"Das Personalproblem müssen sie selbst lösen"

Nachlassende Konjunktur, internationale Handelsstreitigkeiten und der bevorstehende Brexit: Läuten bei der deutschen Industrie angesichts der Wirtschaftsentwicklungen die Alarmglocken?Im BDI beschäftigen wir uns zunehmend mit diesen zeitgleichen Entwicklungen. Der Handelskonflikt zwischen den USA und China zieht nicht unbemerkt an Deutschland vorüber. Es droht eine weltweite Protektionismusspirale. Diese könnte die Weltkonjunktur als Ganzes empfindlich schwächen. Umso wichtiger ist es, dass sich die Bundesregierung mit aller Kraft für offene Märkte und gegen Protektionismus einsetzt.Der BDI hat als einer der ersten die möglichen Folgen eines ungeordneten Brexits deutlich gemacht. Mitte Juni haben wir dazu einen Leitfaden für Unternehmen veröffentlicht, den unsere dafür eingerichtete Taskforce erarbeitet hat.Welches Gefühl überwiegt gerade: die Freude über die immer noch gute Konjunkturlage oder die Sorge aufgrund der politischen Unruhen, die auch die deutsche Wirtschaft stark treffen könnten?Nach der Wirtschafts- und Finanzkrise haben wir uns in Deutschland an eine dauerhafte Wachstumsphase gewöhnt: Wir sind im neunten Jahr eines Aufschwungs. Die üblichen Konjunkturschwankungen haben viele Unternehmen beinahe vergessen. Deshalb warnt der BDI seine Mitglieder, aber auch die Politik, sich nicht zu sehr in Sicherheit zu wiegen. Die größten Fehler werden gemacht, wenn es einem gut geht.Noch zeigt sich die weltweite Konjunktur sehr robust. Das Geschäft der deutschen Industrie wird sich auch in naher Zukunft vernünftig entwickeln. Dennoch sollten Unternehmen und Politik bereit sein, jederzeit gegensteuern zu können.Das Wirtschaftswachstum nimmt bereits leicht ab. Steuert Deutschland auf eine Rezession zu?Von einer Rezession sind wir weit entfernt. Der BDI erwartet für das laufende Jahr ein Wachstum der realen Wirtschaftsleistung von 2,25 Prozent. Nur: Besser als in diesem Jahr wird die Konjunktur wohl nicht mehr. Besonders der Heimatmarkt Europa trägt die deutsche Stärke.Alle 28 EU-Staaten wachsen - zum ersten Mal seit zehn Jahren. Deutsche Produkte sind im Ausland gefragt, vor allem in den Wachstumsmärkten. Allerdings droht sich die globale Konjunktur wegen der politischen Risiken abzuschwächen.Ein Risiko heißt Donald Trump: Täglich exportieren und importieren deutsche Unternehmen Waren im Wert von mehreren Milliarden Euro. Daran hängen viele Transport- und Logistikdienstleister. Was passiert, wenn der Handelskonflikt zwischen den USA und der EU doch noch eskaliert?Ein schärferer Handelskonflikt nutzt niemandem. Er schadet auch den Staaten, die glauben, ihn für sich entscheiden zu können. US-Unternehmen warnen bereits ihren Präsidenten vor einer Eskalation, weil sie sich um die Konjunktur im eigenen Land sorgen. Mit Zöllen schaden sich die USA vor allem selbst. Allein die deutsche Automobilindustrie beschäftigt in den USA über 118.000 Mitarbeiter. 60 Prozent ihrer Produktion werden aus den USA in andere Länder exportiert. Eine Verschärfung des Konflikts bedeutet langfristig Einbußen in den Geschäftserwartungen, bei Jobs und dem technologischen Fortschritt aufgrund des mangelnden Wettbewerbs. Der jüngste Besuch von EU-Kommissionspräsident Juncker in Washington lässt hoffen, dass am Ende die Vernunft siegt.Nachdem die EU temporär von Einfuhrzöllen auf Stahl und Aluminium ausgenommen war, gelten diese seit Juni für Europa. Sind schon Auswirkungen zu spüren?Bereits die Androhung von Strafzöllen wird zum Problem. Unternehmen werden damit gezwungen, sich auf Behinderungen einzustellen. Stattdessen benötigen sie Planungssicherheit. Aufgrund der US-Zölle könnten etwa fünf Millionen Tonnen geplanter europäischer Stahl- und Rohrstahl-Exporte für die USA nun auf dem europäischen Markt verbleiben.Einige Ökonomen warnen vor Gegenmaßnahmen in Form von zusätzlichen EU-Strafzöllen, weil die Vereinigten Staaten am längeren Hebel sitzen. Was hält der BDI von der jüngsten Reaktion der EU?US-Zölle unter dem Deckmantel der nationalen Sicherheit gehören abgeschafft. Einseitige handelspolitische Maßnahmen außerhalb des Regelwerks der Welthandelsorganisation WTO schaden der wirtschaftlichen Entwicklung überall auf der Welt - auch in den USA. Ausgleichszölle müssen gut abgewogen werden, da sie zur Eskalation beitragen können. Die EU darf sich aber auch nicht erpressen lassen und sollte gegenüber den USA selbstbewusst auftreten.Zunächst einmal müssen wir im Gespräch bleiben. Das hilft, wie das Treffen von EU-Kommissionspräsident Juncker mit US-Präsident Donald Trump gezeigt hat. Nun sind wir gespannt, wie Washington und Brüssel die Vereinbarungen umsetzen.Neben dem Handelsstreit bereitet der drohende Brexit der deutschen Wirtschaft zunehmend Bauchschmerzen. Glauben Sie, dass Großbritannien am 29. März 2019 tatsächlich kein EU-Mitglied mehr ist?Die britische Regierung hat das nach dem knappen Brexit-Referendum beschlossen und durch ein formelles Austrittsschreiben bei der EU den Prozess in Gang gesetzt. Beide Seiten versuchen seitdem, den ungeregelten Austritt zu vermeiden, damit Ende März nächsten Jahres kein Chaos entsteht. Darauf würde es hinauslaufen, wenn schlagartig alle Handels- und Zollbestimmungen, die im Rahmen des EU-Binnenmarkts gelten, wegfielen.Die Einigung auf eine Übergangsperiode war dringend nötig, um fürs Erste Härten in der Produktion und im Außenhandel zu vermeiden. Sollten wie angekündigt bis Oktober ein Austrittsabkommen und eine Übergangsphase vereinbart werden, wäre für Unternehmen wertvolle Zeit gewonnen. Dann könnten sie ihre Geschäftstätigkeit bis 2021 anpassen.Entscheidend bleibt jedoch eine grundsätzliche Einigung über das künftige Verhältnis zwischen der EU und dem Vereinigten Königreich. Diese muss bis Oktober erzielt werden. Premierministerin Theresa May hat endlich Pläne vorgelegt, wie ihr Land auf Dauer mit der EU Handel treiben und zusammenarbeiten will. Kern ist eine gemeinsame Freihandelszone für Waren mit der EU. Das scheint eine Grundlage für weitere Diskussionen zu sein, aber sicher kein letztes Angebot.Halten Sie einen geregelten Austritt Großbritanniens aus der EU angesichts der schleppenden Verhandlungen acht Monate vor dem Stichtag noch für möglich?Schon, aber die Zeit ist sehr knapp. Allein die Frage der EU-Außengrenze zwischen Irland und Nordirland ist schwierig zu beantworten. Ich halte es für richtig, dass die EU von Anfang an einen klaren Kurs gefahren und deutlich gemacht hat, dass der Zusammenhalt und die Stabilisierung der EU27 Vorrang haben.Sind Sie für einen weichen Brexit mit Verbleib Großbritanniens in der Zollunion und im EU-Binnenmarkt?Am liebsten wäre der deutschen Industrie gewesen, es gäbe überhaupt keinen Brexit. Es ist aber, wie es ist. Der BDI unterstützt die Politik in Berlin und Brüssel mit seiner Taskforce, um in der Übergangsphase und danach vernünftige Regelungen zwischen der EU und dem Vereinigten Königreich zu erzielen. Unseren Mitgliedern machen wir aber klar: Stellt Euch auch auf den Worst Case ein, einen ungeordneten Brexit. Gleichwohl haben wir die Hoffnung, dass das nicht passiert. Wir unterstützen alle, die dafür arbeiten.Mit welchen Folgen rechnen Sie für die Transport- und Logistikwirtschaft durch den Brexit und wie sollen sich die Unternehmen aus diesem Gewerbe vorbereiten, wenn noch nichts beschlossen ist?Unternehmen mit Geschäft auf den britischen Inseln arbeiten mit Hochdruck daran, sich auf die Szenarien vorzubereiten. Aber es ist eine Arbeit mit vielen Unbekannten, etwa bei Marktzugangsrechten, Rechten ausländischer Arbeitnehmer oder neuen Zollbestimmungen. Fakt ist: Der Brexit kostet Geld und Zeit.Mit höheren Kosten müssen deutsche Transport- und Logistikunternehmen auch wegen der Lkw-Maut kalkulieren. Halten Sie die Erhöhung um bis zu 60 Prozent ab 2019 für gerechtfertigt?Wir haben uns nicht gegen die Ausweitung der Lkw-Maut ausgesprochen, wir im BDI akzeptieren die neue Systematik. Überrascht waren wir allerdings von der Rechnung der Bundesregierung, die in den nächsten Jahren mit Mauteinnahmen von 7,5 Milliarden Euro rechnet. Wir schätzen, dass damit durch die Ausweitung und Erhöhung der Lkw-Maut auf die deutsche Wirtschaft eine Mehrbelastung von rund 3 Milliarden Euro zukommt.Der Bund scheint damit zu niedrige Preisanpassungen der Vergangenheit ausgleichen zu wollen. Insbesondere die kalkulatorischen Zinsen hat die Bundesregierung bis zum Anschlag ausgereizt. Ich rechne nicht damit, dass das noch umkehrbar ist.Sie haben im Vorfeld kritisiert, die deutsche Wirtschaft solle mit exorbitanten Mautsätzen nun Höchstbeträge für eine schön gemalte Infrastruktur zahlen. Was meinen Sie damit genau?Die verladenden Unternehmen, die ihre Güter selbst befördern oder dafür Transport- und Logistikdienstleister beauftragen, klagen über die schlechte Qualität der Straßen, über marode Brücken, mangelnde Anbindungen und immer mehr Sperrungen. Es gibt diverse Kritikpunkte am Zustand der deutschen Verkehrsinfrastruktur. Ich appelliere an die Bundesregierung, mit dem Mautgeld sehr großzügig in die Verbesserung der Verkehrsinfrastruktur zu investieren.Werden die deutschen Industrieunternehmen denn die Kosten aus der Ausweitung der Lkw-Maut auf alle Bundesstraßen zum 1. Juli 2018 und die Erhöhung der Mautsätze zum 1. Januar 2019 übernehmen?Diese Entscheidung muss jedes Unternehmen für sich treffen. Dazu möchte und darf ich keine Ratschläge geben.Können sich die Auftraggeber überhaupt leisten, die zusätzliche Mautbelastung nicht zu übernehmen? Immerhin gibt es am Transportmarkt einen sehr großen Laderaumüberhang.Es wird Unternehmen geben, denen es äußerst schwerfallen wird, Dienstleister zu finden. Die werden kaum umhin kommen, die zusätzlichen Mautkosten zu übernehmen. Und es wird andere geben, die eine Wahl haben und verhandeln können, in welchem Umfang sie die Kosten tragen. Generell lässt sich sagen: Die Logistikkosten werden steigen.Von der Maut ausgenommen sind Elektro-Lastwagen. Kann die Maut-Befreiung dazu führen, dass der E-Lkw auch im Fuhrpark von Industrieunternehmen zu einer Alternative wird?E-Fahrzeuge werden sicher in den Städten eine besondere Rolle spielen, wenn es um die lokale Luftreinhaltung geht. Deshalb ist es richtig, E-Trucks zu fördern. Aber wenn wir über nachhaltige Mobilität der Zukunft sprechen, wird die Bundesregierung auf mehr Feldern fördern und forschen müssen.Ich finde es schade, dass der Gesetzgeber die Anreize für die Anschaffung der modernsten Diesel-Lkw de facto mit dieser Ausnahmeregelung stutzt. Das ist bedauerlich, weil es im Güterverkehr der Zukunft nicht nur den E-Truck geben wird. Wir werden eine Palette technologischer Lösungen für die Mobilität der Zukunft haben: hocheffiziente Diesel-Lkw, Hybrid-Lösungen, die Brennstoffzelle, LNG-Antriebe oder die Elektrifizierung von großen Autobahnabschnitten. Hinzu kommt die Bandbreite von synthetischen Brennstoffen, die CO2-neutral sein werden.Immer fraglicher wird, wer diese Lkw künftig steuert. Jährlich gehen mehr Fahrer in Rente, als neue angeworben werden. Ist das ein Problem, das ausschließlich die Transportbranche betrifft oder auch eines der Industrie?Die fehlenden Kapazitäten der Transportbranche sind ein echtes Problem. Das wird zum limitierenden Faktor für den Güterverkehr in Deutschland. Die Attraktivität dieses Berufs ist offensichtlich nicht so hoch wie der Bedarf.Das deckt sich mit Erfahrung aus Industrieberufen, wo der Fachkräftemangel seit Jahren eine Herausforderung ist.Wie könnte eine Lösung aussehen?Europa ist hier, wie übrigens oft, eine Lösung. Innerhalb des europäischen Binnenmarkts kann der Mangel an Fachkräften ein Stück weit kompensiert werden.Das passiert ja auch.Richtig. Ohne die Arbeitnehmerfreizügigkeit im europäischen Binnenmarkt wäre Deutschland wahrscheinlich schon viel länger am Fachkräftelimit. Die Diskussion über das sogenannte Mobility Package der Europäischen Kommission, in dem unter anderem der Zugang ausländischer Transportunternehmen in einen nationalen Markt geregelt wird, ist wertvoll. Wir würden begrüßen, würde es noch vor dem Ende der Amtszeit der derzeitigen Kommission beschlossen werden.Auch in Osteuropa ist mittlerweile ein Fahrermangel zu beobachten. Müsste die verladende Wirtschaft sich nicht stärker einbringen, wenn sie vermeiden will, dass die von den Kunden bestellte Ware nicht im Lager stehen bleibt?Die Transportunternehmen sind dafür verantwortlich, ihre Personalprobleme zu lösen. Wenn es auch dort zu Engpässen kommt, werden die Verlader wohl reagieren und versuchen mit Partnern enger zusammenzuarbeiten, die ihnen diese Kapazitäten garantieren können.Oder den Transport mit eigenen Fahrzeugen abwickeln.Möglich wäre das. Wobei es die Arbeitsteilung aus gutem Grund gibt. Es ist von Vorteil, wenn sich jeder auf seine Stärken konzentriert. Das, was man nicht so gut beherrscht, überlässt man Spezialisten. Die Frage nach dem Selbermachen stellt sich erst, wenn keine Kapazitäten mehr verfügbar sind. Eine solche Situation kann ich derzeit nicht erkennen.Wäre eine finanzielle Förderung durch die Politik zur Linderung des Fahrermangels ein Ansatz?Ich bin nicht überzeugt, dass so etwas nachhaltig hilft. Mein Eindruck ist, dass das Problembewusstsein in der Politik mit der Diskussion über die EU-Entsenderichtlinie deutlich gewachsen ist. Wenn wir diesen Moment nutzen, um den Dialog untereinander und mit der Politik zu stärken, lassen sich Ideen abseits einer finanziellen Förderung finden, um den Engpass zu bewältigen. Die Ausbildung muss attraktiver, die Arbeitsbedingungen für die Fahrer müssen besser werden.Immer wieder wird der Vorwurf laut, die Fahrer müssten an den Laderampen stundenlang warten. Für die eigentliche Tätigkeit - das Fahren - bliebe dann nicht mehr viel Zeit. Müssen die Verlader stärker darauf achten, dass sie ihre Prozesse vor Ort besser in den Griff bekommen?Das muss man sich im Einzelfall anschauen. Klar ist: In einem so komplexen und kleinteiligen Geschäft wie dem Transportund Logistikgewerbe gibt es ähnlich wie bei den Verladern selbst großes Potenzial zur Optimierung.Die Digitalisierung wird neue Möglichkeiten bieten, um diese Potenziale zur Verbesserung zu heben. Da bin ich sehr optimistisch.Mehr zum Thema finden Sie im Dossier Verkehrspolitik www.verkehrsrundschau.de/dossiersPerson und OrganisationHolger Löschwurde 1963 in Schweinfurt geboren. Er ist verheiratet und hat zwei Kinder. Von 1983 bis 1992 studierte er Politikwissenschaft, Geschichte und Germanistik an der Ludwig-Maximilians-Universität in München. Bereits während seines Studiums begann Lösch als Journalist und Redakteur beim Bayerischen Rundfunk (BR) zu arbeiten. Ab 1995 leitete er den Stab Fernsehdirektion des BR, bis er 1998 die Leitung der Zentralen Programmkoordination übernahm. Von 2001 bis 2008 leitete Lösch die Kommunikationsabteilung, zunächst bei der Schörghuber Unternehmensgruppe in München und danach bei der Arabella Hotel-Holding in München. 2008 wurde Lösch Leiter des Bereichs Kommunikation und Marketing im Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI), ab 2009 zudem Mitglied der Geschäftsleitung. Er ist seit Juli 2011 Mitglied der Hauptgeschäftsführung und seit April 2017 stellvertretender Hauptgeschäftsführer des BDI. In dieser Funktion ist er unter anderem zuständig für die Themen Mobilität und Logistik. agDer Industrieverband BDIDer Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) vertritt die Interessen von insgesamt 40 Branchenverbänden und spricht für mehr als 100.000 Unternehmen aller Sparten des verarbeitenden Gewerbes. Er beschäftigt sich mit unterschiedlichen Themen, die Experten in 18 Ausschüssen behandeln. Der BDI sitzt zusammen mit anderen Spitzenorganisationen im Haus der Deutschen Wirtschaft in Berlin. agHandelskonflikt, Brexit und Lkw-Maut - die Themen dieses InterviewsDer Handelstreit zwischen den USA und der EU ist vorerst entschärft - derzeit wird verhandeltWenige Monate vor dem EU-Austritt Großbritanniens sind noch viele Fragen offenDie Lkw-Maut gilt jetzt auf allen Bundesstraßen und sie soll zum Jahreswechsel überall steigen

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