Die Revolution geht erst richtig los

Wer liebt es als Endverbraucher nicht, sich via Smartphone jederzeit von fast jedem Ort der Erde über alle Produkte informieren und diese auch einkaufen zu können. Aus Sicht des Handels, vor allem der Logistik, birgt diese neue Shopping-Lust aber nicht nur Vorteile, sondern auch gewaltige Herausforderungen.Endkunde hat das Zepter in der Hand"Für uns war der Kunde schon immer König. Mit dem Smartphone haben wir ihm aber jetzt das Zepter in die Hand gegeben", brachte Thomas Fell, Geschäftsführer von GS1 Germany, die neuen Anforderungen auf dem 25. Handelslogistik Kongress in Köln auf den Punkt. Und diese Machtverschiebung wird Folgen haben. Was in den kommenden Jahren auf die Handelslogistik und die Supply Chains zukommt, darüber diskutierten vergangene Woche über 400 Entscheider aus Handel, Konsumgüterindustrie und Logistik auf dem Kongress, der in diesem Jahr zum ersten Mal gemeinsam von der Bundesvereinigung Logistik (BVL), dem EHI Retail Institute, GS1 Germany und dem Markenverband veranstaltet wurde.Trendthema Nummer eins ist aus Sicht vieler IT-Leiter im Handel die künstliche Intelligenz (KI), von der sie sich vor allem einen Schub bei Prognose-Systemen und Disposition versprechen. Dagegen bremst der Fachkräftemangel die Betriebe zunehmend aus. 61 Prozent der befragten Unternehmen erachten ihn heute schon in der Handelslogistik "als Risiko für ihr Geschäft". Vor allem trifft der Fahrermangel die Branche hart. Und im Jahr 2060 könnten ohne Zuwanderung in Deutschland gar über ein Drittel der Erwerbstätigen fehlen, mahnte Thomas Wimmer, Vorsitzender der Geschäftsführung der BVL, und warb damit eindrücklich für die Initiative "Die Wirtschaftsmacher", mit der die Logistikbranche ihr Image verbessern will, um für Fachkräfte attraktiv zu sein.Pure Player werden verschwindenUnd natürlich werden den Handel auch in den kommenden Jahren die Themen urbane Logistik, Nachhaltigkeit und Omnichannel (der Vertrieb über alle Kanäle hinweg) weiter begleiten. "Perspektivisch gehen wir davon aus, dass es in Zukunft fast keinen Pure Player mehr im Handel geben wird", führte Michael Gerling, Geschäftsführer des EHI Retail Institutes, aus. "Das Stationäre wird sich also mit dem Digitalen verbinden müssen. Da kommt sehr, sehr viel auf uns zu. Gerade für die Logistik ist das eine ganz besondere Herausforderung", mahnte er.Wie sich auf diese neuen Anforderungen der Handelskonzern Rewe Group einstellt, zeigte Christoph Eltze, Vorsitzender der Geschäftsführung von Rewe Digital. Sein Anspruch: "Wir wollen der beste Omnichannel-Anbieter werden. Dafür entwickeln wir viele neue Geschäftsmodelle - auch über den reinen Lebensmittelhandel hinaus - und wenden neue Technologien an, um am Ende das Leben der Kunden einfacher, besser, leichter zu machen." Als Beispiele nannte Eltze den Lieferservice Liefery, die Online-Plattform Paketservice, über die Kunden auch Non-Food-Artikel bei Rewe ordern können, sowie E-Commerce-Anbieter Commercetools, ein Start-up, das Rewe in 2015 gekauft hat, neben etlichen anderen Start-ups.Verschmelzen Handel und Logistik?Das Problem auch aus Rewe-Sicht ist: "Der Kunde ist durch vielfältige Online-Angebote verwöhnt. Der Wert der logistischen Leistung rückt immer mehr in den Hintergrund", beschreibt Eltze die Herausforderung. "Die Logistik wird für Endkunden immer weniger wichtig und zunehmend als Commodity-Leistung wahrgenommen."Man kann hier aus Endkundensicht von einem Werteverfall einer Kernleistung sprechen." Gleichzeitig wisse aber jeder hier auf dem Kongress, betonte Eltze, dass die immer anspruchsvolleren Kundenwünsche nurmehr mit immer ausgefeilteren Logistiklösungen erfüllt werden können. Die Folge sei, unterstrich er, "eine immer engere Verflechtung von Handel und Logistik". Früher habe ein Händler das Handelsformat definiert und die Logistik war der Dienstleister. Heute dagegen sei die Logistik ein elementarer Bestandteil des Geschäftsmodells." Als Beispiel dafür nannte er den Rewe Lieferservice, bei dem man nicht wisse, ob dieser das Rewe-Handelsgeschäft treibe oder dies nicht genau umgekehrt sei. Beides sei aber wichtig. Denn beides wolle der Kunde.Um sich für die Zukunft zu rüsten, arbeitet Rewe mit Hochdruck an vielen Themen wie dem Omnichannel-Einkaufserlebnis, Self-Scanning, Self-Check-out, Augmented Reality, Voice Control und insbesondere auch an der Automatisierung in der Lagertechnik. "Ohne einen hohen Automatisierungsgrad lässt sich der Onlinehandel, gerade im Lebensmittelgeschäft, nicht wirtschaftlich darstellen", führt Eltze aus. So hat Rewe im Herbst 2018 das erste automatisierte Food Fulfillment Center in Köln-Niehl eröffnet - "ein Meilenstein im Foodbereich". Nur im Obst- und Gemüsebereich erfolgt dort die Kommissionierung noch manuell.Autonome Fahrzeugflotten in die CityVor allem aber werden laut Eltze autonome Lieferfahrzeuge die Auslieferung an Endkunden in der City voranbringen - ob Lebensmittel oder Zalando-Pakete. Noch seien solche Lösungen im Versuchsstadium. "Aber wir sind da nicht so weit weg", betonte Eltze und verwies auf den chinesischen Onlinehändler JD, der solche autonomen Fahrzeugflotten schon einsetzt. Und als nächste große Herausforderung nannte er die integrierte Steuerung von Omnichannel-Logistikketten. Diese seien deshalb erforderlich, weil sich die neuen Geschäftsmodelle mit standardisierten traditionellen Systemen nicht mehr betreiben ließen - "zumindest nicht so, dass der Kunde daran Spaß hat oder auch wir selbst", sagte Eltze.An technologischen Unterstützungen wird es den Logistikern nicht fehlen und viele davon sind sogar bezahlbar, machte Professor Michael ten Hompel Mut, geschäftsführender Institutsleiter am Fraunhofer-Institut für Materialfluss und Logistik (IML). Beispiele sind für ihn die Live-Paletten-Tracking-Lösung "Low-Cost-Tracker" von deutsche Telekom, Fraunhofer IML und EPAL. "Damit werden Ladungsträger intelligent und das Datengold der Logistik gehoben - und das für wenig Geld." Weitere Helfer sind etwa KI in Verbindung mit autonomen Fahrzeugen, Drohnen, Augmented Reality, vor allem der 5G-Mobilfunk-Standard, mit dem sich laut ten Hompel fördertechnische Netze künftig fast in Echtzeit steuern lassen. Was ihn besonders umtreibt, ist aber das Thema Plattform-Ökonomie: "Silicon Valley war gestern, jetzt kommt die Silicon Economy", betonte er. Sprich: Die Industrialisierung der künstlichen Intelligenz führe zur Geburt einer neuen Silicon Economy.Alles das zeigt: "Die Komplexität und Volatilität in der Handelslogistik werden noch größer. Das geht auch nicht mehr weg", mahnte GS1-Germany-Geschäftsführer Thomas Fell. "Wir müssen also lernen, damit umzugehen." Der Schlüssel zum Erfolg dabei sei ganz klar die Kollaboration - die Zusammenarbeit über Unternehmensgrenzen hinweg. Die Revolution geht also erst richtig los.Mehr zum Thema im Dossier Handelslogistik www.verkehrsrundschau.de/dossiers

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