Der Kraftakt

Das wird keine leichte Übung", so kommentierte der Chef eines führenden Pharmalogistikers die Veröffentlichung der "Good Distribution Practice" (GDP) Anfang 2013. Mit der Richtlinie wollte die Europäische Union (EU) seinerzeit mehr Sicherheit in die Transportketten bringen. Der Transport- und Logistikdienstleister bescherte sie aber vor allem mehr Hausaufgaben: besser für kontrollierte Temperaturen bei Transport und Lagerung sorgen, ein Qualitäts- und Risikomanagement aufbauen, die Mitarbeiter schulen. Bald sind fünf Jahre seit Veröffentlichung der Richtlinie vergangen. Haben mittlerweile alle Marktteilnehmer die GDP umgesetzt? Und wird die Mehrleistung auch durch die Auftraggeber preislich entsprechend honoriert? Kunden fragen nach GDP-Zertifizierung Fest steht, dass die Guideline in der Branche angekommen ist. "Heute fragen die Kunden generell 'Sind Sie GDP-zertifiziert?'", führt André Reich aus, Geschäftsführer von Unitax, Berlin. Das Pharmalogistikunternehmen hat bereits im Jahr 2009, also lange bevor die neuen Vorgaben aus Brüssel feststanden, seinen Fuhrpark mit der notwendigen Technik ausgestattet und den Prozess validiert. "Jahrelang gab es aus der Branche dafür nur Lächeln und Schulterklopfen", erzählt Reich. Die Beobachtung des Marktkenners: In den Jahren 2013 und 2014 wurden die Guidelines nur von wenigen Verladern ernst genommen, seit 2015 allerdings ist das Thema überall angekommen. Wobei angekommen nicht automatisch umgesetzt bedeutet. "Die Durchdringung ist noch nicht gegeben", meint Marc Muschkeit von Meljo Network Logistics. Das Hamburger Unternehmen ist deutschlandweit in der Pharmalogistik tätig und arbeitet mit Dienstleistern unterschiedlicher Größe zusammen. Die GDP-Anforderungen seien zu 80 Prozent umgesetzt, schätzt Muschkeit. Als Beispiel für einen Bereich, in dem noch Nachholbedarf besteht, nennt er den Informationsaustausch zwischen Verlader und Transportunternehmer. "Nicht überall existiert schon eine sichere Informationskette", so Muschkeit. Wenn Temperaturdaten zum Beispiel auf Papier oder per E-Mail ausgetauscht würden, sei der Prozess fehleranfällig und laufe noch nicht so sicher ab, wie die Verfasser der Richtlinie sich das vorgestellt haben. Was den meisten Dienstleistern zunächst Kopfschmerzen bereitet hat, ist die Temperaturführung. Mit der GDP wurde die Messlatte hier deutlich höher gelegt: Soll die Logistik konform ablaufen, dürfen selbst nicht-kühlungspflichtige Arzneimittel den sogenannten Ambient-Bereich (15 bis 25 Grad Celsius) bei Transport und Lagerung nicht verlassen. "Alle Auftraggeber achten darauf, dass GDP-konforme Fahrzeuge eingesetzt werden", weiß Muschkeit. Viele Transport- und Speditionsunternehmen mussten deshalb in den letzten Jahren hohe Summen in den Fuhrpark investieren. Seit rund zwei Jahren liegt mit der DIN Spec 91323 auch eine Norm vor, die konkret beschreibt, wie der Fuhrparkbetreiber diese Konformität erreicht. Da die Dienstleister ihre Fahrzeuge jedoch oft länger als zwei Jahre einsetzen, erfüllen logischerweise noch nicht alle die DIN-Norm. Auch wenn beim Thema GDP viele zunächst an Kühlaggregate denken, hat sich im Laufe der Zeit gezeigt, dass die größten Hürden ganz woanders liegen: in den Köpfen. Vor allem die risikobasierte Denkweise, wie sie die Richtlinie fordert, ist für Logistiker, die nicht schon jahrelang über ein Qualitätsmanagement-System verfügen, häufig nach wie vor gewöhnungsbedürftig. Nur ein Beispiel von vielen: Wer einen Lagerraum betreibt, der neben einem landwirtschaftlichen Betrieb liegt, muss sich - wenn er mit Arzneimitteln hantiert - auch Gedanken darüber machen, wie er verhindert, dass Schädlinge vom Nachbargrundstück einfallen. Das fordert die GDP unter dem Stichpunkt "Pest Control". Menschen für die GDP sensibilisieren Die beste Regel ist nur so gut wie die Menschen, die sie anwenden - diese alte Regel gilt auch bei der guten Vertriebspraxis, wie die GDP eingedeutscht heißt. "Die Herausforderung liegt darin, die Menschen zu sensibilisieren", bestätigt denn auch Marktkenner Muschkeit. Dazu ein typisches Beispiel aus der Praxis: Der Transportdienstleister wird von seinem Kunden auf GDP-Konformität hin überprüft, der Auditor nimmt die Lkw in Augenschein und spricht mit den Fahrern. Alle wissen, dass ein Hygieneplan existiert - doch was es genau bedeutet, ein Fahrzeug zu reinigen, wissen nur die wenigsten. Reicht womöglich Ausfegen, oder muss zusätzlich desinfiziert werden? Längst nicht jeder Mitarbeiter hat verinnerlicht, wie mit den GDP-Vorgaben im Alltag umzugehen ist. Eine grundsätzliche Eigenschaft der GDP sorgt immer wieder für Unsicherheit: Es handelt sich, wie der Name schon sagt, um eine Richtlinie. Beschrieben wird eher das Ziel und weniger, wie man es erreicht. "Es ist kein How-to-do-Dokument", betont auch Nicola Spiggelkötter, Inhaberin der Unternehmensberatung Knowledge & Support Bad Harzburg, eine der führenden Expertinnen zum Thema GPD (siehe Kasten links). Spielraum für eigene Lösungen Dazu nur ein Beispiel: Die GDP fordert "qualifiziertes" Personal. Das hat den Raum für Interpretationen geöffnet und dazu geführt, dass jeder Dienstleister sein eigenes Schulungskonzept verfolgt. Beim einen müssen die Fahrer Workshops besuchen, bei anderen finden vor allem Online-Schulungen statt. Hier gibt es einen schriftlichen Abschlusstest, dort spielt der Weiterbildungstrainer zum Abschluss Testsituationen durch. Alles ist möglich, da die GDP lediglich verlangt, dass die Schulungen "erfolgreich" absolviert werden müssen. Gerade für Dienstleister, die neu in die Pharmalogistik einsteigen wollten, stellten die Schulungskosten in den letzten Jahren eine hohe Hürde dar - zumal auch in diesem Punkt jeder Verlader eigene Wünsche hat, die es zu erfüllen gilt. Hohe Kosten bei der Umsetzung Geradezu Streit bricht unter Experten aus, wenn es um die Auslegung der sogenannten Ambient-Regel geht. Jedes Fahrzeug und jede Halle muss aktiv temperiert werden, meint eine Fraktion. Die andere verweist darauf, dass die GDP eben nur sagt, dass der Temperaturkorridor eingehalten werden muss - aber nicht wie. Dies wiederum bedeutet aber, Arzneimittel können auch in einem passiv gekühlten Behälter befördert werden, solange die Temperatur auch so im grünen Bereich bleibt. Die Unverbindlichkeit der GDP in solchen Punkten ärgert deshalb so manchen Praktiker, andere dagegen schätzen gerade das. "Es gibt Spielraum für eigene Lösungen, das ist doch gut!", findet Pharmaexpertin Spiggelkötter. Unbestritten ist, dass die GDP die Transport- und Logistikunternehmen in den vergangenen fünf Jahren viel Geld gekostet hat. Fahrzeuge mit 3-Punkt-Temperaturmessung auszustatten und die Messstellen jedes Jahr neu kalibrieren lassen geht ins Geld. Auch Fahrerschulungen und das geforderte Reinigungsregime verursachen Kosten. Sind die Verlader bereit, für dieses Mehr an Leistung auch mehr zu zahlen? "Teils, teil", meint Marktkenner Reich von Unitax. Das hänge von den jeweiligen lokalen Marktgegebenheiten ab. Je höher der Wettbewerb unter den Pharmalogistikern vor Ort, desto geringer sei die Zahlungsbereitschaft der Hersteller. Andere Dienstleister machen andere Erfahrungen. "Die Leistung wird auch vergütet", sagt Meljo-Geschäftsführer Muschkeit und fügt hinzu, "auch wenn es manchmal schwer zu verhandeln ist". Eine Baustelle bleibt die Zertifizierung. Der Begriff GDP ist nicht geschützt, was bedeutet, dass ihn jeder verwenden kann. Das hat zu einer wahren Flut von Nachweisen geführt, zum Teil von fragwürdigen Ausstellern aus dem Ausland. "Es gibt die tollsten Sachen", schmunzelt auch Unitax-Geschäftsführer Reich. Er kritisiert, dass viele Zertifikate ohne Zeitbeschränkung gültig sind, während sich seine Firma jedes Jahr aufs Neue vom brandenburgischen Landesamt für Arbeitsschutz, Verbraucherschutz und Gesundheit überprüfen lässt. Solche Unterschiede würden am Markt oft nicht wahrgenommen, so Reich, "Verlader fragen nicht, wer das Zertifikat ausgestellt hat". Schwarze Schafe Freilich hat die Richtlinie aus Brüssel nicht in fünf Jahren eine perfekte Welt in der Pharmalogistik geschaffen. Hier - wie überall - gibt es schwarze Schafe, und längst nicht jeder Marktteilnehmer hält sich gleichermaßen genau an die Richtlinie. "Manche Hersteller warten ab, bis die Behörde Druck macht", sagt ein Insider. Und auch Dienstleister nehmen im Tagesgeschäft Ab-Manche Hersteller warten mit der GDP ab, bis die Behörde Druck macht sagt ein Insider. Und auch Dienstleister nehmen im Tagesgeschäft Abkürzungen, um an den lukrativen Transportauftrag aus der Branche zu kommen. "Da kommen die Medikamente dann eben zu den Lebensmitteln aufs Fahrzeug ...", so der Insider. Andere Marktkenner berichten von manipulierten und bisweilen sogar frei erfundenen Temperaturprotokollen. Doch das dürften freilich nur Einzelfälle sein. GDP wird sich weiter verschärfen Das Fazit nach fünf Jahren GDP fällt also zwiegespalten aus: Die Sicherheit in der Pharmalogistik hat sich verbessert, auch wenn die Richtlinie noch nicht überall komplett umgesetzt ist. Grund, sich zurückzulehnen, haben die Dienstleister aber auf keinen Fall. Zumal das Drei-Buchstaben-Kürzel bestimmt nicht das letzte Wort aus Brüssel war. Branchenkenner Muschkeit erwartet, dass sich die Vorgaben in vielen Punkten verschärfen werden, zum Beispiel bei Datenschutz, Unfallvermeidung, Fälschungssicherheit, physischer Sicherheit von Gebäuden (Zugangskontrollen) und nicht zuletzt in Sachen Umwelt, Stichwort: Dieselfahrzeuge. "Da wird noch einiges kommen", resümiert Muschkeit. Mehr zum Thema finden Sie im Dossier Pharmalogistik www.verkehrsrundschau.de/dossiers