"Die IT wird besser"

PTV feiert 40. Geburtstag - wie mag es Anfang der 1980er-Jahre gewesen sein, Tourenplanungs-IT zu entwerfen? Ich war damals noch nicht an Bord, kann mir aber bildlich vorstellen, was das PTV-Gründungsteam um Hans Hubschneider geleistet hat. Das erste Tourenplanungsprogramm wurde beispielsweise mit einem taschenrechnerähnlichen Device von Texas Instruments programmiert, die ersten Programme liefen auf Großrechnern in der Uni. Das Kartenmaterial musste auf Floppy-Disks Platz finden, die gerade einmal ein Megabyte Speicherkapazität boten. Das war damals wirklich Pionierarbeit. Optimierten die ersten Algorithmen schon Fahrzeugflotten in Verkehr und Transport? PTV hat das zunächst in Form von Verkehrsmodellen für Städte gemacht, nicht lange nach der Gründung gab es dann auch die ersten Tools für Lkw-Flotten. Wann ist die Digitalisierung der Transportlogistik dann so richtig ins Laufen gekommen? Anfang der 1990er Jahre gab es schon PCs und damit die Voraussetzungen, mehr Daten zu sammeln und auszuwerten sowie Kartenmaterial besser abzubilden. In den ersten Jahren nach der Gründung hat PTV die Karten noch selbst erstellt, in den Neunzigern waren die Niederlande dann das Epizentrum der Kartenanbieter, etwa mit TomTom-Vorgänger Tele Atlas oder Here, ehemals Navteq. Spätestens da kam die Lkw-Tourenplanung ins Laufen. Und wo steht die Digitalisierung heute? Insbesondere der deutschen Transportbranche haftet nach wie vor ein analoges Image an ... Ja, da sind andere Länder in der Tat weiter, etwa die Niederlande, zumindest bei mittleren bis großen Flotten. Hierzulande sind größere Firmen in den letzten Jahren auch dazu übergegangen, ihre Transportprozesse zu digitalisieren. Bei Kleinstflotten unter zehn Lkw gibt es noch Nachholbedarf - aber ich habe den Eindruck, dass die digitale Disposition und Routenoptimierung sich stetig weiterverbreitet. Denn die Anwendungen durch Cloud- und Software-as-a-Service-Angebote sind viel zugänglicher geworden - auch in Bezug auf die Investition. Haben Cloud-Angebote Festinstallationen bei PTV mittlerweile überholt? Wir beobachten jedes Jahr einen steigenden Anteil der Cloud-Angebote, Festinstallationen sind aber nach wie vor noch häufiger verbreitet. Das liegt wahrscheinlich auch daran, dass es noch einige Firmen gibt, die sich noch schwer damit tun, ihre Daten der Cloud anzuvertrauen. Ich bin aber sicher, dass das klassische Lizenzmodell - also der Kauf einer Lizenz für eine lokal laufende Software plus Wartungsvertrag - früher oder später vom Markt verschwinden wird. Wie ausgereift sind künstliche Intelligenz und Machine Learning? Dass Software immer besser wird, sehen wir schon seit einigen Jahren. KI oder Machine Learning sind nur die Buzzwords, die in letzter Zeit in diesem Zusammenhang sehr häufig fallen. Deep Learning eröffnet uns vielversprechende Möglichkeiten in der Verkehrsplanung. Schaffen wir es mithilfe von Algorithmen, Modelle zu bauen und immer wieder neu zu adaptieren, ist dies ein großer Segen. Viele Städte sind aber leider noch nicht so weit, weil sie oft nicht über die nötige Datenbasis verfügen. Wird Software eines Tages in der Lage sein, den Disponenten zu ersetzen? Ja und nein. Natürlich kann intelligente Software immer mehr Aktivitäten von Disponenten übernehmen, insbesondere Planungsanwendungen, die relativ einfach umzusetzen sind. Am Ende braucht es aber immer denjenigen, der die Software bedient und eingreift. Je komplexer die Aufgabe, umso mehr unvorhergesehene Ereignisse können auftreten. Dann ist Kreativität gefragt - und das ist eine Eigenschaft, die beim Menschen ausgeprägter ist als bei einer Maschine, zumindest zum jetzigen Zeitpunkt. Dass eine künstliche Intelligenz eines Tages dieses Maß an Kreativität mitbringen wird, möchte ich nicht komplett ausschließen. Wann, denken Sie, werden die ersten Lkw voll automatisiert über die Straßen rollen und was sind die größten Hürden? Lkw auf der Autobahn autonom fahren zu lassen, ist die kleinere Herausforderung, siehe Platooning-Projekte, die ja schon seit einiger Zeit laufen. Aber schon hier ergeben sich Probleme, die gelöst werden müssen: Was mache ich etwa, wenn ich als Autofahrer eine Ausfahrt nehmen möchte, die rechte Spur allerdings von einem langen Platoon befahren wird? Noch viel komplizierter wird es, wenn ein Lkw die Autobahn verlässt und sich damit in hochkomplexe Infrastrukturen begibt. Zum Thema autonome Nutzfahrzeuge werden wir noch sehr viel simulieren müssen, bis ihr Einsatz Realität wird. PTV ist Teil des EU-Forschungsprojektes Aeolix, das unter anderem den elektronischen Frachtbrief austestet. In welche Projekte beziehungsweise Living Labs ist Ihr Unternehmen involviert? Wir haben mehrere PTV-Dienste und Applikationen für die Tourenplanung und -durchführung an die Aeolix-Plattform angebunden. Zum Beispiel den ETA ("estimated time of arrival")-Dienst "PTV Drive&Arrive", der eine genaue Ankunftszeitberechnung für Touren bietet, oder das "Arrival Board", das in einem Dashboard die erwarteten Ankunftszeiten der zulaufenden Fahrzeuge für einen logistischen Knoten visualisiert. Diese Dienste wurden den Living Labs über die Aeolix-Plattform bereitgestellt und von diesen in verschiedenen Anwendungsfällen getestet. Außerdem sind wir selbst im Living Lab 9 aktiv. Dabei geht es um Effizienzsteigerung durch einen kollaborativen Planungsansatz, bei dem Transportaufträge optimiert vergeben und Fahrzeuge effizient ausgelastet eingesetzt werden. Eines der Kernthemen Ihres Unternehmens ist"Mobility as a service". Kann die Sharing Economy, die derzeit den privaten Pkw-Sektor transformiert, auf die Transportlogistik übertragen werden? Sicher, das ist ein großes Thema in der Last-Mile-Logistik. Viele Städte ächzen darunter, dass unzählige Lieferfahrzeuge von vielen Logistikdienstleistern mit unterschiedlicher Auslastung täglich in die Städte drücken. Eine Bündelung dieser Verkehre würden viele Städte begrüßen - es stellt sich nur die Frage, wer dabei dann die Strippen zieht. Die Logistikdienstleister zeigen an solchen Sharing-Konzepten aus einem weiteren Grund bislang wenig Interesse: Eine besser vernetzte Last-Mile-Logistik würde unter Umständen bedeuten, auch Kundendaten zu teilen. Auch Ihr Geschäftsmodell baut auf Daten auf. Data-Mining und Datenschutz gelten nicht erst seit Inkrafttreten der DSGVO als schwieriges Gespann. Wie lösen Sie das? Nicht erst seit Einführung der DSGVO nehmen wir das Thema Datenschutz sehr ernst. Wir haben gut ausgebildete Datenexperten, die genau wissen, wie sich unter voller Berücksichtigung des Datenschutzes Informationen gewinnen und Analysen mit Mehrwert generieren lassen. Wir brauchen keine Bewegungsdaten von einzelnen Menschen, sondern können sehr gut mit anonymisierten und aggregierten Daten arbeiten. PTV nennt sich gerne ein 40 Jahre altes Start-up. Seit zwei Jahren gehört das Unternehmen zum Porsche-Konzern. Was hat sich verändert? Wenngleich sich mit der Übernahme organisatorisch einiges geändert hat, etwa im Bereich Financial Reporting, wird die Start-up-Mentalität bei PTV weiterhin kultiviert. Das ist uns auch sehr wichtig. In Zeiten des Fachkräftemangels müssen wir IT-Leuten viel bieten. Da reicht kein schöner Campus mit Fitnessstudio. Was viel mehr zählt, sind spannende Aufgaben und ein großes Maß an Freiheit und Kreativität. Wir befinden uns schließlich in "Silicon Rhein Valley". Karlsruhe ist mit seinem ausgeprägten IT-Cluster, dem Netzwerk Cyber Forum und nicht zuletzt dem Karlsruher Institut für Technologie (KIT) ein bedeutender Technologiestandort. PTV ist mittendrin und darauf sind wir stolz. Worauf wird das Unternehmen zum 50. Geburtstag, also in zehn Jahren, stolz zurückblicken können? Darauf, dass wir uns auch 2029 unseren Start-up-Charakter erhalten haben, für noch mehr Städte Verkehrsmodelle aufgestellt und für noch mehr Flotten Lkw-Touren optimiert haben. In zehn Jahren können wir vielleicht auch schon sagen: Die ersten Fahrzeuge fahren autonom und wir waren dabei! Die Reise ist jedenfalls noch lange nicht zu Ende. Mehr zum Thema finden Sie im Dossier "Tourenplanung" www.verkehrsrundschau.de/dossiers In Kürze Im Juli feierte das Softwarehaus PTV sein 40-jähriges Jubiläum. Vertriebschef Dirk Franke spannt im Interview den Bogen von den Pioniertagen der computergestützten Tourenplanung über den digitalen Status quo der Branche bis hin zu Chancen und Hürden von Machine Learning und künstlicher Intelligenz. Vita Nach einer Managementkarriere beim Mannheimer Schmierstoffkonzern Fuchs Petrolub gründete Dirk Franke (51) zwei Software-Logistik-Start-ups: Picavi (2013) und ToolBox Software (1997). Zu seinen Spezialgebieten zählen die IT, das Projektmanagement und Augmented Reality. Bei der Karlsruher PTV Group trägt er seit April 2019 als Regional Managing Director die Gesamtverantwortung für das Softwaregeschäft in der Region Central & Eastern Europe mit Standorten in Deutschland, Österreich und Polen.

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