Die Agenda 2020

Welches Thema wird Transport- und Logistikdienstleister im kommenden Jahr wohl am meisten beschäftigen? Wer Praktiker fragt, bekommt meist dieselbe Antwort: die IT. Auch bei Schlimgen Logistics Solutions in Troisdorf steht das Thema auf der Agenda ganz oben. "Wir arbeiten derzeit noch in vier unterschiedlichen Systemen. So muss jeder Auftrag mehrfach angefasst werden", sagt Andreas Schlimgen, Geschäftsführer des 120-Mann-Betriebs, der auf den Transport von See- und Luftfrachtsendungen spezialisiert ist. Die IT-Landschaft vereinheitlichen und wegkommen von Excel-Tabellen, so lauten die Vorsätze bei Schlimgen für das kommende Jahr. Außerdem will man mehr Kunden dazu bringen, Daten über Schnittstellen auszutauschen. Kein leichtes Vorhaben. "Es fehlt ein einheitlicher Standard und Kunden einzeln anzubinden kostet vier- bis fünfstellige Beträge", so Schlimgen. Das Jahr der kleinen digitalen Helfer Die Wettbewerbsfähigkeit ohne kostspielige Großprojekte verbessern - so lautet in vielen Firmen die Vorgabe für 2020. Schließlich trübt sich die Konjunktur ein und begrenzt den finanziellen Spielraum. Schichtstreichungen und Entlassungen in der Automobilindustrie haben ihre Spuren in den Auftragsbüchern der Logistiker hinterlassen, aus dem Stahlbereich ist sogar von vermehrten Insolvenzen zu hören. Ein wirtschaftlicher Totaleinbruch sei aber nicht zu erwarten, meint Udo Gemein, ein auf Transportbetriebe spezialisierter Unternehmensberater aus Sinzig. "Die letzten zwei Jahre waren ein absolutes Hoch, jetzt kehrt die Normalität zurück." 2020 werde kein Krisenjahr wie 2009 oder 2010. Kleine Schritte sollten vor allem in der IT Priorität haben, findet Daniel M. Giel von "Die Speditionsexperten": "Es muss nicht immer die Blockchain sein! Konzentrieren Sie sich auf kleine, realistische Digitalprojekte, die sofort Nutzen bringen." Beispiel: In vielen Transportbetrieben läuft am Wochenende ein Mitarbeiter von Zugmaschine zu Zugmaschine, um die Daten der OBUs auf einen Speicherstick zu ziehen. Mit einer App lässt sich laut Giel diese Arbeit leicht eliminieren. Insgesamt dürfte 2020 ein Jahr der kleinen digitalen Helfer werden. Immer mehr Betriebe wollen Apps nutzen, die ihnen der Hersteller ihres Transportmanagementsystems (TMS) anbietet. Ziel ist, mit überschaubarem Aufwand einzelne Arbeitsabläufe zu digitalisieren. Per Handy lässt sich etwa der Frachtbrief einscannen, eine Checklisten-App hilft dem Fahrer bei der Abfahrtkontrolle, Subunternehmer lassen sich durch mobile Programme an das interne Tracking & Tracing ankoppeln. Zudem verbessert die Digitalisierung das Arbeitgeberimage. Erleben Schüler zum Beispiel beim Praktikum, dass ein Betrieb moderne IT nutzt, denken sie eher darüber nach, dort eine Ausbildung zu beginnen. Giel empfiehlt, die Technikaffinität der Nachwuchskräfte gezielt zu nutzen und sie als "Digitalisierungs-Evangelisten" einzusetzen. "Geben Sie jungen Mitarbeitern die Möglichkeit, neue Technik einzuführen." Das steigere deren Motivation und verbessere zugleich die Abläufe. Nachhaltigkeit findet Gehör Ein weiterer Punkt auf der Agenda 2020, den die Jugend diktiert, ist die Nachhaltigkeit. "Als wir letztes Jahr auf einer Karrieremesse waren, kletterten die Jugendlichen auf den Lkw rum. Dieses Jahr haben sie gefragt 'Was tut ihr für die Umwelt?'", berichtet Giel. Seine Schlussfolgerung: Nachhaltigkeit muss in den Vordergrund rücken. Dafür seien oft nicht einmal hohe Investitionen nötig, sondern nur eine gute Informationspolitik. Er fordert die Transportbetriebe auf, aus der "Opferrolle" rauszukommen. "Moderne Euro-6-Lkw sind sauberer als so mancher Pkw. Viele Lager haben LED-Beleuchtung und Solarzellen auf dem Dach." Auf solche Errungenschaften solle man hinweisen, rät Giel, das sei gerade in der Rekrutierung extrem wichtig. Zu den Pflichtleistungen gehöre ab 2020 zudem, den CO2-Fußabdruck für jede Tour ausweisen zu können. Willi Kellershohn, Spediteur aus Lindlar bei Köln, weist schon seit 2010 die CO2-Emissionen seiner Transporte aus und bietet an, diese auszugleichen. Bislang ist das Interesse dürftig. "Aber das Bewusstsein ändert sich, Greta findet Gehör", glaubt Kellershohn. Er erwartet, dass im Straßentransport - ähnlich wie in der Luftfracht - bald Emissionszertifikate gekauft werden müssen. Darauf müsse man sich vorbereiten. Auch 2020 werden Fahrer und Fachkräfte knapp bleiben, wenngleich auch nicht mehr so knapp wie in diesem Jahr. Wie schwierig es ist, genug Mitarbeiter zu finden, weiß Luftfrachtspezialist Schlimgen: Am nahen Airport Köln/Bonn wird im Schichtdienst gearbeitet, deshalb ist bei ihm am Freitagabend erst um 23 Uhr Schluss. Entsprechend hoch ist die Fluktuation. "Spätestens nach fünf bis sechs Jahren gucken sich die meisten um", weiß Geschäftsführer Schlimgen. Gleichzeitig sind die Einarbeitungskosten hoch, weil viele Mitarbeiter einen Gefahrgutschein brauchen - und den zu erwerben kostet Zeit und Geld. Um die Rekrutierungskosten zu senken, arbeitet er mit anderen Logistikfirmen aus der Region zusammen. Man hat den Verein "Transportunion" gegründet, der auch Arbeitgeberwerbung betreibt. "So reicht es, wenn ein Mitglied zu einer Azubi-Messe reist und dort für alle wirbt", nennt er ein Beispiel. Patentrezepte im Kampf um die knappe Ressource Mensch gibt es nicht. Udo Gemein, selbst jahrelang Spediteur, rät zu mehr Entgegenkommen bei Einsatzplänen. "Für Fahrer wird ein Leben neben dem Lkw-Leben wichtiger." Ein Mittel, um Mitarbeitern mehr Flexibilität zu bieten, ist ein Personal-Einsatzplan im Internet. Dort können sie ihre Schichten wählen und bei Bedarf leicht mit Kollegen tauschen. Ferner raten Experten zu Arbeitszeitkonten, damit die Mitarbeiter ihre Arbeitszeit je nach persönlicher Lage selbst einteilen können. Von Silicon Valley lernen Eine besondere Idee zum Thema Mitarbeiterbindung hat die Spedition Kellershohn entwickelt. Ab 2020 können Kraftfahrer, die älter als 55 Jahre sind, nach dem "4-1-Modell" arbeiten: vier Tage fahren, ein Tag frei machen - bei nur geringen finanziellen Einbußen. "Für uns als Betrieb ist das kostspielig, aber letztlich geht es um den Erhalt der Arbeitskraft", sagt Kellershohn. Langfristig würde er seine Fahrer gerne über das 65. Lebensjahr hinaus beschäftigen, wenn sie das wollten. Dafür müsse man jetzt die Grundlagen schaffen. Kostenmanagement wird in 2020 noch wichtiger, auch weil sich durch das Klimapaket der Bundesregierung der Diesel um drei Cent pro Liter verteuern könnte. Der Bundesrat hat das Gesetz zwar gerade gestoppt, doch ein Kompromiss könnte in 2020 in Kraft treten. "Drei Prozent höhere Kosten bei einem Faktor, der ein Drittel der Gesamtkosten ausmacht, schlagen durchaus zu Buche", warnt Giel. Er rät Betrieben, jetzt das Gespräch mit den Kunden zu suchen und darauf hinzuarbeiten, die steuerliche Mehrbelastung auf die Frachtraten aufzuschlagen - sofern der steigende Kraftstoffpreis nicht schon durch einen Diesel-Floater abgefedert wird. Ziel der Kundengespräche sollte zudem sein, sich in 2020 besser abzustimmen, denn allein dadurch sind noch Einsparungen möglich. "Wir werden morgens gerufen, um Ware abzuholen, und abends noch mal, um welche anzuliefern. Die Kunden könnten mal über ihre Anforderungen nachdenken, das würde auch dem Klima nutzen", regt ein Spediteur an. Sprich: Bevor über CO2-Fußabdruck diskutiert wird, sollte besser gemeinsam das Verbesserungspotenzial gehoben werden. Um seinen Betrieb zukunftsfit zu machen, hat Kellershohn übrigens im Silicon Valley junge Firmen besucht. Das inspirierte ihn dass 4-1-Arbeitsmodell einzuführen und sich privat ein E-Auto anzuschaffen. Zudem hat er seine Spedition bei Uber Freight angemeldet, um rechtzeitig zu sehen, wie sich die Plattform hierzulande entwickelt. Mehr zum Thema unter #Unternehmensführung www.verkehrsrundschau-plus.de/hashtag In Kürze Das Glas ist immer halb leer oder halb voll - das hängt immer vom Blickwinkel ab. So gesehen ist die aktuelle Konjunkturdelle für viele Firmenchefs eine gute Chance, Themen im Unternehmen jetzt aktiv anzupacken, die im Mengenboom in den letzten Jahren untergingen. Was da auf die Agenda muss, lesen Sie hier. Gute Vorsätze fürs ein erfolgreiches neues Jahr Kurz vor dem Jahreswechsel ist es Zeit, gute Vorsätze für 2020 zu fassen. Diese Tipps sollen Ihrer Firma helfen ein Stückchen weiter zu kommen:- Digitalisieren Sie möglichst viele Routinen im täglichen Geschäft. Prüfen Sie, was sich mit einer App abwickeln lässt. Beispiele: Abfahrtskontrolle, Übermittlung der Tourendaten, Sendungsverfolgung bei Subunternehmern, Führerscheinkontrolle.- Binden Sie den Kunden digital an. Ihr Ziel sollte sein, ohne Excel-Tabellen auszukommen. Schaffen Sie eine Schnittstelle zu den EDV-Systemen großer Kunden, sodass Sie Auftragsdaten automatisch bekommen. Im Gegenzug sollten Sie Rechnungen maschinell erstellen, sobald der Fahrer beim Kunde entladen hat. Das verbessert zudem Ihr Cashmanagement!- Bieten Sie flexiblere Arbeitszeiten an. Das ist künftig ein Muss, wenn Sie Mitarbeiter gewinnen und halten wollen. Ein digitaler Personal-Einsatzplan, auf den alle via Internet zugreifen können, erleichtert es den Mitarbeitern, Touren zu tauschen oder sich Schichten mit Kollegen zu teilen.- Senken Sie weiter die Kosten. Mögliche Ansatzpunkte: Nutzung von festen Kraftstoff-Kontingenten und regelmäßige Verhandlungen mit den Diesel-Lieferanten, bessere Arbeitsteilung (Disponenten von Verwaltungsaufgaben befreien!), Senkung der Energiekosten durch LED-Beleuchtung oder Mietmodelle, Professionalisierung des Einkaufs von C-Teilen, etwa Büromaterial.- Rüsten Sie sich für schlechtere Zeiten. Ein Prozent Wachstum wird 2020 das Maximum sein, einige Kunden könnten so wegbrechen. Stellen Sie Mitarbeiter, wenn möglich, nur noch befristet ein und entwickeln Sie einen Plan für den Fall, dass Aufträge wegbrechen (Beispiel: Zusammenlegung von Touren).- Kooperieren Sie stärker mit anderen Speditionsfirmen vor Ort (sofern sie nicht direkte Wettbewerber sind). So können Sie in der Arbeitgeberwerbung zusammenarbeiten und zum Beispiel einen gemeinsamen Vertreter zu Jobmessen entsenden. Leihen Sie sich - je nach Auftragslage - gegenseitig Mitarbeiter aus. cg

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