Die Kriminalpolizei rät

Da knurrt der Blindenhund", sagt Polizeihauptkommissar Waldemar Lorenz vom Landeskriminalamt Niedersachsen. Täter hatten nachts mit einer eigenen Sattelzugmaschine einen Auflieger von einem ungesicherten Speditionshof in Detmold geklaut. Die Ladung: 5200 Paar Markenschuhe. Es wäre schon sehr unwahrscheinlich, wenn das ein Zufallstreffer war. "So etwas läuft nicht ohne Insider-Informationen", mutmaßt der Kommissar und macht auf eine weitere Veränderung bei LKW- und Ladungsdiebstählen aufmerksam. Die Täter haben sich professionalisiert und von Einzeltätern zu organisierten Banden gewandelt. "5200 Paar Schuhe verticke ich nicht mal eben auf Ebay. Solche Mengen sind schon vor dem Diebstahl verkauft." Dass hier organisierte Kriminalität am Werk ist, belegt auch ein anderer Fall: Täter, die einen LKW von einem PKW aus während der Fahrt ausgeräumt hatten und dafür vier Jahre saßen, waren nach der Haft wieder mit der gleichen Masche aktiv. Die filmreifen Beutezüge hat der WDR mit Stuntmen rekonstruiert. Lorenz Fazit: "Das ist weniger schwer, als man sich das vorstellt". Unmittelbar hinter dem LKW ist kein Fahrtwind mehr und mit Gurten konnten sich die Täter sichern. Geklaut wird alles, was sich zu Geld machen lässt. So auch ein Sattelauflieger mit 24 Tonnen Doseneintopf. Die Hitliste der Diebesgüter führen Bunt-Metalle und Baustoffe vor Elektronikartikeln, Kosmetik, Nahrung und Getränken sowie Markenkleidung an. Die Aufklärungsquote schätzt der Polizist auf der VerkehrsRundschau-Fachkonferenz zum LKW- und Ladungsdiebstahl auf unter 20 Prozent. Die Veranstaltung fand im Herbst in Düsseldorf statt. Die Versicherung zahlt - meistens Allerdings stehen die Opfer nicht völlig im Regen: "Der erste Schadensfall wird von der Verkehrshaftungsversicherung in der Regel vollständig ersetzt", sagt Rechtsanwalt Axel Salzmann vom Versicherer Kravag-Logistic. Zu beachten seien lediglich eventuelle Sonderregelungen für diebstahlgefährdete oder hochwertige Güter. Ähnlich sei dies bei der weitergehenden Warentransportversicherung. Salzmann weist aber auf die Sorgfaltspflichten des Unternehmers hin. Dazu zählen Themen wie die Auswahl von Mitarbeitern oder Subunternehmen sowie die Kontrolle von Schnittstellen entlang der Transportkette. So habe beispielsweise ein Unternehmen, dem Fracht abhandengekommen ist, einen Freigänger im Lager beschäftigt. In solchen Fällen kann es passieren, dass die Versicherung nur einen Teil des Schadens übernimmt. Ähnliches gilt für Wiederholungsfälle, vor allem, wenn keine Maßnahmen ergriffen wurden. Da können ziemliche Summen auf die Versicherer zukommen. Auf zehn bis zwölf Milliarden Euro schätzt Michael Wortmann von der Transported Asset Protection Association Emea (Tapa) den jährlichen Schaden durch Frachtkriminalität in Europa: "Bei der Auswertung von Vorfällen kommen wir für dieses Jahr auf eine durchschnittliche Schadenshöhe von über 300.000 Euro". Im vergangenen Jahr lag der Wert bei 235.000 Euro. Unternehmen, die das Geld sparen wollen, können sich über die Tapa nach verschiedenen Sicherheitsstandards zertifizieren lassen. Fahrzeuge auf der Straße zum Beispiel nach den TSR Truck Security Requirements. Die sehen zwei Maßnahmenbereiche vor: organisatorische und technische. Zu Letzteren zählen unter anderem Alarmoder Trackingsysteme. Erstere erfordern die Dokumentation der Sicherheitsmaßnahmen sowie Checklisten und Handlungsanweisungen für die Fahrer. "Wenn ein Sicherheitszertifikat nicht gelebt wird, ist es am Ende des Tages nur ein Stück Papier", mahnt Alex Kotsiwos, Geschäftsführer der SSD Safe-Services Deutschland. Spediteure müssen Sicherheit leben Die SSD unterstützt die Schutz- und Aktionsgemeinschaft zur Erhöhung der Sicherheit in der Spedition (Safe) bei der Vergabe ihrer Zertifikate. Derzeit seien 269 deutsche Logistikstandorte Safe-Teilnehmer. Für das Zertifikat sucht SSD nach den Schwachstellen an den Standorten und hilft beim Installieren von Lösungen. "Wichtig ist, dass die Maßnahmen keinen Flickenteppich ergeben, sondern in einem schlüssigen Gesamtkonzept ineinandergreifen", so der ehemalige Polizist Kotsiwos. Die Spedition Schmidt-Gevelsberg ist nicht nur Safe-Plus zertifiziert, sondern lebt das Thema. "Wir haben einen IT-Sicherheitspreis gewonnen, nicht weil wir für Unsummen technologisch aufgerüstet haben, sondern weil wir über Schulungen eine sicherheitsorientierte Unternehmenskultur geschaffen haben", berichtet Rolf Lorenz, Geschäftsführer von Schmidt-Gevelsberg. Die Mitarbeiter werden argwöhnisch, wenn etwas nicht der Normalität entspricht und gehen der Sache dann auf den Grund. "Eine solche Kultur verhindert im Fall der Fälle, dass uns vor Gericht oder von der Versicherung grobes Organisationsverschulden vorgeworfen werden kann". Neben der Kultur hilft in Nachweisfragen aber auch die von Lorenz eingesetzte Technik. Unter anderem ist die gesamte Anlage von einem an die Barcodescanner gekoppelten Kamerasystem überwacht. Ein organisierter Palettendiebstahl habe damit aufgeklärt werden können. Lagereinbrüche kommen in Mode Das gelingt nicht immer. "Bei Ladungsdiebstählen können wir die Ware in zehn bis zwölf Prozent der Fälle wiederbeschaffen", berichtet Jürgen Wittig von der Detectei Acon Detektive Idel. In der Regel gelinge es aber, den Sachverhalt aufzuklären und so Wiederholungen auszuschließen. Als technische Sicherungsmaßnahmen empfiehlt der Detektiv Sicherungen für den Königsbolzen und Telematiksysteme. "Das bringt aber nur etwas, wenn sie in ein Sicherheitskonzept eingebunden sind", sagt Wittig. Es muss klar geregelt sein, wer was zu tun hat, wenn ein Alarm in der Disposition aufpoppt - 24 Stunden am Tag, 7 Tage die Woche. Aber nicht nur LKW auf großer Fahrt sind ein begehrtes Diebesgut. "Seit 2011 beobachten wir einen Anstieg der Einbruchsdiebstähle in Lagerbereiche und das sind vor allem Großschäden", weiß Klaus-Dieter Baier, Geschäftsführer der DESA Investigation and Risk Protection. Zwar würden Lager zunehmend technisch gesichert, aber auch die Gegenseite entwickle sich weiter. Und, so die Erfahrung aus seinen Ermittlungen, Technik und Organisation würden nicht immer richtig miteinander verzahnt oder genutzt. Ein Beispiel: Viele Alarmanlagen lösen erst aus, wenn die Täter in der Halle drin sind - das lässt ihnen viel Zeit, bis die Sicherheitskräfte eintreffen. Hier wäre eine bessere Detektion des Vorfeldes sinnvoll, die bereits beim Eindringen in das Areal Alarm schlägt, und stärkere mechanische Sicherungsmaßnahmen vonnöten. Zudem lösen Einbrecher vor der eigentlichen Tat gerne Alarmanlagen aus, um zu sehen was passiert. Werden die Abwehrmaßnahmen danach nicht verändert und die Anlage umgehend wieder richtig scharf geschaltet, dann gelingt der eigentliche Einbruch - oft noch in der selben Nacht. Brechstangen brauchen die Täter, die ihren Ladungsklau per Frachtenbörse einfädeln, nicht. "Angesichts der Menge an Frachten, die täglich über eine Frachtenbörse abgewickelt werden, ist die Anzahl an betrügerischen Aktivitäten mikroskopisch klein", sagt Marcel Frings, Chief Representative der Frachtenbörse Timocom. Jeder Einzelfall sei aber "tragisch und schlecht". Daher gebe es zahlreiche Checklisten und Sichheitstools, mit denen sich schwarze Schafe relativ einfach identifizieren lassen. Allerdings, mahnt Frings, sie müssten auch dann genutzt werden, wenn Zeitdruck und Hektik in der Disposition wachsen. Kravag-Anwalt Salzmann weist zudem darauf hin, wenn es Hilfen gibt und die nicht genutzt wurden, es im Schadenfall sein könne, dass die Versicherung nicht für die volle Summe aufkommt. Panic-Button schützt die Fahrer Die meisten Übergriffe erfolgen ohne Frachtenbörse auf stehende Fahrzeuge. Daher hat Jochen Rothert, als Loss Prevention Manager bei Kühne + Nagel für den Transport von Zigaretten verantwortlich, diesem Thema einen hohen Stellenwert eingeräumt - und zeigt daran das wichtige Zusammenspiel von Organisation, Kontrolle und dann erst Technik. Die Fahrer dürfen auf ihren Touren nur von Rothert überprüfte und für gut befundene Parkplätze anfahren. Über ein Geofencing-System kann er kontrollieren, ob sich die Fahrer daran halten. Bei Abweichungen ruft die Zentrale den Fahrer an. In Notfällen hilft die Technik: In den Fahrzeugen gibt es einen Panik-Button, der den Fahrer mit einem Monitoring-Center verbindet. Wenn möglich lässt Rothert Sicherheitsparkplätze anfahren. Es sei zwar ein längerer Kampf gewesen, aber der Kunde habe die Mehrkosten dann übernommen: "Schließlich hat auch der Verlader eine Verantwortung für die Fracht", sagt Rothert. "Sicherheit ist machbar, aber Sicherheit kostet Geld".