"Das hätte ein Einzelner nicht gepackt"

Elvis verklagt Daimler wegen verbotener Kartellabsprachen auf Schadensersatz. Warum richtet sich Ihre Klage gegen Daimler? Es waren ja noch andere Hersteller am Lkw-Kartell beteiligt. Wir hätten tatsächlich in jedem Land klagen können, in dem ein Hersteller sitzt. Wir wollten aber bewusst in Deutschland klagen. So blieben nur MAN und Mercedes übrig. Nun aber wurde im Sommer 2017 durch eine Kartellrechts-Novelle die Privilegierung des Kronzeugen eingeführt. Und MAN hatte seinerzeit als Kronzeuge das Lkw-Kartell vor der EU-Kommission angezeigt. Es besteht also zumindest die Möglichkeit, dass die Privilegierung des Kronzeugen rückwirkend angewandt wird. Deshalb war uns eine Klage gegen MAN zu riskant, und wir haben uns für die Klage gegen Daimler entschieden. Zumal wir aufgrund des hohen Streitwerts erwarten, dass Daimler die anderen Mitglieder des Lkw-Kartells im Wege der Streitverkündung in das Verfahren hineinziehen wird. Welcher Nutzfahrzeughersteller haftet dann schlussendlich im Schadensfall? Wie gesagt, unsere Klage richtet sich zunächst gegen Daimler. Denn jedes Mitglied des Lkw-Kartells haftet für den gesamten Schaden, der durch das Kartell entstanden ist, auch durch Käufe bei anderen Lkw-Herstellern. Im Wege der Streitverkündung haben die anderen Lkw-Hersteller aber die Möglichkeit, dem Rechtsstreit der Themis Schaden GmbH gegen Daimler beizutreten. Eine Streitverkündung dient der Vorbereitung von Regressansprüchen gegenüber den anderen Kartellmitgliedern. Dennoch haftet Daimler gegenüber der Klägerin für den gesamten Kartellschaden. Der Ausgleich unter den Kartellmitgliedern ist dafür ohne Bedeutung. Sie haben Ihre Sammelklage vor dem Landgericht Stuttgart eingereicht. Nun sind Sammelklagen in manchen Ländern nicht unumstritten. Was stimmt Sie zuversichtlich, dass das Landgericht Stuttgart Ihre Klage für zulässig erklärt? Was Deutschland nicht will, sind Sammelklagen nach US-amerikanischem Vorbild, in denen Verbraucher-Gruppen vertreten werden, die teilweise gar nichts davon wissen, dass etwas in ihrem Namen gemacht wird. Solche Sammelklagen sind in Deutschland und Europa nicht möglich. Jedes Unternehmen, das sich unserer Klage anschließen wollte, hat daher einen Vertrag mit der Themis Schaden GmbH geschlossen, in dem die Ansprüche zur Durchsetzung an die Themis abgetreten wurden. Das unterscheidet uns, und Themis klagt somit die Ansprüche ein, deren Rechtsinhaberin sie ist. Insofern haben wir keine Zweifel, dass unsere Klage zulässig ist. In Ihrer Klage fordern Sie einen Schadensersatz von 90 Millionen Euro nebst 86 Millionen Euro Zinsen. Wie kommen Sie auf diese Schadensersatz-Höhe? Für die Ermittlung der Schadensersatz-Höhe haben wir uns bewusst gegen die Anwendung bestimmter Pauschalen entschieden, wie dies andere vielfach tun. Stattdessen hat für uns ein Gutachter die Schadenshöhe individuell ermittelt, also auf die einzelnen betroffenen Transportbetriebe und Fahrzeuge heruntergebrochen - auf Basis jedes einzelnen Fahrgestells und jeder einzelnen Sattelzugmaschine, die eine Firma zwischen Januar 1997 und Januar 2011 von Daimler, MAN, Renault, Iveco, DAF, Scania oder Volvo erworben hat. Wir sind so insgesamt auf 16.600 Lkws gekommen, deren Kaufpreis aus unserer Sicht überteuert war - teilweise um jeweils über 10.000 Euro. Würden Sie so weit gehen, dass durch das Lkw-Kartell Transportfirmen aus dem Markt ausscheiden mussten, weil sie diese Mehrkosten finanziell nicht verkraftet haben? Die Ertragssituation vieler Transportbetriebe ist in der Tat aufgrund der niedrigen Frachtpreise sehr schlecht. Ich denke aber nicht, dass das Lkw-Kartell die Insolvenz von Transportbetrieben verursacht hat. Das Lkw-Kartell hat aber natürlich die Firmen viel Geld gekostet und erheblichen Schaden verursacht - wie unsere Klagesumme zeigt. Wie sind Sie bei der Schadensermittlung vorgegangen? Wie die EU-Kommission festgestellt hat, haben die Hersteller im Lkw-Kartell nicht nur die Lkw-Preise, sondern auch die Terminierung der Euro-5-Norm abgesprochen, sprich wann die Lkw mit Euro-5-Norm auf den Markt kamen. Unseren Mitgliedsfirmen und Partnern entstand also nicht nur ein Preisschaden, sondern auch ein Abgas-schaden, unter anderem durch höhere Mautkosten. Dies müssen wir nun vor dem Landgericht nachweisen. Dazu braucht es natürlich einen Anwalt, der bereit ist, sich mit dieser komplexen Materie auseinanderzusetzen, sowie versierte Ökonomen. Dreh- und Angelpunkt unserer Argumentation sind aber aussagekräftige und saubere Daten. Um diese in unseren Mitglieds- und Partnerfirmen zu ermitteln, waren in den letzten 12 Monaten ganze Heerscharen von Mitarbeitern tätig. Die haben oft tagelang Ordner in den Kellern der Firmen gewälzt. Es handelt sich ja um Kauf- und Leasingverträge, die fallweise viele Jahre zurückliegen. Nun aber kauft jeder Unternehmer seine Lkw mit unterschiedlicher Ausstattung. Das ist genau der Knackpunkt. Wir mussten in erster Instanz also zunächst den Preis für den "nackten" Lkw ermitteln, ohne jegliche Ausstattung, der zu dem Zeitpunkt des Kaufes beziehungsweise des Leasings maßgeblich war. Dafür haben wir mit versierten Ökonomen aus der Wissenschaft gearbeitet. Nun können wir pro Fahrzeug den Schaden korrekt nachweisen, der durch das Lkw-Kartell entstanden ist. Nur wo es keine Daten gab, können wir auch keinen Schaden ermitteln. Das ist der Nachteil unserer Vorgehensweise im Vergleich zum pauschalierten Ansatz. Warum haben Sie sich für eine eigene Klage entschieden und sich nicht der Sammelklage des BGL angeschlossen? Wir haben uns mit dem Thema sehr früh beschäftigt. Auch dank der Initiative unseres Anwalts. Deshalb kam für uns die Information des BGL hier zu spät. Wir waren da schon mittendrin im Prozess und hatten auch das Gefühl, mit unserer Art der Vorgehensweise richtig zu liegen. Prozesse in einer solchen Größenordnung kosten viel Zeit und Geld. Wie minimieren Sie die finanziellen Risiken Ihrer Mitgliedsfirmen und Partner? Allein, dass sich Elvis dieses Themas angenommen hat, hilft den Betrieben. Hätte jede einzelne Firma das alles alleine stemmen müssen, wäre für diese der Aufwand nicht machbar gewesen. Zudem ist fraglich, ob ein kleinerer Betrieb die Finanzkraft gehabt hätte, ein solches Verfahren gegen die Konzerne durchzuhalten. So aber hat Elvis für das Verfahren die Themis Schaden GmbH gegründet, an die 310 Frachtführer ihre Ansprüche abgetreten haben. Zudem haben wir einen Prozessfinanzierer ins Boot geholt. Er übernimmt alle Kosten, die in direktem Kontext mit der Klage stehen, und erhält im Erfolgsfall eine Provision. Alles das minimiert für unsere Mitgliedsfirmen und Partner erheblich die Kosten. Ein einzelner Betrieb hätte dies alleine nicht gepackt. Wie heißt Ihr Prozessfinanzierer? Das Unternehmen möchte nicht genannt werden. Nur so viel: Es handelt sich um eine Tochterfirma eines finanzstarken und stabilen Unternehmens, die sich auf die Finanzierung solcher Fälle spezialisiert hat. Was ist, wenn die Themis Schaden GmbH in eine Insolvenz ginge? Blieben Ihre Firmen dann doch auf den Prozess-Kosten sitzen? Nein, das passiert nicht. Das ist vertraglich alles entsprechend geregelt. Wann rechnen Sie mit einer Entscheidung? Selbst in erster Instanz, also jetzt vor dem Landgericht Stuttgart, wird das Urteil nicht vor Mitte, Ende 2019 gefällt werden. Und auch dann ist nichts final entschieden. Denn die vor Gericht unterlegene Partei hat das Recht, in Berufung zu gehen. Wird dann noch eine Revision zugelassen, kann das Ganze auch noch vor den Bundesgerichtshof gehen. Wenn man das will. Wäre denn Elvis bereit, den Weg durch alle Instanzen zu gehen? Das wird man sehen. Wie gesagt, wir sind zuversichtlich, dass wir mit unserer Klage vorher durchkommen und dieser Weg nicht notwendig sein wird. Im Übrigen können sich auch jetzt noch interessierte Transportbetriebe unserer Klage anschließen. Mehr zum Thema im Dossier Wirtschaftsrecht www.verkehrsrundschau.de/dossiers Daten + Fakten Der Ladungsverbund Elvis Jochen Eschborn ist Vorstand der Elvis AG, einer Kooperation im Ladungsverkehr, die er im Jahr 2006 initiiert und gegründet hat. Zuvor hatte Eschborn diverse Top-Management-Positionen in der Speditions- und Logistikbranche inne. Mittlerweile zählt der Europäische Ladungs-Verbund Internationaler Spediteure (Elvis) 187 Mitgliedsunternehmen und ist damit nach eigenen Angaben der größte Ladungsverbund internationaler Spediteure in Europa. Die Mitgliedsunternehmen beschäftigen an insgesamt 280 Standorten über 25.000 Mitarbeiter und setzen rund 17.000 Lkw und 21.000 Auflieger/ Anhänger an. Jeden Monat befördert die Kooperation nach eigenen Angaben rund 8,5 Millionen Tonnen. Umsatzzahlen nennt Elvis nicht. eh

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