Die Mischung macht's

Die deutsche Wirtschaft fährt bei der Digitalisierung mit angezogener Handbremse: Nur jedes fünfte Unternehmen investiert in digitale Geschäftsmodelle, vermeldete der Digitalverband Bitkom und warnte gar davor, "Deutschland zum analogen Inselstaat zurückzubauen". Eine Vorreiterrolle übernimmt immerhin die Intralogistik: Laut einer Bitkom-Umfrage unter mehr als 500 Unternehmen mit Logistikprozessen nutzen bereits vier von fünf Firmen Warehouse-Management-Systeme (WMS) oder planen das. Drei Viertel setzen Sensortechnologien wie RFID-Chips ein oder haben das vor, etwa um schnell eine Inventur durchführen zu können. Jede zweite Firma hat elektronische Frachtbegleitdokumente oder Tablet-Computer und Smartphones im Lager eingeführt oder plant dies. Und rund jedes dritte Unternehmen nutzt bereits fahrerlose Staplersysteme, Geräte mit Augmented Reality oder Lagerroboter oder hat das vor. Künftig soll auch Spracherkennungssoftware die Kommunikation mit Lagerverwaltungssystemen unterstützen. Gleichzeitig halten vermehrt cloudbasierte Technologien Einzug in Logistikunternehmen, damit deren Kunden einen besseren Zugriff auf ihre Bestandsdaten erhalten. "IT-Sicherheit ist dabei entscheidend", betonte Petra Bögle, seit 2012 im Department Head Business Integration Corporate IT bei Dachser tätig, in der Sequenz "Die Zukunft der Logistik-IT-Landschaft" beim Deutschen Logistik-Kongress Ende Oktober in Berlin. Künftig würden viele neuartige Sensoren Daten entlang der Wertschöpfungsketten liefern und dabei die Grenzen zwischen der eigenen und der externen IT verwischen. Verantwortung beim Datenhandling "Für uns ist es sehr wichtig, diese Grenzen zu kennen und verantwortungsvoll damit umzugehen: Wem gehören welche Daten, wie zuverlässig sind sie? Wie lange sind sie verfügbar? Und welche Informationen bieten wem einen nennenswerten Nutzen?", gab die Expertin Beispiele. Beim innerbetrieblichen Materialfluss generieren schon heute Transponder-, Bluetooth- oder GSM-Lösungen eine enorme Datenfülle, berichtete Oliver Ring, Head of Global Logistics von Festo, einem international tätigen Mittelständler der Automatisierungstechnik. Mit diesen lasse sich etwa der innerbetriebliche Transport, die Auslastung von Staplerflotten, die Beladung von Lkw oder die Befüllung von Supermärkten optimieren. Bis Jahresende will Festo an seinem größten Werksstandort im Saarland, wo auch ein globales Logistikcenter sowie mehrere Außenstandorte betrieben werden, sämtliche Warenbewegungen digitalisieren. Auf spezielle IT-Tools setzt Festo bei Verpackung sowie Exportkontrolle und Trade Compliance. "Standardsoftware gerät hier schnell an ihre Grenzen", begründete Ring in Berlin. Täglich wickle Festo weltweit 60.000 Kundenauftragspositionen ab und versende 15.000 bis 20.000 Pakete mit 60 bis 70 verschiedenen Identifikationslabels. Monatlich werden 1,5 Millionen Belege gegenüber zwölf Sanktionslisten geprüft. "Das muss vollautomatisch im Hintergrund ablaufen - bestimmte Dual-Use-Produkte und Embargoländer ausgenommen", betonte Ring. "Wir wollen uns mit standardisierten Templates zu mehr Technikeinbindung entwickeln", ergänzte er. So beschäftige sich Festo seit zwei Jahren mit robotergestütztem Kommissionieren, dem "Bin-Picking", oder mit Kamerasystemen zur Überwachung der Verpackungsprozesse. Für die Zukunft wünscht sich der Experte dazu mehr Plug-and-Play-Lösungen. Mehr Plug-and-Play-Lösungen erwünscht "Wenn es um hochindividuelle Prozesse geht, macht es Sinn, sich in einer Cloud-Infrastruktur Erweiterungen selbst zu entwickeln. Hier hat sich bei SAP in den letzten fünf bis zehn Jahren viel geändert", gab Dr. Uwe Kubach, Chief Product Expert von SAP, dem Festo-Logistiker in Berlin recht. "Im Neukundenumfeld machen wir zu 95 Prozent nur noch Cloud-Projekte. Der Markt schreit quasi nach branchenspezifischen Cloud-Lösungen", sagte auch Michael Weidel, Director Strategic Solutions bei Infor. Ein großer Vorteil der Cloud sei, dass gerade Mittelständler hier Standardlösungen mit einer solch hohen IT-Sicherheit bekommen können, wie sie sie mit einer eigenen IT gar nicht abdecken könnten. Hinzu komme angesichts der zu verarbeitenden Datenmengen das Thema Skalierbarkeit. Als Beispiel nannte Weidel die Anlagenwartung: Inzwischen gebe es Audiosensoren, die an Maschinen "lauschen", ob sich Turbulenzen entwickeln, und gegebenenfalls Warnmeldungen an Instandhaltungssysteme senden, die dann eine präventive Instandhaltung veranlassen. "Das sind Terrabyte von Daten, die getrackt werden müssen, und das kriegen Sie nur hin, wenn Sie auch skalierbar sind in der Cloud", so der Infor-Experte. Kleine Schritte statt Gesamtkonzept Damit der Einstieg in die Cloud gelingen kann, seien jedoch kleinere Invests nötig. "Man muss sich dahin entwickeln, statt in monolithische Systeme zu investieren", erklärte der Fachmann in Berlin. André Ziemke, Geschäftsführer des Münchener Start-ups NextLap, empfahl den Zuhörern, "das Thema nicht zu groß zu machen und einfach mal Mut haben, was auszuprobieren und auch mal schnell in etwas einzusteigen, statt immer mit einem Gesamtkonzept zu starten und es mit allen abzustimmen". Bei Dachser setzt man dennoch weiterhin auf eine bewährte Mischung: "Wir haben Module integriert, die Standardprozesse abbilden, aber wir differenzieren uns in unseren Kernsystemen mit Eigenentwicklungen vom Wettbewerb. Diese werden wir weiter in der Private Cloud betreiben, aber sie sind offen, sie müssen auch offen sein. Kein Logistiker kann in einem geschlossenen System arbeiten, die Kollaborationsfähigkeit ist unser Geschäft", betonte Bögle abschließend.

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