Digital mit Personal

Wir bauen digital um" - dieses Schild haben derzeit viele Logistiker rausgehängt: Lkw-Fahrer werden mit Smartphones und Tablets ausgestattet, Disponenten auf Internetplattformen gelenkt, Kommissionierer mit Datenbrillen ausgerüstet. So soll die digitale Transformation des Geschäfts gelingen, wie es Experten nennen. Doch längst nicht alles geht glatt. Fast zwei Drittel aller IT-Projekte scheitern, hat das Marktforschungsunternehmen Forrester festgestellt, und auch in der Logistik knirscht es bei manchem Digitalisierungsprojekt. "Es wird eine Technologie hingestellt, aber kein Einführungsszenario gebaut", weiß Konrad Fassnacht, Unternehmensberater aus Bornheim. Er hilft seit 20 Jahren Firmen dabei, neue elektronische Werkzeuge einzuführen und muss oft mitansehen, dass der Mannschaft einfach nur eine neue Software vorgesetzt wird. "So bleiben IT-Ruinen zurück und die Mitarbeiter greifen wieder zu den alten Werkzeugen." Wie lässt sich das verhindern? Die Antwort heißt "Change Management": Damit die Digitalisierung wirklich vorangeht, muss der Wandel gezielt gesteuert werden. "Der Fokus sollte auf der Frage liegen, was das Neue für die Organisation bedeutet", sagt Andreas Kick, Executive Vice President der Unternehmensberatung 4flow in Berlin. Will sagen: Bevor auch nur ein einziger Bildschirm angeschaltet wird, sollte die Projektleitung der Mannschaft erklären, was auf sie zukommt und warum - zum Beispiel mit "User Stories" (Nutzergeschichten), die konkret und in einfachen Worten schildern, wie der Alltag aussieht, wenn die neue App im Einsatz ist. Jeder muss erkennen können, wie sich seine Arbeit vereinfacht oder verbessert. Und auch, was passiert, wenn er sich dem Wandel verschließt. "Die Leute müssen verstehen, dass die Veränderung wichtig ist und sich der Aufwand lohnt", sagt Kick. Die Mitarbeiter mitgestalten lassen Vor dem Projektstart gilt es zudem, die nötigen Voraussetzungen in der Organisation zu schaffen. Mitarbeiter können durch neue elektronische Werkzeuge andere Rollen bekommen. Wer gestern nur Anweisungen ausführte, muss morgen vielleicht vom Schreibtisch aus ein ganzes Netz von Partnern managen. Verantwortungsbereiche verschieben sich, Aufgaben ändern sich, dafür braucht es Vorbereitung. Berater Kick beobachtet das zum Beispiel bei der Einführung von Transportmanagement-Systemen. "Das zwingt viele dazu, vom Feuerwehrmann zum proaktiven Mitarbeiter zu werden. - Aber manche Leute mögen es, Feuerwehrmann zu sein!" Auch wenn dieser Punkt oft unter den Tisch fällt: Um den digitalen Wandel zu meistern, wird es fallweise nötig sein, Positionen neu zu besetzen. Für solche Vorarbeiten sollte ausreichend Zeit sein, denn oft entscheidet sich im Vorfeld, ob die neue Software oder der digitale Ablauf später von den Mitarbeitern akzeptiert wird. "Es ist äußerst wichtig, den Menschen die Möglichkeit zu geben, mitzugestalten", betont Karl Warmulla, Projektleiter bei Dr. Thomas und Partner (TUP) in Karlsruhe, einer Firma, die sich auf Intralogistik-Software spezialisiert hat. Während des ganzen Projekts müsse regelmäßig Feedback eingeholt werden, das sei der Schlüssel zur Akzeptanz, sagt er. "Dann findet sich der Kunde später in der Lösung auch wieder." Wo mit der Umsetzung anfangen? "Wir haben gute Erfahrungen damit gemacht, zunächst mit einer Art von Mikrowelt zu arbeiten", sagt Projektspezialist Warmulla. Konkret heißt das: Neue Geräte, Programme und Abläufe werden zuerst in einer abgetrennten Umgebung eingeführt und nachjustiert. Diese Pilotwelt lässt sich unter anderem dazu nutzen, Multiplikatoren wie Gruppenleiter oder Vorarbeiter zu schulen. Daneben rät er, auch immer einen Plan B zu entwickeln. "Wenn es um die Mensch-Maschine-Schnittstelle geht, muss man immer eine Alternative haben." Angenommen in einem Logistikbetrieb sollen Datenbrillen, Pick-by-Voice oder Fingerscanner eingeführt werden, kann es stets zur Ablehnung von Belegschaft oder Betriebsrat kommen. Für dieses Szenario - oder für den Fall, dass einmal die Technik streikt - müsse eine Ausweichlösung vorhanden sein, und sei es nur ein clever gestaltetes Papierformular. Schulungsqualität ist entscheidend Ein Satz, der viele Digitalprojekte zum Scheitern bringt, lautet "Das erklärt sich doch von selbst". Der Fehler: Man vertraut darauf, dass sich die Mannschaft die Bedienung der elektronischen Werkzeuge selbst beibringt und verzichtet auf Schulungen. Dabei sind diese besonders wichtig. "Es sollten möglichst viele Formate angeboten werden, etwa Selbstschulungen, Webinare oder Telefonkonferenzen", rät 4flow-Experte Kick. Gerade in der Einführungsphase müssten Mitarbeiter intensiv betreut werden und zum Beispiel Möglichkeit erhalten, Fragen per Telefon oder E-Mail zu stellen. Wichtige Einschränkung: Die Schulungen sollten nicht zu früh beginnen. Denn wird die neue Software schon vier Wochen vor dem Start erklärt, könnte vieles wieder in Vergessenheit geraten - und die Mitarbeiter fallen aus Bequemlichkeit in alte Abläufe zurück. "Entscheidend für den Erfolg ist zudem die Schulungsqualität", betont Kick. Gefragt sei nicht das eine Handbuch für alle, sondern Trainings, deren Inhalt je nach Mitarbeiter unterschiedlich ist. Der eine brauche die intensive Fachschulung, der andere nur eine oberflächliche Einweisung. "Und natürlich muss der Lernerfolg danach gemessen werden", so Kick. Lust auf den Digitalen Wandel machen Alle Schulungen fruchten nur, wenn die Mannschaft grundsätzlich Lust auf den digitalen Wandel hat. "Deshalb ist es das Wichtigste, den Mitarbeitern die Scheu vor der Technik zu nehmen", betont Fassnacht. Fassnacht beginnt viele Projekte mit einem digitalen Fitnessprogramm: Die Teilnehmer bekommen ein Tablet und müssen damit kleine Übungsaufgaben lösen oder an einem Quiz teilnehmen. Ziel des spielerischen Trainings ist es, die Hemmschwelle zur Technik abzubauen und den Mitarbeitern zu zeigen, was damit alles möglich ist. Dabei macht er eine interessante Beobachtung: "Im Privatleben sind die Leute oft digital fit! Sie trauen sich bloß nicht, das Wissen anzuwenden, weil sie Angst haben Fehler zu machen." Genau da holt der erfahrene Trainer die Angestellten ab. Er fragt "Was macht ihr privat mit eurem Handy" und hilft ihnen so, das Wissen für den Job anwendbar zu machen. Auch Projektleiter Warmulla erlebt oft, dass Mitarbeiter bei neuer Digitaltechnik zurückhaltend sind, obwohl sie ihr Privathandy perfekt bedienen. Er leitet daraus eine klare Forderung für Logistik-IT ab. "Die Programme müssen so einfach zu bedienen sein wie andere Apps." Es dürfe keine komplexen Entscheidungsbäume geben, das Programm müsse den Nutzer jederzeit die Sicherheit vermitteln, das Richtige zu tun. Dieser Punkt wird übrigens häufig übersehen: Die visionärste Digitalstrategie bringt nichts, wenn Mitarbeiter am Ende mit unübersichtlicher, unlogischer oder schlecht bedienbarer Software dastehen. Natürlich gibt es in jeder Belegschaft auch Totalverweigerer. Gerade alte Hasen sagen manchmal "Für mich lohnt sich das nicht mehr, ich gehe ja ohnehin in zehn Jahren in Rente". Berater Fassnacht kennt diese Einwände - und hat ein Gegenmittel parat. Die Methode nennt sich Spiegeln: Man fragt den Mitarbeiter "Überleg' mal, was in den letzten zehn Jahren alles passiert ist". Je länger er nachdenkt, desto mehr Dinge werden ihm einfallen - schnelles Internet, Smartphones, Flachbildschirme. Dann stellt der Trainer die entscheidende Frage: "Und in den nächsten zehn Jahren soll nicht mehr so viel passieren?" Dieses Argument wirkt. "Vielen wird dann klar, dass sie es sich auch mit Anfang 50 nicht leisten können, den Anschluss zu verpassen", so Fassnacht. Natürlich können Berater allein nicht den digitalen Wandel in einer Firma herbeiführen. "Sie brauchen auf jeden Fall Unterstützung aus dem Top-Management und ,Change Agenten' in der Belegschaft, die andere mitziehen", rät Fassnacht. Er empfiehlt die Bildung von sogenannten Tandems, zum Beispiel aus dem digital fitten Azubi und dem älteren Mitarbeiter, der dafür die internen Abläufe bestens kennt. Diese Duos sollten zunächst Stillschweigen vereinbaren (damit sich beide trauen, auch vermeintlich dumme Fragen zu stellen) und sich dann gegenseitig beraten. "Der schöne Nebeneffekt ist, dass so auch Wissen vom alten in den jungen Kopf fließt", weiß Fassnacht. Er schwört auf die Tandem-Methode, gibt aber auch zu, dass sie mit einigem Aufwand verbunden ist. Meilensteine regelmäßig nachhalten Der vielleicht wichtigste Punkt ist Kontinuität. Es reicht nicht, alle Kräfte auf den Starttermin (Fachwort: Go Live) zu bündeln. Es muss auch danach Meilensteine geben, die von der Projektleitung regelmäßig nachgehalten werden. Ein Ziel kann zum Beispiel lauten: Sechs Monate nach dem Start der neuen Software müssen 80 Prozent der Mitarbeiter ein Nutzerkonto angelegt haben und die Anwendung auch verwenden. Die Projektleitung muss kontrollieren, ob man die gesteckten Ziele erreicht hat - und gegebenenfalls nachsteuern. Mehr zum Thema im Dossier Unternehmensführung www.verkehrsrundschau.de/dossiers Die Serie Logistik 4.0 - Prozesse im Wandel Wie die Digitalisierung Unternehmen und Berufsbilder in Transport, Spedition und Logistik verändert- Was Verlader und Experten von Transport- und Logistikfirmen fordern (VR 43/15)- Ersetzen Apps künftig Disponenten und Frachteinkäufer? (VR 5/16)- So begeistern Sie Mitarbeiter für den Digitalen Wandel (VR 48/49)- Führen Chefs künftig virtuelle Unternehmen? Tipps So klappt die Umsetzung Apps, Internet-Werkzeuge, Geräte: So sorgen Sie dafür, dass der digitale Wandel gelingt- Erklären Sie den Mitarbeitern so früh wie möglich, was sich für sie ändert, welcheVorteile das Neue bringt und warum der Wandel unvermeidlich ist.- Geben Sie Mitarbeitern die Möglichkeit, den Wandel mitzugestalten. Fragen Sie nach Ideen, holen Sie regelmäßig Feedback ein.- Bieten Sie Schulungen in möglichst verschiedenen Formaten an (vom Klassenraum-Seminar bis zur Schulung per Telefonkonferenz). Lassen Sie die Inhalte auf die Zielgruppen zuschneiden. Kontrollieren Sie den Lernerfolg. Wichtig: Halten Sie Schulungen nicht mit zu langem Vorlauf ab.- Schalten Sie den Schulungen ein allgemeines Digitaltraining vor, um die Hemmschwelle gegenüber der Technik zu senken.- Halten Sie nach, ob die neuen digitalen Werkzeuge auch genutzt werden. cg