"Die Mautsätze sinken für die Nutzer"

Genau ein Satz des Bundesverkehrsministers ließ die Logistikbranche vergangene Woche aufhorchen: "Die Hauptnachricht des Wegekostengutachtens ist, dass die Mautsätze für die Nutzer sinken werden." Mit dieser Botschaft überraschte Alexander Dobrindt (CSU) nicht nur die eilig herbeigerufene Hauptstadtpresse. Auch die Vertreter der führenden Branchenverbände trauten ihren Ohren nicht. Zwar wurde in Berlin immer wieder gemunkelt, dass das neue Wegekostengutachten, das die Basis für die Berechnung der Mautsätze darstellt, zu dem Schluss kommt, dass die Straßenbenutzungsgebühr für schwere Lastwagen eigentlich reduziert werden müsste. Dass die Politik aber keinen Dreh finden würde, die Maut-Einnahmen zu sichern, damit hatte kaum ein Beobachter gerechnet. Doch die klaren Ergebnisse der Wissenschaftler machten den Finanz- und Verkehrspolitikern hier anscheinend einen Strich durch die Rechnung: Aufgrund der stark gesunkenen Kapitalmarktzinsen haben sich die Kosten für Bau und Erhalt der Bundesfernstraßen deutlich reduziert. Und da aufgrund gesetzlicher Vorgaben die Mautgebühren in Summe die Wegekosten nicht übersteigen dürfen, blieb dem Ministerium anscheinend kein anderer Weg, als eine Reduzierung der Mautsätze anzukündigen. Die Gutachter der Weimarer Alfen Consult kommen nun zu Mautsätzen, die je nach Schadstoff- und Achsklasse um ein bis fünf Cent unter den bisherigen Mautsätzen liegen (siehe Tabelle Seite 18). So müsste ein Euro-5-Fahrzeug mit vier und mehr Achsen demnach 13,2 statt 15,5 Cent je Kilometer zahlen. Ein Euro-6-LKW sogar nur 10,5 Cent. Das wäre bis zu einem Drittel weniger Maut als bisher. Mautsenkung fällt geringer aus So hoch wird die angekündigte Reduzierung der LKW-Maut aber nicht ausfallen. Da sind sich alle Experten sicher. Denn erstmals wurden im Wegekostengutachten auch die sogenannten externen Kosten bestimmt, die durch den Straßenverkehr anfallen. Bisher erfasste das Wegekostengutachten nicht die Kosten durch Luftverschmutzung und Lärm. Mit der EU-Richtlinie 2011/76 ist es den Mitgliedstaaten aber erlaubt, die Umweltkosten ebenfalls in die Mautkostenrechnung einzubeziehen. Das heißt: Wegekosten plus externe Kosten ergeben den maximal zulässigen Mautsatz. Im neuen Gutachten wurde dies konkret zumindest für die Luftverschmutzung durchgeführt. Je nach Schadstoffklasse können hier die Basismautsätze aus den Wegekosten noch einmal um ein bis drei Cent steigen. Die Lärmkosten wurden hingegen nicht exakt berechnet, hier sei ein weiteres Gutachten notwendig, so die Wissenschaftler. Wie sich die externen Kosten aber exakt auf die neuen Mauthöhen auswirken werden, ist noch unklar. Karlheinz Schmidt, geschäftsführendes Präsidialmitglied im Bundesverband Güterkraftverkehr, Logistik und Entsorgung (BGL), ist deshalb auch noch sehr vorsichtig, ob es am Ende überhaupt zu einer Absenkung der LKW-Maut kommen wird. Das Zünglein an der Waage sieht er bei der Anlastung der externen Kosten. Bei Euro-6-LKW könne man diese noch nicht geltend machen. "Aber im Durchschnitt will man 2,1 Cent drauflegen. Das wird dann sicher dazu führen, dass gerade bei den unteren Mautklassen die neue LKW-Maut sich kaum verändern wird", prognostiziert Schmidt. Neu am nun veröffentlichten Gutachten sind auch die gesondert ausgewiesenen Wegekosten für die derzeit rund 1000 Kilometer mautpflichtigen vierspurigen Bundesstraßen, die sehr hoch ausfallen (siehe Tabelle Seite 18). Wie hoch der Bund die Maut auf Bundesstraßen ansetzen wird, ist noch unklar, aber anscheinend soll es eine Unterscheidung geben, wie das Ministerium der VerkehrsRundschau mitteilte: "Es wird unterschiedliche Mautsätze geben. Auf Bundesstraßen wird es teurer. Das hilft auch gegen Ausweichverkehre", so eine Sprecherin des Ministeriums. Über solche Pläne zeigen sich die Branchenverbände entsetzt, insbesondere, wenn die Mautsätze aus dem Wegekostengutachten angesetzt würden: "Das wäre der Todesstoß für revierferne und strukturschwache Regionen", sagt BGL-Geschäftsführer Schmidt. Die Umsetzung der Pläne aus dem Wegekostengutachten hätte einen mehr als doppelt so hohen Mautsatz für LKW auf Bundesstraßen im Vergleich zur Maut auf Autobahnen zur Folge. Schmidt führt das Beispiel eines Unternehmens an, dessen Produktion mit täglich 100 LKW über eine 50 Kilometer lange, vierspurige Bundesstraße versorgt wird. Nach seinen Berechnungen würde das in Summe eine Belastung über mehrere Hunderttausend Euro pro Jahr für das Unternehmen bedeuten. "Das würde einige Verlader richtig in die Klemme bringen", sagt Schmidt. Deshalb hält er es für politisch kaum durchsetzbar, dass die LKW-Maut auf Bundesstraßen mehr als doppelt so hoch angesetzt wird wie die LKW-Maut auf Autobahnen. Auch andere Verbände blicken sorgenvoll auf diese Entwicklung (siehe Kasten oben). Euro 6 bis zu fünf Cent günstiger Unter Berücksichtigung der externen Kosten geht die VerkehrsRundschau derzeit davon aus, dass die Maut für Euro 6 im Vergleich zur derzeit geltenden Maut um bis zu fünf Cent sinken könnte. Euro 5 und vielleicht auch noch weitere Schadstoffklassen dürften um bis zu einen Cent günstiger werden. Sicher ist dies aber nicht. Derzeit wird im Ministerium noch gerechnet. Wie die Mautsätze und Mautkategorien am Ende dann genau aussehen, wird in den kommenden Wochen und Monaten festgelegt. In Kraft treten soll das neue Mautgesetz schon im zweiten Halbjahr 2014. Zweifelhaft bleibt, ob diese Senkung dann über 2017 hinaus von Dauer ist. Denn im Wegekostengutachten steigen die Zinssätze bis dahin wieder deutlich an (siehe Interview Seite 19). Ein Dilemma für jeden Unternehmer. "Durch den starken Einfluss der Zinsen auf die Höhe der Maut sind die Kosten für Verlader und Logistiker mittelfristig schwer planbar", beklagt Christian Labrot, Hauptgeschäftsführer des Verladerverbandes BWVL. Deshalb müsste die Wegekostenrechnung mittelfristig auf eine andere Basis gestellt werden, um die Berechnung von den volatilen Zinsen zu entkoppeln, so Labrot weiter. Auch für den Staat würde damit mehr Planungssicherheit geschaffen. Denn die neue Kalkulation der Wegekosten reißt aktuell ein großes Loch in den Bundeshauhalt. Selbst bei Anlastung von externen Kosten über die LKW-Maut (durch die sich das Bundesverkehrsministerium rund 400 Millionen Euro pro Jahr erhofft) ergibt sich laut Verkehrsminister Dobrindt für den Zeitraum von 2013 bis 2017 eine Lücke von rund zwei Milliarden Euro gegenüber dem bisherigen Finanzplan. Um die absehbare Lücke zu stopfen, soll die LKW-Maut mit dem neuen Bundesfernstraßenmautgesetz auf weitere 1000 Kilometer autobahnähnlich ausgebaute Bundesstraßen ausgeweitet werden. Das bringt dem Bund in dieser Legislaturperiode Einnahmen von 500 Millionen Euro. Dobrindt fehlen 1,3 Milliarden Euro Die außerdem angekündigte Ausweitung der Maut auf LKW ab 7,5 Tonnen zulässiges Gesamtgewicht soll bis 2017 noch einmal 200 Millionen Euro in die Staatskasse spülen. Unterm Strich fehlen Dobrindt aber dann immer noch 1,3 Milliarden Euro. Für den Ausgleich soll nun der Bundesfinanzminister einspringen, machte der Bundesverkehrsminister vergangene Woche deutlich: "Die mögliche Lücke bei den Mauteinnahmen, mit der zu rechnen ist, wird aus dem Bundeshaushalt geschlossen", sagte Dobrindt mit Verweis auf einvernehmliche Gespräche zwischen ihm und dem Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU). Auch sollen die zusätzlichen fünf Milliarden Euro, die in dieser Legislaturperiode für Verkehrsinvestitionen eingeplant sind, nicht angetastet werden. Über die Vorschläge soll nun mit den Regierungsfraktionen beraten werden. De-Minimis-Gelder bleiben erhalten Auch die Mautharmonisierungsmittel, von denen Transportunternehmen über Förderprogramme wie De-Minimis oder Aus- und Weiterbildung profitieren, sollen vorerst nicht gekippt werden, teilte das BMVI auf Anfrage mit. Die Gelder sollen abhängig "von der jährlichen Haushaltsgesetzgebung" weiterhin fließen. Beim Interessenverband Pro Mobilität sieht man die Zusage des Bundesfinanzministers, die entstehende Lücke aus dem Haushalt auszugleichen, als positives Signal. "Das zeigt, dass wir heute auch politisch eine ganz andere Akzeptanz für Infrastrukturthemen haben", erklärt Stefan Gerwens, Geschäftsführer von Pro Mobilität. Rückwirkend sollen die neuen Mautsätze laut Bundesverkehrsministerium allerdings nicht gelten. "Im Jahr 2014 zu viel erhaltene Mauteinnahmen werden im Gesetzgebungsverfahren bei der Festsetzung der neuen Mautsätze mindernd berücksichtigt", heißt es in einer Antwort des Ministeriums. Die nun angekündigten Maßnahmen sind aber nur der erste Schritt: Union und SPD hatten im Herbst im Koalitionsvertrag vereinbart, die LKW-Maut sogar auf alle Bundesstraßen auszudehnen. Für die Bemautung von insgesamt 39.700 Kilometern Bundesstraßen ist laut BMVI jedoch ein längerer technischer und organisatorischer Vorlauf notwendig. Das dafür erforderliche System dürfte erst Mitte 2018 technisch funktionsfähig zur Verfügung stehen, sagte Dobrindt. OBU-Probleme scheinen gelöst Die für die zweite Hälfte 2015 geplante Ausweitung der Maut auf Fahrzeuge ab 7,5 Tonnen und weitere rund 1000 Kilometer Bundesstraße scheint indes technisch umsetzbar zu sein. Das Speicherproblem in den On-Board-Units (OBU), das bei der ersten Ausweitung der LKW-Maut auf Landstraßen vor zwei Jahren für Probleme sorgte, wurde nach Angaben von Toll Collect gelöst. Mit einem normalen Software-Update könne das erweiterte Straßennetz via Funkverbindung aufgespielt werden, ohne dass die LKW in die Werkstatt müssten. Zu den darüber hinaus geplanten Ausweitungen wollte sich Toll Collect zu diesem Zeitpunkt noch nicht äußern, schon gar nicht zu dem, was die Opposition fordert: "Mittelfristig wollen wir die LKW-Maut auf das gesamte Straßennetz ausweiten und schon Fahrzeuge ab 3,5 Tonnen einbeziehen. Das bringt zusätzliche Einnahmen und ist das wirksamste Instrument gegen Ausweichverkehre", kommentierte der verkehrspolitische Sprecher von Bündnis 90/Die Grünen, Stephan Kühn, Dobrindts neue Maut. Das Wegekostengutachten und weitere Infos zu neuen Maut-Strecken unter www.verkehrsrundschau.de/dokumente Maut auf Bundesstrassen Verbände warnen vor AusweitungDie Ausdehnung der Mautpflicht auf alle Bundesstraßen sieht der Verladerverband BWVL sehr kritisch, da hierdurch die regionale Wirtschaftsstruktur negativ beeinflusst werde. "Vierspurige Bundesstraßen mit Autobahnanbindung stellten die Grenze der Bemautung dar", sagt Hauptgeschäftsführer Christian Labrot. Ausländische LKW-Halter und der Transitverkehr, der weitgehend auf den Autobahnen stattfände, würden ansonsten gegenüber den deutschen LKW überdurchschnittlich entlastet. Die Bundesstraßen noch höher als die Autobahnen zu bemauten, hält der BWVL im Hinblick auf die Standortentscheidungen deutscher Unternehmen in strukturschwachen Regionen für problematisch und kontraproduktiv."Das alte Argument der Ausweichverkehre aus der Mottenkiste zu holen ist nicht nachvollziehbar, erwiesenermaßen finden keine wesentlichen Ausweichverkehre auf Bundesstraßen statt, weil Umwege und Zeit teurer sind als eingesparte Maut", so Labrot. Auch Dierk Hochgesang, Geschäftsführer des Bundesverbands Möbelspedition, kritisiert Pläne, eine deutlich höhere Bundesstraßenmaut einzuführen. Möbelspediteure, die diese vierspurigen Bundesstraßen benutzen müssten, "sind erheblich betroffen", sagt Hochgesang. Er fordert, dass das Verkehrsministerium "schnellstmöglich verlässliche Zahlen auf den Tisch legt", um Rechtsklarheit zu schaffen. Denn Rahmenverträge, die für 2015 gelten, würden in den kommenden Wochen abgeschlossen. Um hier verlässliche Angebote abgeben zu können, sei es unerlässlich, die tatsächliche Mauthöhe zu kennen. cd/ak

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