Die Tücken des Mindestlohns

Der Mindestlohn kommt. Ab dem 1. Januar 2015 soll im Osten wie im Westen der Republik niemand mehr für weniger als 8,50 Euro die Stunde arbeiten müssen. Damit wird den Tarifvertragsparteien die Möglichkeit genommen, autonom den Lohn unter Berücksichtigung der jeweiligen Marktgegebenheiten auszuhandeln. Sinnigerweise nennt sich das Gesetz, mit dem dies geschieht, "Gesetz zur Stärkung der Tarifautonomie". Ein Schelm, der Schlechtes dabei denkt. Dieses Tarifautonomiestärkungsgesetz umfasst das Gesetz zur Regelung eines allgemeinen Mindestlohns, enthält daneben auch Änderungen des Tarifvertragsgesetzes, des Arbeitnehmerentsendegesetzes und anderer Vorschriften. Auftraggeberhaftung inakzeptabel Über Pro und Kontra eines gesetzlich festgelegten Mindestlohns ist in der Vergangenheit genug gestritten worden. Die Wirtschaft wird ihn akzeptieren müssen. Inakzeptabel für die betroffenen Wirtschaftskreise sind allerdings insbesondere Bestimmungen zur Auftraggeberhaftung. Jeder Unternehmer, der einen anderen Unternehmer mit der Erbringung von Werk- oder Dienstleistungen beauftragt - also beispielsweise jeder Auftraggeber eines Spediteurs oder Transportunternehmers - haftet für die Verpflichtungen dieses Unternehmers oder des von diesem eingesetzten Subunternehmers zur Zahlung des Mindestlohns an die Arbeitnehmer "wie ein Bürge, der auf die Einrede der Vorausklage verzichtet hat". Mit dieser in Paragraf 13 des Gesetzentwurfs vorgesehenen Regelung übernimmt der Auftraggeber hinsichtlich des Mindestlohns die gesamtschuldnerische Haftung für die gesamte Nachunternehmerkette. Jeder Arbeitnehmer des Sub-, Sub-, Subunternehmers kann sich, ohne vorher auch nur seinen eigenen Arbeitgeber bemühen zu müssen (der möglicherweise bereits insolvent ist), unmittelbar an den ersten Auftraggeber halten. Er kann dann von diesem die Zahlung der Differenz zwischen vorgeschriebenem Mindestlohn und tatsächlich gezahltem Arbeitsentgelt verlangen. Diese Haftung soll nur entfallen, wenn der offenbar unter gesetzlichem Generalverdacht stehende Auftraggeber folgenden Nachweis erbringt: dass er weder positive Kenntnis noch grob fahrlässige Unkenntnis davon hatte, dass der Auftragnehmer (oder dessen Nachunternehmer) seiner Verpflichtung zur Zahlung des Mindestlohns nicht nachkommt. Die Überbürdung dieses völlig unkalkulierbaren Risikos für die gesamte Nachunternehmerkette ist weder wirtschaftlich noch sozial in irgendeiner Form zu rechtfertigen. Wenn der Auftraggeber einen seriösen und zuverlässig erscheinenden Unternehmer mit der Erbringung einer Dienst- oder Werkleistung beauftragt und diesen, wozu zu raten ist, im Vertrag auf die Einhaltung des Mindestlohngesetzes verpflichtet, enden seine realen Einflussmöglichkeiten. Es muss genügen, dass ein Leistungsentgelt vereinbart wird, das die Zahlung eines Mindestlohns regelmäßig erlaubt. 500.000 Euro Bußgeld möglich Der Auftragnehmer wird sich nicht in die Preiskalkulationskarten schauen lassen und die Lohnkosten auf den Tisch legen wollen. Dies gilt dann natürlich noch in verstärktem Maße bei allen Nachunternehmern. Den Auftraggeber hier garantiemäßig in die Haftung zu nehmen und von ihm den Nachweis der Unkenntnis zu verlangen, ist bereits deshalb im Ansatz völlig verfehlt, weil der privatrechtliche Auftraggeber - anders als die Ermittlungsorgane von Bund und Ländern - gar keine durchsetzbaren Kontrollbefugnisse besitzt. Verfehlt ist deshalb auch die Bußgeldbestimmung, nach der der Auftraggeber Geldbußen bis zu 500.000 Euro riskiert, wenn er Leistungen "in erheblichem Umfang" von einem anderen Unternehmer ausführen lässt, von dem er weiß oder fahrlässig nicht weiß, dass dieser nicht den Mindestlohn zahlt. Hier sollen der Wirtschaft - einmal mehr - Kontrollpflichten aufgebürdet werden, die ureigene Staatsaufgaben sind und von Unternehmen nicht erfüllt werden können. Auch hier ist dringend Nachbesserung erforderlich. Dies gilt zumal deshalb, weil die Formulierung der Ordnungswidrigkeitenvorschrift Zweifel an der Vereinbarkeit mit dem grundgesetzlich verankerten Bestimmtheitsgebot aufkommen lässt. Der Bundestag darf das Gesetz deshalb nicht einfach durchwinken. Es muss dringend überarbeitet werden. Anderenfalls wird mancher Unternehmer darüber nachdenken, ob er bestimmte Leistungen nicht mehr in Deutschland, sondern dort ausführen lässt, wo das Damokles-Schwert eines Mindestlohngesetzes nicht über ihm hängt. Dann hätten manche Arbeitnehmer freilich nicht mehr 8,50 Euro die Stunde, sondern bald nur noch Hartz IV. Zeitplan Mindestlohn Die Beratungen im Bundestag zum Mindestlohn sollen noch vor der Sommerpause abgeschlossen werden. Die Beschlussfassung im Bundesrat ist für September 2014 geplant. Die Höhe des Mindestlohns wird jährlich, erstmals mit Wirkung zum 1. Januar 2018, überprüft. Eine Kommission schlägt dann der Bundesregierung Anpassungen des Mindestlohns vor.