Den Logistiktrends auf der Spur

Die Logistik steht vor einer Zeitenwende, die zu weitreichenden Veränderungen führen wird. Höchste Zeit, sich damit zu befassen, wohin die Reise geht. Wichtiger Wegweiser hier ist die Studie "Trends und Strategien in Logistik und Supply Chain Management" der Bundesvereinigung Logistik (BVL) - unter der wissenschaftlichen Leitung von Professor Wolfgang Kersten (Autor des Artikels), Leiter des Instituts für Logistik und Unternehmensführung an der TU Hamburg. Sie zeigt auf, welche Trends und Strategien in Logistik und Supply Chain Management in Zukunft für die Akteure in der Logistik maßgeblich werden. Für die Studie wurden über 300 Unternehmen aus Industrie, Handel und Dienstleistung von Februar bis Anfang März 2020, also noch vor Beginn des Corona-Lockdowns, befragt. Hier die wesentlichen Kernaussagen der Studie. Digitalisierung von Geschäftsprozessen Handlungsdruck sehen die befragten Unternehmen vor allem bei der Digitalisierung von Geschäftsprozessen. Dieses Thema ist nicht nur ein Top-Trend, sondern auch ein Thema mit großem Handlungsbedarf. So zeigt sich, dass digitale Technologien in der Umsetzung noch nicht so stark vorangekommen sind, wie dies zu erwarten war. Während Sensorik und Lokalisierungstechnologien oder auch webbasierte Kommunikationsplattformen und der mobile Datenzugriff für Mitarbeiter schon einen relativ hohen Umsetzungsstand aufweisen, haben zukünftige Schlüsseltechnologien wie Augmented Reality, Maschinelles Lernen oder Prescriptive Analytics ( = Business Analyse mit dem Ziel der automatisierten Entscheidungsfindung - die Redaktion) noch großen Nachholbedarf. Deshalb weisen die befragten Unternehmen auch selbst darauf hin, dass sich die Anforderungen an ihre Innovationsfähigkeit im Rahmen der digitalen Transformation deutlich erhöhen. Höhere Transparenz in Supply Chains Die Forderung nach einer höheren Transparenz in Supply Chains ist ein weiterer Top-Trend. Digitalisierung schafft hier neue Möglichkeiten, um die erforderliche Transparenz zu erzeugen und die Reaktionsfähigkeit von Wertschöpfungsketten zu erhöhen. Das setzt allerdings auch einen verstärkten unternehmensübergreifenden Datenaustausch voraus. Grundsätzlich tragen die digitale Transformation und die dadurch erreichbaren Vorteile dazu bei, die Bereitschaft von Unternehmen zum Datenaustausch zu erhöhen. Hinzu kommen entsprechende Anforderungen insbesondere großer Unternehmen an ihre Wertschöpfungspartner. Allerdings besteht auch hier noch viel Entwicklungspotenzial. Steigender Kostendruck in der Logistik Neue Wettbewerber, steigende Preistransparenz durch Vergleichsmöglichkeiten auf Online-Portalen und der Zwang der Unternehmen, ihre Kosten ergebnisorientiert zu optimieren, verschärfen den Wettbewerb nicht nur in Krisenzeiten und führen zu einem hohen Kostendruck in der Logistik. Dieser zwingt Logistik und Supply Chain Management, bestehende Konzepte immer wieder zu hinterfragen und sich sowohl technologisch als auch organisatorisch permanent weiterzuentwickeln. Digitalisierung und künstliche Intelligenz stellen einen wichtigen "Enabler" dar, um innovative Logistikprozesse und -strukturen zu realisieren, die gleichermaßen kostengünstig und flexibel gestaltet sind. Individualisierung treibt Komplexität Komplexität entsteht durch die immer weiter zunehmende Individualisierung der Kundenanforderungen und damit verbunden die steigende Vielfalt von Produkten und Prozessen. Hinzu kommen Internationalisierung und Arbeitsteilung in den Wertschöpfungsketten sowie eine dynamische Veränderung aller Komplexitätstreiber im Zeitverlauf. Für die Logistik bedeutet dies die Notwendigkeit, Strukturen für ein flexibles Handling immer kleinerer Mengen mit sehr kurzen Lieferzeiten zu schaffen. Resilientere Supply Chains schaffen Die Corona-Pandemie hat vielen Unternehmen die Verwundbarkeit ihrer etablierten und auf höchste Effizienz getrimmten Wertschöpfungsketten in nie gekanntem Ausmaß gezeigt. Die Logistik hat hier während des Lockdowns kritische Bereiche der Versorgung durch ein herausragendes Engagement der Mitarbeiter und Führungskräfte sichergestellt und später einen erfolgreichen Wiederanlauf der Produktion möglich gemacht. Eine gemeinsam mit der Logistikinitiative Hamburg im August 2020 durchgeführte Studie zu den Auswirkungen von Corona auf die Logistik zeigte indes, dass gerade das Supply Chain Risikomanagement in vielen Firmen noch zu wenig etabliert ist. Hier besteht erheblicher Nachholbedarf, um die Supply Chains künftig resilienter (= risikofester) zu machen. Aufpreis durch Nachhaltigkeit Die intensive Diskussion um den Klimawandel, Bewegungen wie Fridays for Future sowie Kundenwünsche führten dazu, dass die Nachhaltigkeit bei den für die Studie befragten Unternehmen den größten Bedeutungszuwachs im Vergleich zur Vorgängerstudie vor drei Jahren erfahren hat. Auch wenn dieses Thema durch die Pandemie ein wenig in den Hintergrund gedrängt wurde, besteht kein Zweifel, dass sich die Logistik gerade auf diesem Gebiet zukunftsfähig weiterentwickeln muss. Interessanterweise sehen sich viele Logistikbetriebe hier schon besser positioniert als bei vielen anderen Trends. Problematisch bleibt aber die ökonomische Dimension der Nachhaltigkeit: In den nächsten fünf Jahren erwarten die Firmen, dass nur 27 Prozent ihrer Kunden eine hohe bis sehr hohe Bereitschaft aufweisen, für Nachhaltigkeit einen Aufpreis zu bezahlen. Dies steht im deutlichen Gegensatz zu der Einschätzung, dass die Anzahl der Firmen, die Nachhaltigkeit der Transporte von ihren Dienstleistern fordern, im gleichen Zeitraum von 24 auf 65 Prozent steigt. Insofern sehen viele Logistiker eine besondere Verantwortung auch bei Endkunden und der Politik, um Logistik nachhaltiger zu machen. Gezielt KI und Business Analytics nutzen Business Analytics und Künstliche Intelligenz (KI) bieten den Unternehmen neue Möglichkeiten, ihre Logistik datengestützt zu optimieren. Aber nur etwa ein Drittel der befragten Unternehmen setzt erweiterte Datenanalysen bislang nutzbringend ein. Viele andere Firmen sehen dagegen noch großen Nachholbedarf bei der Einführung. Das weist eindeutig darauf hin, dass hier Handlungsbedarf besteht, denn Erfahrung ist erforderlich, um diese Technologien erfolgreich zu nutzen. Diese Erfahrung kann indes nicht beliebig schnell gesammelt werden. Es gilt also, sich auch bei diesem Thema zügig auf den Weg zu machen - auch in mittelständischen Firmen und gegebenenfalls mit externer Unterstützung. Digitale Geschäftsmodelle entwickeln Die digitale Transformation der Geschäftsmodelle ist in den meisten Unternehmen nach wie vor nicht stark vorangeschritten. Nur ein kleiner Teil der Unternehmen kann heute schon ein digitales Geschäftsmodell vorweisen. Auf der anderen Seite stehen aber fast 60 Prozent der Unternehmen, die noch kein digitales Geschäftsmodell entwickelt oder geplant haben. Insofern besteht auch hier großer Handlungsdruck, denn das wirkliche Potenzial der digitalen Transformation lässt sich nur mit innovativen Geschäftsmodellen ausschöpfen. Mit diesen Schritten machen sich Unternehmen in der Logistik zukunftsfit Strategieentwicklung: Die Vielzahl wichtiger Trends sowie die noch viel größere Vielfalt und schnelle Weiterentwicklung neuer Technologien in der digitalen Transformation ist eine große Herausforderung für viele Unternehmen, vor allem für kleine und mittelständische Betriebe. Abwarten ist aber keine erfolgversprechende Strategie. Vielmehr besteht die Gefahr, wertvolle Zeit zum Sammeln eigener Erfahrungen zu verlieren und irgendwann nicht mehr anschlussfähig zu sein. Unternehmen müssen deshalb passend zu ihrer Branche, Geschäftstätigkeit und Ausgangssituation eine individuelle Digitalisierungs-Strategie und -Roadmap (dt. Projekt-Fahrplan - die Redaktion) entwickeln - allgemeingültige Lösungen dazu gibt es nicht.Personal- und Organisationsentwicklung: Eine Anpassung an die identifizierten Trends erfolgt oft eher technologiegetrieben. Personal- und Organisationsentwicklung werden dagegen häufig zu gering gewichtet. Eine erfolgreiche digitale Transformation erfordert jedoch neue Qualifikationen, und zwar auf der Ebene der Fach- und der Führungskräfte. Außerdem muss die Organisation an die neuen Anforderungen angepasst und zu diesem Zweck noch agiler und innovationsfördernder gestaltet werden. Erst dann sind Logistikunternehmen und -bereiche für zukünftige Herausforderungen gerüstet.Reifegradmodelle sowie Informations- und Qualifizierungsangebote externer Partner, wie etwa das vom Bundesministerium für Wirtschaft und Energie geförderte bundesweite Netzwerk der Mittelstand 4.0-Kompetenzzentren können hier Hilfestellung geben. Vor allem das Hamburger Kompetenzzentrum ist in diesem Netzwerk auf die Logistik spezialisiert (https://kompetenzzentrum-hamburg.digital). Auch Trainer zum Thema Künstliche Intelligenz (KI) stehen dort zur Verfügung, um mittelständischen Unternehmen den Einstieg in diese Zukunftstechnologie zu erleichtern. Autor - Professor Wolfgang Kersten, Leiter des Instituts für Logistik und Unternehmensführung an der TU Hamburg Professor Kersten ist Direktor des Instituts für Unternehmenslogistik und Unternehmensführung an der Technischen Universität Hamburg-Harburg (TUHH). Er verfügt über mehr als zehn Jahre Erfahrung in der Industrie als Senior Manager bei der Daimler AG, als Senior Researcher an der Technischen Universität München.Kersten ist stellvertretender Vorsitzender des Wissenschaftlichen Beirats der AiF Arbeitsgemeinschaft industrieller Forschungsvereinigungen und Mitglied des Wissenschaftlichen Beirats der Bundesvereinigung Logistik (BVL). Seine Forschungsschwerpunkte liegen in den Bereichen Logistik und Supply Chain Management, Supply Chain Risk Management, Komplexitätsmanagement und Prozessoptimierung.

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