenzüberschreitende Beförderung vor der Kabotage-Tour. Doch nicht nur gebietsfremde Unternehmen pfeifen mitunter auf Gesetze und Verordnungen. Das betonte der BAG-Sprecher unter Verweis auf die Vergehen im Bereich des Fahrpersonalrechts. Hier sei die Beanstandungsqoute bei den deutschen Transporteuren derzeit sogar höher. Umgekehrt ist das Verhältnis, wenn es um die Nichteinhaltung der wöchentlichen Ruhezeiten geht. Immerhin nehmen diese Fälle aber seit Jahren ab. Waren es 2012 noch 5972, verzeichnete das BAG diesbezüglich 2014 nur noch 4414 Verstöße. Woran dies liegt, dazu gab die Behörde auf Anfrage keine Antwort. Auch die Frage, ob Neueinstellungen geplant seien, um den wachsenden Anforderungen auf den Straßen gerecht werden zu können, ließ der Sprecher offen. Auch in der Verkehrspolitik ist das Thema Sozialdumping im Straßengüterverkehr angekommen. In dem im Dezember 2015 vorgestellten Aktionsplan Güterverkehr und Logistik verpflichtet sich das Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur (BMVI) dazu, sich "für eine Verbesserung der sozialen und arbeitsplatzbezogenen Bedingungen der Berufskraftfahrer" einzusetzen. Zudem drängt Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU) die EU-Kommission zu einer Klarstellung, dass das Verbringen der Ruhezeiten im Lkw nach EU-Recht verboten ist. Die verkehrspolitische Sprecherin der SPD, Kirsten Lühmann, ist der Meinung, dass das aus der EU-Gesetzgebung ohnehin hervorgeht. Es werde hervorgehoben, dass die tägliche Ruhezeit im Fahrzeug verbracht werden darf. Bei der Wochenruhezeit stehe das nicht im Text, erklärte Lühmann gegenüber der VerkehrsRundschau. "Wer daraus schließt, dass alles, was nicht explizit verboten, erlaubt ist, ist nicht nur zynisch, sondern missachtet auch die Zielsetzung der Richtlinie", so Lühmann. Ihr Unionskollege Ulrich Lange spricht sich gleichfalls für eine "rechtlich klare und für das Gewerbe praktikable Lösung" aus, warnt aber vor "zusätzlichen Belastungen für die deutsche Logistikwirtschaft". Lühmann fordert mehr Kontrollpersonal Eine klare gesetzliche Regelung allein kann die Probleme im Straßengüterverkehr aber nicht lösen. "Wir brauchen bedeutend mehr Personal für das BAG, den Zoll und die Polizei, um effektivere Kontrollen durchführen zu können", fordert Lühmann. Es gehe hier nicht nur um die Ruhezeiten, sondern auch um die Einhaltung des Mindestlohns und den Kampf gegen illegale Kabotage. Oft seien die Kontrollbehörden aufgrund der Datenlage jedoch gar nicht in der Lage, illegale Kabotage zu erkennen, erklärt Lühmann. Die SPD prüft daher derzeit den elektronischen Frachtbrief, wie er in der internationalen Schifffahrt verwendet wird. Karlheinz Schmidt, Hauptgeschäftsführer des Bundesverbandes Güterkraftverkehr, Logistik und Entsorgung (BGL), verweist zur Eindämmung der illegalen Kabotage auf das Beispiel Österreich: "Die haben mehr oder minder stillschweigend ein Melderecht für Kabotage eingeführt," sagt er. Laut Schmidt müssen der österreichischen Finanzpolizei eine Woche vor dem Kabotagetransport das Fahrzeug und der Fahrer gemeldet werden. Der Fahrer müsse Lohnunterlagen in deutscher Sprache mitführen, damit die Kontrolleure prüfen könnten, ob der in Österreich geltende Mindestlohn auch eingehalten werde. "Zugleich ist dies ein effektives Instrument, um die illegale Kabotage besser in den Griff zu bekommen", ist Schmidt überzeugt. Er bezeichnet es als "kontraproduktiv", jetzt auch in Deutschland im Fahrpersonalgesetz ein Verbot für die Verbringung der Wochenruhezeit im Lkw zu beschließen. Denn für internationale Wettbewerber würden die deutschen Fahrpersonalgesetze ohnehin nicht gelten, sondern nur die EU-Sozialvorschriften. "Es bleibt also nur eine neue Regelung für die Dienstleistungsfreiheit im Verkehr auf europäischer Ebene", so Schmidt. DSLV arbeitet an einem Positionspapier Der Hauptgeschäftsführer des Deutschen Speditions- und Logistikverbandes (DSLV), Frank Huster, hält hingegen den Schrei nach schärfen Gesetzen "für einen Ausdruck der Ohnmacht". "Mit der bestehenden Gesetzgebung könnte man Verstöße gegen Kabotage- und Ruhezeitvorschriften eindämmen. Es ist eine Frage von Kontrolle und des Vollzugs", sagt Huster. Und wenn die Kontrollbehörden nicht über Kapazitäten verfügen, Regelverstöße aufzudecken, müsse die Politik dafür sorgen, dass die Kontrollorgane besser ausgestattet werden. Er plädiert aber auch dafür, dass bezüglich der Wochenruhezeit das europäische Regelwerk eine klare Aussage trifft. Wie ernst der DSLV das Thema Dumping nimmt, wird daran ersichtlich, dass der Verband an einem Positionspapier zu sozialen Missständen und illegalem Verhalten im Straßengüterverkehr arbeitet, das in den kommenden Tagen erscheinen soll. Darin warnt der Verband davor, rechtswidriges Verhalten mit etablierten Prozessen des internationalen, arbeitsteiligen Güterverkehrs in Europa gleichzusetzen. "Weder basiert die Beauftragung ausländischer Transportunternehmen für die Durchführung von Ziel- und Quellverkehren nach und von Deutschland grundsätzlich auf Dumpinglöhnen, noch werden durch den Abschluss von Werkverträgen zwischen Auftraggebern und Dienstleistern bewusst und automatisch Arbeitnehmer benachteiligt", heißt es in dem Entwurf. Fahrpersonalgesetz soll verschärft werden Dobrindt erwägt deutschen Alleingang Die Bundesregierung will Sozialdumping im Transportgewerbe und das zunehmende Nomadentum an den Autobahnen härter bekämpfen. Zu diesem Zweck werkelt Verkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU) seit vergangenem November an einem Gesetz zur Änderung des Güterkraftverkehrsgesetzes, des Fahrpersonalgesetzes und des Gesetzes zur Regelung der Arbeitszeit von selbstständigen Kraftfahrern. Es soll verhindern, dass Berufskraftfahrer ihre regelmäßigen wöchentlichen Ruhezeiten in ihrem Lkw verbringen. Dass dies unzulässig ist, ergibt sich nämlich nur indirekt aus dem derzeit geltenden europäischen Recht.Vorgesehen ist unter anderem eine neue Bestimmung, nach der der Unternehmer die Arbeit der Fahrer so zu organisieren hat, dass das Fahrpersonal die regelmäßige wöchentliche Ruhezeit am jeweiligen eigenen Wohnort des Fahrers oder am Ort des Unternehmenssitzes und dort in einer festen Unterkunft verbringen kann. Entsprechende Regelungen inklusive Strafandrohungen bei Zuwiderhandlung gibt es bereits in Belgien und Frankreich. Im deutschen Fahrpersonalgesetz fehlen solche Bußgeldandrohungen aber bislang. Die Bestrebungen aus Berlin, ein nationales Verbot explizit zu normieren und mit Rechtsfolgen zu versehen, ist dem Umstand geschuldet, dass eine diesbezügliche Klarstellung aus Brüssel noch immer auf sich warten lässt. Gemeint ist das sogenannte Road Package von EU-Verkehrskommissarin Violeta Bulc, mit dem der bestehende Rechtsrahmen für den Straßengüterverkehr in der Union aktualisiert werden soll. Sie soll sich eigenen Angaben zufolge um eine strengere Anwendung der Sozialvorschriften kümmern und erste Vorschläge im Herbst machen.Ob Deutschland tatsächlich 2016 der Europäischen Kommission zuvorkommt und wann das Änderungsgesetz greift, lässt sich nicht mit Sicherheit sagen. Aus Verbandskreisen ist zu hören, dass ein Inkrafttreten zum Ende dieses Jahres geplant ist. ag Online-Dossier Ausführliche Interviews Wie beurteilen zwei maßgebliche Verbände im Speditions- und Transportgewerbe das Thema Dumping im Straßengüterverkehr? Lesen Sie dazu zwei ausführliche Interviews mit Frank Huster (DSLV) und Karlheinz Schmidt (BGL) in unserem Themen-Dossier "Lenk- und Ruhezeiten". cdwww.verkehrsrundschau.de/dossiers

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