Die Software-Krake macht sich breit

Tourenplanung, Fuhrparkverwaltung, Telematik und die Zollsoftware Atlas sowieso. Software-Unterstützung ist aus dem Alltag von Logistikdienstleistern nicht mehr wegzudenken. Disposition, Gutschriftensystem, Lademittelverwaltung, Personaleinsatzplanung - alles läuft IT-gestützt. Die Anforderungen an die IT wachsen, wenn Unternehmen neben dem Transport ihren Kunden Lagerung, Kommissionierung und Auftragsfertigung anbieten. Sie wachsen noch mehr, wenn Automation ins Spiel kommt. Wenn es gilt, die Bestände in großen Regalanlagen und dynamischen Systemen zu führen und Prozesse aufeinander abzustimmen, dann wird der Einsatz von Lagerverwaltungssystemen (LVS), Lagerführungssystemen (LFS), Lagersteuerungsund Verwaltungssystemen (LSV) oder Warehouse-Management-Systemen (WMS) unverzichtbar. Wie ein Krake seine Beute reißt die IT alle Bestände und Abläufe an sich. "Wir bemerken derzeit einen Trend zur verstärkten Anpassung der Software an die physischen Unternehmensgegebenheiten", erklärt Erich Brück, Leiter Planung IT-Systemdesign von PSB Intralogistics, Pirmasens. "Insbesondere sind hier als Treiber die verstärkte Automatisierung, der Einsatz von Key-Performance-Indicators und die Nutzung von Optimierungspotenzialen zu nennen." Software für die Intralogistik entwickelt sich mit immer umfangreicheren Funktionen und Anwendungsbereichen gegenwärtig vom Lagerverwaltungssystem über das Warehouse Management System zur Basis für ein Logistikmanagement - und damit weit über die unternehmensinternen Prozesse hinaus. "Bedeutende Leistungssteigerungen sind nicht mehr mit der Optimierung einzelner Teilbausteine zu erreichen", erklärt Brück die Entwicklung. WMS steuert Personal und Anlagen Dabei spielen mehrere Faktoren zusammen. "Die Strategien für die dynamischen Anlagen kommen aus LVS und WMS. Mit ihren Funktionen sorgen sie für Transparenz über die Auslastung des Lagers, dokumentieren die Effizienz mit Key Performance Indicators und steigern mit ihrer Prozessführung die Qualität um durchschnittlich 20 Prozent", sagt Roland König, Leiter IT Consultancy der SSI Schäfer Gruppe. Neben Steuerungs- und Verwaltungsfunktionen optimieren Warehouse-Management-Systeme heute die Einsatzplanung von Personal und Förderzeugen, integrieren das Ordermanagement, umfassen die Routenbildung und -disposition und bilden die Prozesse mit Visualisierungsfunktionen ab. Hinzu kommen Controlling-Tools, mit denen die Lagerprozesse sich im Tagesgeschäft schnell auswerten und sich Abläufe aus dem lokalen Umfeld einbinden lassen. "Es ist ein stärker werdender Trend zur Verzahnung ehemals eigenständiger Intralogistik-IT-Produkte zu erkennen", urteilt Detlef Spee, Abteilungsleiter Materialflussplanung am Fraunhofer Institut Materialfluss und Logistik (IML). "Die Integration erfolgt sowohl auf der vertikalen wie auch auf der horizontalen Systemebene." Augmented Reality kommt ins Lager Bei der vertikalen Integration binden die WMS-Anbieter beispielsweise die Materialflusssteuerung ein oder decken administrative Aufgaben ab, die ursprünglich eher von ERP-Systemen (Enterprise Ressource Planning) übernommen werden. Das bedeutet, dass zukunftsfähige Softwaresysteme so ausgelegt sein müssen, dass sie künftige technologische Entwicklungen und Veränderungen, etwa in der Anlagentechnik, der Sensorik und Bilderfassung unterstützen können. "Technologieentwicklungen wie etwa im Bereich der Augmented Reality finden ihren Widerhall auch in der Warehousing-Software", urteilt Paul Rivera, Produkt Manager Warehouse Logistics Solutions des Software-Anbieters AEB. Auf funktionaler Ebene setzen die Software-Hersteller dabei die zunehmende Verlagerung von produktionsähnlichen Prozessen der Vormontage, Konfektionierung und Veredelung in ihren Lösungen um. "Das führt zu einer Entwicklungsrichtung, bei der branchenspezifische Value Added Services mit Funktionen abgedeckt werden, die hinsichtlich Lagerart und Branche speziell auf die jeweiligen Anforderungen hin zugeschnitten und zu Logistiklösungen zusammengefasst werden", erläutert SSI-Berater König. So müssten beispielsweise WMS für die Mode-Branche die Prozesse für das Handling von Hänge- und Liegeware nebst Services wie etwa das Aufbügeln abdecken. Je mehr ein Anbieter in einer Branche verankert ist, desto mehr liegen solche Lösungen bei ihm als Standard vor. Darüber hinaus bieten die führenden Software-Anbieter insbesondere bei Projekten mit Automatikanbindung die sogenannte Emulation ihrer Software-Lösung. Damit wird das Zusammenspiel der anderen Softwaresysteme mit dem WMS simuliert und überprüft - bevor Förder- und Lagertechnik physisch installiert werden. Das verkürzt die Realisierungszeiten der Projekte und sorgt dafür, dass die Systme hinterher stabil laufen. Die horizontale Integration hingegen betrifft fachlich eng mit dem Warehouse Management verwandte Themenbereiche wie das Dock- und Yard-Management oder Funktionen, mit denen KEP-Dienstleister angebunden werden. "Die Grenzen zwischen WMS und Transport-Management-Systemen sind fließend geworden", sagt Fraunhofer-Mann Spee. "Mittelfristig sind enge Wechselwirkungen zwischen WMS und dem Supply Chain Management zu erwarten." Lagersoftware erledigt mehr Aufgaben Künftig wird es nicht mehr genügen, allein Unternehmensprozesse zu steuern. Zukunftsfähige Intralogistik-Software wird in der Lage sein müssen, auch vor- und nachgelagerte Prozesse abzubilden, die Auftragsverfolgung, das Fuhrpark- und das Transportmanagement oder gängige Abwicklungen der Luft- und Seefracht zu unterstützen sowie die Partner der Supply Chain zu integrieren. "Neben den klassischen Logistiklösungen sind künftig integrierte Konzepte gefragt, die nicht nur einzelne Läger steuern und Transporte managen, sondern übergreifend Transparenz und Steuerungsmöglichkeiten in die komplette Supply Chain bringen", sagt Giovanni Prestifilippo, Geschäftsführer der PSI Logistics. Leitstände zeigen Leistung Die Integration von Funktionalitäten aus dem Bereich des Supply Chain Managements soll die ganzheitliche Betrachtung aller für Transport, Produktion, Lagerung und Distribution benötigten Ressourcen unterstützen und neue Optimierungspotenziale über die gesamte Supply Chain hinweg erschließen. Eine zunehmend wichtigere Rolle sprechen die Software-Entwickler dabei einer verstärkten Einbindung von Leitständen zu, die die Performance des Lagers abbilden. "Dash-Boards, die Anlagenzustand, Auftragsbearbeitung, Ressourcenauslastung und so weiter auf einen Blick visualisieren, werden immer stärker nachgefragt", weiß SSI-Mann König. Die Leitstände visualisieren die wesentlichen Leistungsdaten und -kennzahlen unternehmensintern, immer öfter aber auch über die Unternehmensgrenzen hinweg. "Das Thema Business Intelligence wird auch im Umfeld von WMS immer wichtiger, um eine höhere Transparenz in den Prozessen über die verschiedenen IT-Systeme wie ERP, SCM, TMS und WMS hinweg sicherzustellen", urteilt IML-Abteilungsleiter Spee. "Zur besseren Vorhersage zukünftiger Leistungsanforderungen erlangen darüber hinaus Prognosetools im laufenden Betrieb eine höhere Relevanz." Mit Prognose laufend besser werden Mit den Prognosetools lassen sich in Simulationen Kalkulationen und Kennzahlen entwickeln. "Ergebnisse aus der Simulation oder Prognose werden in den operativen Betrieb übernommen und wiederum über Simulation oder Prognose in ihren Auswirkungen auf den operativen Betrieb überprüft", so Prestifilippo. "Damit wird die Optimierung zu einem permanenten Prozess." So wird beispielsweise aus der Verknüpfung der Funktion Laderaumoptimierung in einem TMS mit der Versand- und Packmitteloptimierung eines WMS in der IT der gesamte Kommissionierprozess virtuell durchgespielt. Auf diese Weise lassen sich bereits im Voraus nicht nur die idealen Verpackungsmittel generieren, sondern auch die Transportkapazitäten definieren und die richtigen Verladezeitpunkte ermitteln. Im Anschluss daran erfolgt eine Rückwärtsterminierung, mit der der Kommissionierbeginn festgelegt wird. Als Ergebnis sinkt der Bedarf an Transportkapazitäten und Bereitstellflächen. Hinsichtlich Flexibilität und Integrationsfähigkeit gewinnen neben der Updateund Releasefähigkeit der IT-Systeme technologisch die serviceorientierten Architekturen (SOA) an Bedeutung. Mit ihnen werden auf der Programmebene einzelne Arbeitsschritte als Services definiert und gekapselt. Mit ihnen lassen sich kleinere standardisierte Einheiten zu größeren Anwendungen mit individuellem Zuschnitt zusammenstellen. "Mit einer Webserverfähigen Umgebung ermöglichen SOA-basierte Systeme Lösungen, die gleichermaßen den unterschiedlichen Betriebsmodellen von KMU und Großunternehmen gerecht werden können", erläutert AEB-Produkt-Manager-Rivera. Und ein Zweites ermöglichen die SOA: On-Demand-Lösungen oder Cloud-Computing. Die IT aus dem World Wide Web verspricht gerade kleineren und mittelständischen Unternehmen (KMU) eine Entlastung der Bilanzen: Benötigte IT-Dienstleistungen von der Serverkapazität über die Anwendungssoftware bis hin zur Sicherheitstechnologie sind via Internet in Echtzeit auf Abruf verfügbar: bedarfsgerechte Software-Lösungen ohne Investitionen für Kauf oder Lizenzerwerb, Zuschnitt und Updates. Die Abrechnung erfolgt beispielsweise per monatlicher Miete oder als Pay-by-use und richtet sich nach Anzahl der User, Nutzungshäufigkeit oder den genutzten Funktionen. Diskussionen um die Cloud Für welche Anwendungen in der Intralogistik sich das Cloud-Computing eignet, ist indes noch nicht ausdiskutiert. Selbst unter den Experten herrscht noch Uneinigkeit über Leistungsfähigkeit der Cloud in Logistik-Anwendungen. Der gegenwärtige Stand der Technologie, Sicherheitsbedenken und die Komplexität der Prozesse im Lager lassen die Skeptiker argwöhnen. Einer aktuellen Studie des Kasseler Marktanalysten Techconsult zufolge sehen sich KMU gegenwärtig mit erheblichen Hemmnissen in Bezug auf Einführung und Nutzung von Cloud Services konfrontiert. 78 Prozent der befragten deutschen Unternehmen gaben an, eher negative Erfahrungen mit der Cloud-Thematik gemacht zu haben. Überdies besitze nur jeder fünfte IT-Dienstleister ein umfangreiches Cloud-Portfolio für den Mittelstand. Für unbedenkliche Daten wie Artikelnummern, Abmessungen, Beschreibung oder Bilder können sich innovative und sinnvolle Nutzungsmöglichkeiten durch die Cloud ergeben. Bei Anwendungen mit sensiblen Unternehmensdaten und prozessentscheidenden Funktionen herrscht hingegen eher Zurückhaltung. "In Bereich der Cloud-Anwendungen ist die Theorie weiter als die Praxis", urteilt etwa SSI-Berater König. "Für Cloud-Anwendungen und Apps verzeichnen wir gegenwärtig keine Nachfrage. Die Kunden wollen über ihre Systeme zentral im Hause verfügen und sich etwaige Netzprobleme nicht ins Haus holen." WM-Logistik nutzt die Cloud AEB-Produkt Manager Rivera sieht hingegen "einen prinzipiellen Trend zu Cloud-Lösungen", räumt aber ein, dass "derartige Projekte nicht in allen Anwendungen funktionieren". Tatsächlich umfassen Cloud-Lösungen gegenwärtig eher Subprogramme oder Anwendungen, sogenannte Apps, im Rahmen des Customer Relationship Managements. Als erste große Referenz betreibt WM-Logistik in Duisburg ein Lager, das vollständig durch Logistik-Software aus der Cloud gesteuert wird. Die Module werden in der Logistics Mall des Fraunhofer IML bereitgestellt. Ob vom eigenen Server oder aus der Cloud, Lagersoftware breitet ihre Arme, ähnlich wie ein Krake, auf immer mehr Bereiche im Unternehmen aus. Was ist was Lagerverwaltungssystem oder Warehouse Management System In diesen Tagen wird die VDI-Richtlinie 3601 in Druck gehen. Sie weist aus, was Software fürs Lager leisten muss. Die Richtlinie unterscheidet und definiert unter anderem Lagerverwaltungssysteme (LVS) und Warehouse Management Systeme (WMS) und zeigt ihre Funktionsumfänge auf.Der Begriff Lagerverwaltungssystem beschreibt danach "ein System zur Verwaltung von Mengen und Orten (Lagerorten) und insbesondere deren Beziehung zueinander. Zusätzliche Funktionen können dabei auch die Verwaltung der Transportsysteme beinhalten. Somit stellt ein Lagerverwaltungssystem im engeren Sinne ein Lagerbestandsverwaltungssystem dar."Die Aufgabe von Warehouse Management Systemen besteht hingegen "in der Führung und Optimierung von innerbetrieblichen Lagersystemen". Es steuert, kontrolliert und optimiert komplexe Lager- und Distributionssysteme. Neben elementaren Funktionen einer Lagerverwaltung wie Mengen- und Lagerplatzverwaltung sowie Fördermittelsteuerung und -disposition gehören zum Leistungsumfang von WMS umfangreiche Methoden und Mittel zur Kontrolle der Systemzustände und eine Auswahl an Betriebs- und Optimierungsstrategien.Ein modernes WMS ist modular aufgebaut. Sein Funktionsumfang ist gegliedert in:- Kernfunktionen - sie unterstützen den Haupteinsatzbereich jedes WMS: von der Warenannahme bis zum Versand.- Zusatzfunktionen wie zum Beispiel Dock- und Yard-Management sowie Ressourcenplanung - sie werden nur installiert, wenn der Kunde die entsprechende Funktionalität auch benötigt.- Erweiterungsmodule wie RFID-Lösungen oder Pick-by-Voice-Systeme - sie sind in der Regel eigenständige, "WMS-neutrale" Softwarepakete, die den Funktionsumfang eines WMS erweitern, gewöhnlich jedoch nicht vom WMS-Anbieter entwickelt und vertrieben werden. rbb Quelle: Fraunhofer IML Markt für Lagersoftware Die große Auswahl Gut 150 überwiegend kleinere und vor allem mittelständische Anbieter von Warehouse- Management-Systemen (WMS) und ein Marktvolumen von rund einer Milliarde Euro allein für WMS umfasst der deutsche IT-Markt. Die Marktplayer setzen bei ihren Produktentwicklungen unterschiedliche Prioritäten und bieten von der SAP-Implementierung nebst Zuschnitt über eigene kleine Lagerverwaltungssysteme bis hin zu umfassenden IT-Plattformen für jeden Bedarf das passende System. Erste Anhaltspunkte für die richtige Systemwahl bietet die vom IML erstellte Differenzierung nach Anbietertypen.- Gut 40 Prozent der Anbieter sind danach als pure WMS-Anbieter zu identifizieren. Sie haben sich nahezu ausschließlich auf Warehouse-Management-Systeme spezialisiert, die meist die funktional umfangreichste Unterstützung - auch für spezielle Branchenanforderungen - bieten.- Weitere knapp 40 Prozent sind Suite-Anbieter. Die von ihnen angebotenen WMS sind Teil einer größeren Software-Suite und funktional besonders stark mit der übergeordneten Logistiksoftware verzahnt.- Die restlichen rund 20 Prozent rekrutieren sich aus Lagertechnik-Anbietern, deren WMS in Ergänzung zur Lager- und Fördertechnik angeboten wird. Viele von ihnen haben in der vergangenen Dekade ihre Kompetenzen beim Zuschnitt von SAP-Systemen für das Lager - SAP EWM, SAP LES und SAP WM - sukzessive weiter ausgebaut und bieten als SAP-zertifizierte Implementierungspartner den individuellen Zuschnitt der Systeme, das sogenannte Customizing, an. Einerseits binden sie dabei eigene IT-Systeme an, andererseits vertiefen sie mit speziellen Applikationen das Funktionsspektrum und die Anwendungstiefe der Standardsoftware.Welcher Anbieter am besten zu den individuellen Anforderungen passt, kann man auf der vom Fraunhofer IML betriebenen Website: www.warehouse-logistics.com ermitteln. rbb Quelle: Fraunhofer IML, Rainer Barck

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