Demografischer Wandel

Demografischer WandelNur selten ein SelbstläuferIm Kampf gegen den Fahrermangel entdecken viele Speditionsbetriebe eine Zielgruppe neu: Schüler mit Hauptschul- und ohne Bildungsabschluss. Welche Erfahrungen sie und die Lehrer damit machen, zeigt der letzte Teil der Serie „Demografischer Wandel“.Als Norbert Cavar, Geschäftsleiter der Spedition Lakner in Schwäbisch Gmünd, sich vor Augen führte, dass sich 15 der insgesamt 100 LKW-Fahrer in den nächsten Jahren in den Ruhestand verabschieden werden, setzte bei ihm „für einen kurzen Moment fast Panik ein“, erzählt er im Rückblick. Zumal der Arbeitsmarkt in der Region der baden-württembergischen Spedition nahezu leer gefegt ist: „Wir konkurrieren als Mittelständler mit namhaften Industrieunternehmen und ziehen da leider oft den Kürzeren“, sagt er.Einziger Ausweg aus dieser Misere war, das stand für Cavar schnell fest: „Wir müssen mehr Zeit für Ausbildung investieren und mehr junge Leute zu Berufskraftfahrern ausbilden.“ Insgesamt 15 Jugendliche, davon drei junge Frauen, absolvieren deshalb seit diesem Jahr bei Lakner ihre Fahrerausbildung. Mit Ausnahme von zwei Realschülern verfügen alle über einen Hauptschulabschluss. Die Alternative, über beschleunigte Grundqualifikation und den CE-Führerschein, die fehlenden LKW-Fahrer nachzuziehen, stand für den Geschäftsleiter nie zur Debatte. „Wir bieten jungen Leuten bewusst die Ausbildung zum Berufskraftfahrer, damit sie als Hauptschüler nach drei Jahren einen Ausbildungsberuf in der Tasche haben, auf dem sie dann aufsetzen können“, sagt er. Immerhin könne ein Hauptschüler mit abgeschlossener Berufsausbildung den Realschulabschluss erlangen. Gleichwohl: Die Ausbildung der jungen Fahrer kostet den 41-Jährigen Zeit. Insbesondere Hauptschüler, erzählt er, müssen innerbetrieblich aufwendig nachgeschult werden. Gerade im sozialen Umgang stellt Cavar bei ihnen „gewisse Defizite“ fest. Auch bei Konflikten müssten einige noch viel lernen, da hapere es oft an der Kommunikationsfähigkeit, sagt er. Nachbesserungsbedarf sieht er auch in den Bereichen Rechtschreibung und Disziplin. Am meisten ärgert er sich über Unpünktlichkeit: „Zehn oder fünfzehn Minuten mehr oder weniger – das ist für viele nicht schlimm“, sagt er. Gerade im LKW-Fahrerberuf sei das unmöglich. „Zuverlässigkeit und Pünktlichkeit sind im speditionellen Geschäft das A und O“, sagt er. 30.000 Euro pro AusbildungsplatzTrotzdem hat Cavar seine Entscheidung nie bereut, verstärkt Hauptschüler zu Berufskraftfahrern auszubilden, obwohl er oft in den späten Abendstunden deren Ausbildungshefte kontrollieren muss und die Ausbildung eines jungen Berufskraftfahrers „gut und gerne 30.000 Euro“ kostet. Zum Vergleich: Die beschleunigte Grundqualifikation und der CE-Führerschein kosten mit 10.000 Euro nur ein Drittel. „Wir würden diesen Schritt wieder gehen“, sagt er. „Zum einen, weil unsere Azubis unser Geschäft am besten kennenlernen, zum andern, weil zufriedene Mitarbeiter immer das beste Aushängeschild für ein Unternehmen sind.“ Das Beispiel der Spedition Lakner ist nicht unbedingt typisch für die deutsche Wirtschaft. Zwar sind in diesem Jahr angesichts des Fachkräftemangels die Berufschancen für Hauptschüler im Vergleich zu den Vorjahren gestiegen. Gleichwohl müssen viele Jugendliche mit und ohne Hauptschulabschluss, wie der jüngste Datenreport des Bundesinstituts für Berufsbildung (Bibb) zeigt, häufig erst eine berufsvorbereitende Qualifizierung oder berufliche Grundbildung absolvieren, bevor sie einen Ausbildungsplatz erhalten. Hinzu kommt, dass immer mehr Abiturienten in die duale Ausbildung drängen, wie der Bundesverband Alphabetisierung beklagt. So könne schon jetzt jeder sechste Auszubildende Abitur oder Fachhochschulreife nachweisen. Mit anderen Worten: Bei der dualen Berufsausbildung hat eine massive Verdrängung eingesetzt – zulasten vieler Hauptschüler.Josef Gaukler, Inhaber der Hilpoltsteiner Fahrschule Gaukler und Lehrer an der Staatlichen Berufsschule in Roth, kann das nicht nachvollziehen. Seit vielen Jahren schult er angehende Berufskraftfahrer. Die meisten davon haben einen Hauptschulabschluss in der Tasche. „Oft ist ein Hauptschüler für das Berufsleben sogar besser qualifiziert als ein Realschüler“, sagt er. „Bei uns wird jeder doch nur nach seinen Noten bewertet“, moniert Gaukler. Entscheidend für den beruflichen Erfolg sei aber nicht die schulische Vorbildung eines Jugendlichen, sondern dessen Einstellung zum Berufsbild des LKW-Fahrers. Zumal die Anforderungen an diesen Beruf, in puncto Zuverlässigkeit, Pünktlichkeit und Auftreten gegenüber Kunden, stark gestiegen seien. „Gerade da haben viele Jugendliche Nachbesserungsbedarf“, beobachtet Gaukler. Nicht ohne Grund breche erfahrungsgemäß gut ein Drittel der Jugendlichen ihre Berufskraftfahrer-Ausbildung vorzeitig ab. Und was rät der Berufsschullehrer Transportbetrieben, um die hohe Abbrecherquote zu reduzieren? „Am besten man lädt Schüler für eine Woche Praktikum ein“, empfiehlt Gaukler. „Das bringt für beide Seiten nur Vorteile: Die Firma lernt den Schüler kennen und der Jugendliche weiß, auf was er sich in seiner Berufsausbildung einlässt.“„Qualifizierungsbedarf ist relativ hoch“Bernd Wipki, Geschäftsführer der HSV Spedition in Friedewald, kann das nur bestätigen. „Die meisten unserer rund 500 LKW-Fahrer haben einen Hauptschulabschluss“, erzählt er. Auch er setzt bewusst auf diesen Bildungsabschluss. „Allerdings ist der Qualifizierungsbedarf von Hauptschülern relativ hoch“, sagt er, „insbesondere in puncto gesetzliche Vorschriften wie Lenk- und Ruhezeiten sowie digitaler Tachograf. Das kostet Zeit“, sagt er. „Unsere Fahrer werden zwar darauf geschult und erhalten die Informationen von uns schriftlich.“ Trotzdem vermisse er bei Fahrern mit niedrigerem Bildungsniveau häufig eines: „Ihnen fehlt schlichtweg das Verständnis dafür, warum bestimmte Dinge so geregelt sind, wie sie es sind“, führt Wipki aus. Auch Norbert Cavar hat im Lauf seiner Erfahrung mit Hauptschul-Absolventen eines gelernt: „Man muss sich einfach Zeit für sie nehmen. Eine Selbstläufer-Aufgabe ist das selten“, weiß er. „Mindestens eine halbe Stunde pro Woche“, sagt er, „sollte sich ein Unternehmer um die jungen Leute kümmern. „Im Idealfall stellt man jedem Auszubildenden einen Mitarbeiter zur Seite“, empfiehlt er, „der quasi als Pate und Ansprechpartner für diesen fungiert. Damit haben wir sehr gute Erfahrungen gemacht.“Bleibt nur eines abzuwarten: wie sich die Fahrermisere entwickelt, wenn das Hauptschulmodell tatsächlich fällt, wie es die CDU nun auf ihrem Parteitag beschlossen hat. ❙❚■ Eva HassaBerufs- und Fahrschullehrer Josef Gaukler (2. v. r.) im Kreise fünf seiner Berufskraftfahrer-AzubisDemografischer Wandel – was nun?Wege aus dem Fachkräftemangel zeigt die neue VR-SerieVR 41: Folgen des demografischen WandelsVR 43: Gesundheitsmanagement für LKW-FahrerVR 44: Frauen – sind sie der Ausweg aus der Fahrerkrise?VR 45: Das Miteinander verschiedener Kulturen nutzenVR 47: Hauptschüler – besser, als viele Firmen glaubenDemografischer WandelDie bundesweite Nachwuchsinitiative für die Transport- und Logistikbranche„Hallo, Zukunft!“ ist die Nachwuchsinitiative des Verlags Heinrich Vogel unter Schirmherrschaft von Bundesverkehrsminister Peter Ramsauer. Ziel ist, den Kontakt zwischen Firmen und Schülern zu fördern, die Berufsbilder aus der Transport- und Logistikbranche vorzustellen und ihr Image zu verbessern.Die Bausteine von „Hallo, Zukunft!“:www.hallo-zukunft.info: das Weblogder Ausbildungsratgeber (einmal pro Jahr)die bundesweiten ErlebnistageBerufs-Specials, beispielsweise zu Berufskraftfahrern oder Lagerfacharbeitern agDie Initiative im Netz: www.hallo-zukunft.infoHallo, Zukunft!Demografischer Wandel

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