Die neuen Herausforderer

Auf Frachtenbörsen möchte kaum eine Transport- und Logistikfirma verzichten. Auch Reinert Logistic in Schleife nutzt diese regelmäßig und stellt täglich zwischen 50 und 150 Sendungen online. "Wir arbeiten vor allem mit Timocom und Trans.eu", sagt Jens Kraft, Transportplaner der ostsächsischen Spedition. "Für temperaturgeführte Transporte nutzen wir zusätzlich Transfrigroroute." Seit über einem Jahr nutzt Reinert Logistic auch Cargonexx. Das Hamburger Start-up will mit künstlicher Intelligenz neue Maßstäbe im Vermittlungsmarkt setzen. So werden die aktuellen Sportmarktpreise mit selbstlernenden Algorithmen ermittelt. Der Transportunternehmer, der auf dieser Plattform Sendungen akquiriert oder anbietet, kann sich auf faire und transparente Konditionen verlassen. Das weiß auch Reinert Logistic zu schätzen. "Wir nutzen Cargonexx vor allem für zeitkritische Sendungen mit wenig Vorlauf", sagt Kraft. Bei allen anderen verlässt sich das 1990 gegründete Unternehmen offenbar auf seine Erfahrung mit dem Auf und Ab von Transportpreisen. Für Industrie und Handel offen Rund 6000 Transportbetriebe nutzen schon Cargonexx. Knapp drei Jahre nach Gründung im Dezember 2015 hat die Plattform mehr Teilnehmer als viele Portale, die länger im Markt sind. Auch andere Start-ups, die Timocom & Co. Konkurrenz machen wollen, haben sich offenbar fest etabliert. Instafreight, Berlin, meldet 4500 Verlader und 6500 Frachtführer, die die Plattform regelmäßig nutzen. Vor allem kleinere Dienstleister nutzen gerne die 2016 gegründete Plattform, die sich gerne als "digitale Spedition" bezeichnet. "Im Schnitt fährt jeder Frachtführer sieben Lkw", hat Gründer Philipp Ortwein ausgerechnet. Auch die Leipziger Pamyra sieht sich trotz deutlich niedrigerer Teilnehmerzahlen fest im Sattel. Rund 900 Versender rufen täglich die Angebote von 150 Transportfirmen auf. "Wir sehen uns als Preisvergleichsportal und wollen nicht Speditionen ersetzen", grenzt Mitgründer Steve Qual die ebenfalls 2016 gestartete Plattform vom Wettbewerb ab. Dazu kommen Portale wie Saloodo und Loadfox, die mithilfe bekannter Konzerne erfolgreich durchgestartet sind. Während die DHL-Tochter Saloodo, Bonn, von 10.000 Verladern und 6000 Transportbetrieben genutzt wird, meldet das Münchener Start-up Loadfox, das Partner der MAN-Plattform Rio ist, die Teilnahme "tausender geprüfter" Transportfirmen. Im Gegensatz zu anderen Start-ups nehmen die Bayern indes keine Verlader auf. Vielmehr sehen sie sich als Dienstleister für Disponenten, die mit "cleveren Algorithmen" (Loadfox-Geschäftsführer Sebastian Sorger) eigene und externe Teilladungen zu profitablen Touren zusammenstellen, und konnten mit diesem Konzept Branchengrößen wie Dachser und Rudolph Logistik als Kunden an sich binden. Mit der Öffnung für Kunden aus Industrie und Handel grenzen sich fast alle Start-ups gegenüber vielen der klassischen Frachtenbörsen ab. Timocom, Teleroute, Wtransnet und andere Plattformen haben sich jahrelang als exklusive Portale für Speditionen positioniert und Verlader vom Zugang ausgeschlossen. Allerdings hat Timocom seinen Kurs 2014 geändert und seine Plattform ebenfalls für Industrie- und Handelsfirmen geöffnet. Sie können jetzt Frachten einstellen, nicht aber akquirieren. Sorgen Algorithmen für fairere Preise? Zu diesem Zeitpunkt war allerdings mancher angehende Start-up-Gründer bereits mit seinem Geschäftskonzept vorgeprescht und hatte bei Verladern vorgesprochen. Und die Argumente der Newcomer, dass sie die Chancen der Digitalisierung besser und konsequenter nutzen als die etablierten Börsen, haben offenbar überzeugt. So verspricht jeder, Logistikdienstleistungen mit künstlicher Intelligenz besser und effektiver zu machen. Am meisten zieht diese Zusage bei den Transportpreisen. Mit Algorithmen will fast jedes Start-up fairere und transparentere Zahlen ermitteln. Vor allem für kleinere Transportbetriebe, die sich gegenüber den großen Verladern in einer schlechten Verhandlungsposition sehen, sind solche Geschäftskonzepte attraktiv. Denn die meisten Start-ups positionieren sich als "digitale Speditionen", sprich: Sie verhandeln mit den Verladern und kooperieren zudem mit Factoring-Unternehmen, die die Rechnungsbeträge dann sofort an die Transportdienstleister auszahlen und hinterher bei Versendern eintreiben. Und dies schätzen natürlich insbesondere die Transporteure, die bislang auf ihre Zahlungseingänge wochen- und/oder gar monatelang warten mussten und deshalb fallweise sogar mit Liquiditätsengpässen kämpften. Viele Start-ups möchten ihre Geschäftsfelder aber weiter ausbauen - möglicherweise Richtung Tendermanagement. Zumindest deuten dies die Aussagen von Instafreight-Geschäftsführer Philipp Ortwein an, der sagt: "Vor allem Komplettladungen werden seit Kurzem verstärkt nachgefragt." Zudem stellt er fest, dass "viele Verlader mit Transportunternehmen dauerhaft zusammenarbeiten wollen". Auch bei anderen Start-ups häufen sich die Hinweise, dass sie mit ihren Plattformen ins Tendermanagement einsteigen wollen und erste Projekte gestartet haben. Das ist daher interessant, weil die elektronische Ausschreibung von langfristigen Kontrakten bislang eine Domäne von zum Beispiel Timocom, Transporeon, Wtransnet und Cargoclix war. Da diese aber den Start-ups das Feld nicht kampflos überlassen wollen, investieren auch sie in die weitere Digitalisierung ihrer Services. So positioniert sich Timocom seit Kurzem als "Smart Logistics System", das Kunden bei der Automatisierung und Digitalisierung ihrer Prozesse hilft. "Der Anwender erhält nun alle Informationen gebündelt, wenn er sich in unser System eingeloggt hat", betont Gunnar Gburek, Head of Business Affairs von Timocom. "Er arbeitet mit unserer Lösung schneller, einfacher und sicherer." Trotz verschärfter Konkurrenz wächst Timocom weiter und steigerte seit 2016 seine Teilnehmerzahlen um 15 Prozent auf 127.000. Auch andere Plattformen wie Cargoclix und Wtransnet legten zu. Start-ups holen international auf Vor allem auf internationalen Märkten bleiben die klassischen Frachtenbörsen stark. So sind Timocom und Trans.eu in fast jedem europäischen Land präsent. Die Start-ups holen indes auch hier auf. So arbeitet Loadfox inzwischen in 14 Ländern mit Kunden und realisiert laut Geschäftsführer Sorger "mit einigen der größten Speditionen Europas" Pilotprojekte. Seit Kurzem wirbt Loadfox mit einer "Bieten"-Funktion für Ladungen und hat in diesem Punkt mit Timocom & Co. gleichgezogen. Auch Cargonexx strebt jetzt in internationale Märkte und will sich mit kundenspezifischen Projekten, zum Beispiel für das Rampenmanagement, vom Wettbewerb absetzen. Das Hamburger Unternehmen konzentriert sich hier auf vorhandene Stärken. "Wir fahren hauptsächlich Komplettladungen im Fernverkehr", sagt geschäftsführender Gesellschafter Rolf Dieter Lafrenz. Solche Konsolidierungsstrategien sind in einem Marktumfeld, das bislang ständig neue Wettbewerber angezogen hat, angezeigt. Gespannt blicken manche Frachtenbörsen auf französische, spanische und nordamerikanische Start-ups, die während der vergangenen Jahre häufig mithilfe internationaler Investoren gegründet wurden und nun mit ihren Digitalisierungslösungen ebenfalls in ausländische Märkte streben. Und dann ist da Yunman Man. Der 2013 gegründeten chinesischen Plattform haben sich bislang 1,25 Millionen Frachtführer mit 5,2 Millionen Lkw-Fahrern angeschlossen. Jetzt bereitet die vermutlich größte Frachtenbörse der Welt, die auch "Uber der Logistikbranche" genannt wird, laut Brancheninformationen mit ihrer Smartphone-basierten Lösung den Start in europäische Märkte vor. "Wir werden in den nächsten 12 bis 24 Monaten manche Marktaustritte erleben", prognostiziert Max-Alexander Borreck, Principal der Unternehmensberatung Oliver Wyman (siehe Seite 17). Chancen sieht Borreck vor allem für Plattformen, die sich auf andere Verkehrsträger spezialisieren. Ein Beispiel ist Freighthub. Die Ende 2016 gegründete Firma vermittelt Containersendungen für Luft-, Schienen- und Seeverkehre, hat bislang 23 Millionen Dollar Startkapital eingesammelt und will mit Services entlang der gesamten Supply-Chain den Containerversand zuverlässiger und kalkulierbarer machen. Über 900 Verlader arbeiten mit Freighthub, etwa der Online-Möbelhändler Home24, der Heizungshersteller Viessmann und der Dienstleistungs- und Handelskonzern Dussmann. Mehr zum Thema im Dossier Start-ups in der Logistik www.verkehrsrundschau.de/dossiers

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