Doppelkupplung doppelt gut?

Wenn Fahrstufenwechsel unmerklich und im Millisekundenbereich stattfinden sollen, führt kein Weg am Volvo FH vorbei. Nur die Schweden bieten für ihre Fernverkehrsbaureihe ein Doppelkupplungsgetriebe (I-Shift Dual Clutch) an. Ebenfalls nur bei Volvo gibt es einzeln aufgehängte Vorderräder sowie (im Fernverkehrs-Lkw) die elektrisch unterstützte Lenkung "Dynamic Steering", dank der sich das Lenkrad selbst im Stand mit dem kleinen Finger drehen lässt. Die von der stärksten Einstellung des 13 Liter großen Reihensechszylinders mit 540 PS und 2600 Newtonmetern Drehmoment angetriebene Testzugmaschine verfügt über alle drei Optionen. Bringt das tatsächlich Vorteile oder ist es sie unnötig teurer Luxus? Immerhin elf Prozent aller deutschen FH-Käufer entscheiden sich für I-Shift Dual Clutch. Von der Funktionsweise her handelt es sich um zwei Getriebe in einem: Getriebe eins schaltet ungerade Gänge (1, 3, 5, ...), Getriebe zwei die geraden Gänge (..., 8, 10, 12). Jedes der ineinander verschachtelten Räderwerke hat seine eigene Kupplung. Und je nachdem, ob beschleunigt oder verzögert wird, wählt die Getriebesoftware den jeweils folgenden Gang bereits vor. Beim Schalten öffnet eine Kupplung, zeitgleich schließt die zweite - und der Gang wird in Sekundenbruchteilen gewechselt. Vorteil wird zum Nachteil Allerdings birgt die Doppelkupplungsbox auch einen Nachteil: Der zwölfte Gang ist immer als Overdrive ausgelegt und die dadurch nötig werdenden zusätzlichen Zahnräder verschlechtern den Wirkungsgrad. Die Steuerungselektronik weiß um diesen Nachteil und stuft an Steigungen deutlich früher zurück, als es der Reihensechszylinder müsste und es beispielsweise beim 40 PS schwächeren FH 500 mit normalem I-Shift (siehe VR 44/2017) der Fall war. Die Software will möglichst früh in die elfte Fahrstufe, die hier als direkter Gang ausgeführt ist und in dem der wirtschaftlichste, weil verlustärmste Betrieb in bergigen Gegenden zu erwarten ist. Deshalb hinterlässt das Doppelkupplungsgetriebe gemischte Gefühle. Einerseits ist es natürlich faszinierend, wie schnell und unmerklich der Wechsel von zwölf auf elf geschieht. Aber welchen Vorteil bringt das, wenn das normale I-Shift-Getriebe die Steigung wahrscheinlich im zwölften Gang gepackt hätte? Erst an wirklich steilen Stichen oder wenn der Lkw stets mit voller Ausladung unterwegs ist, holt sich das DSG einen Vorteil, doch hier bremsen, zumindest in Deutschland, meist Überholverbote die freie Fahrt aus. Dual Clutch kann man sich sparen Auch beim Anfahren fällt der Vorteil des Dual Clutch nicht so groß aus, wie man vermuten würde. Nur wenn kein Gruppenwechsel ansteht und keine Gänge übersprungen werden, funktioniert das Doppelkupplungsprinzip. Beides ist in den unteren Gängen aber unausweichlich, weshalb der DSG-Vorteil erst in den oberen Fahrstufen greift, wo keine Gangsprünge mehr stattfinden. Uns fallen damit die Vorteile der Doppelkupplung insgesamt zu gering aus, als dass wir die knapp 5000 Euro Aufpreis gerechtfertigt fänden. Oder anders ausgedrückt: Das normale I-Shift arbeitet einfach zu überzeugend und gehört schließlich nicht ohne Grund nach wie vor zu den besten automatisierten Schaltungen am Markt. Kaufempfehlung: Dynamic Steering Ein ähnliches Schicksal ereilt die Einzelradaufhängung an der Vorderachse: Ja, das Fahrverhalten wird dadurch noch mal verbessert. Selbst tiefe Schlaglöcher bügelt die Aufhängung spielend glatt, weil die beiden Vorderräder völlig getrennt voneinander durchfedern. Aber auch hier - im Vergleich zum konventionellen Serienfahrwerk - nicht in signifikantem Maße. Dazu ist die Fausachse zu gut abgestimmt. Zudem ruft Volvo für die Einzelradaufhängung rund 3000 Euro Mehrpreis auf. Kommen wir zur Nummer drei der Volvo-Optionen, zur elektronisch unterstützten Lenkung Dynamic Steering: Die konventionelle hydraulische Servolenkung wird von einem am Lenkgetriebe montierten Elektromotor unterstützt. Wer viel und oft rangieren muss, lernt Dynamic Steering schnell schätzen. Wir geben dem System jedenfalls eine klare Kaufempfehlung. Auch die große Globetrotter-XL-Kabine ist keine schlechte Wahl. Gegenüber dem normalen Globetrotter bietet sie ein Mehr von 15 Zentimetern an Innenhöhe, was den lichten Raum auf dem niedrigen und damit nicht störenden Motortunnel auf 2,11 Meter erhöht. Auch die Staufächer oberhalb der Frontscheibe fallen in der größeren Kabine üppiger aus. Zugegeben, im nationalen Fernverkehr genügt auch der normale Globetrotter, aber über zu viel Platz hat sich noch kein Fahrer beschwert und in Zeiten, in denen gute Fahrer mehr und mehr zur Mangelware werden, sind die 1600 Euro für den XL gut investiert. Zumal die Kabine das Gewicht des FH kaum zusätzlich belastet. Da schlagen Dual Clutch (+ 100 kg) und Einzelradaufhängung (+ 40 kg) deutlicher zu Buche, weshalb der Testwagen mit exakt 7,46 Tonnen schwerer wiegt als der im Vorfeld getestete "Standard"-FH 500. Wir empfehlen in jedem Fall die um 90 Kilogramm gewichtsreduzierte Hinterachsaufhängung des Testfahrzeugs. Das Mehr an Gewicht, vor allem aber die höheren Fahrwiderstände durch das Overdrive-Getriebe sehen wir als den Hauptgrund dafür, dass der 540er ein paar Schluck mehr Diesel aus seinem 405 Liter großen Tank zog. Zumindest absolvierte bereits erwähnter FH 500 unsere standardisierte und per Referenzfahrzeug abgeglichene Testrunde mit dem gleichen Auflieger um 0,7 l/100 km sparsamer. Dual Clutch kann seinen Vorteil vor allem in wirklich steiler Topografie und mit schwerer Beladung ausspielen, womit es sich für Schwertransporteure empfiehlt. Die greifen aber meist zum stärkeren FH 16. Nur schade, dass Volvo die Doppelkupplung für sein Flaggschiff erst gar nicht anbietet ... Alle Tests und Fahrberichte für Abonnenten www.verkehrsrundschau-plus.de Kommentar In die Ausstattung investieren Wie man den Volvo FH konfigurieren sollte? 500 PS, Globetrotter XL und Dynamic Steering. Auf Doppelkupplung und Einzelradaufhängung kann man verzichten und das gesparte Geld in die Ausstattung investieren. Zum Beispiel in den Re tarder, Klima-Komfortsitz und eines der Optionspakete für innen und außen. Der Fahrer wird es Ihnen danken. Kontakt: jan.burgdorf@springernature.comJan Burgdorf VR-Testredakteur

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