"Das ist Sisyphos-Arbeit und ein Kraftakt"

Zum 1. Juli wurde die Lkw-Maut auf Bundesstraßen ausgeweitet, und zum 1. Januar 2019 steigen die Mautsätze massiv an. Der Staat schlägt also doppelt zu. Wie verkraften das die Transporteure und Spediteure? Jochen Eschborn: Das große Problem ist, dass der Staat die Neuerungen so spät kommuniziert. Bei jeder Änderung muss ein Transporteur ermitteln, welche Mehrkosten auf ihn zukommen, und diese dann mit seinen Kunden verhandeln. Der eine will einen pauschalierten Preis, der andere das Ganze über Zuschläge. Das muss er mit jedem Kunden einzeln klären. Das ist Sisyphos-Arbeit. Und zum 1. Januar 2019 beginnt das Spiel aufs Neue. Michael Bargl: Ich frage mich, warum erlässt die Politik solche Neuerungen nicht in einem Rutsch? Stattdessen müssen wir alle das Thema Maut zweimal anpacken und haben dadurch doppelt Mehrkosten in der Administration. Immerhin haben wir schon im Mai die neuen Mautsätze erhalten. So konnten wir uns darauf vorbereiten. Die Bundesstraßenmaut gibt es nun seit drei Monaten. Wie stark trifft sie die Transportbetriebe? Eschborn: Wir haben das für unsere Mitglieder untersucht. Demnach sind unsere Mautkosten durch die Bundesstraßenmaut im Schnitt um 5,4 Prozent gestiegen. Wobei die Nahverkehrsunternehmen am stärksten von der Bundesstraßenmaut betroffen sind. Um das ermitteln zu können, haben wir uns auf die Touren- und Fahrzeugdaten gestützt, die uns unsere Partner geliefert haben. Auf dieser Basis haben wir mit 40 Tonnen zGG-Lkw und Euro 6 gerechnet, weil wir in 99 Prozent der Fälle mit solchen Lkw unterwegs sind. Dann haben wir alle Einzelverbindungen auf den innerdeutschen Transportlinien analysiert und insgesamt 1,3 Millionen Berechnungen angestellt. Bargl: Durch die Mautausweitung gibt es praktisch keine Tour mehr, für die keine Maut anfällt. 90 Prozent unserer IDS-Touren sind jetzt mautpflichtig. Im Schnitt kostet uns eine Stückgutsendung mit 250 Kilogramm Gewicht und 300 Kilometer Transportdistanz 2,5 Prozent mehr in der Produktion - allein durch die Mautausweitung. Das ist nur ein Beispiel. Am stärksten trifft dies die Betriebe, die die Sendungen abholen und zustellen. Wobei auch unsere Partnerregionen mit wenig Autobahnkilometern unverhältnismäßig hohe Mehrkosten durch die Mautausweitung haben. Da wir die Mautkosten anteilig umschlagen, müssen zudem die leichteren Sendungen höhere Mautkosten tragen als schwere. Wie ist IDS zu diesen Zahlen gelangt? Bargl: Wir haben das bei IDS ebenfalls zentral für unsere Gesellschafter ausgerechnet. Wir nahmen dafür die Sendungsdaten eines Monats und ließen diese über unsere Computerprogramme laufen und ermittelten so, wie wir unsere Tagessendungen abwickeln, also mit wie vielen Lkw auf welcher durchschnittlichen Transportentfernung, mit wie vielen Tagesstopps und mit welchem mautpflichtigen Streckenanteil. Zusätzlich kommt in unserem Sammelgutgeschäft folgende Komplexität dazu. Eine Tour umfasst bei uns zum Beispiel 200 Kilometer mit zehn Stopps, davon werden 120 Kilometer auf mautpflichtigen Strecken gefahren. Theoretisch hätten wir bei dieser Tour durch die Lkw-Maut also 14,40 Euro Mehrkosten. Und wie verteilen Sie diese Mautmehrkosten auf die einzelnen Stopps? Bargl: Das ist genau die Frage, die jeder Stückgutspediteur für sich klären muss. IDS arbeitet da mit einem Ansatz, in den zu 75 Prozent die Stoppzeit einfließt und zu 25 Prozent der Stellplatzbedarf der Sendung auf dem Lkw. Und zum 1. Januar 2019 steht der nächste Kraftakt ins Haus. Dann hebt der Gesetzgeber nicht nur die Mautsätze deutlich an, sondern führt auch eine neue Systematik ein. So soll künftig auch die Lärmbelastung eines Lkw in die Mauthöhe einfließen. Außerdem müssen Fünf-Achs-Lkw künftig genauso viel Maut bezahlen wie Vier-Achs-Lkw. Von welchen Mehrbelastungen gehen Sie für Ihre Unternehmen aus? Eschborn: Noch ist das Mautgesetz nicht verabschiedet. Das muss ja noch durch den Bundestag. Wir erwarten aber, dass die Mautsätze so bleiben, wie sie im Mai kommuniziert wurden. Unter dieser Prämisse steigt für einen Standard-40-Tonner mit Euro-6-Motor und fünf Achsen der Mautsatz zum 1. Januar 2019 auf 18,70 Cent/Kilometer. Bislang lag er bei 13,50 Cent/Kilometer. Auf dieser Basis rechnet Elvis im Schnitt mit 38,5 Prozent höheren Mautkosten. Bei Euro-5-Fahrzeugen steigen die Mautkosten dagegen um 29 Prozent im Schnitt über alle Achsklassen, wobei bei uns nur noch sehr wenige Euro-5-Lkw eingesetzt werden. Insgesamt dürften damit im Schnitt die Fahrzeugkosten aller Elvis-Betriebe um 2,5 Prozent mit der neuen Maut steigen. Wobei das ein Durchschnittswert ist. Wichtig ist nur, dass die neuen Mautsätze sowohl für die Autobahnen als auch für die Bundesstraßen gelten. Das gilt es zu berücksichtigen. Bargl: Auch wir haben das gerechnet, ohne da in die Details zu gehen. Wobei wir im Nahverkehr von einem etwas höheren Euro-5-Anteil ausgehen als Elvis, was sich auf unsere Kosten im Nahverkehr entsprechend niederschlagen wird. Bei unseren Hauptläufen rechnen wir dagegen mit mehr als 50 Prozent Euro-6-Fahrzeugen. Auf dieser Basis rechnen wir durch die neuen Mautsätze mit etwa zwei Prozent Mehrkosten. Zum Vergleich: Die Bundesstraßenmaut verursachte bei uns im Schnitt 2,5 Prozent Mehrkosten. Müssen Ihre Mitgliedsbetriebe befürchten, auf diesen Kosten sitzen zu bleiben, oder übernehmen Ihre Kunden die Lkw-Maut? Bargl: Zur neuen Maut gibt es dazu noch keine Erfahrungswerte. Die Bundesstraßenmaut konnten aber unsere IDS-Franchisenehmer vollumfänglich umlegen. Das wird uns bezahlt. Kleinere Kunden haben wir über unsere Preisanpassung in der Regel schriftlich informiert. Bei größeren Auftraggebern ging es, wie bereits gesagt, in die Verhandlung bis auf Sendungsebene. Das war ein sehr hoher Personalaufwand im Vertrieb. Und den bezahlt uns kein Kunde. Fedrowitz: Schön, dass Sie die Lkw-Maut bei Ihren Kunden umlegen konnten. Das ist nicht immer so. Ich berate vorwiegend mittelständische Teil- und Komplettladungs-Spediteure, die für große Speditionen fahren oder selbst eigene Kunden bedienen. Diese sind vorwiegend im Tankwagen- und Chemie-Geschäft tätig. Das sind meist feste Kontrakte, und diese Großkunden wollen eines: die Kosten pro Kilometer. Das wird dann schwierig, wenn sich die Ladestellen ändern, wie es im Tankwagengeschäft üblich ist. Und da haben die Großkunden nicht die Muse, mit ihren Transportpartnern zu verhandeln. Viele Transporteure haben auch nicht die nötige IT, um die Mautkosten sauber den Kunden darzulegen. Die Folge ist, dass ein Transporteur zum Beispiel vier Prozent höhere Preise fordert und dieser ihm 2,5 Prozent als Kompromiss vorschlägt. Gibt da der Transporteur nach, kann das schnell an seine Substanz gehen, denn die Erlösmargen im Transport sind nach wie vor viel zu niedrig. Was raten Sie Transporteuren also zu tun? Fedrowitz: Richtig wäre es, um im Beispiel zu bleiben, dass der Transporteur seinen Kilometerpreis mit seinem Kunden nachverhandelt. Und zwar stets, wenn er wegen einer anderen Ladestelle eine andere Strecke mit höherem Mautanteil fahren muss. Das Problem ist, dass sich die Kunden meist auf die festen Kilometerpreise berufen, die man auf ein Jahr verhandelt habe. Wenn es, wie etwa im Fall der neuen Maut, zu einer Gesetzesänderung kommt, passen die Verlader Jahreskontrakte natürlich an. Auch unterjährig. Sind diese Preise dann angepasst, bleibt es aber dabei. Nachverhandeln nach jeder Tour geht also nicht, obwohl dies betriebswirtschaftlich die beste Lösung wäre... Streitpunkt zwischen Transporteuren und Verladern sind oft auch die Leerkilometer. Wie rechnet man die Maut ein? Vollständig oder nur zum Teil? Fedrowitz: Genau das wollte ich die beiden Herren auch fragen. Denn in dem Geschäft der Unternehmer, die ich berate, ist das relativ einfach. Da fährt ein Transporteur für einen Kunden. Eine Tour geht dabei stets von einer Ladestelle zu einer oder mehreren Entladestellen und dann zurück zur Ladestelle. Somit beinhalten die Gesamtkilometer auch die Leerkilometer. Im Stückgutbereich stelle ich mir das schwierig vor. Bargl: Gegenfrage: Was ist ein Leerkilometer im Sammelgutgeschäft oder auch im Verteilerverkehr? Da werden beispielsweise neun Sendungen zugestellt und eine Sendung abgeholt. Der Lkw ist also immer voll. Wir arbeiten daher nicht mit einem Leerkilometer-Zuschlag, sondern haben fixe Tourkosten und verteilen diese dann anteilig auf die einzelnen beförderten Sendungen. Eschborn: Das Thema Leerkilometer ist nicht für alle unsere Partner so relevant. Sitzt der Versender zum Beispiel im Rhein-Ruhrgebiet, fällt die Anfahrt nicht wirklich ins Gewicht. Anders ist das bei einem Versender in Mecklenburg-Vorpommern. Da hat ein Transporteur manchmal viele Anfahrts-Leerkilometer zu diesem Versender. Und eigentlich sollte er dann mit diesem einen höheren Mautzuschlag verhandeln, in dem er seine gefahrenen Leerkilometer berücksichtigt. Das aber Kunden zu verargumentieren, ist schwierig. Da geht es manchmal pro Tour um zehn Euro. Das klingt wenig. Bei dem hohen Volumen, das wir alle haben, kann das viel Geld sein. Bezahlen die IDS- und Elvis-Unternehmen ihren Frachtführern auch die Lkw-Maut? Bargl: Unser Frachtführer haben, nach Vorlage ihrer Kosten, die Lkw-Mautmehrkosten von unseren Franchisenehmern vergütet bekommen. Eschborn: Die Subunternehmer erhalten von unseren Mitgliedern in der Regel die Mautkosten im Rahmen der Fracht zurück. Einige unserer Mitglieder sind inzwischen bei fest fahrenden Unternehmern sogar dazu übergegangen, die Mautkostenabrechnung für die fest zugeordneten Sub-Lkw selbst zu bezahlen. Sie erhalten von den Mautabrechnern dazu separate Abrechnungen. Das vereinfacht den Prozess enorm. So zahlt das Elvis-Mitglied nur die tatsächlichen Kosten, und der Subunternehmer bleibt nicht auf Kosten sitzen. Was raten Sie generell kleineren Transportbetrieben zu tun, damit sie nicht auf den Mautkosten sitzen bleiben? Fedrowitz: Das wird wohl kein Transporteur. Aufgrund des Laderaum- und Fahrermangels ist die Bereitschaft der Kunden sehr hoch, die Lkw-Maut zu übernehmen. Schwieriger wird es aber für einen Unternehmer, die neuen Sätze auch bei Leerkilometern zu verargumentieren. Gerade größere Kunden werden wohl nicht mitspielen. Da hilft nur: auf Basis fester Relationen seine Kosten kalkulieren. Wenn dann Erhöhungen bei bestimmten Parametern anstehen, etwa die Maut, kann der Transporteur diese per Zuschlag seinem Kunden einfach ausweisen und weiter berechnen. Im Stückgutgeschäft funktioniert das aber nicht, weil da die Unternehmer ihre konkreten Touren meist vorab nicht kennen. Umso wichtiger ist es, dass sie ihre Preise sauber nachkalkulieren und nachverhandeln. Bargl: Das weitaus größere Problem im Stückgutgeschäft ist: Wie lässt sich die Lkw-Maut in Systemverkehren umlegen, auf welcher Transportentfernung rechnet man das? Rechnet man hier die volle Anzahl der gefahrenen Kilometer oder nur die Zahl der Luftlinien-Kilometer, wie sie im Direktverkehr entstanden wären? Denn ein Teil der Transporte läuft im IDS über das Hub in Neuenstein und nicht im Direktverkehr. Wie löst IDS dieses Problem? Bargl: Wir haben die Verkehre analysiert und Umwegfaktoren für Hub- und Stafetten-Verkehre berechnet. Welche Tools nutzen Sie, um Ihre Mautkosten zu ermitteln? Bargl: Wir haben Logistikplanungssysteme im Einsatz, die das für uns bewerten. Eschborn: Wir nutzen eine Datenbank und ein Mautrechner-Tool. Beides haben wir selbst entwickelt. Wir gehen im Übrigen im Teil- und Komplettladungsgeschäft stets von All-in-Preisen aus, also von Pauschalpreisen. Von einigen Stückgutspeditionen weiß ich aber, dass sie ihren Kunden die Mautzuschläge extra ausweisen und dafür extra Mauttabellen bieten. Bargl: Richtig ist, dass manche Kunden die Lkw-Maut als Zuschlag auf der Rechnung extra ausgewiesen haben wollen. Das war vor allem bei der Lkw-Mauteinführung der Fall. Heute ist bei den meisten die Maut im Preis eingepreist. Nachteil dieses All-in-Preises aus Dienstleistersicht ist, dass ein Unternehmer nicht genau nachverfolgen kann, ob er mit seinen Erlösen tatsächlich die Mautkosten voll umfänglich abdeckt, die er an Toll Collect abführen muss. Um wie viel Prozent werden Sie Ihre Preise zum 1. Januar 2019 konkret anheben? Eschborn: Aus kartellrechtlichen Gründen dürfen wir als Elvis AG hier keine Preisempfehlung geben. Wie gesagt: Durch die Bundesstraßenmaut hatten wir im Schnitt - über den gesamten Elvis-Verbund gerechnet - 2,5 Prozent höhere Kosten. Und durch die neue Lkw-Maut werden wir im Schnitt nochmals 2,5 Prozent höhere Kosten haben. Wobei die Fahrerkosten hier der weitaus größere Kostentreiber sind. So sind bei unseren Mitgliedsfirmen die Lohnkosten im Schnitt um zehn Prozent gestiegen. Bargl: Auch wir rechnen mit einem deutlichen Kostenanstieg. Die genauen Zahlen liegen aber noch nicht vor. Die letztliche Preiserhöhung wird aber durch den massiven Anstieg der Fahrerlöhne beeinflusst, und diese wird deutlich über der Mautkostenerhöhung liegen. In eigener Sache zur Expertenrunde Lkw-Maut Zum 1. Juli 2018 wurde die Lkw-Maut auf Bundesstraßen ausgeweitet, und zum 1. Januar 2019 sollen neue Mautsätze gelten. Grund genug für die VerkehrsRundschau, namhafte Unternehmensvertreter und einen Berater zu befragen, welche Erfahrungen sie mit diesen Neuerungen gemacht haben. Es diskutierten Michael Bargl, Geschäftsführer der Stückgutkooperation IDS Logistik, Jochen Eschborn, Vorstand des Teil- und Komplettladungsverbundes Elvis AG und Jürgen Fedrowitz, Geschäftsführer J. Fedrowitz Consulting. Das Gespräch erfolgte in Form einer Telefonkonferenz und wurde aufgezeichnet. Für den vorliegenden Artikel wurden die Aussagen der Experten zusammengefasst, fallweise redigiert und den drei Gesprächspartnern vor der Veröffentlichung zur Freigabe übermittelt. eh Online Gratis Online-Seminar Transportkosten/ PreiskalkulationDurch die Ausweitung der Maut auf Bundesstraßen ist die Berechnung der Transportkosten komplexer geworden. Wie Sie eine präzise Preiskalkulation erstellen, das zeigt Ihnen Experte Thomas Reichardt am 23. Oktober 2018 im Webinar.Für Abonnenten der VerkehrsRundschau ist dieses Online-Seminar kostenfrei. Melden Sie sich an unter:www.verkehrsrundschau.de/events

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