Der Streik und seine Folgen

Für viele ist GDL-Chef Claus Weselsky ein rotes Tuch. Nicht nur für die Pendler, die mit der Bahn fahren. Auch viele Spediteure, die das Angebot von DB Schenker Rail im Kombinierten Verkehr (KV) nutzen, haben genug von den Streikaktionen und -androhungen des Gewerkschaftsbosses. Ganz zu schweigen von der Deutschen Bahn (DB) und seiner Schienengüterverkehrssparte. Produktion von VW nicht eingeschränkt Dabei lesen sich nach 66 Stunden Streik im Güterverkehr der DB die Schadensmeldungen der verladenden Wirtschaft auf den ersten Blick noch ganz entspannt. "Wir hatten keine Einschränkungen in der Produktion" sagt eine Sprecherin von VW auf Anfrage der Verkehrs-Rundschau. "In Deutschland und Belgien entfallen aktuell 5 Prozent unseres Güterverkehrs auf die Schiene. Wir erwarten durch den Streik im Güterverkehr keine wesentlichen Auswirkungen auf unsere Transporte oder unsere Produktion", heißt es beim Chemiekonzern Lanxess. Man arbeite in der Logistik grundsätzlich mit Zeitpuffern. Soweit wie möglich verlagere man Transporte zudem auf die Straße, mit Verzögerungen rechne man daher nur in Einzelfällen. Bei BASF sorgte der Lokführerstreik ebenfalls nicht für Chaos. Der ein- und ausgehende Güterverkehr belief sich 2014 auf 15 Millionen Tonnen. Davon entfallen gut ein Viertel auf Bahn und den KV. Auf den Hauptachsen zwischen den großen Produktionsstandorten der BASF in Europa verkehren täglich Ganzzüge. Nur ein Teil werde von der DB abgewickelt. Die Traktionsleistungen werden von verschiedenen Eisenbahnverkehrsunternehmen (EVUs) erbracht. Die Verkehre seien so gestaltet, dass kurzfristig alternative EVUs eingesetzt werden können. Im Nahverkehr kann der Chemiekonzern noch eine besondere Karte ausspielen: An den großen Produktionsstandorten setzt BASF ein eigenes EVU ein. "Leichte Verzögerung im Betriebsablauf, aber keine Produktionsausfälle", bilanziert eine Unternehmenssprecherin die Streiktage für BASF. Schulterzucken auch bei Wacker Chemie. "Trotz Streik läuft weitestgehend alles normal", sagt ein Sprecher. Zu Produktionsengpässen komme es nicht, lautete der Zwischenstand letzte Woche Mittwoch. Millionenschäden in der Stahlindustrie Anders hören sich da schon die Reaktionen in der Stahlindustrie an. "Ein Drei-Tage-Streik im Schienengüterverkehr stellt die Stahlunternehmen vor riesige Probleme", sagt Hans-Joachim Welsch, Vorsitzender des Verkehrsausschusses der Wirtschaftsvereinigung Stahl. Ein kurzfristiges Ausweichen auf andere Verkehrsträger sei nur sehr eingeschränkt möglich. "Daher gibt der Streik auf der Schiene Anlass zu größter Sorge. Es entstehen erheblicher wirtschaftlicher Schaden und Zusatzkosten in Millionenhöhe", so Welsch. Konkrete Zahlen kann und will er nicht nennen. Ähnlich die Reaktionen beim Stahlhersteller ThyssenKrupp Steel Europe (TKSE). Zu den konkreten Folgen des Streiks, zu den Problemen, die damit verbunden waren, und womöglich zu den Kosten: kein Wort. Nur zu der Bedeutung der Bahn erhält man Auskunft: Bezüglich des gesamten Transportvolumens bei TKSE setze man hauptsächlich auf die Verkehrsträger Bahn und Schiff. Und die Streiks versucht man zu umgehen, indem "wir alle Alternativen nutzen, um die Versorgung und Auslieferung mit anderen Verkehrsträgern sicherstellen", teilt ein TKSE-Sprecher mit. ThyssenKrupp hält sich bedeckt Der Transport von Vormaterial aus Duisburg zum Beispiel zu den Standorten Bochum, Dortmund und Siegerland wird bei TKSE überwiegend auf der Schiene durchgeführt. Allein aufgrund der Menge, die hier Tag für Tag transportiert werden muss, sei eine Umstellung hier nur begrenzt möglich. Wie TKSE diese Herausforderung im Streik gelöst hat, dazu gab es keine Auskunft. Im Kundenversand hingegen sei eine Verlagerung zum Beispiel auf Lkw oder Schiff eine geübte Praxis, sodass eine Auslieferung der Produkte weitestgehend gewährleistet sei. TKSE ist ein Beispiel für viele Industrieunternehmen, auch aus anderen Branchen: Man will unter allen Umständen den Eindruck vermeiden, dass man nicht lieferfähig sei. Wie sehr der Lokführerstreik also tatsächlich die Abläufe gestört hat, will man zumindest offiziell nicht verkünden. "Keine Verunsicherung der Kunden", lautet das oberste Gebot. Die hier und da zu beobachtende Gelassenheit rührt womöglich auch daher, dass die Beteiligten mittlerweile eine gewisse Erfahrung im Umgang mit den Streiks haben - es ist ja nicht der erste. Die DB teilte mit, dass es gelungen sei, während des Streiks zwei Drittel aller geplanten Güterzüge zu fahren. Zeitkritische und versorgungsrelevante Züge seien bevorzugt transportiert worden. Bei Kombiverkehr, Marktführer unter den Kombioperateuren in Europa, lagen die Zugausfälle im von DB Schenker genannten Rahmen: "Der Streik der GDL hat rund 30 bis 40 Prozent der Züge tangiert, die an diesen Tagen einen Versandtag laut Fahrplan hatten. Kombiverkehr bietet in der Nacht im Durchschnitt 170 Züge an, also sprechen wir von 60 bis 70 Zügen", sagte Unternehmenssprecher Jan Weiser. Aufgrund des Notfallfahrplans der DB fuhren manche KV-Züge erst gar nicht das Terminal an, berichtet er. Andere Züge fuhren im Abgangsterminal nicht los, wurden neben der Strecke vom Lokführer abgestellt oder waren aufgrund der Streikauswirkungen verspätet unterwegs. Besonders vom Streik betroffen waren die nationalen Relationen. "Bei den internationalen Zügen konnten wir keine besonders stark betroffenen Verbindungen feststellen. In diesem Segment war Kombiverkehr wenn überhaupt dann eher großflächig betroffen", so Weiser. Taktisch, so lässt sich die Lektion der Streiktage zusammenfassen, hatte DB Schenker Rail die Situation recht gut im Griff. Die Entscheidung, mit einem Notfallplan im Güterverkehr auf die Streikankündigung zu reagieren, verhinderte ein schlimmeres Chaos. Strategisch jedoch bringt die lang andauernde Auseinandersetzung mit der GDL den Güterverkehr von DB Schenker Rail immer mehr in Bedrängnis. Durch die wiederholten, streikbedingten Störungen fragen sich immer mehr Verlader, ob der Schienengüterverkehr insgesamt und DB Schenker Rail im Besonderen ihre Anforderungen in puncto Zuverlässigkeit noch erfüllen. Ein Beispiel dafür liefert die Daimler AG, die einen täglichen Versorgungszug zwischen Stuttgart und dem Produktionswerk in Bremen betreibt. "Direkt nach der ersten Streikankündigung wurde der Zug für die Dauer des Streiks gestrichen", berichtet Christoph Holtkemper, Geschäftsführer der Roland Umschlagsgesellschaft, die den Zug in Bremen abfertigt. Daimler hatte kurzerhand das gesamte Volumen auf die Straße verlagert - der Umschlagterminal muss die entgangenen Erlöse abschreiben. Aber auch die Spedition Kieserling, Auftraggeber für den Zug, leidet unter dem Ausfall: "Wir verlieren zwar nicht den Kunden, müssen aber die täglich 70 Einheiten nun per Lkw transportieren", sagt Detlef Töpke, Geschäftsführer der Kieserling Spedition + Logistik in Bremen. Er bezifferte den damit verbundenen höheren Aufwand - Suche und Beschäftigung von zusätzlichen Lkw und Fahrern, sofern der Transport nicht durch eigene Lkw abgewickelt wird, auf 10 bis 15 Prozent. Doch das ist nicht der einzige Schaden. "Das Bestreben der Verlader, Transporte auf die Bahn zu verlagern und das Thema Green Logistics voranzutreiben, wird durch die Streiks konterkariert", sagt Töpke. "Diese Störungen erschweren es uns ungemein, weitere Kunden von dem Umstieg auf die Bahn zu überzeugen", so der Spediteur. Die verladende Wirtschaft jedenfalls reagiert sensibel. "Wir wissen aus Gesprächen, dass gerade in zeitsensiblen Industriesegmenten, wie beispielsweise der Automobilindustrie, Spediteure dazu verpflichtet werden, während der Streiktage komplett auf die Straße auszuweichen", bestätigt Kombiverkehr-Sprecher Weiser. Und die oben beschriebene Blitzverlagerung ist ein klares Zeichen an den Schienengüterverkehr: Notfalls geht es auch ohne euch. Mit solchen Signalen hat Carsten Hemme zu kämpfen. Der Geschäftsführer der auf Intermodalverkehre spezialisierten Spedition Paneuropa-Rösch aus Vechta sieht durch die dauernden Streiks sein Geschäftsmodell bedroht. "Elf Kunden haben uns mittlerweile schriftlich untersagt, ihre Ladungen im intermodalen Verkehr zu transportieren", sagt Hemme genervt. 25 Prozent weniger Transporte wickelte sein Unternehmen in der Streikwoche ab. Die KV-Spediteure sind durch die Streiks besonders betroffen (siehe Kasten Seite 22). Denn ihre Kunden können ohne große Umstände auf den Lkw ausweichen. Entweder die KV-Spediteure machen dann selbst Angebote im Straßengüterverkehr, um den Kunden nicht zu verlieren. Oder sie streuen ihr Risiko, indem sie sich an andere Traktionäre halten. Beides geht langfristig zulasten von DB Schenker Rail. "Es ist traurig, dass man in diese Richtung gedrängt wird", sagt Hemme. Wobei Töpke trotz der Streiks und den damit verbundenen Kosten klarstellt: "Wir haben in den KV-Verkehr investiert und wollen auch daran festhalten." Die Fronten sind weiterhin verhärtet Wie geht es nun weiter? Die Fronten scheinen nach wie vor verhärtet. Die GDL hält der Bahn vor, auf Zeit zu spielen. "Die DB will einen Tarifabschluss mit der GDL auf jeden Fall vermeiden, bis das Tarifeinheitsgesetz im Juli 2015 verabschiedet wird", lautet ihr Vorwurf. Eine Einschätzung, mit der die GDL nicht alleine steht. Mit Streikende hat die Gewerkschaft der DB Lösungsvorschläge übermittelt. "Wir wollen schließlich, dass der Tarifkonflikt endlich beseitigt wird", so GDL-Chef Weselsky. Jetzt sei die DB am Zug, heißt es, "denn sonst ist nach dem Streik gleich wieder vor dem Streik". Das hört sich nicht nach einer Beilegung des Konflikts an. Die Logistiker sollten also ihre Notfallpläne auch weiterhin parathalten. Zumal auch die Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft (EVG) letzte Woche ihren Unmut über die Tarifverhandlungen zum Ausdruck gebracht hat. Riefe jetzt auch noch die EVG zum Streik auf, würde das womöglich einer Person sehr gefallen: Denn dann könnte Weselsky sich das rote Tuch mit den EVG-Gewerkschaftern teilen. Schäden bis zu 100 Millionen Euro täglich "Die Nagelprobe steht noch aus" Der wirtschaftliche Schaden des GDL-Streiks hängt entscheidend von der Streiklänge ab. "Bei durchgängigen Streiks von mehr als drei Tagen sind in der Industrie Produktionsunterbrechungen zu erwarten. Die Schäden können dann schnell von einstelligen Millionenbeträgen auf über 100 Millionen Euro pro Tag ansteigen", sagt Hagen Lesch, Tarifexperte des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW).Durch Ausweichen auf andere Verkehrsträger und Vorziehen und Nachholen von Transporten, so Lesch, ließe sich der Schaden auf täglich 50 Millionen Euro senken. Das IW geht bei dieser Kostenschätzung allerdings davon aus, dass die Deutsche Bahn (DB) lediglich ein Drittel ihres Güterverkehrs aufrechterhalten kann. Tatsächlich waren es zwei Drittel. Für echte Einbrüche war der GDL-Streik nach der IW-Einschätzung mit 66 Stunden ohnehin diesseits der volkswirtschaftlichen Schmerzgrenze. "Die Nagelprobe steht noch aus", so Lesch gegenüber der Verkehrs-Rundschau. hel Rail-Solutions-Netz von Hellmann betroffen Verbeamtete Lokführer verhindern das Schlimmste Trotz diverser Vorkehrungen sind auch die Hellmann-Transporte per Bahn vom Streik der GDL betroffen gewesen. Aber die Beteiligten haben Vorkehrungen getroffen, sodass zumindest keine Züge ausgefallen sind. Hellmann Worldwide Logistics betreibt ein eigenes Netzwerk, das Osnabrück, Bremen und Hamburg jeweils mit Hannover verbindet. Vom Hannover aus fahren Züge nach Regensburg/Landshut, Nürnberg und Ludwigshafen/ Basel sowie in umgekehrter Richtung. All diese Orte werden werktäglich im Nachtsprung bedient. Die Kunden, die dieses Netz mit dem Namen Rail Solutions nutzen, kommen vor allem aus der Auto- und Chemieindustrie. "Das sind zeitkritische Transporte, die pünktlich sein müssen", sagt René Stöcker, Geschäftsleiter Deutschland bei Hellmann.Streikende Lokführer, die den Warenfluss in diesem Netzwerk zum Stocken bringen, sind Gift. "Wir haben daher mit der Bahn die Vereinbarung, dass nur verbeamtete Lokführer auf unseren Zügen zum Einsatz kommen und unsere Züge priorisiert werden", sagt Stöcker. Bis auf die Verbindung Richtung Ludwigshafen/Basel waren daher annähernd alle Züge pünktlich. Auf dieser Route hat es Verzögerungen von zwei bis drei Stunden gegeben. Worüber manch anderer Versender nur müde lächeln kann, erzeugt bei Stöcker kräftigen Unmut: "Das sind massive Störungen und ist ein Desaster." Denn darunter würden die Abläufe mit den Subunternehmen, die die Sendungen weiterbefördern, leiden. "Wir müssen die Nachlaufdisposition neu organisieren, die sonst automatisiert abläuft", sagt Stöcker. Es müsse für Standzeiten oder Ausfallfrachten zusätzlich gezahlt werden. Die durch den Streik verursachten Kosten kann er noch nicht beziffern.Stöcker betont, dass die Abstimmung zwischen DB Schenker Rail und Hellmann gut funktioniert. "Durch den mittlerweile siebten Streik haben wir bereits einige Erfahrungen", sagt er. Dennoch stellt er fest, dass einige Sendungen auf die Straßen umgeroutet wurden. Für ihn ein Zeichen, dass das Vertrauen bei der Kundschaft derzeit wankt. "Es muss jetzt mal endlich ein Ergebnis her und Ruhe einkehren, damit die Schiene ihrer Liefer- und Leistungsverpflichtung nachkommt", appelliert Stöcker an beide Verhandlungspartner. Denn eines ist für ihn klar: Trotz der Streiks wird sein Haus weiter an dem Netzwerk festhalten. cd

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