Der Diesel-Gaser

Wir dürfen nicht vergessen, noch Diesel und AdBlue aufzutanken", mahnt der auf dem Beifahrersitz mitreisende Volvo-Werksfahrer vor Antritt der Testrunde. Diesel und AdBlue tanken, bei einem Erdgas-Lkw? Bei Volvos LNG-Modellen ist das tatsächlich nötig und ein erster Hinweis darauf, dass der Göteborger Hersteller einen anderen Weg geht als Iveco und Scania, die ebenfalls auf verflüssigtes Erdgas (Liquified Natural Gas, abgekürzt LNG) setzen. Wie bei Gas-Motoren üblich, arbeiten deren LNG-Triebwerke nach dem Benziner-Prinzip, benötigen also einen Zylinderkopf mit Zündkerzen. Nachteil dieser Verbrennungsart: Eine Motorbremse lässt sich nicht darstellen, die Wartungsintervalle fallen aufgrund regelmäßiger Zündkerzen- und Filterwechsel deutlich kürzer aus, vor allen aber wuchten die Otto-Motoren weniger Power auf die Kurbelwelle. Der G13-Motor ist ein Selbstzünder Volvo umgeht diese Mankos, indem der auf die Verbrennung von Erdgas optimierte G13-Sechszylinder nach dem Selbstzünderprinzip, also ohne Zündkerze arbeitet. Deren Job übernimmt Dieselkraftstoff. Von dem wird Millisekunden vor dem Erdgas eine kleine Menge in den Brennraum eingespritzt. Durch die anschließende Verdichtung steigt die Temperatur im Zylinder, der Diesel entzündet sich und entflammt das Erdgas mit. Lohn der Mühe sind dem Diesel nahezu ebenbürtige Papierwerte. 2300 Newtonmeter Drehmoment entwickelt das 460 PS starke Triebwerk des Test-FH und ist damit dem vergleichbaren D13-Diesel ebenbürtig, der diesen Wert lediglich 150 Umdrehungen früher erreicht. Die maximale PS-Leistung setzt der Gaser dagegen 300 Touren später frei, was im Transportalltag aber höchstens eine sekundäre Rolle spielt. Weshalb die Volvo-Verantwortlichen auch versprechen, dass der LNG-Fahrer schnell merkt, dass er eben keinerlei Unterschied zum Diesel-FH spürt. Die erste Bestätigung erfolgt sogleich nach dem Dreh am Zündschlüssel. Der Gasmotor benötigt lediglich ein paar Anlasserumdrehungen länger, um ins Leben zu finden; es dauert etwas, bis das Gas zu den Brennräumen gelangt. Schon im Leerlauf fällt dann auf, dass der Gaser das gleiche Verbrennungsgeräusch von sich gibt wie die Volvo-Dieselmotoren. Gleiches gilt während der Fahrt. Der G13 klingt exakt wie sein Dieselpendant, ist in der Globetrotter-Kabine lediglich um ein Dezibel (A) leiser vernehmbar, was allerdings nur mittels Schallmessgerät feststellbar ist. Tatsächlich unterscheidet sich auch die Leistungscharakteristik nicht. Das Erdgas-Aggregat setzt Gaspedalbefehle willig in Vortrieb um und reagiert auf den Drehzahlkeller fast so souverän wie sein Dieselpendant. Rückschaltungen leitet das automatisierte Zwölfgang-Getriebe I-Shift an Steigungen daher im Regelfall erst bei 1050/min ein und damit nur eine Spur früher als beim Diesel. Auch die Qualität der Schaltvorgänge steht in nichts nach, I-Shift arbeitet im LNG-FH ebenso in seiner bereits vielfach gelobten, souveränen Arbeitsweise, sprich schnell und stets intelligent. Übrigens denkt man in Göteborg schon darüber nach, für den LNG das Volvoeigene Doppelkupplungsgetriebe zu homologieren. Das würde die Schaltvorgänge nochmals beschleunigen, wir halten es trotzdem für entbehrlich ... Die systembedingten Vorteile des Volvo zu den Otto-Erdgasmotoren entfalten sich erst auf Bergetappen richtig. Hier sorgt das früh anliegende Drehmoment dafür, dass der Schwede selbst mit unserem mit 24 Tonnen eher leichtgewichtigen Krone-Testauflieger auf der Sattelplatte den im Vorfeld getesteten Otto-Gasern von Iveco und Scania (mit dem gleichen Auflieger unterwegs) die Rücklichter zeigt. Am 4,5 Kilometer langen Kindinger Berg auf der A 9 distanziert er den ebenfalls 460 PS, aber eben "nur" 2000 Newtonmeter starken Iveco Stralis NP um immerhin acht und den Scania G 410 mit 410 PS und ebenfalls 2000 Nm Drehmoment um elf Sekunden. Ob das nun tatsächlich kriegsentscheidende Werte sind, vermag jeder selbst zu entscheiden ... Einen großen Anteil am hohen Tempo gebührt dem topografiekennenden GPS-Tempomaten "I-See", der mittlerweile einen hohen Reifegrad erreicht hat und problemlos mit den Systemen von Daimler oder Scania mithalten kann. Intensiv Gebrauch macht I-See vor Steigungen von der Angasfunktion bis an den Tempo-Begrenzer. Gut so, denn so lassen sich viele der topografiebedingten Hindernisse ohne Rückschaltung bewältigen. Kaum schneller, aber sparsamer Am Ende bewältigt der Volvo die VerkehrsRundschau-Testrunde trotzdem nur vernachlässigbare 0,2 km/h pro 100 km schneller als die LNG-Modelle von Iveco und Scania. Wobei sich die Verhältnisse bei gewichtigeren Transportaufgaben im 40-Tonnen-Bereich gewiss deutlicher zugunsten des Volvo verschieben dürften. Weitaus größer fällt die Überraschung beim Verbrauch aus: Der pendelt sich auf der Testrunde bei niedrigen 16,9 Kilogramm Erdgas auf 100 Kilometern ein. Das sind satte 4,5 kg/100 km weniger als bei Iveco und Scania, die beide auf ähnlichem Niveau lagen. Allerdings lassen sich die Werte nur bedingt vergleichen, da wir bei LNG-Tests auf die Hilfe unseres sonst gesetzten Referenz-Actros verzichten müssen. Nicht vernachlässigen darf man beim Volvo den zusätzlichen Diesel-Konsum, der auf der Testrunde 0,92 l/100 km, also 6,8 Prozent vom Gasverbrauch betrug. Überraschend hoch der AdBlue-Verbrauch für die Euro-6-konforme Abgasreinigung: 0,16 l/100 km spritzte die Elektronik in den Abgasstrom ein, das sind 17 Prozent in Relation zum Dieselverbrauch. In Anbetracht des niedrigen Erdgas-Verbrauchs sicherlich verschmerzbare Werte für den Transportunternehmer, der in Zahlen lediglich 1,05 Euro/100 km beträgt (bei Netto-Literpreisen von 1,06 Euro für Diesel und 50 Cent für AdBlue). Insofern kann sich das Volvo-System mit den drei Betriebsstoffen durchaus rechnen. Bleibt aber weiterhin das ungenügende Tankstellennetz entlang deutscher Fernverkehrsstraßen. In diesem Zusammenhang sei noch erwähnt, dass der LNG-FH im Falle eines Falles auch nur mit Diesel ans Ziel gelangen könnte. Auch wenn das wenig zielführend wäre. Alle Tests und Fahrberichte für Abonnenten www.verkehrsrundschau-plus.de Kommentar Besser ohne ZündkerzeDer "Diesel-LNG" geht kräftiger zu Werke und verbraucht deutlich weniger Erdgas als vergleichbare Otto-Gaser. Da relativieren sich die zusätzlichen Betriebsstoffe Diesel und AdBlue. Was bei der Alternative LNG aber weiterhin mitfährt, ist Ungewissheit. Schließlich rollen die Erdgaser vorerst nur bis 2021 mautbefreit über deutsche Autobahnen.Jan Burgdorf VR-Testredakteurjan.burgdorf@springernature.com

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