Die Revolution ist verschoben

Eigentlich hatten die Seehäfen und Reeder rund um Nord- und Ostsee dem ersten Quartal 2015 mit einiger Sorge entgegengesehen. Schließlich trat am 1. Januar 2015 eine neue Emissionsrichtlinie in Kraft, die der Seefahrt in den beiden Meeren nach Expertenmeinung schwere Zeiten bringen sollte. Die International Maritime Organization (IMO) hatte den maximal zulässigen Schwefelanteil in Schiffskraftstoffen von 1,0 auf 0,1 Prozent gesenkt. Folge: Anstelle der bisher üblichen Schweröl-/Dieselölmischungen (LS180) müssen die Schiffe das deutlich teurere Marine Diesel Öl (MDO) verwenden - in der Qualität vergleichbar mit Lkw-Diesel. Die Reeder rechneten mit höheren Treibstoffkosten von 50 Prozent, die sich in der Gesamtkosten-Rechnung mit einem Plus von 10 bis 15 Prozent niederschlagen. Die Angst des maritimen Sektors: Der Preisschock würde die Kunden dazu bewegen, günstigere Alternativen auf Straße und Schiene zu suchen. Bunkerpreise rauschen in den Keller Doch je näher der 1. Januar rückte, desto stärker sanken die Ölpreise und mit ihnen die Bunkerkosten (Treibstoffkosten für ein Schiff). Ein Blick auf die Rotterdam-Notierungen für Schiffskraftstoffe zeigt das Ausmaß: Am 1. September 2014 mussten die Reeder laut einer Statistik der Fährreederei Finnlines für eine Tonne Schweröl 547 US-Dollar zahlen. Am 15. Januar waren es nur noch 450 US-Dollar - und zwar für das hochwertigere MDO. Fast überflüssig zu sagen, dass die angekündigte Revolution unter diesen Vorzeichen nicht stattfand. "Wir haben keine negative Entwicklung bemerkt", sagt Timm Ulrich Niebergall, Chef von Unifeeder Germany. Andere führende Ostseereedereien wie Finnlines und die DFDS Seaways Baltic melden ähnliche Erfahrungen. Für Entwarnung ist es an der Küste allerdings dennoch zu früh, denn mittlerweile dreht sich der Ölmarkt erneut. Zwischen dem 15. Januar und dem 15. März stieg der Preis für MDO in Rotterdam um knapp 24 Prozent auf 556 US-Dollar pro Tonne. "Um eine Rückverlagerung von Verkehren auf die Straße beurteilen zu können, ist es noch zu früh. Einzelne Reedereien haben die Preise für Lkw-Trailer bis zu 20 Prozent erhöhen müssen. Derzeit hilft der niedrige Ölpreis, die Mehrkosten für den schwefelarmen Brennstoff aufzufangen", erklärt ein Sprecher des Verbands Deutscher Reeder (VDR) auf Anfrage der Verkehrs-Rundschau. Auch der Zentralverband der Deutschen Seehafenbetriebe (ZDS) hält ein Fazit in der Frage von Verkehrsverlagerungen für verfrüht. Lkw-Frachtraum günstig zu haben Wohl zu Recht: Viele Reedereien haben mit ihren Kunden Zuschläge vereinbart, die sich erst mit Verzögerungen auf die Transportpreise niederschlagen werden. Und besonders der Straßengüterverkehr ist momentan sehr wohl in der Lage, Verlagerungsmengen aufzunehmen. Das gilt besonders für Ost-West-Verkehre. Angesichts der anhaltenden Russlandkrise sind genügend günstige Lkw-Kapazitäten am Markt, wie Marco Lütz, Geschäftsführer der Lübecker Bruhn Spedition, betont. "Von einer echten Entspannung bei den Energiekosten kann also keine Rede sein, zumal sie den größten Kostenfaktor beim Schiffsbetrieb ausmachen", heißt es beim VDR. Wie spannend es im Falle steigender Ölpreise für die Schifffahrt werden könnte, zeigt der Preisabstand zwischen MDO und Schweröl. Anfang September 2014 betrug der Aufschlag für das Mitteldestillat 48 Prozent. Am 15. März war MDO schon um 82 Prozent teurer als der schwere Kraftstoff. Dieser zunehmende Preisabstand zwischen den beiden Kraftstoffsorten begünstigt die Minderheit von Schiffseignern, die Millionenbeträge in Entschwefelungsanlagen - sogenannte Scrubber - investiert haben. Grund: Sie dürfen weiterhin Schweröl bunkern - je größer der Preisunterschied zum MDO, desto schneller amortisiert sich die Investition. Rund 140 Schiffe wurden nach Erkenntnissen des VDR bisher mit Scrubbern ausgerüstet. Insgesamt sind in Nord- und Ostsee geschätzt 2000 Frachtschiffe regelmäßig unterwegs. Die Erfahrungen mit den zuvor auf See wenig erprobten Scrubbern sind offenbar überwiegend positiv. "Wir haben keine Probleme", sagt Jacob Andersen, Route Director bei DFDS Seaways Baltic, dessen Reederei 20 Schiffe mit Scrubber umgerüstet hat. Allerdings gibt es noch ungelöste rechtliche Fragen: Ein offener Punkt ist laut VDR die Einleitung von Waschwasser aus Scrubber-Anlagen ins Meer. "Die nach den Kriterien der IMO zugelassenen Anlagen dürfen Waschwasser in die See einleiten, soweit es den festgelegten Waschwasserkriterien genügt. Das Waschwasser wird an Bord gereinigt und wenn es zurück ins Meer fließt, ist es fast pH-neutral und erfüllt die gesetzlichen Grenzwerte, zum Beispiel für Nitrate und andere Chemikalien", schreibt der Verband. Im Widerspruch zu den IMO-Kriterien lässt allerdings die europäische Wasserrahmenrichtlinie Einleitungen grundsätzlich nicht zu, wenn ein potenzielles Risiko im Hinblick auf die Beeinträchtigung der Wasserqualität besteht. Dieser Konflikt konnte auch in der jüngsten Sitzung der Scrubber-Arbeitsgruppe im Februar des European Sustainable Shipping Forums (ESSF) nicht geklärt werden. Reedereien, die bereits in Scrubber investiert haben, müssen aber nicht zittern. Es ist offenbar Konsens im ESSF, dass eventuelle künftige Nutzungseinschränkungen mit einem Bestandsschutz für bereits installierte Scrubber verbunden werden müssen. "Diese Anlagen kosten mehrere Millionen Euro pro Schiff und werden in einem aufwändigen Verfahren speziell für jedes Schiff angefertigt, angepasst und gewartet. Wer dieses Geld auf Grundlage der heutigen strengen Umweltgesetze in seinem Schiff eingebaut hat, muss die Anlage auch betreiben dürfen", fordert der VDR. Uneinig sind sich die Beteiligten übrigens, was die Einhaltung der Emissionsrichtlinie betrifft. "Es wird geschummelt, was das Zeug hält", sagt ein Reeder, der seinen Namen nicht nennen möchte. Zu einem völlig entgegengesetzten Schluss kommt der VDR. "Viele unserer Schiffe sind bereits in den europäischen Häfen kontrolliert worden, ohne dass Verstöße gegen den neuen Schwefelgrenzwert festgestellt wurden. Anhand der Lieferbescheinigung über den Brennstoff an Bord und der elektronischen Logbücher des Schiffsmotors ließen sich mutwillige Verstöße problemlos feststellen und bestrafen", sagt ein Sprecher des Reederverbandes. Künftig weniger Anläufe in den Häfen? Die EU-Kommission und das Bundesamt für Seeschifffahrt für Hydrographie (BSH) haben bestätigt, dass sich die Reeder an den neuen Grenzwert halten. Messungen ergaben lediglich in Einzelfällen leicht erhöhte Schwefelwerte im Abgas, die sich mit überwiegend zeitlich begrenzten Umstellungsproblemen - beispielsweise Reste von Schweröl im Tank - erklären ließen. Unklar bleibt indessen noch die spannende Frage, ob den Reedern bezogen auf die Mehrkosten das Schlimmste noch bevorsteht - und die Verlagerung von Ladung auf den Landweg doch noch kommt. Einige Experten sehen die größeren Veränderungen mittlerweile innerhalb des maritimen Sektors: Um Kosten zu sparen, würden die Reeder größere Schiffe einsetzen und weniger Häfen anlaufen. "Eine große Veränderung des Modal Splits sehe ich nicht", sagt Staffan Herlin, Leiter Marketing, Verkauf und Kundenservice bei Finnlines. Dazu sei das Schiff kostenmäßig einfach zu attraktiv. Spaß, so schränkt Herlin ein, mache das Geschäft allerdings derzeit nicht. Weitere Verschärfung Nicht nur in Nord- und Ostsee Der Begriff Seca steht für Sulphur Emission Control Area. In diesen Regionen soll der Ausstoß von Schwefel und Schwefeloxiden durch Seeschiffe eingeschränkt werden. Rechtliche Grundlage ist das von der Internationalen Seeschifffahrts-Organisation (IMO) erarbeitete Internationale Übereinkommen zur Verhütung der Meeresverschmutzung durch Schiffe (Marpol). Demnach ist ab 1. Januar 2015 im Kraftstoff nur noch ein Schwefelanteil von 0,1 Prozent statt vorher 1,0 Prozent erlaubt. In den Regionen außerhalb der Seca gilt derzeit ein Wert von 3,5 Prozent, der 2020 auf 0,5 Prozent abgesenkt werden soll. cd

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