Das Risiko minimieren

Die Basics sind bekannt: Mit dem Mindestlohngesetz (MiLoG) zum 1. Januar 2015 haften Spediteure und Transportunternehmen dafür, dass die eingesetzten Subunternehmer ihren Mitarbeitern einen Mindestlohn von 8,50 EUR pro Stunde bezahlen. Tun dies die Auftragnehmer und ihre Subs nicht, sprich, zahlen sie keine Mindestlöhne, kann dem MiLoG zufolge auch der Auftraggeber auf Nachzahlungen verklagt und sogar mit Bußgeldern bis 500.000 Euro bestraft werden. Paragraf 21 sieht solche Maßnahmen für den vorsätzlichen oder fahrlässigen Einsatz von zahlungsunwilligen Auftragnehmern vor. Insbesondere in der Transport- und Logistikbranche ist diese Regelung brandgefährlich. Um als Auftraggeber nicht in der Haftung zu sein, hilft laut Rechtsanwalt Andreas Stommel vom Arbeitgeberverband Spedition und Logistik Deutschland (ASL) nur eines: "Jeder Spediteur sollte sich von seinen Frachtführern vertraglich zusichern lassen, dass Letztere und ihre Subunternehmen den Mindestlohn zahlen und entsprechende Nachweise vorlegen können", sagt er (siehe Kasten Seite 37). Wer täglich im Spotmarkt in Frachtenbörsen Ladungen vergibt oder auch sucht, kann diesem Rat schon aus zeitlichen Gründen kaum folgen. Viele Aufträge werden in Minutenschnelle vergeben, oft haben es Speditionen und Frachtführer mit völlig neuen Geschäftspartnern zu tun. Jetzt bieten einige Frachtenbörsen nach eigenen Angaben einen Ausweg an. Jeder Teilnehmer kann bei ihnen ein Dokument hinterlegen, dass er nach Mindestlohn abrechnet und auch von Subunternehmern entsprechende Verpflichtungen verlangt. Diese Option bietet zum Beispiel E-Kurier von Hierl & Müller in Straubing. Jeder Nutzer, der eine fünfseitige Selbstverpflichtung unterschreibt und per Post oder per Mail einschickt, wird auf der Plattform mit einem entsprechenden Label gekennzeichnet. "Potenzielle Auftraggeber können sofort sehen, dass dieses Unternehmen das MiLoG beachtet", sagt Hans Reischer, Verlaufsleiter von Hierl & Müller. Die Nachfrage nach dem Papier ist groß. Reischer rechnet damit, dass in wenigen Tagen der 500. Teilnehmer unterschreibt. Das würde einer Quote von über 30 Prozent der regelmäßigen E-Kurier-Nutzer entsprechen. Mittlerweile wirbt auch Couriernet in Igensdorf mit Selbstverpflichtungen, die online kommuniziert werden. Jeden Tag unterschreiben bis zu 20 Teilnehmer, meldet die Frachtenbörse. Wie E-Kurier wendet sich auch Couriernet vorwiegend an kleinere und mittlere Kurierdienste, die vor 2015 oft weniger als 8,50 Euro/ Stunde zahlten und nun infolge der Auftraggeberhaftung Umsatzeinbußen fürchten müssen. Beide Börsen kooperieren mit Verbänden, die ihren Mitgliedern Rechtssicherheit bieten wollen. Das E-Kurier-Papier wurde in Abstimmung mit dem Bundesverband der Kurier-Express-Postdienste (BdKEP) formuliert, die Couriernet-Erklärung schrieben die Hausanwälte des Bundesverbands der Transportunternehmen (BVT) mit. Bleibt die Frage, wie rechtsverbindlich solche Selbstauskünfte sind. Für Stommel müssen Speditionen darauf achten, dass sie bei möglichen Verstößen des Auftragnehmers von jeglicher Haftung befreit sind. "Eine Freistellungsklausel sollte fester Bestandteil einer solchen Vereinbarung sein", sagt der Rechtsanwalt. Genau in diesem Punkt bleibt das E-Kurier-Dokument undeutlich. Der Unterzeichner verpflichtet sich nur, den Auftraggeber zu unterrichten, wenn er mit zivilrechtlichen Ansprüchen von Arbeitnehmern, die bei ihm oder Subunternehmern angestellt sind, wegen möglicher MiloG-Verstöße zu kämpfen hat. Auch bei anderen Frachtenbörsen stoßen Selbstauskünfte zum Thema Mindestlohn auf Interesse. Allerdings machen sie eine Einführung von der Kundennachfrage abhängig. "Wenn die Teilnehmer solche Erklärungen wünschen, werden wir sie sofort online bereitstellen", sagt Anton Behringer, Geschäftsführer von LkwOnline in Freiburg. Für Peter Förster, Geschäftsführer von Transporeon, ist der Mindestlohn nur ein weiteres Kriterium, das die Auftraggeber vor der Vergabe abfragen. "Solche Kriterien sind Vermeidung von Kinderarbeit oder Einhaltung von gesetzlichen Vorschriften", sagt Förster. "Wir planen deshalb kein gesondertes Feld für den Mindestlohn." Im Gegensatz zu den meisten anderen Börsen vermittelt Transporeon ausschließlich langfristige Kontrakte und ist nicht in Spotmärkten aktiv. Auffallend ist: Große Frachtenbörsen wie Timocom, die europaweit agieren, haben sich bislang mit Selbstverpflichtungen zurückgehalten. Dabei schreiben 22 der 28 EU-Staaten Mindestlöhne vor. Auch deren Gesetzgebung stützt sich auf die EU-Arbeitnehmerentsenderichtlinie, die eine Auftraggeberhaftung formuliert. "Kein internationaler Teilnehmer hat bis heute eine Selbstverpflichtung angeregt", wundert sich Marcel Frings, Director Business Development von Marktführer Timocom. Für internationale Juristen liegen die Gründe auf der Hand. Die deutsche Auftraggeberhaftung geht besonders weit. "Der festangestellte Mitarbeiter eines Auftragnehmers und dessen Subunternehmers kann bei Verstößen gegen das MiloG nicht nur diese, sondern auch den Auftraggeber auf Lohnnachzahlungen verklagen", sagt Damian Dziengo, Anwalt der Hamburger Kanzlei DD Legal. "Einen derart weitreichenden Arbeitnehmerschutz gibt es in keiner anderen nationalen Gesetzgebung." Wer falsch ausfüllt, dem droht Ärger Die Papiere von E-Kurier und Couriernet erreichen aber nicht jeden Teilnehmer. Unternehmen, die selbst den Mindestlohn zahlen, aber dies nicht für ihre Subunternehmer garantieren können, werden die Verpflichtung kaum unterschreiben. Das Risiko, bei künftigen Kontrollen der Zollbehörden aufzufliegen, ist einfach zu groß. Auch viele ausländische Teilnehmer unterschreiben nicht, weil sie mit dem Thema offenbar nichts anfangen können. Bei E-Kurier stammen nicht einmal zehn Prozent der unterschriebenen Erklärungen von nicht-deutschen Teilnehmern. Allerdings müssen auch ausländische Frachtführer mit unterschriebener Selbstverpflichtung weiterhin jede Deutschland-Tour bei der Bundesfinanzdirektion West in Köln anmelden und bestätigen, dass sie im deutschen Streckenabschnitt nach MiLoG zahlen. Wenn diese die Formulare der Behörde nicht verstehen oder falsch ausfüllen, droht Ärger bei Kontrollen. Kein Wunder, dass internationale Frachtenbörsen wie Trans.eu und Wtransnet internationalen Transport- und Speditionsdienstleistern online ihre Unterstützung bei der Bearbeitung der Papiere bieten. So hat Wtransnet einen Link zum Formular platziert und rät, möglichst nur die deutschsprachige Version zu nutzen. Trans.eu will dagegen alle Neuigkeiten rund um das MiLoG auf seinen Börsen- und Social Media-Plattformen veröffentlichen. "Wir haben für Kunden aus sieben Ländern MiloG-Ratgeber in ihrer Muttersprache formuliert und unsere Hausjuristen für dieses Gesetz sensibilisiert", sagt Trans.eu-Sprecher Maciej Mackowiak. Bleibt abzuwarten, ob diese Anwälte eines Tages ähnliche Selbstverpflichtungen formulieren werden, wie sie jetzt E-Kurier und Couriernet anbieten. Die Serie Das Mindestlohngesetz (MiLoG) richtig umsetzen - VR 12: Wie man Risiken aus dem MiLoG versichert- VR 13: Welche Zulagen und Zuschläge anrechenbar sind- VR 14: Welche Folgen das MiLoG für Deals in Frachtenbörsen hat Veranstaltungs-Tipp Seminar: "Mindestlohn - Raus aus der Risikofalle" Zum Thema "Mindestlohn in der KEP-Branche - Raus aus der Risikofalle" veranstaltet die VerkehrsRundschau am 18. Juni 2015 in Berlin ein Seminar.Ziel ist es, den KEP-Unternehmern konkrete Handlungsempfehlungen zu geben, wie sie ihre Haftungsrisiken durch das neue Mindestlohngesetz minimieren und die Mehrkosten erfolgreich in den Griff bekommen können. Themenschwerpunkte sind- Welche Verantwortlichkeiten der Gesetzgeber beim Mindestlohngesetz zwingend vorschreibt- Welche Sanktionen bei Pflichtverletzungen drohen- Welche Punkte vertraglich geregelt werden können- Scheinselbstständigkeit vermeiden- Wie Gerichte Scheinselbstständigkeit beurteilenReferenten sind Rechtsanwalt Markus Baur, Fachanwalt für Arbeitsrecht in München und Jürgen Weber, ITW Consulting in Sinzig/Rhein. Weitere Informationen unter www.verkehrsrundschau.de/events. eh

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